Urteil
Kündigung - Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Gericht:

BAG


Aktenzeichen:

2 AZR 378/18


Urteil vom:

13.12.2018


Grundlage:

Leitsätze:

Die Unwirksamkeitsfolge des § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung entsprechend den für die Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG geltenden Grundsätzen anhört.

Pressemitteilung des BAG:

(Nr. 68/18)

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen, die ein Arbeitgeber ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist gem. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam. Der erforderliche Inhalt der Anhörung und die Dauer der Frist für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung richten sich nach den für die Anhörung des Betriebsrats geltenden Grundsätzen (§ 102 BetrVG). Die Kündigung ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) nicht unverzüglich über seine Kündigungsabsicht unterrichtet oder ihr das Festhalten an seinem Kündigungsentschluss nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Die Beklagte beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20. Februar 2017. Mit Schreiben vom 7. bzw. 15. März 2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an und kündigte am 24. März 2017 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. September 2017.

Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF unwirksam, weil die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt habe. Der Senat konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen.

Rechtsweg:

ArbG Leipzig, Urteil vom 17.08.2017 - 8 Ca 1122/17
LAG Sachsen, Urteil vom 8. Juni 2018 - 5 Sa 458/17
Zurückverweisung an das LAG

Quelle:

Bundesarbeitsgericht

Tenor:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 8. Juni 2018 - 5 Sa 458/17 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17. August 2017 - 8 Ca 1122/17 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:


Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Sie beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der seit 1981 bei ihr tätigen, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Nachdem das Integrationsamt mit Bescheid vom 20. Februar 2017 seine Zustimmung erteilt hatte, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 7. bzw. 15. März 2017 den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an. Mit Schreiben vom 24. März 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2017.

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Überdies habe die Beklagte den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt.


Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - zuletzt beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. März 2017 zum 30. September 2017 beendet worden ist.


Die Beklagte hat zuletzt beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.


Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei aus Gründen im Verhalten der Klägerin gerechtfertigt. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien korrekt angehört worden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungs-, hilfsweise ihren Auflösungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin nicht stattgeben und den Auflösungsantrag der Beklagten nicht abweisen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet worden ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das führt im Hinblick auf den Kündigungsschutz- und den Auflösungsantrag zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

A. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgeben. Seine Annahme, die Kündigung vom 24. März 2017 sei nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX in der vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF; seit dem 1. Januar 2018: § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX) unwirksam, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, unwirksam. Über § 68 Abs. 1 SGB IX aF (§ 151 Abs. 1 SGB IX nF) findet § 95 Abs. 2 SGB IX aF in gleicher Weise auf schwerbehinderten Menschen gleichgestellte behinderte Menschen - wie die Klägerin - Anwendung.

1. Mit Kündigung "eines schwerbehinderten Menschen" ist diejenige seines Arbeitsvertrags gemeint. Von der Unwirksamkeitsanordnung werden ggf. alle Kündigungen erfasst, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 67), also sämtliche Beendigungs- und Änderungskündigungen (nicht hingegen Teilkündigungen, dazu BAG 18. Mai 2017 - 2 AZR 721/16 - BAGE 159, 148). Das gilt zum einen auch für Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX aF (§ 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX nF) findet weder direkte noch analoge Anwendung (ganz hM; unentschieden Gundel ZAT 2017, 50, 53 f.). Zum anderen ist nicht erforderlich, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses "berührt" den einzelnen schwerbehinderten oder einem solchen gleichgestellten behinderten Menschen stets iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nF), weil damit seine Teilhabe am Arbeitsleben in dem betreffenden Unternehmen beendet wird und die Vermittlungschancen für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen erheblich schlechter stehen (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 36). Deshalb unterfallen zB auch Kündigungen im Zuge einer Massenentlassung aufgrund einer vollständigen Betriebsstilllegung der Unwirksamkeitsdrohung.

