Urteil
Anfechtung eines Einigungsstellenspruchs - betriebliches Eingliederungsmanagement - Betriebsvereinbarung

Gericht:

LAG Hamburg 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 TaBV 4/13


Urteil vom:

20.02.2014


Grundlage:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. April 2013, 20 BV 15/12, abgeändert und festgestellt,

dass der Einigungsstellenspruch "Regelung betriebliches Eingliederungsmanagement" vom 20. September 2012 unwirksam ist.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin verlangt die Feststellung, dass die Entscheidung einer Einigungsstelle zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (im Folgenden: BEM) unwirksam ist.

Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Logistikunternehmen, das in ihrem Betrieb in Hamburg-1 mehr als 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Der Beteiligte zu 2 ist der dort gebildete Betriebsrat.

Forderungen des Betriebsrats zu Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zum Thema BEM lehnte die Antragstellerin ab, weil ihrer Meinung nach der Betriebsrat kein Initiativrecht zur Einführung von generellen Regelungen zum BEM hat. Die Beteiligten einigten sich auf eine Einigungsstelle zu diesem Thema, wobei die Antragstellerin ihren Standpunkt aufrechterhielt.

Zur ersten Sitzung der Einigungsstelle am 21. Februar 2012 legte der Betriebsrat den Entwurf einer Betriebsvereinbarung (Anlage AG 3 zur Antragsschrift, Bl. 55 ff d. A.) vor, über den in der Folgezeit verhandelt wurde, u.a. in einer Sitzung am 29. März 2012 (vgl. Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 29. März 2012, Anlage AG 5 zur Antragsschrift, Bl. 73 ff d. A.). In dieser Sitzung vertrat die Antragstellerin erneut die Auffassung, dass nur sie die Entscheidungskompetenz über die BEM-Maßnahmen habe. In einem neuen Entwurf des Betriebsrats (Anlage AG 6 zur Antragsschrift, Bl. 78 ff d. A.) war nicht mehr die Regelung enthalten, dass ein in der Betriebsvereinbarung vorgesehenes "Integrationsteam" über die Durchführung der BEM-Maßnahmen entscheiden solle. In einer Sitzung der Einigungsstelle am 18. Mai 2012 vereinbarten die Beteiligten, die noch streitigen Punkte intern weiter erörtern zu wollen. Ein neuer Termin für die Fortsetzung der Einigungsstelle wurde auf den 25. September 2012 festgelegt. Am Freitag, dem 21. September 2012, übermittelte der Betriebsrat um 19:19 Uhr der Arbeitgeberin einen neuen Entwurf der Betriebsvereinbarung (Anlage AG 8 zur Antragsschrift, Bl. 89 ff d. A.). Dieser Entwurf enthält unter § 3.4 folgende Regelung:

"Vorschlagsrecht

Über die Maßnahmen des BEM entscheidet der Arbeitgeber. Das Integrationsteam unterbreitet dem Arbeitgeber Vorschläge für Maßnahmen des BEM. Kommt das Integrationsteam nicht zu einvernehmlichen Vorschlägen zu Maßnahmen des BEM, hat jede Betriebspartei das Recht, dem Arbeitgeber Vorschläge zu Maßnahmen des BEM zu unterbreiten.

Sofern von Vertretern des Integrationsteams arbeitsplatzbezogene Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement vorgeschlagen werden, ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Kommt keine Einigung zwischen den Betriebsparteien zustande, entscheidet über diese einzelne Maßnahme die E-Stelle nach §§ 87 Abs. 1 Nr. 7, 87 Abs. 2, 76 BetrVG."

Der anwaltliche Berater der Antragstellerin hatte keine Gelegenheit, vor der Einigungsstellensitzung mit der Antragstellerin über diese Regelung zu beraten.

