A.
Die nach § 64
Abs. 1 und 2
ArbGG statthaften Berufungen der Beklagten sind gemäß §§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520
ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweisen sich auch sonst als zulässig.
B.
In der Sache hatten die Berufungen der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. April 2015 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung des Klägers noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. April 2015 noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 aufgelöst worden. Im Hinblick auf die Unwirksamkeit dieser Kündigungen hat der Kläger auch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Mobiler Postservice bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens. Im Einzelnen:
I.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung aufgelöst worden.
1. Nach § 626
Abs. 1
BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (
BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 -, juris, Rz. 21 m. w. N.).
2. Eine nachhaltige rechtswidrige und schulhafte Arbeitsverweigerung ist an sich als wichtiger Grund geeignet (
BAG, Urteil vom 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - NZA 2001, 893). Auf Grund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einseitig bestimmte Arbeiten unter Beachtung billigen Ermessens im Sinn von § 315
Abs. 3
BGB zuweisen, soweit das Weisungsrecht nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt ist. Weigert der Arbeitnehmer sich, die ihm im Rahmen einer rechtmäßigen Ausübung des Weisungsrechts zugewiesene Tätigkeit auszuführen, so kann dies im Fall der so genannten beharrlichen Arbeitsverweigerung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen. Danach setzt die beharrliche Arbeitsverweigerung in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen. Das Moment der Beharrlichkeit kann allerdings auch schon darin zu sehen sein, dass der Arbeitnehmer in einem einmaligen Fall eine Anweisung nicht befolgt; das muss dann aber zum Beispiel durch eine vorhergehende erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden (
BAG, Urteil vom 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - NZA 2001, 893).
Unstreitig lehnte Kläger jedenfalls die Anweisung des Zustellbeamten U. T. ab, auf seinen Ausweichbezirk (Bezirk 00) zu wechseln. Streitig ist zwischen den Parteien, ob die Anweisung zusätzlich auch von Herrn N. erteilt wurde. Der Kläger verließ stattdessen den Zustellstützpunkt und kehrte nach etwa 15 Minuten zurück. Er weigerte sich unstreitig auch gegenüber der Personaldisponentin V., dieser Anweisung Folge zu leisten. Frau V. wies daraufhin den Kläger an, bis zur Klärung des Sachverhalts erst einmal auf Bezirk 000 abzuwarten. Der Kläger telefonierte auch nicht mit seinem Vorgesetzten P., der versuchte ihn fernmündlich zu erreichen. Er kam damit unstreitig Arbeitsanweisungen von mehreren ihm vorgesetzten und fachlich sowie personell weisungsbefugten Mitarbeitern der Beklagten am 7. März 2015 nicht nach.
Die Arbeitsanweisungen wurden dem Kläger auch unter Beachtung billigen Ermessens (§ 315
BGB) erteilt. Das Weisungsrecht der Beklagten war ebenfalls nicht durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag eingeschränkt.
Das Direktionsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, die Einzelheiten der zu erbringenden Arbeitsleistungen zu bestimmen, soweit diese nicht anderweitig geregelt sind. Sein Umfang bestimmt sich vor allem nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Es kann einzelvertraglich oder auch durch tarifliche Regelung innerhalb bestimmter Grenzen erweitert werden, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht (
BAG, Urteil vom 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - BeckRS 2009, 73620, Rz. 23).
In Ausübung des ihm zustehenden Direktionsrechts war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Kläger anzuweisen, seine Arbeitsleistung am 7. März 2015 in seinem Ersatzzustellbezirk 00 zu erbringen.