2. Eine Beendigungs- oder Änderungskündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie "ohne eine Beteiligung" der Schwerbehindertenvertretung "nach Satz 1" ausspricht.

a) Mit "Beteiligung nach Satz 1" sind allein die Unterrichtung und die Anhörung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF in Bezug genommen. Dagegen greift die Unwirksamkeitsfolge nicht ein, wenn der Arbeitgeber "nur" die Mitteilungspflicht nach § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX aF verletzt (im Ergebnis ebenso Boecken VSSR 2017, 69, 79 f.; Gundel ZAT 2017, 50, 57 f.; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 10; aA Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 58; Mühlmann NZA 2017, 884, 887; Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX Stand Dezember 2018 K § 95 Rn. 40; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 31; Schmitt BB 2017, 2293, 2297 f.; wohl auch MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 148). Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF (§ 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nF) ist die Durchführung oder Vollziehung einer "ohne Beteiligung nach Satz 1" getroffenen Entscheidung auszusetzen. Danach umfasst die "Beteiligung nach Satz 1" - auch iSd. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF - ausschließlich die Schritte, die vor dem Treffen einer Entscheidung liegen. Hierzu rechnet die Mitteilung nicht. Denn mitzuteilen ist gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX aF "die getroffene Entscheidung". Der Mitteilungsanspruch verbürgt der Schwerbehindertenvertretung für sich genommen keine Mitwirkung an der Willensbildung des Arbeitgebers, sondern soll bloß die Kontrolle ermöglichen, ob die Schwerbehindertenvertretung korrekt beteiligt worden ist. Seiner Verletzung kommt keine Bedeutung zu, wenn die Schwerbehindertenvertretung vor dem Vollzug der betreffenden Entscheidung ordnungsgemäß angehört worden ist. Dementsprechend ist ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht einmal bußgeldbewehrt (vgl. § 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX aF; § 238 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX nF).

b) Eine Kündigung ist (nur) unwirksam, wenn der Arbeitgeber sie "ohne" Beteiligung (Unterrichtung und Anhörung) der Schwerbehindertenvertretung "ausspricht". Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie zur - ebenfalls eine Unterrichtung voraussetzenden - Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG.

aa) Die Unwirksamkeitsfolge tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß anhört.

(1) Zwar ist die Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF grds. unverzüglich zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Jedoch kann (und muss ggf.) eine verspätete Beteiligung nach § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF nachgeholt werden. Die Nachholungsmöglichkeit besteht kraft Gesetzes. Eines Antrags der Schwerbehindertenvertretung bedarf es - anders als im Fall des § 95 Abs. 4 Satz 2 SGB IX aF (§ 178 Abs. 4 Satz 2 SGB IX nF) - nicht (Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand Juni 2017 § 95 Rn. 228; im Ergebnis auch Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 77; aA Boecken VSSR 2017, 69, 92 f.; Kleinebrink DB 2017, 126, 130; Mushoff in Hauck/Noftz SGB IX Stand Dezember 2018 K § 95 Rn. 40; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 150; wohl auch Pahlen in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 178 Rn. 11a; widersprüchlich Knittel SGB IX 11. Aufl. § 95 Rn. 83 "auf ihr Verlangen", Rn. 85 "ohne ... eines Antrags"). Die im Gesetz vorgesehene Sieben-Tages-Frist ist keine Ausschlussfrist (Düwell aaO; Pahlen aaO; Christians GK-SGB IX Stand Dezember 2018 § 178 Rn. 66). Die Nachholungsmöglichkeit besteht vielmehr, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen ist (vgl. BAG 30. April 2014 - 7 ABR 30/12 - Rn. 37, BAGE 148, 97). Erfolgen Unterrichtung und Anhörung vor Durchführung bzw. Vollzug der Entscheidung, liegt - doch noch - eine "Beteiligung nach Satz 1" vor (vgl. BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 58; Schleswig-Holsteinisches OVG 26. September 2018 - 14 MB 1/18 - zu 2 e der Gründe: "Heilung"). Die Nachholungsmöglichkeit geht auf § 22 Abs. 2 Satz 2 SchwbG (in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes vom 24. Juli 1986, BGBl. I S. 1110) zurück. Sie wurde gerade im Hinblick auf personelle Einzelmaßnahmen - wie eine Kündigung - eingeführt (BT-Drs. 10/5701 S. 7 f.).