In der Sitzung der Einigungsstelle am 25. September 2012 von 10:00 Uhr bis 16:30 Uhr verhandelten die Beteiligten u.a. über den zweiten Absatz von § 3.4 des neuen Betriebsvereinbarungsentwurfs (Anlage AG 8, Bl. 89 bis 93 d. A.). Nach einer Unterbrechung der Sitzung beantragte die Antragstellerin wegen der Neufassung des § 3.4 die Vertagung der Einigungsstelle. Diesen Antrag lehnte die Einigungsstelle in einer Abstimmung mit der Stimme des Vorsitzenden ab. Einen weiteren Antrag der Arbeitgeberin, die Einigungsstelle möge sich für unzuständig erklären, lehnte die Einigungsstelle in zweiter Abstimmungsrunde ebenfalls mit der Stimme des Vorsitzenden ab. Nach einer Unterbrechung der Sitzung stellte die Arbeitgeberin einen von ihr erstellten Entwurf einer Betriebsvereinbarung (Anlage 1 zum Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 25. September 2012 in Anlage AG 2 zur Antragsschrift, Bl 39 ff d.A.) zur Abstimmung. Die Einigungsstelle wies diesen Antrag in zweiter Abstimmungsrunde mit der Stimme des Vorsitzenden ab. Sodann stimmte die Einigungsstelle über einen vom Betriebsrat erstellten Entwurf einer Betriebsvereinbarung (Anlage 2 zum Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 25. September 2012 in der Anlage AG 2 zur Antragsschrift, Bl. 46 ff d. A.) ab. Diesen Antrag nahm die Einigungsstelle in zweiter Abstimmungsrunde mit der Stimme des Vorsitzenden an. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Sitzung und des Abstimmungsverfahrens im Einzelnen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25. September 2012 (Anlage AG 2 zur Antragsschrift, Bl. 35 ff d.A.), hinsichtlich des Inhalts der Entscheidung im Einzelnen (im Folgenden: BV BEM) auf die Anlage AG 1 zur Antragsschrift (Bl. 29 ff d. A.) verwiesen.

Die Entscheidung der Einigungsstelle nebst schriftlicher Begründung wurde der Antragstellerin (Anlage AG 1 zur Antragsschrift, Bl. 20 ff d. A.) am 5. Oktober 2012 über ihren anwaltlichen Vertreter zugestellt.

Per Fax am 19. Oktober 2012 und per Post am 25. Oktober 2012 ging beim Arbeitsgericht Hamburg ein Antrag der Arbeitgeberin auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs ein.

In dem Verfahren 27 BV 7/13 Arbeitsgericht Hamburg verlangte der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Arbeitsplatzbezogene Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX für den Arbeitnehmer R.O". Dieser Antrag wurde vom Arbeitsgericht durch Beschluss vom 22. März 2013 zurückgewiesen. Eine dagegen vom Betriebsrat eingelegte Beschwerde wurde dadurch erledigt, dass die Beteiligten sich auf eine Maßnahme für den betroffenen Beschäftigten einigten.

Im Betrieb ist eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Gefährdungsbeurteilungen" gebildet worden.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, der Spruch der Einigungsstelle sei unwirksam. Die Einigungsstelle sei nicht zuständig gewesen und habe im Übrigen das ihr zustehende Ermessen überschritten. Dem Betriebsrat stehe für generalisierende Regelungen des BEM kein Initiativrecht zu. Außerdem werde mit dem in § 3 vorgesehenen Integrationsteam ein Gremium geschaffen, das vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Das Gesetz lege aber abschließend fest, wer am BEM zu beteiligen sei. Die in § 3.2 des Spruchs vorgesehenen Aufgaben des Integrationsteams hätten mit der gesetzlichen Funktion des BEM nichts zu tun. Ferner habe die Einigungsstelle durch die Regelung in § 3.4, 2. Absatz, ihre Zuständigkeit überschritten. Diese Regelung sei schon unklar, weil nicht verständlich sei, was "arbeitsplatzbezogene Maßnahmen" seien. Nicht ausreichend sei die Erklärung, dass dieser Begriff in Abgrenzung zu verhaltens- oder personenbedingten Maßnahmen zu verstehen sei. Ferner ergebe sich das Erfordernis eines kollektiven Bezuges nicht aus der Entscheidung der Einigungsstelle. Nicht hinreichend klar sei auch, wozu die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich sei, zu dem Vorschlag der arbeitsplatzbezogenen Maßnahme oder zu deren Festlegung. Die Umgestaltung des Arbeitsplatzes sei nicht Bestandteil des BEM, sondern der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG. Das Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen sei durch die dazu gebildete Einigungsstelle verbraucht. Schließlich ermögliche der Spruch der Einigungsstelle kein BEM ohne Beteiligung des Betriebsrats, das nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung möglich sein müsse.