Nicht ersichtlich ist, dass die Weisung gegen ein Gesetz verstoßen hätte. Insbesondere ein Verstoß gegen die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes oder zum Schutz von schwerbehinderten Menschen ist nicht ersichtlich. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass es sich bei der Bearbeitung des Zustellbezirks 00 um Mehrarbeit gehandelt hätte, von der schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen freizustellen sind (
§ 124 SGB IX). Der Kläger sollte den Zustellbezirk 00 nicht zusätzlich zu seinem Bezirk 000 ausfahren, sondern an seiner Stelle. Mehrarbeit im Sinn des § 124
SGB IX ist die über die normale gesetzliche Arbeitszeit (§ 3
S. 1
ArbZG) hinaus geleistete Arbeit, nicht aber die über die individuelle Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen hinausgehende tägliche Arbeitszeit (
vgl. BAG, Urteil vom 8. November 1989 -
5 AZR 642/88 - NZA 1990, 309, 310). Inwiefern die Bearbeitung des Zustellbezirks 00 mehr Zeit und sogar über die gesetzlich zulässigen Zeiten hinaus in Anspruch nehmen würde, hat der Kläger nicht dargelegt. Auch ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, woraus konkret sich eine unzumutbare Mehrbelastung für ihn als schwerbehinderten Menschen ergeben haben soll.
Die Weisung, den Bezirk 00 zu übernehmen, verstieß auch nicht gegen die BV Arbeitszeit. In deren § 8
Abs. 1 heißt es wörtlich: "Zur Sicherstellung einer hohen Qualität in der Zustellung werden Bezirke mit Stammzustellkräften besetzt. Im Zuge der Flexibilität und zur Gewährleistung der täglichen Zustellung kann es erforderlich werden, dass eine Stammzustellkraft auf einem bestimmten, festgelegten Bezirk außerhalb seines Stammzustellbezirks eingesetzt wird." Die BV Arbeitszeit sieht damit gerade die Möglichkeit des Einsatzes eines Zustellers auf einem anderen als seinem Stammbezirk vor.
Aus der Rückgabe der Arbeitsmaterialien durch den Kollegen Q. an ihn konnte der Kläger auch nicht schließen, dass er nunmehr selbst für seinen Bezirk 000 eingeteilt sei.
S. R. Q. war dem Kläger gegenüber unstreitig nicht weisungsbefugt. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass der Kollege ihm gegenüber in irgendeiner Form kundgetan hätte, dass er zur Rückgabe der Arbeitsmaterialien an den Kläger von einem Vorgesetzten veranlasst worden war.
Die Arbeitsverweigerung seitens des Klägers war auch "beharrlich". Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers Nachhaltigkeit im Willen voraus. Der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass er eine Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt, vielmehr muss eine intensive Weigerung vorliegen (
BAG, Urteil vom 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - NZA 2001, 893, 895). Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (
BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - NZA 2016, 417, 419, Rz. 22 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um zusammenhängenden Vorgang an einem einzigen Tag. Im Zuge dieses Vorgangs wurde die inhaltsgleiche Anweisung jedoch durch mehrere Vorgesetzte ausgesprochen, nämlich zunächst zumindest durch Herrn T. und dann durch die Personaldisponentin V.. Anschließend telefonierte der Kläger nicht mit seinem Vorgesetzten P.. Das folgende Gespräch mit Herrn P. verließ er. Auch wenn der Kläger das Gespräch mit Herrn P. und die Arbeitsstätte - wie von ihm vorgetragen - aufgrund auftretender gesundheitlicher Probleme verlassen haben sollte, hat er unstreitig bereits zuvor seine Arbeitsleistung mehrfach gegenüber verschiedenen Vorgesetzten und trotz zeitlicher Unterbrechungen verweigert.
Der Kläger war auch nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275
Abs. 3
BGB unzumutbar gewesen wäre sie zu erbringen. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275
Abs. 3
BGB beruft. Nach § 275
Abs. 3
BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sie persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des ihr entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Dem Schuldner kann die Erfüllung der von ihm persönlich zu erbringenden Leistung unzumutbar sein, wenn er dadurch Gefahr läuft, in bedeutsamen Rechtsgütern verletzt zu werden (
BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - NZA 2016, 417, 419, Rz. 26 m. w. N.).