(2) Die Nachholungsmöglichkeit wird im Fall einer beabsichtigten Kündigung nicht durch die "neue" Unwirksamkeitsanordnung in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF verdrängt (Boecken VSSR 2017, 69, 92 f.; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 17; Klein NJW 2017, 852, 855; Kleinebrink DB 2017, 126, 130 f.; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 32; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; Schnelle NZA 2017, 880, 881; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 150; aA Bayreuther NZA 2017, 87, 90 f.; Gundel ZAT 2017, 50, 58; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 79; Pahlen in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 178 Rn. 11i; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9 f.). Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik liefern dafür keinen Anhaltspunkt. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers schließen sich Nachholungsmöglichkeit und Unwirksamkeitsfolge nicht gegenseitig aus. Sie dienen im Gegenteil dem gleichen Zweck. Beide sollen den Beteiligungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung sichern. § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF verlangt, dass die Schwerbehindertenvertretung jedenfalls vor Durchführung oder Vollziehung einer Entscheidung unterrichtet und angehört wird. Der Nachholungsanspruch gehört zum Beteiligungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung (BT-Drs. 18/10523 S. 67). Er stellt sicher, dass diese auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen kann und wird seinerseits durch die Unwirksamkeitsandrohung gestärkt: Wenn sogar eine Nachholung unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam. Würde der Nachholungsanspruch durch die Unwirksamkeitsfolge verdrängt oder doch faktisch entwertet, weil die Kündigung trotz Nachholung unwirksam "bliebe", würden die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gerade im Zusammenhang mit der drohenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachliche Rechtfertigung verkürzt (zutreffend Benkert NJW-Spezial 2017, 370). Dagegen kann nicht eingewandt werden, aufgrund der Unwirksamkeit der - ersten - Kündigung müsse der Arbeitgeber "das Beteiligungsverfahren" noch einmal "ganz von vorne" durchlaufen, wenn er erneut kündigen wolle. Zum einen handelte es sich nicht um dasselbe Beteiligungsverfahren, weil es eine "neue" Kündigungsentscheidung beträfe. Zum anderen wäre eine weitere Kündigung samt einem darauf bezogenen Beteiligungsverfahren entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der - ersten und dann einzigen - Kündigung nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF nicht rechtzeitig iSv. §§ 4, 6 KSchG gerichtlich geltend machte. Die Kündigung, auf deren Ausspruch die Schwerbehindertenvertretung keinen Einfluss nehmen konnte, gölte dann nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Schließlich werden die besonderen Vorgaben in § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF aufgrund der Nachholungsmöglichkeit gemäß § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF nicht etwa bedeutungslos. Der Arbeitgeber verwirklicht den Bußgeldtatbestand des § 156 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX aF, wenn er die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF nicht "rechtzeitig" unterrichtet oder anhört.

(3) Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht (vgl. Mühlmann NZA 2017, 884, 886; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 144; Zorn Behindertenrecht 2017, 83, 84 f.; aA zum Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt: Bayreuther NZA 2017, 87, 90; Boecken VSSR 2017, 69, 94 f.; Conze öAT 2018, 27; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 60; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 26; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 17; Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand Juni 2017 § 95 Rn. 198; Klein NJW 2017, 852, 854; FKS-SGB IX/Krämer 4. Aufl. § 178 Rn. 31; Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1371; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9; Schmitt BB 2017, 2293, 2298). Die Kündigungsentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch "vollzogen". Mit der Beteiligung des Betriebs- bzw. Personalrats oder dem Antrag auf Erteilung der Zustimmung an das Integrationsamt nimmt der Arbeitgeber die beabsichtigte Beendigung des Arbeitsverhältnisses weder vorweg noch legt er sie fest (zu bloß der Vorbereitung einer personalvertretungsrechtlichen "Maßnahme" dienenden Handlungen vgl. BVerwG 17. Mai 2017 - 5 P 2.16 - Rn. 10).

bb) Der Arbeitgeber hört die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß an, wenn er sie ausreichend unterrichtet und ihr genügend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.