Die Entscheidung der Einigungsstelle sei zudem ermessensfehlerhaft, weil der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt sei. Die Antragstellerin habe keine ausreichende Gelegenheit gehabt, auf die überraschende Änderung des § 3.4 BV BEM Stellung zu nehmen. Die unklare Regelung sei vom Betriebsrat erst in der Sitzung der Einigungsstelle erläutert worden. Auch sei die in § 2.1 BV BEM vorgesehene Unterrichtungspflicht aller Beschäftigten gesetzlich nicht vorgesehen. Sie sei wegen der damit entstehenden Kosten unverhältnismäßig. Ferner seien die in § 3.2 BV BEM enthaltenen Aufgaben wegen der Kosten und des Zeitaufwands unverhältnismäßig. Das gelte auch für die Verpflichtung zur Erstellung eines Tätigkeitsberichts. Schließlich hätte die Einigungsstelle in der Anlage 2 der BV BEM eine zeitliche Begrenzung für die Rückantwort des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin vorsehen müssen.

Die Antragstellerin hat beantragt,

festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch "Regelung betriebliches Eingliederungsmanagement" für das Distribution-Center der Arbeitgeberin in Hamburg-1 vom 25. September 2012 unwirksam ist.

Der Beteiligte zu 2 hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung der Einigungsstelle wirksam sei.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat den Antrag der Antragstellerin durch Beschluss vom 10. April 2013 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf die 162 ff d.A. verwiesen. Gegen diesen Beschluss, der der Antragstellerin am 24. April 2013 zugestellt worden ist, hat sie mit Schriftsatz vom 17. Mai 2013, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tage, Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2013, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tage, hat die Antragstellerin die Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung um einen Monat beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat die Frist durch Beschluss vom 25. Juni 2013 bis zum 24. Juli 2013 verlängert. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2013, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tage, hat die Antragstellerin die Beschwerde begründet.