Im vorliegenden Fall war es dem Kläger nicht unzumutbar, seine Zustelltätigkeit im Bezirk 00 zu erbringen. Wie dargelegt, verstieß die Weisung seiner Vorgesetzten nicht gegen Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder den Arbeitsvertrag des Klägers. Der Kläger hat auch keine sonstigen erheblichen Gründe dargelegt, wieso es ihm unzumutbar gewesen sein soll, den Bezirk 00 zu bearbeiten. Die Beklagte hat durch die Zuweisung dieses Bezirks für einen Arbeitstag auch nicht ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme verletzt. Zwar handelte es sich nicht um den Stammbezirk des Klägers, aus seiner früheren Tätigkeit als Springer war ihm der Bezirk jedoch zumindest in den Grundzügen bekannt. Besondere, in diesem Bezirk auftretende Erschwernisse hat der Kläger nicht vorgetragen. Die Beklagte musste auch nicht den Kollegen Q. statt des Klägers auf dem Bezirk 00 einsetzen. Ein Anspruch des Klägers dahingehend, nur in seinem Stammbezirk eingesetzt zu werden, besteht nicht. Die Planung des Personaleinsatzes und die Entscheidung darüber, welcher Mitarbeiter in welchem Bezirk eingesetzt werden soll, obliegt im Rahmen der durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und einzelvertraglichen Vereinbarungen vorgegebenen Grenzen und entsprechend billigem Ermessen der Beklagten und nicht dem Kläger. Schließlich war die Beklagte nicht verpflichtet, den Bezirk 00 aufzuteilen, was zu einer zeitlichen Mehrbelastung aller betroffenen Kollegen geführt hätte.
Der Kläger befand sich auch nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum. Der Schuldner trägt das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst. Es kann nicht dem Gläubiger überbürdet werden. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt dabei nur dann vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn der Schuldner damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (
BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 2 AZR 569/14 - NZA 2016, 417, 420 f., Rz. 43 m. w. N.). Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass er sich vor seiner Arbeitsverweigerung hat fachkundig beraten lassen. Von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum kann daher keine Rede sein.
3. Die fristlose Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten des Klägers hätte nach Auffassung der Kammer eine Abmahnung ausgereicht.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (ständige Rechtsprechung,
BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1231 Rz. 34 m. w. N.).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeit-nehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (
BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1231 Rz. 37 m. w. N.).
Zugunsten des Klägers sind die lange Dauer seines Arbeitsverhältnisses, seine Unterhaltspflicht, erlittene Arbeitsunfälle und das hierauf zurückzuführende psychische Leiden mit der
MdE von 20 zu berücksichtigen. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zwar gegenüber mehreren Vorgesetzten seine Arbeitsleistung verweigert hat. Es handelte sich jedoch um einen Vorgang an einem Vormittag. Der Kläger hat die Erbringung seiner Arbeitsleistung auch nicht völlig verweigert, sondern wollte nur nicht in dem Zustellbezirk 00 eingesetzt werden, da er sich - als schwerbehinderter Mensch - nur zur Arbeit in seinem Stammbezirk verpflichtet fühlte. Mit der Möglichkeit des Ausspruchs einer Abmahnung stand der Beklagten ein milderes Mittel zur Verfügung.
Auch wenn der Kläger nacheinander von mehreren Vorgesetzten zur Erbringung seiner Arbeitsleistung aufgefordert worden ist, hat keiner dieser Vorgesetzten den Kläger darauf hingewiesen, dass er für den Fall, dass er dieser dienstlichen Weisung nicht nachkommt, mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Eine Abmahnung wurde gegenüber dem Kläger in diesem Zusammenhang mithin nicht ausgesprochen. Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich auch nicht entnehmen, dass seine Vorgesetzten den Kläger darauf hingewiesen haben, dass er sich in einem Irrtum befindet, wenn er davon ausgeht, dass er als schwerbehinderter Mensch nicht zur Arbeit in einem anderen als in seinem Stammbezirk verpflichtet ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nach Auffassung der Kammer der Ausspruch einer Abmahnung auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger sein Verhalten nicht steuern könnte. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der im Bescheid des Integrationsamtes vom 31. März 2015 auszugsweise wiedergegebenen Äußerung der Frau
Dr. K.. Diese hat nach dem Auszug Bedenken geäußert, dass auf Grund des behindertengerechten Fehlverhaltens des Klägers, insbesondere in Gestalt von Wutausbrüchen und Aggressionen, seine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber unzumutbar sei. Die außerordentliche Kündigung vom 2. April 2015 wurde von der Beklagten jedoch nicht wegen Wutausbrüchen und Aggressionen, sondern wegen Arbeitsverweigerung ausgesprochen. Aus den nur auszugsweise wiedergegebenen Äußerungen von Frau
Dr. K. ergibt sich nicht, dass der Kläger nicht in der Lage wäre, Arbeitsanweisungen zu folgen. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass es in der Vergangenheit bereits einen oder mehrere vergleichbare Vorfälle gegeben hätte. Dem Vortrag der Beklagten ist weiter nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachengrundlage Frau
Dr. K. zu ihrer Ansicht gelangt ist.
