Urteil
Zustimmung zur verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist wegen leichtfertiger Strafanzeige

Gericht:

VG München 15. Kammer


Aktenzeichen:

M 15 K 18.2871 | M 15 K 18.2878


Urteil vom:

05.12.2019


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten der Verfahren zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Bescheide des Beklagten vom 14. Mai 2018, mit dem dieser der Beigeladenen die Zustimmung nach §§ 168, 174 SGB IX zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung (M 15 K 18.2871) bzw. zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist (M 15 K 18.2878) des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses erteilte.

Der am ... August 1964 geborene Kläger war seit 15. Januar 1992, zuletzt als kaufmännischer Sachbearbeiter, bei der Beigeladenen, einem Unternehmen im Bereich der Triebwerksherstellung, in Vollzeit beschäftigt. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 (Änderungsbescheid des Zentrums ... Region ..., Versorgungsamt vom 1. Februar 2016, Anlage K7). Als Behinderungen anerkannt sind Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB: 50) und Depression (Einzel-GdB: 30).

Mit am selben Tag beim Beklagten eingegangen Schreiben vom 30. April 2018 beantragte die Beigeladene die Zustimmung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung (hilfsweise mit sozialer Auslauffrist) des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger aus verhaltensbedingten Gründen. Der Kläger habe schwer und nachhaltig seine Rücksichtnahmepflicht verletzt, indem er Vorgesetzte, Führungskräfte und Vorstandsmitglieder der Beigeladenen der Begehung von Straftaten bezichtigt und leichtfertig und ungerechtfertigt Strafanzeige erstattet habe. In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht München (Az. 36 Ga 14/18), in welchem der Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beigeladene beantragt habe, habe der Kläger zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Antragsgegnerin u.a. "Az: 245 UJs 708 148/17 (Staatsanwaltschaft München I; 117 bzw. 120 (Straf-)Tatbestände gegen die Antragsgegnerin, wird "stiefmütterlich" bzw. nicht behandelt" angegeben. Auch in Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 15 K 17.3358 und M 15 K 17.3359) auf Ersetzung der Zustimmung des Integrationsamtes zu Kündigungen habe der Kläger mit Schriftsätzen vom 26. Januar 2018 bzw. 27. Januar 2018 u.a. auf das Verfahren 245 UJs 708 148/17 hingewiesen. Das Registerzeichen "UJs" verwende die Staatsanwaltschaft zunächst bei Ermittlungen gegen Unbekannt. Mit Schreiben vom 7. Februar 2018 habe die Beigeladene in dem Verfahren 245 UJs 708 148/17 Einsicht in die Behördenakte beantragt (Bl. 66 f. der Behördenakte im Verfahren M 15 K 18.2871 - BA I). Die Staatsanwaltschaft München I habe dies in dem nunmehr unter dem Aktenzeichen 245 Js 112747/18 geführten Verfahren mit Schreiben vom 13. April 2018 mangels rechtlichen Interesses abgelehnt (Bl. 71 BA I, laut Stempel eingegangen am 18. April 2019). Das Ermittlungsverfahren werde nun gegen Herrn S..., Frau S..., Herrn G..., Herrn K..., Herrn R..., Herrn B..., Herrn K..., Herrn W..., Herrn Dr. A..., Herrn L... und Herrn Dr. W... mit dem Vorwurf der Körperverletzung geführt. Der Kläger, dem das Aktenzeichen bekannt gewesen sei, habe die Strafanzeige gegen die benannten Personen erstattet, die sämtlich Unternehmensangehörige der Beigeladenen seien bzw. gewesen seien. Durch die leichtfertigen falschen Verdächtigungen und die leichtfertige Strafanzeige verletze der Kläger die ihm zukommende Rücksichtnahmepflicht. Die Strafanzeige sei kein adäquates Mittel, Vorwürfe über vermeintliches Mobbing durchzusetzen oder sich gegen Vorwürfe des Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten zu wehren. Die Intention des Klägers, seinen Status im Betrieb und sein Arbeitsverhältnis beizubehalten, lasse den Vorwurf der sehr gravierenden Straftat außerordentlich verwerflich erscheinen. Bei einer vorzunehmenden Interessenabwägung komme dem Wahrheitsgehalt der preisgegebenen Informationen eine besondere Bedeutung zu. Der Kläger stelle offensichtlich lediglich Behauptungen auf. Die behaupteten Rechtsverstöße und Körperverletzungen seien tatsächlich nicht gegeben. So habe der Kläger zu Herrn K... bis dato keinen Kontakt gehabt. Es sei der Beigeladenen nicht zumutbar, das mit dem Kläger bestehende Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen, auch nicht bis zum Ablauf einer sozialen Auslauffrist von sieben Monaten. Ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX sei obsolet. Im Zeitraum 2010 bis 2013 sei ein solches durchgeführt worden.

Mit Schreiben vom 30. April 2018 gab der Beklagte dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme und forderte den Kläger unter Zuleitung des Antrags der Beigeladenen auf, einen ausgefüllten Fragebogen mit Angaben zur Behinderung, dem Arbeitsverhältnis und dem Kündigungssachverhalt, eine unterschriebene Schweigepflichtentbindung, eine Kopie des Schwerbehindertenausweises sowie des vollständigen Feststellungsbescheides des Versorgungsamtes vorzulegen.

