Urteil
Schwerbehinderter - Beschäftigungsanspruch - Arbeitszeit

Gericht:

BAG


Aktenzeichen:

9 AZR 100/03


Urteil vom:

14.10.2003


Grundlage:

Leitsätze:

Eine Tarifnorm, die während der Bewilligungsdauer einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit das Ruhen des Arbeitsverhältnisses anordnet, stellt keine unzulässige Abweichung (§ 22 Abs 1 TzBfG) von § 8 TzBfG dar.

Eine derartige tarifvertragliche Regelung kann aber wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht unwirksam sein, sofern sie die schwerbehindertenrechtliche Pflicht des Arbeitgebers, den schwerbehinderten Arbeitnehmer mit einer behinderungsgerecht verringerten Arbeitszeit zu beschäftigen (§ 81 Abs 4 Nr 1, Abs 5 Satz 3 SGB IX), aufhebt.

Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen nach § 81 Abs 5 Satz 3 SGB IX (juris SGB 9) bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf.

Bestätigung und Fortführung: BAG 10. Juli 1991 - 5 AZR 383/90 - BAGE 68, 141 = AP SchwbG § 14 Nr 1 = EzA BGB § 615 Nr 69 mwN; Senat 3. Dezember 2002 - 9 AZR 481/01- AP SGB IX § 81 Nr 2 = EzA SGB IX § 81 Nr 1.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgericht

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - vom 21. November 2002 - 22 Sa 24/02 - aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 14. März 2002 - 11 Ca 500/01 - abgeändert. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 8.819,78 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Teilzeitbeschäftigung.

Der 1954 geborene Kläger ist bei dem beklagten Verein und seinem Rechtsvorgänger seit 1977 beschäftigt, zunächst als Mitarbeiter im Rettungsdienst und im Schüler- und Behindertenfahrdienst. Nach erfolgreicher Ausbildung zum Rettungssanitäter war er im Leitstellendienst eingesetzt. Im Jahr 1989 wurde er Abteilungsleiter für den Behindertenfahrdienst des beklagten Vereins. Er arbeitete in Vollzeit. Sein monatliches Bruttogehalt belief sich auf zuletzt rd. 5.300,00 DM brutto. Der Kläger ist schwerbehindert. Der Grad der Behinderung beträgt 80.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auf Grund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag des Deutschen Roten Kreuzes, seiner Verbände, Einrichtungen und Gesellschaften in der jeweils geltenden Fassung ( DRK-TV) anzuwenden. In § 55 DRK-TV ist unter der Überschrift "Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" ua. geregelt:

"(1) Wird durch den Bescheid eines Rentenversicherungsträgers festgestellt, dass der Mitarbeiter ... erwerbsunfähig ist, so endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid zugestellt wird, sofern der Mitarbeiter eine ... bestehende Versorgung durch das DRK ... erhält, zu der das DRK Mittel beigesteuert hat. ...

Beginnt die Rente wegen ... Erwerbsunfähigkeit erst nach der Zustellung des Rentenbescheides, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des dem Rentenbeginn vorangehenden Tages. Das Arbeitsverhältnis endet nicht, wenn nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsunfähigkeit gewährt wird. In diesem Falle ruht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten von dem Tage an, der auf den nach Satz 1 oder 3 maßgebenden Zeitpunkt folgt, bis zum Ablauf des Tages, bis zu dem die befristete Rente bewilligt ist, längstens jedoch bis zum Ablauf des Tages, an dem das Arbeitsverhältnis endet."