Eine vorangehende Abmahnung war im vorliegenden Fall auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger bereits am 15. Dezember 2014 wegen Qualitätsmängeln ermahnt und am 18. Januar 2016 wegen Qualitätsmängeln abgemahnt worden ist. Die Abmahnung vom 18. Januar 2016 wurde erst nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ausgesprochen. Der Ermahnung vom 15. Dezember 2014 fehlt die Warnfunktion einer Abmahnung. Die Ermahnung vom 15. Dezember 2014 betrifft außerdem keine gleichartige Pflichtverletzung des Klägers. Sie vermochte ihm nicht vor Augen zu führen, dass er im Fall einer weiteren Arbeitsverweigerung, insbesondere im Fall der Weigerung, seinen Ersatzzustellbezirk zu bearbeiten, mit dem Ausspruch einer (außerordentlichen) Kündigung zu rechnen hat.
Auch die von der Beklagten behaupteten Probleme der Kollegen des Klägers des Zustellstützpunkt I. mit dem Kläger im zwischenmenschlichen Bereich sowie das Fax der Mitarbeiter des Zustellstützpunkts H. vom 16. März 2013 vermögen nicht zu einem Überwiegen des Interesses der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber demjenigen des Klägers an seiner Fortsetzung zu führen. Nach dem Vortrag der Beklagten war Ursache der Störungen im zwischenmenschlichen Bereich, dass der Kläger Therapietermine wahrgenommen hat
bzw. arbeitsunfähig war. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedoch nicht, dass der Kläger insoweit seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hätte, etwa die Wahrnehmung von Therapieterminen während der Arbeitszeit nicht erforderlich gewesen wäre oder er seine Arbeitsunfähigkeit wahrheitswidrig behauptet hätte. Vor diesem Hintergrund hätte es der Beklagten vielmehr oblegen, sich gegenüber den Kollegen schützend vor den Kläger zu stellen.
II.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. April 2015 wegen "Verdachts eines tätlichen Angriffs auf den Arbeitskollegen E." aufgelöst worden. Zwar steht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass es am Morgen des 6. März 2015 zwischen dem Kläger und dem Zeugen E. eine zunächst verbale Auseinandersetzung gegeben hat, in deren Verlauf der Kläger seinem Kollegen E. eine Ohrfeige gegeben hat. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vermag dieses Verhalten des Klägers jedoch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen. Die angegriffene Kündigung ist dabei nach Auffassung der Kammer als Tatkündigung zu prüfen. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Dagegen liegt eine Verdachtskündigung nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines nicht erwiesenen strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (
BAG, Urteil vom 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - AP
BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung
Nr. 23 m. w. N.). Im vorliegenden Fall begründet die Beklagte die Kündigung inhaltlich nicht damit, dass ihr Vertrauen in den Kläger aufgrund eines bestehenden Verdachtes zerstört ist, sondern damit dass der Kläger von ihr wegen des von seinem Kollegen angezeigten tätlichen Angriffs auf diesen nicht weiterbeschäftigt werden kann.
1. Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, der Kläger den Kollegen E. nachweislich tätlich angegriffen, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und Betriebsrat sowie Schwerbehindertenvertretung auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat. Zwar stellt der Verdacht einer Tätlichkeit gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und gegebenenfalls Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (
BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 23 m. w. N.).
Der Umstand, dass der Betriebsrat gemäß
§ 102 BetrVG und die Schwerbehindertenvertretung gemäß
§ 95 Abs. 2 SGB IX ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört wurden, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat
bzw. der Schwerbehindertenvertretung diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (
BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 24 m. w. N.). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102
Abs. 1
BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat
bzw. der Schwerbehindertenvertretung wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt dem Betriebsrat
bzw. der Schwerbehindertenvertretung sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (
BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 24 m. w. N.). Im vorliegenden Fall ergibt sich der Tatvorwurf aus Tatsachen (der Ohrfeige gegenüber dem Kollegen E.), die dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung von der Beklagten im Zuge der Anhörung mitgeteilt wurden.