Der Kläger führte mit Schreiben vom 7. Mai 2018 aus, dass die Kündigung offensichtlich unwirksam sei, da überhaupt kein berechtigtes Interesse der Beigeladenen verletzt worden sei. In den genannten Verfahren habe er keine Strafanzeige gegen die Beigeladene erstattet. Mobbingvorwürfe richteten sich immer gegen Personen, nicht gegen ein Unternehmen. Auch sei der Vortrag der Beigeladenen zu den Strafverfahren der benannten Mitarbeiter völlig unsubstantiiert. Außerdem sei die Kündigungsfrist von zwei Wochen überschritten. Kenntnis vom Sachverhalt habe die Beigeladene schon mit Zustellung der Stellungnahme vom 26. Januar 2018 am 2. Februar 2018, spätestens mit Antrag auf Akteneinsicht am 7. Februar 2018 gehabt. Eine nicht durchgeführte Prävention nach § 167 Abs. 1 SGB IX sei nicht obsolet. Es liege tatsächlich ein Mobbingproblem vor, welches auch dazu geführt habe, dass ein Grad der Behinderung von 60 anerkannt worden sei. Die Beigeladene habe ihn seit 2011 systematisch ausgegrenzt. Es seien ihm keine Aufgaben im Sinne eines Tagesgeschäfts zugewiesen worden, obwohl er seine Vorgesetzten ständig darum gebeten habe. Seine Aufgaben hätten einer fünfprozentigen Arbeitsauslastung entsprochen und seien sämtlich für den Papierkorb erledigt worden. Hinzu seien wiederholte öffentliche Bloßstellungen, Beschimpfungen und Abweisungen von Kollegen gekommen. Ihm seien Prüfungsaufgaben mit Präsentationspflicht gestellt worden, bei denen er öffentlich bloßgestellt und gepeinigt worden sei. Man habe sich gerichtlich auf ein betriebliches Eingliederungsmanagement geeinigt, das aber nicht durchgeführt worden sei. Der Kläger habe betriebsintern erfolglos alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um die Mobbingattacken zu beenden, und sich an den Betriebsrat, das Compliance-Team und Vorgesetzte gewendet. Die Beigeladene wolle eine Kündigung auf einen Sachverhalt stützen, der unmittelbar mit seiner Behinderung, nämlich der Depression zusammenhänge. Die Depression sei bedingt durch die Mobbing- und Bossingproblematik. Seiner Erinnerung nach habe er keine Strafanzeige gegen die namentlich benannten Personen gestellt, was auch die Tatsache erkläre, dass ein Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt geführt worden sei. Er habe vielmehr nur vorgebracht, zu welchem Zeitpunkt ihm welche Person welche Mobbinghandlung zugefügt habe. Einige der benannten Mitarbeiter habe er gegenüber der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Mobbingproblematik seiner Erinnerung nach nie erwähnt. Ein psychiatrisches Attest vom 12. April 2018 (Bl. 34 BA I), wonach beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung mit zuletzt mittelschwerer depressiver Episode sowie Verdacht auf kombinierte Persönlichkeitsstörung vorliege, durch Einbindung des Patienten in ein berufliches Konfliktmanagement und nach Ausräumung der beschriebenen Mobbingsymptomatik eine deutliche Besserung des Zustandes des Klägers zu erreichen sei und die berufliche Situation einen psychosozialen Hauptbelastungsfaktor darstelle, wurde vorgelegt. Der Kläger erklärte mit E-Mail vom 7. Mai 2018, dass die Inhalte der Formulare aus vorangegangenen Verfahren übernommen werden könnten.

Mit - in Kopie an den Beklagten versendeter - E-Mail an die Staatsanwaltschaft München I vom 4. Mai 2018 bat der Kläger um Auskunft bezüglich der Weitergabe der am ca. 7. März 2017 eingereichten Strafanzeige gegen die Verantwortlichen in Sachen Bossing. Aus der Behördenakte des Beklagten ergibt sich ein Schriftverkehr zwischen dem Kläger und der Staatsanwaltschaft München I zu Strafanzeigen gegen Mitarbeiter der Beigeladenen (Bl. 56 ff. der Behördenakte im Verfahren M 15 K 18.2878 - BA II). So teilte der Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2017 mit, dass er wolle, dass die Anzeige Az. 245 UJs 708/148/17 weiterhin bearbeitet werde. Darüber hinaus hätten sich weitere Verstöße ereignet: Am 26. Juni 2017 Ladung zur Anhörung einer beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung mit der am 27. Juni 2017 ausgesprochenen Absicht der fristlosen Kündigung, d.h. psychische Gewaltanwendung als Kette von Ereignissen mit ca. 115 Verstößen seit mindestens 2011 auf Basis einer Verleumdung durch die Vertreter der Beigeladenen, Frau S... und Herrn G... Es liege eine jahrelange bewusste gesundheitliche Schädigung durch Aufgabenentzug mit der Absicht der Kündigung vor. Mit Schreiben vom 17. Juli 2017 teilte die Staatsanwaltschaft München I mit, dass der Strafanzeige gemäß § 152 Abs. 2 stopp keine Folge gegeben werde. Ein strafbares Verhalten liege nicht vor, da die Ladung zu einer Anhörung in Bezug auf eine Kündigung als auch die Absicht zur Kündigung keine Körperverletzung darstellten, selbst wenn diese Handlungen Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden des Geschädigten hätten.