Die Antragstellerin hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für unrichtig. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Betriebsrat ein Initiativrecht für Regelungen zum BEM habe. Die für den Betriebsrat in § 87 Abs. 2 Satz 7 SGB IX vorgesehene Überwachungsaufgabe sei nur sinnvoll, wenn dadurch zusätzlich andere Initiativrechte aufgeschlossen würden. Im Übrigen erfordere der Gesetzeszweck des BEM, eine Formalisierung zu vermeiden. Ein Initiativrecht fördere aber generelle und damit formalisierte Verfahren. Die Einigungsstelle sei nicht berechtigt gewesen, ein Integrationsteam zu installieren, weil das Gesetz abschließend festlege, wer beim BEM zu beteiligen sei. Ein Gestaltungsspielraum für Regelungen mit dem Betriebsrat sei nicht gegeben. Rechtlich unzulässig sei ferner, dass der Spruch vorsähe, dass das Integrationsteam das Erstgespräch führe. Auf Wunsch des oder der Beschäftigten müsse ein BEM-Gespräch auch ohne Beteiligung des Betriebsrats möglich sein. Soweit das Arbeitsgericht angenommen habe, dass ein BEM-Gespräch ohne Beteiligung des Betriebsrats nicht verboten, nur nicht von der Betriebsvereinbarung geregelt sei, könne dem nicht gefolgt werden. Eine solche Auslegung sei lebensfremd und widerspreche der Entstehungsgeschichte der Regelung. Der Betriebsrat habe in den Verhandlungen ausdrücklich erklärt, dass die Durchführung eines BEM nicht von einem Wahlrecht des Arbeitnehmers abhängig gemacht werden dürfe, ob eine Beteiligung des Betriebsrats gewünscht werde. Die Betriebsvereinbarung hätte mindestens einen Hinweis darauf enthalten müssen, dass ein BEM auch ohne Beteiligung des Betriebsrats gewünscht werden könne. Die Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung unterrichtet die Beschäftigten gerade darüber, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, zusammen mit dem Betriebsrat Möglichkeiten zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und Vorbeugung weiterer Arbeitsunfähigkeit zu suchen. Danach bestehe die Möglichkeit eines BEM ohne Beteiligung des Betriebsrats gerade nicht. Ferner habe die Einigungsstelle keine Aufgaben des Integrationsteams definieren dürfen, die über die gesetzliche Regelung hinausgingen, insbesondere nicht vorsehen dürfen, dass das Integrationsteam alle Informationen aus Begehungen und Untersuchungen der Arbeitsplätze sowie die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen habe und eine jährliche Dokumentation erstellen müsse. Schließlich überschreite es die Regelungszuständigkeit der Einigungsstelle, für arbeitsplatzbezogene Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vorzusehen. Es sei schon nicht klar, wie der Begriff der arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen zu verstehen sei. Die Annahme des Arbeitsgerichts, dass es sich um eine Abgrenzung zu verhaltens- und personenbedingten Maßnahmen ohne kollektiven Bezug handele und aufgrund der Vielschichtigkeit der Lebenssachverhalte eine genauere Bezeichnung nicht möglich sei, sei nicht überzeugend. Schon die Benutzung des Begriffs "arbeitsplatzbezogene Maßnahme mit kollektiven Bezug" wäre genauer gewesen. Ersichtlich sei auch nicht, um die Zustimmung des Betriebsrats zu dem Vorschlag einer Maßnahme oder der Maßnahme selbst erforderlich sei. Das Verfahren 27 BV 7/13 zeige, dass der Betriebsrat selbst nicht wisse, was "arbeitsplatzbezogene Maßnahmen" seien. Für vom Arbeitsplatz ausgehende Gefahren gelte das Verfahren der Gefährdungsbeurteilung, nicht des BEM. Schließlich habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass der Antragstellerin von der Einigungsstelle nicht in ausreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden sein. Da es sich bei § 3.4 um eine rechtlich komplizierte und unverständliche Regelung handele, hätte die Antragstellerin mehr Zeit benötigt, um dazu Stellung nehmen zu können. Unverhältnismäßig sei, dass die Antragstellerin allen Beschäftigten eine Information zu BEM aushändigen müsse, weil dadurch mehr als die erforderlichen Kosten entstünden. Eine Unterrichtung aller Beschäftigten sei im Gesetz nicht vorgesehen. Schließlich sei es ermessensfehlerhaft, wenn die Betriebsvereinbarung keine Frist für eine Rückäußerung des oder der Beschäftigten vorsehe. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts reiche es nicht aus, dass in dem als Anlage zur Betriebsvereinbarung vorgesehenen formularmäßigen Antwortschreiben vorgesehen ist, dass sich der oder die Beschäftigte spätestens innerhalb von drei Monaten melden werde. Es sei schon gar nicht klar, dass der oder die Beschäftigte diese Frist in der Anlage wahrnehme. Außerdem sei die Frist nur für den Fall vorgesehen, dass dem oder der Beschäftigten noch nicht klar sei, ob er ein BEM durchführen wolle.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. April 2013, Az. 20 BV 15/12, abzuändern und festzustellen, dass der Einigungsstellenspruch "Regelung betriebliches Eingliederungsmanagement" für das Distribution Center der Arbeitgeberin Hamburg 1 vom 20. September 2012 unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des Arbeitsgerichts für zutreffend. Es schade nicht, dass die Betriebsvereinbarung die anlassbezogene Zusammenkunft der Beteiligten am BEM als Integrationsteam bezeichne. Der gesetzliche Rahmen werde dadurch nicht verlassen. Weil das Gesetz nicht vorgäbe, wie Arbeitgeberin und Betriebsrat repräsentiert seien, bestehe ein Regelungsspielraum für die Betriebsparteien. Wenn selbst das Gesetz nicht erkennen lasse, dass ein BEM ohne Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung möglich sei, könne eine Betriebsvereinbarung, aus der sich dieses nicht ausdrücklich ergäbe, deshalb nicht unwirksam sein. "Arbeitsplatzbezogene Maßnahmen" sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Verwendung nicht unzulässig sei. Etwaige Streitigkeiten über seinen Inhalt seien nicht weniger ausgeschlossen als bei einem anderen Begriff.

Rechtsweg:

ArbG Hamburg Beschluss vom 10. April 2013 - 20 BV 15/12
BAG Beschluss vom 22.03.2016 - 1 ABR 14/14

Quelle:

Justizportal Hamburg

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1) Gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG ist die Beschwerde statthaft. Sie ist im Sinne der §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

2) Die Beschwerde ist begründet, weil der Antrag der Antragstellerin zulässig und begründet ist.

a) Der Feststellungsantrag ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Antrag ist auf das Nichtbestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen der Antragstellerin und dem Betriebsrat gerichtet, weil die Arbeitgeberin festgestellt haben möchte, dass für sie durch den Spruch der Einigungsstelle keine Rechte und Pflichten begründet worden sind. Dafür ist das Feststellungsbegehren die richtige Antragsart. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle hat feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (BAG, Beschluss vom 8. Juni 2004, 1 ABR 4/03, Rn 14). Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Im Verfahren nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG geht es um Rechtskontrolle. Es ist darüber zu befinden, ob ein Spruch der Einigungsstelle wirksam ist. An der Klärung dieser Frage haben Arbeitgeberin und Betriebsrat ein rechtliches Interesse unabhängig davon, ob sie selbst durch die betreffende Regelung beschwert sind oder nicht (BAG, Beschluss vom 8. Juni 2004, 1 ABR 4/03, Rn 15).

b) Der Antrag ist begründet. Die Entscheidung der Einigungsstelle vom 25. September 2012 ist insgesamt unwirksam.