Im September 2000 erkrankte der Kläger an Krebs und war deshalb arbeitsunfähig erkrankt. Während der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit führte er mit dem Beklagten mehrere Gespräche über seinen weiteren Einsatz. Gesprächspartner war der für Personalangelegenheiten zuständige Geschäftsführer. Dieser ist nicht bevollmächtigt, arbeitsvertragliche Vereinbarungen zu treffen. Im Mai 2001 erörterten sie die Möglichkeit, dass der Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beziehen könne, die durch eine Teilzeitbeschäftigung des Klägers beim Beklagten aufgestockt werden könne. Im Juni 2001 teilte der Kläger mit, er wolle im Rahmen der Hinzuverdienergrenze täglich vier bis fünf Stunden arbeiten. Im Juli 2001 stellte er einen Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderung. In dem von dem Geschäftsführer des Beklagten (mit-) unterzeichneten Antrag teilte er mit, er beabsichtige eine Teilzeitbeschäftigung.

Vom 16. Juli 2001 bis 12. August 2001 nahm der Kläger an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung teil. In dieser Zeit arbeitete er mit der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Für die Zeit vom 13. August 2001 bis 15. September 2001 erhielt er Erholungsurlaub. Ab 6. September 2001 setzte ihn der Beklagte mit fünf Stunden täglich ein. Die nicht erbrachte Arbeitszeit sollte auf den Urlaub angerechnet werden.

Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 4. September 2001 wurde dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Juni 2001 bis 30. September 2003 bewilligt. Die Rente belief sich auf 1.912,75 DM. Der Bescheid ging dem Kläger am 7. September 2001 zu. Hiervon unterrichtete er den beklagten Verein am gleichen oder am folgenden Tag. Mit Schreiben vom 26. September 2001 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er werde ihn nicht weiterbeschäftigen, weil das Arbeitsverhältnis nach § 55 TV-DRK ruhe. Dem widersprach der Kläger am 28. September 2001 schriftlich. Er sei für jede Arbeitszeitregelung zwischen vier und fünf Stunden täglich offen. Der Beklagte lehnte eine Beschäftigung des Klägers ab. Mit seiner im Oktober 2001 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, § 55 DRK-TV sei rechtsunwirksam. Das im Tarifvertrag angeordnete Ruhen des Arbeitsverhältnisses nehme ihm die Möglichkeit, seine Arbeitszeit nach § 8 TzBfG zu verringern und sich so den Arbeitsplatz als "aktiv" Beschäftigter zu erhalten. Verletzt sei auch Art. 12 GG, soweit ein Erwerbsgeminderter wie er tatsächlich in der Lage sei, in Teilzeit zu arbeiten.


Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. September 2003 nicht ruht.

2. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger mit Wirkung ab 6. September 2001 und über den 30. September 2001 hinaus bis auf weiteres als Teilzeitkraft mit vier Stunden, hilfsweise fünf Stunden täglich als Abteilungsleiter im Behindertenfahrdienst nach BAT V b Stufe 13 zu beschäftigen.


Der beklagte Verein hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Während des Revisionsverfahrens ist der Bezugszeitraum der Erwerbsminderungsrente bis zum 31. Dezember 2005 verlängert worden. Im Einvernehmen mit dem Beklagten hat der Kläger seinen in der Revision gestellten Antrag diesem geänderten Datum Rechnung getragen. Er verlangt nunmehr seine Beschäftigung als Teilzeitkraft bis zum 31. Dezember 2005.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung.

A. Die Revision ist ungeachtet der vom Kläger vorgenommenen Klageerweiterung zulässig. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Bewilligungszeitraum der Erwerbsminderungsrente des Klägers über den 30. September 2003 hinaus bis zum 31. Dezember 2005 verlängert worden ist. Dem hat der Kläger mit Zustimmung der Beklagten Rechnung getragen. Die für die Beurteilung der erhobenen Ansprüche erforderlichen Tatsachen sind von der Änderung der Enddaten nicht berührt.

B. In der Sache hat die Revision des Klägers Erfolg.


I. Die Klage ist zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht den negativen Feststellungsantrag als zulässig iSv. § 256 Abs. 1 ZPO beurteilt. Der Kläger hat an der zwischen ihm und der Beklagten streitigen Frage, ob das Arbeitsverhältnis trotz der bewilligten Zeitrente nicht zum Ruhen gekommen ist, das gesetzlich verlangte besondere Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Klärung.