Die Schwerbehindertenvertretung führte mit Schreiben vom 9. Mai 2018 aus, dass es sich um einen langjährigen, sehr komplexen Sachverhalt handele, bei dem bereits viele Personen involviert gewesen seien. Deswegen sei der ganze Sachverhalt in Summe zu betrachten. Der geschilderte Sachverhalt entspreche in subjektiver Weise der Sicht des Arbeitgebers. Nach Wissen der Schwerbehindertenvertretung gebe es in Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe gegen den Kläger noch keine gerichtliche Klärung, ob diese berechtigt oder unberechtigt seien. Der Vorwurf, dass die einzelnen Strafanzeigen leichtfertig und ungerechtfertigt seien, lasse sich deswegen nur schwerlich beurteilen. In der Tat sei nun das Vertrauensverhältnis durch die Vorgänge nachhaltig erschüttert und zerstört worden. Eine Kündigung zum jetzigen Zeitpunkt entspreche einer besonderen sozialen Härte in Anbetracht des Alters und der finanziellen Folgen für den Kläger. Sie bitte daher, einer außerordentlichen Kündigung bis zur Klärung des rechtlichen Sachverhaltes nicht zuzustimmen.

Die Bevollmächtigten des Beigeladenen äußerten sich mit Schreiben vom 9. Mai 2018 dahingehend, dass dem Kläger das Aktenzeichen des Ermittlungsverfahrens nicht bekannt gewesen wäre, wenn er nicht Anzeigeerstatter gewesen wäre. Kündigungsberechtigt seien neben den Vorstandsmitgliedern der Personalleiter Herr K... und Herr G... Herr G... habe aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft München I vom 13. April 2018 am selben Tag Kenntnis erhalten, dass das Ermittlungsverfahren gegen die namentlich benannten Führungskräfte der Beigeladenen geführt werde.

Mit Schreiben des Beklagten vom 9. Mai 2018 wurde dem Kläger die Stellungnahme der Beigeladenen zugeleitet, mit der Gelegenheit, sich bis 14. Mai 2018 dazu zu äußern. Der Kläger ergänzte mit Schreiben vom 13. Mai 2018 seinen Vortrag in Bezug auf die Nichteinhaltung der Antragsfrist und verwies im Übrigen auf seine Stellungnahme vom 7. Mai 2018.

Mit Bescheiden des Integrationsamtes vom 14. Mai 2018 wurde die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sowie zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses erteilt.

Die Zweiwochenfrist des § 174 Abs. 2 SGB IX sei gewahrt. Die Frist beginne gemäß § 174 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Zeitpunkt, in dem die Beigeladene von den Tatsachen Kenntnis erlangt habe, die für die Kündigung maßgeblich seien. Die Frist sei durch den Zugang der Mitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 13. April 2018 ausgelöst worden. Zuvor sei die Frist gehemmt gewesen, da das Abwarten der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung über die Akteneinsicht zu den erforderlichen Ermittlungen mit der gebotenen Eile in Bezug auf den Kündigungsgrund gehört habe. Es sei auch erst kraft des Inhalts des Ablehnungsschreibens bekannt gewesen, dass sich das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren jetzt gegen namentlich benannte Personen bei der Beigeladenen gerichtet habe.

Die Voraussetzungen der Ermessenslenkung des § 174 Abs. 4 SGB IX seien nicht gegeben, sodass über den Zustimmungsantrag nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden gewesen sei. Vorliegend sei von einem Zusammenhang zwischen dem angegebenen Kündigungsgrund und der beim Kläger anerkannten Behinderung auszugehen. Der Schwerbehindertenschutz gewinne an Gewicht, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt werde, die in der Behinderung selbst ihre Ursache hätten, sodass an die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen seien. Sinn und Zweck des Zustimmungsverfahrens sei es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Jedoch solle das Integrationsamt nicht an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum Nachteil des schwerbehinderten Menschen mitwirken. In der Interessenabwägung spreche für den Kläger, dass er 53 Jahre alt sei und dem Betrieb der Beigeladenen mit insgesamt 26 Jahren außergewöhnlich lange angehöre, was zu einem erhöhten Bestandsschutzinteresse führe. Aufgrund seines Lebensalters und seiner Schwerbehinderung werde er erhebliche Schwierigkeiten haben, bei Arbeitsplatzverlust einen Anschlussarbeitsplatz zu finden, was mit einem Absinken des Lebensstandards verbunden sein könne. Für die Beigeladene sei zu berücksichtigen, dass die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Klägers tarifvertraglich ausgeschlossen sei. Nach der Rechtsprechung seien leichtfertig falsche Anschuldigungen gegen Arbeitskollegen grundsätzlich geeignet, wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu sein (BAG, U.v. 11.7.2013 - 2 AZR 994/12). Dass eine leichtfertig falsche Anschuldigung von Kollegen und Vorgesetzten durch den Kläger nicht von vornherein ausscheide, mache der Inhalt des Schreibens der Staatsanwaltschaft deutlich, der auf ein bei der besagten Behörde geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen konkrete Personen Bezug nehme. Der Kläger habe das Vorliegen der Pflichtverletzung jedenfalls nicht substantiiert bestritten. Der Vortrag des Klägers, nach seiner Erinnerung keine Strafanzeige gegen die namentlich benannten Mitarbeiter erhoben zu haben und einige Mitarbeiter gegenüber der Staatsanwaltschaft nie erwähnt zu haben, führe nach dem behördlichen Prüfungsrahmen in hinreichender Art und Weise vor Augen, dass ein Nennen konkreter Mitarbeiter der Arbeitgeberin gegenüber der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht von vorneherein ausscheide. Zudem sei nicht davon auszugehen, dass Umsetzungsmöglichkeiten für den Kläger bestünden, da das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses nachhaltig geschädigt, wenn nicht unwiederbringlich zerstört sei, zumal die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beigeladenen verschiedenen Unternehmensbereichen und Hierarchiestufen angehörten. Offenbleiben könne, ob eine wirksame Abmahnung ergangen sei, da in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt sei, dass aus dem Fehlen nicht auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung geschlossen werden könne (BVerwG, U.v. 2.7.1992 - 5 C 51.90). Ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX sei keine Voraussetzung für die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes. Lägen wie hier bereits Kündigungsgründe vor, so sei ein Präventionsverfahren entbehrlich. Selbst wenn noch eine Präventionsnotwendigkeit angenommen würde, hätte eine solche hier keine Möglichkeit geliefert, das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Das für die Fortführung nötige Vertrauen ließe sich hier auch per Präventionsverfahren nicht wiederherstellen, zumal viele Mitarbeiter bei der Beigeladenen betroffen seien. Das Inklusionsamt sei daher nach Berücksichtigung und Abwägung aller für den Fall relevanten Umstände zu dem Ergebnis gekommen, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung bzw. zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu erteilen.