Die gerichtliche Überprüfung des Spruchs ist erforderlich, weil die Arbeitgeberin binnen der zweiwöchigen Ausschlussfrist beim Arbeitsgericht die Unwirksamkeit des Spruchs geltend gemacht hat. Der schriftlich abgefasste Spruch vom 25. September 2012 ist ihr am 05. Oktober 2012 zugestellt worden; ihr Antrag, gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs, ist am 19. Oktober 2012 beim Arbeitsgericht eingegangen.

aa) Es gelten folgende Grundsätze: Hat der Spruch einer Einigungsstelle eine Regelungsfrage zum Gegenstand, unterliegt er zum einen einer umfassenden und zeitlich unbefristeten Rechtskontrolle. Die von der Einigungsstelle zu beachtenden wesentlichen Verfahrensvorschriften und die Vereinbarkeit der Entscheidung mit höherrangigem Recht ist zu überprüfen. Die Rechtskontrolle umfasst darüber hinaus die Prüfung, ob sich die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehalten hat. Verkennt die Einigungsstelle die Grenzen eines Mitbestimmungsrechts oder geht sie zu Unrecht vom Bestehen eines Mitbestimmungsrechts aus, hat dies die Unwirksamkeit des Spruchs zur Folge (Fitting, § 76 Rn. 151). Ferner unterliegt die Entscheidung der Einigungsstelle einer Überprüfung des ausgeübten Ermessens. Maßgeblich ist, ob die Einigungsstelle die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens überschritten hat. Eine unzulässige Ermessenausübung liegt etwa vor, wenn die Einigungsstelle von sachfremden Erwägungen ausgeht oder den ihr zustehenden Regelungsspielraum verkannt hat. Ferner liegt eine Ermessensüberschreitung vor, wenn die Einigungsstelle die Belange des Betriebs oder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht berücksichtigt hat (Fitting, § 76 Rn 152 ff). Eine solche Rechtswidrigkeit des Spruchs der Einigungsstelle wegen Ermessensfehlers muss mit einer Anfechtung geltend gemacht werden, die innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Spruches beim Arbeitsgericht eingegangen ist.

Keine vollständige, sondern nur eine teilweise Unwirksamkeit der Entscheidung der Einigungsstelle soll gegeben sein, wenn die restliche Regelung noch ein sinnvolles Ganzes darstellt (Fitting, § 76 Rn 160).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung der Einigungsstelle unwirksam.

aaa) § 2 Ziffer 2.1 der Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Mit dem Mitbestimmungsecht des Betriebsrats kann nicht die Verpflichtung der Arbeitgeberin erzwungen werden, alle gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über das BEM-Verfahren zu unterrichten.

Bei der Ausgestaltung des BEM ist für jede einzelne Regelung zu prüfen, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht. Ein solches kann sich bei allgemeinen Verfahrensfragen aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, in Bezug auf die Nutzung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und hinsichtlich der Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergeben, denn § 84 Abs. 2 SGB IX ist eine Rahmenvorschrift im Sinne dieser Vorschrift. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats setzt ein, wenn für den Arbeitgeber eine gesetzliche Handlungspflicht besteht und wegen des Fehlens zwingender Vorgaben betriebliche Regelungen erforderlich sind, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen (BAG, Beschluss vom 13. März 2012, 1 ABR 78/10, Rn 12).

Von diesen Mitbestimmungsrechten ist die Verpflichtung der Arbeitgeberin, alle Beschäftigten über das BEM-Verfahren zu unterrichten, nicht umfasst. Unter Ordnung des Betriebs und Verhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb sind die Regelungsbefugnisse erfasst, mit denen die Arbeitgeberin aufgrund ihres Organisations- und arbeitsvertraglichen Direktionsrechts das Miteinander der Beschäftigten im Betrieb regelt (Fitting, BetrVG, § 87 Rn 63). Darum geht es bei der Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Beschäftigten mit einem bestimmten Inhalt über ein bestimmtes Thema zu unterrichten, aber nicht. Es wird damit keine Regelung zum betrieblichen Miteinander getroffen, sondern der Arbeitgeberin allein eine Handlungspflicht auferlegt, die nicht das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb betrifft.