2. Der als Leistungsantrag verfolgte Beschäftigungsanspruch ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bereits das Landesarbeitsgericht hat den Klageantrag dahin ausgelegt, der Kläger verlange eine Teilzeitbeschäftigung lediglich für die Dauer des Rentenbezugs. Mit der nunmehr ausdrücklichen Aufnahme des Enddatums hat der Kläger dem Rechnung getragen. Der Inhalt der vom Kläger verlangten Beschäftigung ist klar. Mit Ausnahme der Arbeitszeitregelung sollen die bisherigen Arbeitsbedingungen unverändert bleiben.

II. Ob die Klage begründet ist, kann der Senat nicht entscheiden. Es fehlen die hierfür erforderlichen Feststellungen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann nach dem Vorbringen des Klägers nicht ausgeschlossen werden, dass das Arbeitsverhältnis nicht nach § 55 Abs. 1 Unterabs. 2 DRK-TV zum Ruhen gekommen ist. Dem Kläger kann daher auch ein Anspruch auf Beschäftigung zustehen.

1. Nach § 55 Abs. 2 MTV, der auf Grund der Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden ist, führt die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Hierunter wird allgemein verstanden, dass die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden wechselseitigen Hauptpflichten entfallen. Der Arbeitnehmer schuldet keine Arbeitsleistung, der Arbeitgeber keine hierauf bezogene Vergütung. Aufrechterhalten bleiben lediglich die sich aus dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ergebenden Nebenpflichten. Von diesem Verständnis sind auch die Tarifvertragsparteien ausgegangen, wie sich aus § 55 Abs. 2 Satz 3 der Tarifnorm ergibt. Ob das Arbeitsverhältnis entgegen dem Wortlaut der Vorschrift auch dann zum Ruhen gebracht wird, wenn dem Arbeitnehmer eine Zeitrente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI bewilligt wird, ist nicht zu entscheiden (vgl. hierzu BAG 31. Juli 2002 - 7 AZR 118/01 - AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 19 = EzA BGB § 620 Bedingung Nr. 17). Der Kläger erhält eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien sich nicht geeinigt, das Arbeitsverhältnis trotz der Rentenbewilligung mit verringerter Arbeitszeit fortzuführen. Hiergegen wendet sich die Revision nicht.

3. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht entschieden, dass die Tarifvorschrift nicht wegen eines Verstoßes gegen § 8 TzBfG rechtsunwirksam ist.

aa) Der dort geregelte Anspruch des Arbeitnehmers auf Verringerung der Arbeitszeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer überhaupt zur Arbeitsleistung in einem festgelegten zeitlichen Umfang verpflichtet ist. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis ruht. Der Arbeitnehmer ist dann nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet; Arbeitszeiten sind nicht einzuhalten. Will der Arbeitnehmer gleichwohl mit einem bestimmten Zeitkontingent tätig sein, geht es rechtlich um die erneute Vereinbarung von Arbeitszeit und nicht um eine Verringerung.

bb) Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 55 Abs. 1 DRK-TV nicht gegen das auch Tarifvertragsparteien bindende Verbot des § 22 Abs. 1 TzBfG, von den zwingenden Vorschriften des Gesetzes zu Ungunsten des Arbeitnehmers abzuweichen.

(1) Der in § 8 TzBfG geregelte Anspruch des Arbeitnehmers auf Verringerung der Arbeitszeit gehört zu den unabdingbaren Vorschriften im Sinne von § 22 Abs. 1 TzBfG. Die Tarifvertragsparteien sind nach § 8 Abs. 4 Satz 3 TzBfG lediglich befugt, die Gründe festzulegen, die den Arbeitgeber zur Ablehnung eines Verringerungsantrags berechtigten.