Am 13. Juni 2018 erhob der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klagen zum Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragte im Verfahren M 15 K 18.2871, den Bescheid des Beklagten vom 14. Mai 2018 mit dem Aktenzeichen 14/46/6122-42064/18-Ke 43 aufzuheben, sowie im Verfahren im M 15 K 18.2878, den Bescheid des Beklagten vom 14. Mai 2018 mit dem Aktenzeichen 14/46/6122-42063/18-Ke 42 aufzuheben.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger seit 2011 bis zu seiner Freistellung im Juli 2017 systematisch mit dem Ziel bzw. dem Ergebnis des Ausstoßes aus der Gemeinschaft angegriffen worden sei. Es lägen massive Mobbinghandlungen von Vorgesetzten und Führungskräften insbesondere von Frau S..., Herrn K... und Herrn R... vor, die zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts, psychischem Druck und einer Gesundheitsverletzung des Klägers geführt hätten. Die Zweiwochenfrist gemäß § 174 Abs. 2 SGB IX sei nicht eingehalten. Die Interessenabwägung sei ermessensfehlerhaft von dem Beklagten vorgenommen worden. Der Beklagte habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beigeladene aufgrund der Mobbing- und Bossinghandlungen ihrer Führungskräfte und Vorgesetzten die Ursache dafür gesetzt habe, dass beim Kläger im Laufe des Arbeitsverhältnisses eine Depression eingetreten sei. Wenn das Verhalten von Arbeitskollegen oder Vorgesetzten zu Körper- oder Ehrverletzungen führe, könne strafrechtlich der Tatbestand der Körperverletzung oder der Beleidigung erfüllt sein. Der Beklagte sei fälschlicherweise von einer leichtfertigen falschen Anschuldigung ausgegangen. Schließlich hätte sich ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX positiv auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt. Der Beklagte habe seiner Aufklärungspflicht nach § 20 SGB X nicht genügt. Er habe all das zu ermitteln und zu berücksichtigen, was erforderlich sei, um die Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abzuwägen, und dürfe sich nicht auf eine bloße Prüfung der Schlüssigkeit der Angaben des Arbeitgebers, mit denen dieser die Kündigung begründe, beschränken (BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93). Der Beklagte habe die Gründe des Klägers für die Strafanzeige völlig unberücksichtigt gelassen. Sofern der Beklagte berücksichtigt hätte, dass der Kläger von der Beigeladenen über Jahre gemobbt worden sei und innerbetrieblich erfolglos alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe, wäre der Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, dass jedenfalls keine leichtfertige Erhebung einer Strafanzeige vorgelegen habe. Das Vorbringen bei der Staatsanwaltschaft durch den Kläger entspreche den Tatsachen. Die Kündigung und auch die Zustimmung zur Kündigung durch den Beklagten verletzten den Kläger in seinem Recht nach Art. 10 EMRK (vgl. EGMR, U.v. 21.7.2011 - 28274/08). Der Kläger habe mit der Anzeige seine staatsbürgerlichen Rechte wahrgenommen; die Erstattung einer Strafanzeige dürfe daher nicht zu Rechtsnachteilen führen, sofern sie nicht leichtfertig erfolgt sei (vgl. BVerfG, B.v. 2.10.2001 - 1 BvR 1372/01). Auch verkenne der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Die Beigeladene habe in ihrem Antrag auf Zustimmung schon nicht vorgetragen, welchen Sachverhalt der Kläger den Personen, gegen die das Ermittlungsverfahren geführt worden sei, vorgeworfen habe. Insofern sei ein substantiiertes Bestreiten seitens des Klägers überhaupt nicht möglich gewesen. Zudem könne es nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft eine Akteneinsicht der Beigeladenen mangels berechtigten Interesses abgelehnt habe, die Kündigung durch die Beigeladene aber gerade auf diese Strafanzeige, die gar nicht gegen sie gerichtet worden sei, gestützt werden solle. Eine Umdeutung nach § 43 SGB X komme nicht in Betracht, da der Beklagte richtigerweise davon ausgegangen sei, dass die Kündigung aus einem Grunde erfolgt sei, der im Zusammenhang mit der Behinderung stehe. Die Schreiben vom 28. Juni 2017 und 15. Juli 2017 seien dem Beklagten zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt gewesen.