Entgegensteht weiter nicht, dass auch das Integrationsamt
gem. §§ 91,
85 SGB IX nur um Zustimmung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gebeten wurde. Auch dem Integrationsamt waren von der Beklagten die Tatsachen mitgeteilt worden, aus denen sich der Tatvorwurf ergibt. Hinzukommt, dass das Integrationsamt den Sachverhalt selbst weiter ermittelt, eine Stellungnahme des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung einholt und den schwerbehinderten Menschen gemäß
§ 87 Abs. 2 SGB IX anhört.
2. Die dem Kollegen E. vom Kläger gegebene Ohrfeige ist "an sich" als wichtiger Grund im Sinn von § 626
Abs. 1
BGB geeignet.
a) Fristlose Kündigungen wegen Tätlichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber oder Kollegen können - unter Umständen ohne Abmahnung - einen ausreichenden Grund für eine - zumindest - ordentliche verhaltensbedingte Kündigung darstellen (
BAG, Urteil vom 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - juris, Rz. 20; vom 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - NZA 2006, 431, 432 Rz. 19, jeweils m. w. N.). Das gilt in besonderem Maße, wenn ein Arbeitnehmer in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit Körperverletzungen begeht. Der tätliche Angriff auf Arbeitskollegen stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des anderen Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber ist seinerseits nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind. Er hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und Mitarbeiter verletzt werden und gegebenenfalls ausfallen. Ferner kann der Arbeitgeber auch berücksichtigen, wie sich ein solches Verhalten auf die übrigen Arbeitnehmer und den Betrieb auswirkt, insbesondere wenn er keine personellen Maßnahmen ergreifen würde (
BAG, Urteil vom 6. Oktober 2005 - 2 AZR 280/04 - NZA 2006, 431, 432 Rz. 19 m. w. N.). Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat (
BAG, Urteil vom 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - juris, Rz. 21 m. w. N.). Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung regelmäßig keiner Abmahnung. Denn der Arbeitnehmer weiß von vornherein, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbilligt. Dies gilt uneingeschränkt bei schweren Tätlichkeiten. Hier kann schon ein einmaliger Vorfall einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen, ohne dass der Arbeitgeber noch eine Wiederholungsgefahr begründen und den Arbeitnehmer zuvor abmahnen müsste. Auch die Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber gehalten ist, den Arbeitnehmer an einem anderen freien Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen, statt ihm zu kündigen, hängt sowohl von den Ursachen des Fehlverhaltens und dem am neuen Arbeitsplatz zu erwartenden Verhalten als auch von der Schwere des Pflichtverstoßes, also nicht zuletzt von der Intensität und den Folgen des tätlichen Angriffs ab (
BAG, Urteil vom 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - juris, Rz. 22 m. w. N.).
Der Grund, weshalb der Arbeitgeber bereits eine einmalige, schwerwiegende Tätlichkeit zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen darf, liegt maßgeblich in der vom betreffenden Arbeitnehmer ausgehenden, durch die verübte Tätigkeit bereits realisierten und damit auch in Zukunft zu erwartenden Gefährdung anderer Arbeitnehmer des Betriebs, zu deren Schutz der Arbeitgeber verpflichtet ist. Die Reaktion des Arbeitgebers auf ein solches Verhalten muss daher geeignet sein, weitere derartige Vorfälle, von denen erhebliche Gesundheitsgefahren für seine Belegschaft ausgehen, möglichst auszuschließen (
BAG, Urteil vom 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - juris, Rz. 24 m. w. N:).
Als Kündigende ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.
b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass es am Morgen des 6. März 2015 eine Tätlichkeit des Klägers gegenüber dem Zeugen E. gegeben hat. Eine Ohrfeige in Form eines Wischens stellt unzweifelhaft einen tätlichen Angriff auf den Arbeitskollegen dar. Der Zwischenfall ereignete sich auch im Betrieb zwischen Arbeitskollegen. Dadurch hat der Kläger seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt.