(2) § 22 Abs. 1 TzBfG untersagt alle Regelungen, die vom gesetzlichen Verringerungsanspruch des Arbeitnehmers "abweichen". Erfasst werden alle Regelungen, die den Inhalt des Anspruchs zum Nachteil des Arbeitnehmers verändern. Das ist bei § 55 Abs. 1 Unterabs. 2 DRK-TV nicht der Fall. Die Anordnung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bewirkt zwar, dass der Arbeitnehmer (vorübergehend) seinen gesetzlichen Anspruch nicht durchsetzen kann. Eine solche nur mittelbare Folge unterliegt aber nicht dem Verbot des § 22 Abs. 1 TzBfG.

Anderes ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung und Wirksamkeit tariflicher Regelung über die Beendigung oder Suspendierung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Bewilligung oder des Bezugs einer Rente nicht zu entnehmen (vgl. hierzu 9. August 2000 - 7 AZR 214/99 - BAGE 95, 264; 31. Juli 2002 - 7 AZR 118/01 - AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 19 = EzA BGB § 620 Bedingung Nr. 17). Prüfmaßstab des Bundesarbeitsgerichts sind insoweit die gesetzlichen Bestimmungen, die den Arbeitnehmer vor einem unfreiwilligen Verlust des Arbeitsplatzes oder einem unfreiwilligen Aussetzen mit der Arbeit schützen (§§ 1 ff. KSchG). Zu diesen Vorschriften gehört § 8 TzBfG nicht. Aus ihr können sich zwar für die Auslegung des § 1 KSchG Folgerungen hinsichtlich der sozialen Auswahl zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten ergeben (Senat 18. Februar 2003 - 9 AZR 164/02 - AP TzBfG § 8 Nr. 2). Mit der Norm selbst wird aber kein Bestands- oder Inhaltsschutz bezweckt. Der Bestandsschutz wird im TzBfG durch die Vorschriften über die auflösend bedingten Arbeitsverträge (§ 21 TzBfG) gewährleistet, auf welche die Vorschriften über die Befristung entsprechend anzuwenden sind.

4. Die vom Kläger begehrte Feststellung kann sich auf der Grundlage des Schwerbehindertenrechts ergeben. Die Vorinstanzen haben das rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt. Der Senat hat die Parteien hierauf in Vorbereitung auf die mündliche Revisionsverhandlung hingewiesen.

a) Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich berechtigt, Normen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Erwerbsminderung des Arbeitnehmers zu vereinbaren (vgl. BAG 31. Juli 2002 - 7 AZR 118/01 - AP BGB § 620 Altersgrenze Nr. 19 = EzA BGB § 620 Bedingung Nr. 17). Das gilt auch für die Anordnung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses bei Bewilligung einer Zeitrente. Sie tragen damit den beiderseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien Rechnung. Rente erhält ein Arbeitnehmer, der nach den Feststellungen des Rententrägers wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich (volle Erwerbsminderung iSv. § 43 Abs. 2 SGB VI) oder mindestens sechs Stunden (teilweise Erwerbsminderung iSv. § 43 Abs. 1 SGB VI) erwerbsfähig zu sein.

Die Begriffe Erwerbsminderung und Arbeitsunfähigkeit decken sich inhaltlich nicht. Gleichwohl wird regelmäßig ein erwerbsgeminderter Vollzeitarbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage sein, seine vertraglich geschuldete Arbeit zu erbringen. Mit dem Ruhen des Arbeitsverhältnisses wird er von dem Druck befreit, ohne Rücksicht auf seinen gesundheitlichen Zustand zu arbeiten. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses schließt zwar eine krankheitsbedingte Kündigung nicht aus. Eine solche kommt aber nur in Betracht, wenn ungeachtet der Bewilligung der Zeitrente feststeht, dass der Arbeitnehmer auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes nicht mehr arbeitsfähig wird (BAG 3. Dezember 1998 - 2 AZR 773/97 - BAGE 90, 230). Die Tarifnorm bewirkt daher einen gewissen Schutz des Arbeitnehmers vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dem Arbeitgeber verschafft sie Planungssicherheit. Er kann den Arbeitsplatz während des ruhenden Arbeitsverhältnisses anderweitig besetzen.