Der Beklagte beantragte,

die Klagen abzuweisen.

Die Antragsfrist des § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sei durch die Antragstellung am 30. April 2018 gewahrt. Am 7. Februar 2018 habe die Beigeladene durch den Antrag auf Akteneinsicht die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen zur Ermittlung des möglichen Kündigungssachverhaltes aufgenommen. Die Beigeladene habe am 18. April 2018 Kenntnis der Umstände gehabt, die zur Kündigung des Klägers geführt hätten, indem sie durch Ablehnung des Gesuchs auf Akteneinsicht erfahren habe, dass der Kläger eine Strafanzeige gegen elf Mitarbeiter der Beigeladenen gestellt habe. Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerfrei ergangen. Die Nichtberücksichtigung der vermeintlich bestehenden Mobbing- und Bossinghandlungen führe nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Entgegen der Ansicht des Klägers sei der Beklagte nicht davon überzeugt, dass im Betrieb der Beigeladenen eine massive Mobbing- und Bossingproblematik gegenüber dem Kläger bestehe. Auch der daraus gefolgerte Schluss des Klägers, dass bei ihm allein aufgrund dieser Behandlung eine Depression aufgetreten sei, sei unsubstantiiert und nicht nachzuvollziehen. Insoweit werde auf das Schreiben der Staatsanwaltschaft München I vom 15. Juli 2017 verwiesen, aus welchem hervorgehe, dass der Kläger offensichtlich in der Ladung zur Anhörung in Bezug auf eine geplante Kündigung sowie in der Absicht, eine Kündigung auszusprechen, schon den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt sehe. Aus Sicht des Beklagten handele es sich hierbei jedoch um alltägliche Vorgänge in der Arbeitswelt. Zum einen sei nicht erkennbar gewesen, worin die vermeintliche Mobbing-/Bossingproblematik im Unternehmen der Beigeladenen bestehen solle. Zum anderen sei es nicht nachvollziehbar, wie sämtliche der elf beschuldigten Personen Mobbing-/Bossinghandlungen am Kläger begangen haben sollen. Deswegen sei diese Thematik zu Recht im Bescheid vom 14. Mai 2018 unberücksichtigt geblieben. Es liege im Rahmen des Prüfungsmaßstabs des Beklagten ein hinreichend wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung aufgrund des Verhaltens des Klägers, das sich als schwerwiegender Verstoß gegen seine Rücksichtnahmepflichten darstelle, vor. Eine offensichtliche arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung scheide aus diesen Erwägungen aus. Ob die Kündigung auch im Einzelfall gerechtfertigt sei oder gegebenenfalls andere, mildere Mittel zur ausreichenden arbeitsrechtlichen Sanktionierung des Verhaltens gegeben seien, liege nicht im Prüfungsmaßstab des Beklagten.