Der Zeuge E. hat in seiner Zeugenvernehmung vor dem Landesarbeitsgericht angegeben, dass der Kläger am 6. März 2015 sehr provokant gewesen sei. Er habe reagiert und ihm seine Meinung gesagt. Anscheinend habe das dem Kläger nicht gefallen. Der Kläger habe ihm dann eine gewischt anhand einer Ohrfeige. Er habe den Kläger daraufhin zur Rede gestellt, der es dann spaßeshalber gesehen habe. Es sei ein Körperkontakt, kein direkter Schlag gewesen. Er habe ihm halt eine ins Gesicht gewischt. Es sei nicht so gewesen, dass er danach Schmerzen gehabt hätte. Man habe es aber schon gemerkt. Es habe gezischt. Er sei nicht mehr beim Arzt gewesen. Das sei im Normalfall nicht nötig gewesen. Es sei keine direkte Körperverletzung gewesen. Es sei kein Faustschlag gewesen. Es sei ins Gesicht gegangen. Es sei nicht schallend gewesen, aber man habe es klatschen gehört. Das habe kein Kollege ringsum mitbekommen. Er habe dann den ganzen Tag weitergearbeitet.
Der Zeuge E. hat glaubhaft ausgesagt. Seine Aussage war im Hinblick auf den Geschehensablauf in sich widerspruchsfrei. Lediglich hinsichtlich der Intensität der Ohrfeige
bzw. des Wischens hat der Zeuge seine Aussage gegenüber seinem Vorgesetzten, dass es sich um eine "schallende Ohrfeige" gehandelt habe, dahin relativiert, es habe "gezischt". Der Zeuge hat auch nicht mit übermäßigem Belastungseifer ausgesagt. Vielmehr hat er sowohl in seiner Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht als auch während seiner Vernehmung durch die Beklagte am 13. März 2015 und am 20. Mai 2015 im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Polizeipräsidium F-Stadt (Polizeiinspektion X-Stadt, Bezirks- und Ermittlungsdienst, VN-
Nr. YYY, zitiert vom Kläger im Schriftsatz vom 13. November 2015 im Verfahren 6 Ca 615/15, dort Bl. 7 f = Bl. 67 f d. A. mit dem Az. 6 Ca 615/15) erwähnt, dass er dem Kläger eine entsprechende Antwort gegeben habe, die den Kläger zu der "Ohrfeige" veranlasst habe. Damit hat er die Tatsache, dass er selbst zur Eskalation beigetragen hat, nicht unerwähnt gelassen. Allerdings hat der Zeuge schon am 13. März 2015, also nur eine Woche nach dem Vorfall nur angegeben, der Kläger habe ihn "verbal belästigt und beleidigt". Er selbst habe sich gewehrt, indem er dem Kläger eine "dementsprechende Antwort" erwidert habe (Verhandlungsschrift vom 13. März 2015, Bl. 39 d. A. mit dem Az. 6 Ca 352/15). "Als Folge dessen" sei der Kläger an ihn herangetreten und habe ihm eine schallende Ohrfeige gegeben. Er habe sich mit einem leichten Stoß aus dieser Lage befreit. In der Vernehmung vor der Landesarbeitsgericht konnte der Zeuge nicht (mehr) angeben, welchen Inhalt seine "Antwort" hatte, die zur "Ohrfeige" durch den Kläger führend. Es ist nach Ansicht der Kammer überraschend, dass der Zeuge vergessen haben will, durch welche Äußerung er den Kläger so aufgebracht hat, dass dieser mit einer - nach Aussage des Zeugen - Ohrfeige reagiert hat. Dies gilt besonders, weil der Zeuge selbst den Vorfall gemeldet hat. Dagegen wird die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht dadurch in Frage gestellt, dass kein Kollege in der Halle das von dem Zeugen geschilderte "Wischen" mitbekommen hat. Der Zeuge hat die "Ohrfeige" nicht so drastisch geschildert, dass sie jeder Kollege in der lauten Hallenumgebung hätte hören müssen. Einer weiteren Aufklärung darüber, ob der Kläger sich zum genauen Zeitpunkt der behaupteten "Ohrfeige" noch in der Halle befand, bedurfte es nach Auffassung der Kammer nicht. Auch nach dem Vortrag des Klägers kam es am Vormittag des 6. März 2016 zu einem Zusammentreffen des Klägers und des Zeugen E.. Bei diesem soll der Zeuge E. dem Kläger nach dessen Vortrag mit einer Zeitung auf das Gesäß geschlagen haben. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen würde es auch nicht sprechen, wenn er die "Ohrfeige" am Nachmittag desselben Tages in einer Viererrunde mit dem Kläger und weiteren Mitarbeitern - wie vom Kläger behauptet - nicht thematisiert hätte. Der Zeuge könnte dieses Thema aus den verschiedensten Gründen nicht angesprochen haben. Einer Beweisaufnahme darüber, ob es eine solche Viererrunde gegeben hat, bedurfte es daher nicht. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Frage, ob Herr P. am gleichen Tag am Stützpunkt anwesend war, zumal der Zeuge ausgesagt hat, dass er glaube, den Vorfall noch direkt am selben Tag dem Vorgesetzten P. gemeldet zu haben. Er habe es zuerst der Personalstelle in Bad Kreuznach telefonisch gemeldet, die das dann wohl an Herrn P. weitergegeben hätten. Dieser sei dann erst später auf den ihn zugekommen. Hatte der Zeuge den Vorfall bereits gemeldet, bestand für diesen auch dann keine Veranlassung, den Zeugen P. am Nachmittag des 7. März 2015 (noch einmal) persönlich anzusprechen, wenn dieser im Zustellstützpunkt anwesend gewesen sein sollte.
c) Der vom Zeugen E. geschilderte Sachverhalt vermag eine außerordentliche Kündigung nicht zu begründen. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere unter Einbeziehung der Situation, der Gefährlichkeit des Angriffs und seiner tatsächlichen Folgen sowie der Auswirkungen für den Betriebsfrieden hätte nach Auffassung der Kammer eine Abmahnung als milderes Mittel ausgereicht, um eine störungsfreie Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft und Wiederherstellung des Betriebsfriedens prognostizieren zu können. Dabei ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von vornherein weiß, dass ein verständiger Arbeitgeber schon zum Schutz sämtlicher im Betrieb beschäftigter Arbeitnehmer tätliche Angriffe oder Auseinandersetzungen missbilligt und nicht hinnehmen wird. Andererseits ist zu bedenken, dass eine Kündigung keinen Strafcharakter hat und sich ihr Zweck gleichfalls nicht in einer generalpräventiven Zielrichtung erschöpfen darf (
LAG Niedersachsen, Urteil vom 5. August 2002 - 5 Sa 517/02 - NZA-RR 2003, 75 f.).
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Tätlichkeit des Klägers auch nach der Schilderung des Zeugen E. eine spontane Reaktion auf dessen "Antwort" gewesen ist. Der Zeuge hat angegeben, seine Antwort habe dem Kläger nicht gefallen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass der die "Ohrfeige" zwar ins Gesicht des Zeugen ging. Der Zeuge E. wurde durch die "Ohrfeige" des Klägers aber nicht schwerwiegend verletzt. Er hat keine Verletzung davon getragen, die für die übrigen Kollegen sichtbar gewesen wäre oder die er einem Arzt hätte zeigen müssen oder wollen. Andauernde Schmerzen hatte er danach nicht. Er hat es lediglich "aber schon gemerkt". Es handelte sich auch um keinen direkten Schlag. Beim Wischen ins Gesicht benutzte der Kläger die flache Hand, nicht seine Faust. Der Zeuge konnte anschließend ganz normal weiterarbeiten. Auch eine Strafanzeige gegen den Kläger hat der Zeuge E. erst mehr als zwei Monate nach dem Vorfall eingereicht, nachdem der Kläger ihn seinerseits wegen Verleumdung angezeigt hatte.
Bei prognostischer Betrachtung war im vorliegenden Einzelfall im Kündigungszeitpunkt die begründete Erwartung gerechtfertigt, dass sich der Kläger eine Ab-mahnung zur Warnung gereichen lässt und bei einer Weiterbeschäftigung keine dauerhaften Störungen des Betriebsfriedens zu erwarten sind. Im vorliegenden Fall sind die Umgangsformen und der Umgangston im Zustellstützpunkt zu berücksichtigen. Weiter ist zu sehen, dass der Kläger sein Verhalten nach Aussage des Zeugen "spaßeshalber" sehen wollte.