Dieser Zweck wird verfehlt, wenn der Arbeitnehmer trotz Erwerbsminderung seine Arbeitsleistung noch erbringen kann. Das Bundesarbeitsgericht legt deshalb in ständiger Rechtsprechung Tarifnormen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Bewilligung einer Rente einschränkend aus. Das Arbeitsverhältnis endet dann nicht, wenn der Arbeitnehmer nach den Feststellungen des Rententrägers seine Arbeitsleistung noch erbringen kann (9. August 2000 - 7 AZR 214/99 - BAGE 95, 264).

b) Diese Erwägungen gelten auch für die hier streitige Tarifnorm. Der Schutz des schwerbehinderten Menschen gebietet eine weitere Einschränkung. Sie ergibt sich aus § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX.

aa) Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist. Ein Anspruch besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder genossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen (§ 81 Abs. 5 Satz 3 iVm. Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Die Regelung ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Sie ist zum 1. Juli 2001 in Kraft getreten (BGBl. I Seite 1046) und wortgleich mit der Vorgängervorschrift des § 14 Abs. 4 SchwbG (gültig vom 1. Oktober 2000 bis 30. Juni 2001).

bb) Die Vorschrift begründet iVm. § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX für den schwerbehinderten Menschen einen individualrechtlichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung mit der verringerten Arbeitszeit, die wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist. Dieser schwerbehindertenrechtliche Beschäftigungsanspruch entsteht unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. BAG 10. Juli 1991 5 AZR 383/90 - BAGE 68, 141, 149 mwN; 19. September 1979 - 4 AZR 887/77 - BAGE 32, 105, 108; Senat 3. Dezember 2002 - 9 AZR 481/01 - AP SGB IX § 81 Nr. 2 = EzA SGB IX § 81 Nr. 1). Es bedarf keiner vorhergehenden Vertragsänderung (Weyand/Schubert Das neue Schwerbehindertenrecht 2. Aufl. Rn. 185 f.; offen gelassen Senat 3. Dezember 2002 - 9 AZR 481/01 - aaO; aA ArbG Frankfurt 27. März 2002 - 2 Ca 5484/01 - NZA-RR 2002, 573; Dörner SchwbG § 14 Rn. 47, 50; Düwell in LPK- SGB IX § 81 Rn. 35). Der Wortlaut des § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX bietet keinen Anhalt für die Annahme, der Arbeitgeber müsse zuvor einem Verlangen des Arbeitnehmers auf Arbeitszeitverringerung zustimmen. Der schwerbehinderte Mensch kann vielmehr - ohne an Formen und Fristen gebunden zu sein - jederzeit verlangen, nur noch in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden. Ihm soll ermöglicht werden, ohne Gefährdung seiner Gesundheit weiterhin aktiv am beruflichen Leben teilzuhaben. Ihm wird deshalb ermöglicht, durch den Zugang seines Verlangens beim Arbeitgeber eine behinderungsgerechte Verringerung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zu bewirken. Wird entsprechend die Arbeitszeit verkürzt, besteht nach § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX ein dem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechender Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung.

cc) Diesem schwerbehinderungsrechtlichen Anspruch steht die Tarifnorm des § 55 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 DRK- TV entgegen. Diese Norm greift in den gesetzlich dem schwerbehinderten Menschen eingeräumten Anspruch ein, indem sie für die Dauer des bewilligten Rentenbezugs den Beschäftigungsanspruch vollständig auch dann zum Ruhen bringt, wenn der schwerbehinderte Mensch mit verringerter Arbeitszeit beschäftigt werden könnte, er eine solche Beschäftigung auch im zeitlichen Zusammenhang mit der Bewilligung der Rente verlangt hat und dem Arbeitgeber diese auch zumutbar ist.

5. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien während der Bewilligungsdauer der Rente geruht hat, kann der Senat nicht beurteilen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Kläger schwerbehindert. Nach eigenem Vorbringen ist der Kläger auf Grund seiner Behinderung nicht in der Lage, mit der vertraglich vereinbarten vollen Arbeitszeit zu arbeiten. Art und Schwere seiner Behinderung machen nach seiner Angabe eine Verringerung der Arbeitszeit auf vier, höchstens fünf Stunden täglich notwendig. Der Kläger kann somit einen gesetzlichen Anspruch auf eine Beschäftigung mit verringerter Wochenarbeitszeit haben. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif. Es fehlt an den hierfür erforderlichen Feststellungen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Zur weiteren Sachbehandlung durch das Landesarbeitsgericht ist auf folgendes hinzuweisen:

a) Für die Anwendung der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob der schwerbehinderte Mensch die Arbeitszeitverringerung nur für die Dauer des Rentenbezugs verlangt hat oder ob die Arbeitszeit auf unbestimmte Zeit verringert werden soll. § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX ermöglicht dem Arbeitnehmer auch, eine nur vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit zu erreichen. § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX enthält im Unterschied zum TzBfG keine Einschränkungen. Im Vordergrund steht allein das Interesse des schwerbehinderten Menschen, dem eine mit seiner Behinderung vereinbare Arbeitszeit ermöglicht werden soll. Insoweit besteht ein Gleichlauf zu dem Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf eine Beschäftigung, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX). Ob eine nur befristete Herabsetzung der Arbeitszeit in Betracht kommt, bestimmt sich nach dem in § 81 Abs. 5 Satz 3 2. Halbsatz SGB IX in Bezug genommenen Zumutbarkeitsmaßstab des Abs. 4 Satz 3.

b) Der Anspruch des Klägers kann nicht schon deshalb verneint werden, wenn - wie hier unterstellt wird - der Kläger sich nicht auf die im SGB IX enthaltenen Anspruchsgrundlagen berufen hat. Das ist unerheblich. Denn es wird nicht vorausgesetzt, dass ein Arbeitnehmer die jeweilige Anspruchsgrundlage benennt. Allerdings konnte der Arbeitnehmer den Eintritt des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nur verhindern, wenn seine Schwerbehinderung dem Arbeitgeber als solche bekannt war und er im zeitlichen Zusammenhang mit der Rentenbewilligung die Beschäftigung mit einer kürzeren Arbeitszeit mit Rücksicht auf seine Behinderung auch tatsächlich verlangt hat. Dabei musste er den Umfang der behinderungsbedingten Kürzung der Arbeitszeit unmissverständlich angeben. Daran könnte es fehlen, wenn er die Teilzeitbeschäftigung von nicht behinderungsbedingten Umständen abhängig gemacht hat. Dazu gibt es im Streitfall Anhaltspunkte. Der Kläger hat nämlich geäußert, er wolle "im Rahmen der Hinzuverdienergrenze" tätig sein. Das Landesarbeitsgericht wird insoweit zu klären haben, wie die Parteien diese Äußerung verstanden haben.

c) Der Anspruch besteht nur, soweit Art und Schwere der Behinderung des Klägers eine Verringerung der Arbeitszeit tatsächlich notwendig gemacht haben. Sollten zwischen den Parteien über das Vorliegen der behinderungsbedingten Arbeitszeitverkürzung keine Übereinstimmung bestehen, so hat der Kläger die Kausalität zwischen Behinderung und der verlangten Arbeitszeitverkürzung nachzuweisen.

d) Hat der Kläger den erforderlichen Nachweis geführt, ist es Sache des Beklagten, ggf. die Gründe vorzutragen und zu beweisen, die aus seiner Sicht eine Beschäftigung des Klägers mit verringerter Arbeitszeit unzumutbar gemacht haben.

weitere Fundorte:
Behindertenrecht 04/2004, S. 119

Referenznummer:

R/R1931


Informationsstand: 10.05.2004