Die mit Beschlüssen vom 18. Juli 2018 Beigeladene stellte keinen Antrag, trug jedoch vor, dass der Kläger keinesfalls angegriffen worden sei, erst recht nicht systematisch oder mit dem Ziel eines Ausstoßes aus der Gemeinschaft. Es lägen keinerlei Mobbinghandlungen vor. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Führungskräfte Frau S..., Herrn K... und Herrn R... werde vehement bestritten. Der Kläger sei weder ausgegrenzt noch öffentlich bloßgestellt oder diskriminiert worden. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Kläger interne Compliance-Beschwerden erhoben habe. Der Vortrag des Klägers zu seinen Klärungsversuchen sei ebenso wie der Vortrag zu behaupteten Mobbinghandlungen unsubstantiiert. Ein Kausalzusammenhang mit einer Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers sei nicht dargelegt und genauso unsubstantiiert. Die Ansicht im vorgelegten Attest beruhe einzig auf den Wahrnehmungen und Schilderungen des Klägers und basiere allein auf Unterstellungen und Vermutungen. Ein an sich wichtiger Grund liege vor. Der Kläger habe schwer und nachhaltig seine Rücksichtnahmepflichten verletzt, indem er Vorgesetzte, Führungskräfte und Vorstandsmitglieder der Beigeladenen ungerechtfertigt und unangemessen der Begehung von Straftaten bezichtigt und Strafanzeige erstattet habe. Herr K... habe bis heute keinen persönlichen Kontakt zum Kläger gehabt. Der Beklagte habe ermessensfehlerfrei die unsubstantiiert behaupteten Mobbinghandlungen nicht berücksichtigt. Ermessensfehlerfrei habe der Beklagte angenommen, dass der Kläger die Strafanzeige leichtfertig erhoben habe. Zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche sei die Strafanzeige nicht geeignet gewesen. Der Kläger verkenne, dass Ansprüche aus dem AGG innerhalb einer 2-Wochen-Frist geltend zu machen seien, sodass diese, sofern überhaupt gegeben, verjährt wären. Das Ermittlungsverfahren sei mittlerweile eingestellt worden, da sich kein hinreichender Tatverdacht ergeben habe. Der Beklagte sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Kündigung arbeitsrechtlich nicht offensichtlich unwirksam sei. Der Beklagte sei seiner Ermittlungspflicht nach § 20 SGB X in hinreichendem Maße nachgekommen. Er sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen, den vom Kläger unsubstantiiert und pauschal behaupteten Mobbingvorwürfen im Einzelnen unter dem Aspekt eines möglichen Zusammenhangs mit dem Kündigungsgrund nachzugehen oder diese als wesentlichen Gesichtspunkt im Rahmen seiner Ermessensentscheidung einzustellen. Das Inklusionsamt sei schon nicht verpflichtet, bei der Vorprüfung, ob ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund bestehe, der Ursache zwischen einem behaupteten Mobbing sowie der Schwerbehinderung nachzugehen, sodass dies erst recht im Rahmen der Ermessensentscheidung gelten müsse. Eine Kausalität werde durch das Attest vom 12. April 2018 nicht nachgewiesen. Zudem entfalle die Verwerflichkeit des Handelns des Klägers nicht einmal, wenn der Beklagte zugunsten des Klägers unterstellt hätte, dass die Situation am Arbeitsplatz ursächlich für eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes wäre. Dass am Arbeitsplatz Konflikte oder Umstände gegeben sein könnten, die den Kläger gesundheitlich belasteten, bedeute noch nicht, dass die von ihm bei der Staatsanwaltschaft angezeigten Personen ihn verletzen wollten. Eine mögliche Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers entschuldige mitnichten die Erstattung einer Strafanzeige. Auch habe der Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Zwischenzeitlich habe er die Beigeladene mit einer Mobbingklage vor dem Arbeitsgericht München überzogen (Az. 12 Ca 13606/18). Hilfsweise sei der streitgegenständliche Bescheid in eine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 174 Abs. 4 SGB IX wegen fehlenden Zusammenhangs zwischen der Behinderung und dem vorgeworfenen Verhalten des Klägers nach § 43 SGB X umzudeuten. Eine Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten, die die freie Willensentschließung hätte ausschließen oder wesentlich einschränken können, sei beim Kläger weder festgestellt noch sonst erkennbar. Auch das Landesarbeitsgericht habe in seinem Urteil vom 9. April 2019, Az. 9 Sa 573/18 (Seite 29), ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass ein krankheits- oder behinderungsbedingt nicht steuerbares Verhalten vorliege. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 26. Juli 2018 (Az. 13 Ca 2795/18) wurde vorgelegt, mit dem die Kündigungsschutzklage des Klägers hinsichtlich der infolge der streitgegenständlichen Zustimmungen ergangenen Kündigungen der Beigeladenen vom 15. Mai 2018 abgelehnt wurde. Des Weiteren wurden das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 9. April 2019 (Az. 9 Sa 573/18), mit welchem die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde, sowie der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 5. September 2019 (Az. 2 AZN 599/19), mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig verworfen wurde, eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2019 sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klageverfahren sowie der beigezogenen Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren M 15 K 17.3358 und M 15 K 17.3359 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 14. Mai 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für die erteilten Zustimmungen ist § 174 Abs. 1 i.V.m. § 168 SGB IX. Danach ist eine außerordentliche Kündigung von schwerbehinderten Menschen nur zulässig, wenn das Integrationsamt zuvor seine Zustimmung erteilt hat. Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 60 ein schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX und genießt damit den besonderen Kündigungsschutz nach §§ 168 ff. SGB IX.

2. Formelle Fehler lagen nicht vor. Insbesondere erfolgte der Antrag auf Zustimmung durch die Beigeladene am 30. April 2018 innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, was von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr gerügt wurde. Für den Fristbeginn ist nach § 174 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf den Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt, abzustellen. Für den vorliegenden Fall einer beantragten Zustimmung zu einer verhaltensbedingten Kündigung wegen leichtfertiger Strafanzeige musste die Beigeladene jedenfalls Kenntnis des Tatvorwurfs sowie der betroffenen Personen haben. Damit war das bloße Wissen um ein gegen "Unbekannt" geführtes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ohne Kenntnis eines Tatvorwurfs nicht ausreichend. Vielmehr ist erst auf den Zugang der Ablehnung des - mit der gebotenen Eile von der Beigeladenen gestellten - Akteneinsichtsgesuchs abzustellen, aus dem sich sowohl die Personen, gegen die das Ermittlungsverfahren nunmehr geführt wurde, als auch der Tatvorwurf der Körperverletzung ergaben. Eine tatsächliche Kenntnisnahme eines Kündigungsberechtigten lag frühestens am 18. April 2019, dem Tag des Eingangs des staatsanwaltschaftlichen Schreibens bei den Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen, vor, weswegen die Antragsfrist gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB frühestens mit Ablauf des 2. Mai 2018 endete.