(1) Die Unterrichtung muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Dabei besteht "keine Reduzierung des Unterrichtungsinhalts auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge" (Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 62; vgl. auch Boecken VSSR 2017, 69, 75; Conze öAT 2018, 27, 28; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 28 f.; Klein NJW 2017, 852, 854; Kleinebrink DB 2017, 126, 129; FKS-SGB IX/Krämer 4. Aufl. § 178 Rn. 32; Mühlmann NZA 2017, 884, 885; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 30; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 9; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 146; aA Bayreuther NZA 2017, 87, 89; Gundel ZAT 2017, 50, 55; Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1370; Richter ArbR 2017, 84, 86; Schmitt BB 2017, 2293, 2296). Zum einen ist die Schwerbehindertenvertretung mandatiert, die Interessen von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen umfassend zu vertreten (vgl. § 95 Abs. 1 SGB IX aF; § 178 Abs. 1 SGB IX nF). Das schließt es ein, "nicht behinderungsspezifische" Einwände gegen eine beabsichtigte Kündigung zu erheben. Zum anderen muss die Schwerbehindertenvertretung selbst beurteilen können, ob sie einen Bezug der beabsichtigten Kündigung zur Behinderung des betreffenden Arbeitnehmers für gegeben erachtet. Deshalb bleibt der notwendige Inhalt der Unterrichtung nicht hinter demjenigen für die Anhörung des Betriebsrats zurück. Der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung "die Gründe für die Kündigung" iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilen. Er muss den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich diese ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dabei darf er Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, der Schwerbehindertenvertretung nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (zum Grundsatz der subjektiven Determinierung und dessen objektiven Schranken BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14 ff., BAGE 152, 118). Neben dem Kündigungssachverhalt sind der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grds. die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 62). Von der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen fehlerhafter Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zu einem Kündigungsgrund ist - entsprechend den Grundsätzen zur Anhörung des Betriebsrats - der Fall zu unterscheiden, dass bestimmte Kündigungsgründe mangels diesbezüglicher Beteiligung der Vertretung im Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden können (vgl. BAG 18. Oktober 2006 - 2 AZR 676/05 - Rn. 35).

(2) Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung nicht nur ausreichend unterrichten, sondern ihr auch genügend Gelegenheit zur Stellungnahme geben (BAG 20. Juni 2018 - 7 ABR 39/16 - Rn. 15; 14. März 2012 - 7 ABR 67/10 - Rn. 21).

(a) Hinsichtlich der Stellungnahmefristen enthält das Gesetz seit Einführung der Unwirksamkeitsfolge eine planwidrige Regelungslücke. Sie ist durch eine analoge Anwendung von § 102 Abs. 2 BetrVG zu schließen (Bayreuther NZA 2017, 87, 90; Benkert NJW-Spezial 2017, 370; Boecken VSSR 2017, 69, 76 f.; Grimm/Freh ArbRB 2017, 16, 18; Gundel ZAT 2017, 50, 56; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; Schnelle NZA 2017, 880, 882; Zorn Behindertenrecht 2017, 83, 85 f.). Das hat zur Folge, dass die Schwerbehindertenvertretung etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht (aA Lingemann/Steinhauser NJW 2017, 1369, 1370; Schmitt BB 2017, 2293, 2297; HWK/Thies 8. Aufl. § 178 SGB IX Rn. 5; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 147). Eine entsprechende Anwendung der Fristenregelungen in dem ggf. einschlägigen Personalvertretungsgesetz scheidet aus (aA Conze öAT 2018, 27, 28; Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 66; ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 10; Esser/Isenhardt in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 22. August 2018 § 178 Rn. 31; HaKo/Osnabrügge 6. Aufl. SGB IX § 178 Rn. 31; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. § 198 Rn. 147). Es ist nicht ersichtlich, dass der Bundesgesetzgeber das für private und öffentliche Arbeitgeber unterschiedslos vorgesehene Verfahren zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung insofern verschieden ausgestalten und sogar innerhalb des öffentlichen Dienstes - teils erheblich - unterschiedliche Fristenregime eingreifen lassen wollte. Vor allem ist die Schwerbehindertenvertretung - wie der Betriebsrat - in jedem Fall "lediglich" anzuhören, während die Personalvertretungsgesetze Kündigungen teils einem Mitwirkungs- oder sogar Mitbestimmungserfordernis unterwerfen.

(b) Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt (zu den - hohen - Anforderungen an eine solche vgl. für die Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG BAG 25. Mai 2016 - 2 AZR 345/15 - Rn. 24 ff., BAGE 155, 181).

II. Die danach maßgeblichen Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht genügend beachtet. Es hat verkannt, dass die Beklagte die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung mit Schreiben vom 15. März 2017 jedenfalls "nachgeholt" und sie auf dieser Basis noch vor Ausspruch der Kündigung am 24. März 2017 ordnungsgemäß angehört haben könnte.

B. Der Senat kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht abschließend über den Kündigungsschutzantrag entscheiden.

I. Es ist offen, ob die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligt hat.

1. Der Senat kann zum einen nicht selbst beurteilen, ob die Beklagte die Vertretung korrekt unterrichtet hat. Die Beklagte hat dazu zwar schlüssig vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch keine Feststellungen zu den diesbezüglichen Einwänden der Klägerin getroffen.