Anhaltspunkte dafür, dass das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Ziffer 6 BetrVG die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Information abdecken könnte, sind nicht gegeben. Es geht um eine standardisierte Unterrichtung über das BEM, die keinen besonderen Bezug zum Beschäftigtendatenschutz aufweist.

Schließlich handelt es sich bei der Verpflichtung zur Information der Beschäftigten nicht um die Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG. Eine Rahmenregelung, die die Arbeitgeberin verpflichtete, die bei ihr Beschäftigten über das BEM-Verfahren zu unterrichten, gibt es nicht. Demgemäß kann es sich bei der Verpflichtung, alle gegenwärtigen und zukünftigen Beschäftigten zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit einem bestimmten Inhalt über das BEM zu unterrichten, nicht um Ausgestaltung des Gesundheitsschutzes handeln.

bbb) Die Regelung des Integrationsteams in § 3 der Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Es gibt kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem erzwungen werden kann, dass die Aufgaben des BEM einem festen, auf Dauer gebildeten Gremium übertragen werden.

Nach der Betriebsvereinbarung handelt es sich bei dem Integrationsteam um ein festes auf Dauer gebildetes Gremium. Dieses folgt daraus, dass § 3 Ziffer 3.1 der Betriebsvereinbarung vorsieht, dass Arbeitgeberin und Betriebsrat je einen Vertreter und mindestens zwei Stellvertreter für den Verhinderungsfall bestimmen. Einer solchen Regelung bedürfte es nicht, wenn Betriebsrat und Arbeitgeberin die Zuständigen für die Durchführung nur eines BEM festlegen wollten. Insbesondere bedürfte es dann nicht der Festlegung, dass jede Seite mindestens zwei Stellvertreterinnen oder Stellvertreter zu bestellen hat. Dass es sich bei dem Integrationsteam um ein Dauergremium handeln soll, folgt weiter aus § 3 Ziffer 3.2 vorsieht, dass sich das Integrationsteam anlassbezogen zusammensetzt. Einer solchen Regelung bedürfte es nicht, wenn für jedes BEM ein neues Integrationsteam gebildet werden sollte. Durch die Bildung des Integrationsteams für den Einzelfall wäre dann nämlich klar, dass es gerade nur um das betroffene BEM geht. Schließlich ergibt sich zwingend aus § 3 Ziffer 3.3 der Betriebsvereinbarung, dass das Integrationsteam ein auf Dauer gebildetes festes Gremium sein soll. Nur dann kann nämlich ein jährlicher Tätigkeitsbericht erstellt werden, wenn das Integrationsteam unabhängig vom einzelnen BEM besteht und in der Lage ist, über die jährliche Arbeit mit den dort genannten Inhalten zu berichten.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst nicht die Bildung eines derartigen Dauergremiums. Mit der Regelung der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG hat dieses nichts zu tun. Ebenfalls handelt es sich dabei nicht um eine dem Arbeitnehmerdatenschutz nach § 87 Abs. 1 Ziffer 6 BetrVG unterfallende Maßnahme. Schließlich geht es dabei auch nicht um die Ausfüllung einer dem Gesundheitsschutz dienenden Rahmenregelung im Sinne des § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG. Zwar handelt es sich bei § 84 Abs. 2 SGB IX um eine Rahmenregelung im Sinne des § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG. Der dadurch geschaffene Rahmen beinhaltet aber nicht, dass die Pflichten der Arbeitgeberin zum Zusammenwirken mit der betrieblichen Interessenvertretung nach § 84 Abs. 2 SGB IX einem gesonderten Gremium zur jedenfalls teilweisen Erledigung übertragen werden können. Dieses geschieht nach der Betriebsvereinbarung in Bezug auf die Gespräche mit den betroffenen Beschäftigten, die Sammlung der Informationen und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ihren möglichen Bezug zum Arbeitsplatz, die Beratung über zu ergreifende Maßnahmen, die Beschlussfassung über Vorschläge für BEM-Maßnahmen, die Durchführung von BEM-Maßnahmen, die Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Qualität, die Begleitung der Beschäftigten bei einer stufenweisen Wiedereingliederung und die Erstellung der jährlichen BEM-Dokumentation. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG reicht nicht so weit, dass es die Installation eines derartigen Gremiums ermöglichte. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX sieht nicht vor, dass die Arbeitgeberin und die zuständige Interessenvertretung (und ggf. die Schwerbehindertenvertretung) gemeinsam klären, wie die Arbeitsunfähigkeit eines oder einer Beschäftigten überwunden und weitere Arbeitsunfähigkeit vermieden werden können. Vielmehr ist dort vorgesehen, dass die Arbeitgeberin mit der zuständigen Interessenvertretung (und ggf. der Schwerbehindertenvertretung) solche Möglichkeiten klärt. Es handelt sich mithin nicht um eine gemeinsame Aufgabe von Arbeitgeberin und Interessenvertretung, für die diese gemeinsam zuständig wären, sondern um eine originäre Aufgabe der Arbeitgeberin, bei deren Erledigung die Interessenvertretung zu beteiligen ist. Diese gesetzliche Aufgabenzuweisung wird durch die Regelungen der Betriebsvereinbarung zum Integrationsteam verändert. Nicht mehr die Arbeitgeberin ist zuständig, sondern eine gemeinsame Einheit, die von ihr und dem Betriebsrat zu bilden ist. Das ist eine Verschiebung nicht nur von Aufgaben, sondern auch von Verantwortlichkeit, die dem gesetzlichen Regelungszweck nicht entspricht. Dieser weist der Arbeitgeberin Aufgabe und Verantwortlichkeit zu, weil sie sowohl die Organisation und Ausstattung des Betriebs bestimmt und zugleich Arbeitsvertragspartnerin des oder der betroffenen Beschäftigten ist. In diesem Rahmen weist § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dem Betriebsrat eine Mitwirkungsrolle zu, ohne ihn dadurch hinsichtlich Aufgabe und Verantwortlichkeit mit der Arbeitgeberin gleichzustellen. Teile dieser Aufgabe und Verantwortlichkeit kann die Arbeitgeberin aufgrund der Regelungen der Betriebsvereinbarung nicht mehr wahrnehmen, weil das Integrationsteam durch seine Mitglieder die Gespräche führt, Tatsachen ermittelt, Maßnahmen erörtert und vorschlägt. Die Arbeitgeberin ist selbst angesichts der Weisungsgebundenheit des von ihr in das Integrationsteam entsandten Mitglieds auf einen dauernden Konsens mit dem Betriebsrat angewiesen, weil ihr von der Tatsachenfeststellung bis zu den vorzuschlagenden Maßnahmen keine eigene Entscheidungszuständigkeit mehr zusteht. Dieses entspricht nicht der von § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vorgesehenen gesetzlichen Aufgabenverteilung, der die Verteilung der Verantwortlichkeit entspricht. Eine solche Befugnis zur Änderung gesetzlicher Vorgaben steht dem Betriebsrat nicht kraft des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG zu.