3. Die Entscheidungen des Beklagten waren auch materiell rechtmäßig. Insbesondere sind vorliegend keine Ermessensfehler ersichtlich.

a) Über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung hat das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 174 Abs. 1 i.V.m. §§ 171 ff. SGB IX) und dabei das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Fortbestehen seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 - juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 12.8.2008 - 12 ZB 07.3029 - juris Rn. 8).

Die Ermessensentscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO). Dem Gericht ist es versagt, die behördlichen Ermessenserwägungen durch eigene zu ersetzen. Es kann die Entscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 27 ff.). Die Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 - juris Rn. 15), ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet (§ 114 Satz 1 Alt. 1 VwGO) und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Dabei ist die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.2008 - 5 B 79.08 - juris Rn. 5).

Die dem Beklagten durch § 20 SGB X auferlegte Aufklärungspflicht, die ihre Grenzen bei fehlenden bzw. unsubstantiierten Angaben der Beteiligten findet (BayVGH, U.v. 18.6.2008 - 12 BV 05.2467 - juris Rn. 47), gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht. Soweit ein Umstand materiellrechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht. Welche Umstände im Einzelnen und mit welchem Gewicht für die Interessenabwägung maßgeblich sind, lässt sich nicht allgemein bestimmen; entscheidend sind der Bezug zur Behinderung und die an der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes gemessene Bedeutung (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 - juris Rn. 15).

Der Gesetzgeber bezweckt mit dem Sonderkündigungsschutz den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile schwerbehinderter Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und mutet insoweit dem Arbeitgeber Einschränkungen in seiner Gestaltungsfreiheit zu (BayVGH, B.v. 12.8.2008 - 12 ZB 07.3029 - juris Rn. 8). Nach der Zwecksetzung des Sonderkündigungsschutzes gewinnt der Schwerbehindertenschutz gegenüber der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers an Gewicht, wenn die beabsichtigte Kündigung auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, sodass insofern an die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind (BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 - juris Rn. 16). Entsprechend ist der Schutz umso geringer, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Schwerbehinderung feststellbar ist (BayVGH, B.v. 12.8.2008 - 12 ZB 07.3029 - juris Rn. 8; U.v. 28.9.2010 - 12 B 10.1088 - juris Rn. 30).

Zweck des Zustimmungserfordernisses ist es nicht, eine zusätzliche Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Allerdings darf das Integrationsamt an einer offensichtlich unwirksamen Kündigung in dem Sinne, dass die Unwirksamkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt, nicht mitwirken (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2012 - 12 ZB 11.1063 - juris Rn. 11 m.w.N).

b) Gemessen an diesen durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen erfolgten die streitgegenständlichen Entscheidungen, die Zustimmung zu den Kündigungen zu erteilen, ermessensfehlerfrei.

(1) Die ermessenslenkende Norm des § 174 Abs. 4 SGB IX war vorliegend nicht einschlägig, sodass der Beklagte sein Ermessen frei auszuüben hatte. Der Beklagte hat vorliegend zu Recht angenommen, dass ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung nicht auszuschließen war. Jedenfalls würde sich bei fehlerhafter Nichtanwendung der Norm keine Verletzung des Klägers in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergeben.

(2) Die Behörde hat vorliegend die Umstände, die nach der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes in die Interessenabwägung einzustellen waren, im gebotenen und - vor dem Hintergrund der Zwei-Wochen-Frist des § 174 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, nach deren Ablauf eine Zustimmung zu Lasten des Klägers nach § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX fingiert worden wäre - auch ausreichenden Umfang ermittelt.

Durch Abfrage von Angaben zum Arbeitsverhältnis sowie zur Schwerbehinderung des Klägers (vgl. Verweis des Klägers auf die Formularinhalte vorangegangener Verfahren) und durch Anhörung von Kläger, Beigeladener, Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung erhielt der Beklagte eine ausreichende Tatsachengrundlage für die spätere Abwägungsentscheidung.

In Hinblick auf die von der Klagepartei gerügte Aufklärungspflichtverletzung bezüglich des Kündigungssachverhalts und eine insoweit nicht ausreichende Schlüssigkeitsprüfung ist auf den oben darlegten Grundsatz hinzuweisen, wonach das Integrationsamt - mit Ausnahme einer (hier nicht gegebenen) offensichtlich unwirksamen Kündigung - keine zusätzliche Prüfung der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit vorzunehmen hat. Dies wirkt sich auf die Reichweite der Aufklärungspflicht aus: Der Beklagte musste den Kündigungssachverhalt nicht abschließend ermitteln, jedoch soweit aufklären, dass ihm eine Entscheidung darüber möglich war, ob das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht ausgeschlossen bzw. der angegebene Kündigungssachverhalt nicht lediglich vorgeschoben war.

Der Beklagte ist dieser Aufklärungspflicht nachgekommen, indem er die Beteiligten anhörte und auch die Schwerbehindertenvertretung zur Richtigkeit des von der Beigeladenen geschilderten Sachverhalts befragte. Auch ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte dem Kläger nach der Darlegung des Sachverhalts durch die Beigeladene mit Antrag vom 30. April 2018 und durch Stellungnahme vom 9. Mai 2018 jeweils Gelegenheit zur Äußerung gab, sodass kein Sachvortrag der Beigeladenen zugrunde gelegt wurde, auf den der Kläger nicht hätte erwidern können. Weitere Einzelheiten zum staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und den Vorwürfen des Klägers gegenüber den Mitarbeitern der Beigeladenen ergaben sich aus dem Schriftverkehr zwischen Kläger und Staatsanwaltschaft, welcher dem Beklagten ausweislich der Behördenakte zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlag.