2. Der Senat kann zum anderen nicht selbst entscheiden, ob die Beklagte die Kündigung erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochen hat. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, wann der Schwerbehindertenvertretung das Schreiben vom 15. März 2017 zugegangen ist. Auch hat es nicht geprüft, ob die Schwerbehindertenvertretung mit ihrem Schreiben vom 21. März 2017 abschließend zu der Angelegenheit Stellung genommen hat.

3. Ergänzende Feststellungen zu diesen Punkten sind nicht deshalb entbehrlich, weil die Unwirksamkeit der Kündigung vom 24. März 2017 mangels ordnungsgemäßer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung eine unzulässige Rückwirkung darstellte. Die Beklagte war schon nach der Anfang Dezember 2016 geltenden Gesetzeslage verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu unterrichten und anzuhören. Überdies hatte es die Beklagte auch nach Inkrafttreten von § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF am 30. Dezember 2016 weiter in der Hand, die Schwerbehindertenvertretung ausreichend zu beteiligen.

II. Der Betriebsrat könnte ordnungsgemäß angehört worden sein. Insofern kommt es ebenfalls nicht darauf an, wann die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX aF über ihre Kündigungsabsicht zu unterrichten hatte. Die Beklagte musste die Schwerbehindertenvertretung auch nicht zu ihrer Absicht anhören, das Verfahren nach § 102 BetrVG einzuleiten. Die - rechtzeitige - Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist nicht Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats. Vielmehr bestehen beide Verfahren gleichrangig nebeneinander (vgl. BT-Drs. 18/10523 S. 67).

III. Die Beklagte hat die Kündigung mit Zustimmung des Integrationsamts erklärt, § 85 SGB IX aF (§ 168 SGB IX nF). Widerspruch und Anfechtungsklage vor den Verwaltungsgerichten haben nach § 88 Abs. 4 SGB IX aF (§ 171 Abs. 4 SGB IX nF) keine aufschiebende Wirkung. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, selbst zu entscheiden, ob die Zustimmung zu Recht erteilt worden ist (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 20, BAGE 145, 199).

IV. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob die Beklagte die Kündigung in der Monatsfrist des § 88 Abs. 3 SGB IX aF (§ 171 Abs. 3 SGB IX nF) ausgesprochen hat.

V. Die Kündigung könnte aus Gründen im Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt sein, § 1 Abs. 2 KSchG. Insofern hätte die Beklagte ggf. darzulegen, dass durch ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX aF (§ 167 Abs. 1 SGB IX nF) die Kündigung nicht hätte vermieden werden können. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2006 (- 2 AZR 182/06 - Rn. 28, BAGE 120, 293) so zu verstehen ist, dass dem Arbeitgeber eine Vortragserleichterung allein aufgrund der Tatsache zukommt, dass das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hat (zur Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX aF zu einer außerordentlichen Kündigung vgl. BAG 25. Januar 2018 - 2 AZR 382/17 - Rn. 54). Denn jedenfalls spräche alles für die Annahme, ein Präventionsverfahren hätte die Kündigung nicht verhindern helfen können, wenn das Landesarbeitsgericht weder eine Abmahnung noch eine Um- oder Versetzung als mildere Mittel ansehen sollte (vgl. insoweit auch BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - Rn. 31, aaO). Andernfalls stellte sich die Kündigung ungeachtet der Durchführung eines Präventionsverfahrens als unverhältnismäßig dar.

C. Das angefochtene Urteil unterliegt auch hinsichtlich des Auflösungsantrags der Aufhebung. Die Beklagte hat ihn als echten Hilfsantrag für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, gestellt. Sollte der Auflösungsantrag im fortgesetzten Berufungsverfahren zur Entscheidung anfallen, wird ihn das Landesarbeitsgericht erneut als "unstatthaft" abweisen, wenn sich die Kündigung - auch - als nach § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX aF unwirksam erweisen sollte. Die Vorschrift rechnet zu den sonstigen, zumindest auch den Arbeitnehmer schützenden Unwirksamkeitsgründen, die einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag "sperren" (dazu BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19, BAGE 140, 47; 27. September 2001 - 2 AZR 389/00 - zu II 1 der Gründe). Sollte die Kündigung sich lediglich als sozialwidrig darstellen, wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen.

Referenznummer:

R/R7736


Informationsstand: 17.12.2018