ccc) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst unbeschadet der Unwirksamkeit der Regelungen zum Integrationsteam nicht die Durchführung von im BEM-Verfahrens beschlossenen Maßnahmen, die Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Qualität, die Begleitung der Beschäftigten bei einer stufenweisen Wiedereingliederung und die Erstellung der jährlichen BEM-Dokumentation. Die insoweit unter § 3 Ziffer 3.2 getroffenen Regelungen sind auch aus diesem Grunde unwirksam.

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, nach dem er bei der Durchführung von Maßnahmen zu beteiligen ist, ist nicht ersichtlich. § 87 Abs. 1 Ziffer 1, 6 und 7 BetrVG umfasst das Recht zur Regelung von Sachverhalten und sieht nicht vor, dass der Betriebsrat selbst an der Durchführung der Maßnahmen beteiligt ist. Die Durchführung von Maßnahme ist vielmehr nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Sache der Arbeitgeberin, wenn nichts anderes vereinbart ist. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG umfasst nicht die Zuständigkeit der Einigungsstelle, hiervon abweichend die Durchführungspflicht auf ein gemeinsames Gremium zu übertragen.

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, mit dem er verlangen könnte, die Wirksamkeit und Qualität von BEM-Maßnahmen in einem gemeinsamen Gremium mit der Arbeitgeberin zu überprüfen, besteht nicht. Insbesondere ist § 84 Abs. 2 SGB IX keine Rahmenregelung, aus der sich das Mitbestimmungsrecht ergeben könnte. § 84 Abs. 2 SGB regelt nicht einmal, ob und wie die Entscheidung über mögliche BEM-Maßnahmen zu treffen ist. Erst recht ergibt sich damit aus ihm nicht, wie Qualität und Wirksamkeit zu überprüfen sind.