Damit ging die Aufklärung des Kündigungssachverhalts durch den Beklagten zum einen über eine bloße Schlüssigkeitsprüfung hinaus. Zum anderen ist die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93), wonach eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Umstände nicht ausreiche, die für den behindertenrechtlichen Kündigungsschutz von wesentlicher Bedeutung seien, vor dem Hintergrund des beschränkten Prüfungsumfangs nur eingeschränkt übertragbar. Auch betraf das Urteil eine Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung, sodass die die Nachforschungsmöglichkeiten einschränkende Zwei-Wochen-Frist des § 174 Abs. 3 Satz 1 SGB IX insoweit nicht anwendbar war.

(3) Ermessensfehler ergeben sich auch nicht aus dem Ergebnis der Abwägungsentscheidung.

Dass der Beklagte erkannt hat, eine Ermessensentscheidung (und keine gebundene Entscheidung) treffen zu müssen, und sein Ermessen auch ausgeübt hat, wird aus der Bescheidsbegründung offensichtlich. Er hat die Grenzen des Ermessens gewahrt und ist geleitet von Sinn und Zweck des schwerbehindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes unter Abwägung der für und gegen die Erteilung der Zustimmung streitenden Gesichtspunkte zu dem vertretbaren Ergebnis gekommen, dass die Ermessensentscheidung zugunsten der Beigeladenen ausfalle.

Der Beklagte nahm dabei zugunsten des Klägers einen Zusammenhang zwischen der anerkannten Behinderung und dem Kündigungsgrund an und ist folgerichtig von einem hohen schwerbehindertenrechtlichen Schutzniveau ausgegangen. Indem er zugunsten des Klägers dessen Alter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, ein erschwertes Finden einer Anschlussbeschäftigung und die aufgrund seiner Alters und seiner Schwerbehinderung zu erwartenden Schwierigkeiten, einen Anschlussarbeitsplatz zu finden, sowie ein mögliches Absinken des Lebensstandards in die Abwägung einstellte, hat er keine ersichtlichen, nach dem Gesetzeszweck relevanten Belange des Klägers außer Acht gelassen.

Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung eine eventuelle (Mit-)Ursächlichkeit von Vertretern der Beigeladenen für die Schwerbehinderung und für das der Kündigung zugrunde liegende Verhalten des Klägers, nämlich die Strafanzeige, nicht einbezog. Während das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen der anerkannten Behinderung und dem Kündigungsgrund wesentlich für die Bestimmung des schwerbehindertenrechtlichen Schutzniveaus ist, welches der Beklagte vorliegend als hoch ansah, kommt es dagegen auf ein Kausalverhältnis zwischen dem angeblich erlittenen Mobbing und der Schwerbehinderung bzw. dem Kündigungsgrund nicht an (vgl. VG Augsburg, U.v. 17.9.2013 - Au 3 K 13.698 - juris Rn. 53). Auf Grundlage der ausreichenden Ermittlungen - insbesondere unter Berücksichtigung des Schriftverkehrs zwischen Kläger und Staatsanwaltschaft, aus dem sich entnehmen ließ, auf welche Art von Verhalten der Kläger seine Vorwürfe stützte -, musste der Beklagte auch nicht davon ausgehen, dass die Strafanzeige von der Beigeladenen provoziert worden war.

Auch die im Bescheid begründete Nichtberücksichtigung der Nichtdurchführung eines Präventionsverfahrens war, da ein solches aufgrund des betroffenen Vertrauensverhältnisses und der Vielzahl der berührten Mitarbeiter keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kündigung geliefert hätte, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 29.8.2007 - 5 B 77.07 - juris Rn. 5) vertretbar.

Sachfremde Erwägungen sind nicht ersichtlich. Anders als die Klagepartei meint, hat der Beklagte auch nicht zu Lasten des Klägers unterstellt, dass dieser leichtfertig Strafanzeige erhoben habe. Vielmehr hat der Beklagte in der Bescheidsbegründung festgestellt, dass "eine falsche Anschuldigung von Kollegen und Vorgesetzten durch (den Kläger) nicht von vorne herein ausscheide" und damit kein Fall vorliegt, bei dem sich die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängt. Dies wird auch durch die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen gestützt, wonach "an sich" ein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege und auch die Interessenabwägung zulasten des Klägers ausfalle (vgl. ArbG München, U.v. 26.7.2018 - 13 CA 2795/18 - UA S. 13 f.; LAG München, U.v. 26.7.2018 - 13 CA 2795/18 - UA S. 27 ff.).

4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Hinsichtlich der Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat das Gericht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO eine Billigkeitsentscheidung zu treffen. Da sich die Beigeladene, die keinen Antrag stellte, keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO), entsprach es vorliegend der Billigkeit, die Kosten nicht der unterliegenden Partei aufzuerlegen.

Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

Referenznummer:

R/R8600


Informationsstand: 04.03.2021