Auch im Hinblick auf die Tätlichkeit war eine Abmahnung nicht im Hinblick auf die Äußerung der Frau
Dr. K. entbehrlich. Die Ausführungen der Ärztin werden im Bescheid des Integrationsamtes nur auszugsweise zitiert. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Tatsachengrundlage und Anwendung welcher Erkenntnismethoden sie ihre Erkenntnisse gewonnen hat. Ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit, in denen Tätlichkeiten im Betrieb vom Kläger ausgegangen wären, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ohne entsprechenden Tatsachenvortrag bedeutete die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage, ob der Kläger nicht zu einem steuerbaren Verhalten in der Lage ist, die Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises.
III.
Eine erstinstanzlich angegriffene (hilfsweise) ordentliche Kündigung vom 2. April 2015 ist im Berufungsverfahren nicht streitgegenständlich. Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen.
IV.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2015 zum 29. Februar 2016 wegen des Verdachts einer Tätlichkeit gegenüber dem Arbeitskollegen E. aufgelöst worden.
Diese ordentliche Kündigung ist weder als verhaltensbedingte noch als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinn des
§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG.
1. Eine ordentliche Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinn von § 1
Abs. 2
KSchG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint.
Der Kläger hat sich schuldhaft vertragswidrig verhalten, indem er seinem Kollegen E. "eine gewischt" hat. Wie oben unter B.II.2.c) dargelegt steht nach Auffassung der Kammer jedoch in Form einer Abmahnung ein milderes Mittel zur Verfügung, mit dem in der Zukunft Vertragsstörungen vermieden werden können.
2. Die unter dem 28. Juli 2015 von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung ist auch nicht als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Zu personenbedingten Kündigungsgründen hat die Beklagte weder den bei ihr gebildeten Betriebsrat noch die Schwerbehindertenvertretung angehört noch die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer personenbedingten Kündigung eingeholt.
Gemäß § 102
Abs. 1
BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat der Arbeitgeber ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
Mit Schreiben vom 27. März 2015 (Bl. 54
ff. d. A.) hat die Beklagte den Betriebsrat (auch) zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung angehört. Zur Begründung hat sie zusammenfassend ausgeführt: "Gegen Herrn A. besteht der dringende Tatverdacht, einen Kollegen tätlich angegriffen zu haben, in dem er diesen geohrfeigt hat." Zusammenfassend hat sie weiter ausgeführt: "Aufgrund des zwingenden und begründeten Verdachts der Tätlichkeit (Ohrfeige) gegenüber einem Kollegen ist das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen nachhaltig zerstört und hat zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt. Der Deutschen Post
AG ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar. Wir beabsichtigen daher, das bestehende Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung zu lösen. Hilfsweise kündigen wir auch ordentlich." Die von der Beklagten im vorliegenden Berufungsverfahren angeführten personenbedingten Kündigungsgründe waren demnach nicht Gegenstand der Anhörung. Die Beklagte hat den in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat gerade nicht dazu angehört, dass der Kläger nicht in der Lage sein soll, sein Verhalten zu steuern und dass er, nach ihrer Ansicht, infolge seiner Behinderung zu Wutausbrüchen und Aggressionen neige und nach Maßgabe der Feststelllungen der leitenden Amtsärztin Frau
Dr. K. nicht in der Lage sei, seine Affekte zu steuern. Die Ausführungen von Frau
Dr. K. und die hieraus von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerungen können bereits deshalb nicht Gegenstand der Anhörung des Betriebsrats gewesen sein, weil sie erst im Bescheid des Integrationsamtes vom 31. März 2015 auszugsweise wiedergegeben waren, die Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung jedoch bereits mit Schreiben vom 27. März 2015 erfolgten.
V.
Die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mit gesonderter Begründung angegriffen. Insbesondere hat sie keine weiteren, neuen Gesichtspunkte in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt, wegen der ihr die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar wäre. Die Berufung der Beklagten war daher auch hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Mobiler Postservice bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens zurückzuweisen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97
Abs. 1
ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72
Abs. 2
ArbGG sind nicht erfüllt.