Ferner ist kein Mitbestimmungsrecht ersichtlich, mit dem der Betriebsrat erzwingen könnte, an der stufenweisen Wiedereingliederung von Beschäftigten in einem gemeinsamen Gremium mit der Arbeitgeberin in Form einer Begleitung beteiligt zu werden.

ddd) Die Betriebsvereinbarung ist unwirksam, soweit sie in § 3 Ziffer 3.4 vorsieht, dass ein ggf. durch Entscheidung der Einigungsstelle erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen erforderlich ist, die vom Integrationsteam vorgeschlagen werden.

Durch eine Entscheidung der Einigungsstelle kann kein über die gesetzlich oder tariflich vorgesehenen Rechte des Betriebsrats hinausgehendes Mitbestimmungsrecht geschaffen werden. Die Einigungsstelle kann sich nur im Rahmen des ihr durch einen Mitbestimmungstatbestand zugewiesenen Zuständigkeitsbereich halten und diesen nicht durch Schaffung neuer und weiterer Mitbestimmungstatbestände erweitern. Das in § 3 Ziffer 3.4 der Betriebsvereinbarung geregelte Mitbestimmungsrecht geht über die gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmungsrechte hinaus. Es ist kein gesetzliches Mitbestimmungsrecht ersichtlich, dass für alle arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen die Zustimmung des Betriebsrats vorsieht. Das gilt insbesondere für solche arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen, die eine Änderung des Arbeitsvertrages erforderlich machen. Wenn Beschäftigte arbeitsvertraglich nur zur Arbeit in bestimmten Schichten berechtigt und verpflichtet sind, die ihrer Gesundheit abträglich sind, kann nicht über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eine Änderung des Arbeitsvertrages erzwungen oder verhindert werden. Das gleiche gilt, wenn arbeitsvertraglich ein bestimmtes Schichtsystem, eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit oder eine bestimmte Lage der Arbeitszeit vorgesehen ist. Sind die dadurch festgesetzten Faktoren für die Gesundheit der Beschäftigten abträglich und gefährden damit die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder die Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit, bleibt gleichwohl ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausgeschlossen, weil sich dieses nicht auf arbeitsvertragliche Festlegungen erstreckt. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, woraus sich bei allen arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ergeben soll.

Weil das Mitbestimmungsrecht bei arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen nach § 3 Ziffer 3.4 der Betriebsvereinbarung über die gesetzlich oder tariflich vorgesehenen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hinausgeht, kann es dahingestellt bleiben, ob die Regelung auch dann unwirksam wäre, wenn sie nur deklaratorisch auf außerhalb der Betriebsvereinbarung bestehende Mitbestimmungsrechte verwiese.

eee) Die Betriebsvereinbarung ist unwirksam, weil sie kein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung des Betriebsrats zulässt.

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement dient der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit. Im Gesetzgebungsverfahren ist ausdrücklich die Auffassung vertreten worden, dass die Interessenvertretung nur mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person einzuschalten ist. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist deshalb auch durchzuführen, wenn der oder die Beschäftigte eine Beteiligung der Interessenvertretung im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX nicht wünscht (BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 2010, 6 P 8/09, Rn 55 ff). Damit ist es nicht vereinbar, dass die Betriebsvereinbarung kein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung des Betriebsrats vorsieht. Die Betriebsvereinbarung ist eine abschließende Regelung zum BEM-Verfahren in dem Betrieb. Es kann nicht davon ausgegangen, dass neben dem in der Betriebsvereinbarung geregelten BEM-Verfahren ein BEM-Verfahren ohne Beteiligung des Betriebsrats und ohne kollektivrechtliche Regelung durchgeführt werden können soll. Hiergegen spricht § 1 Ziffer 1.2, wonach alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mindestens 42 Tage in zwölf Monaten arbeitsunfähig erkrankt waren, erfasst werden. Die Annahme, dass dieses nur für solche Beschäftigte gelten soll, die mit der Beteiligung des Betriebsrats einverstanden sind, findet keine Stütze im Wortlaut der Regelung. Gegen ein derartiges Verständnis des Geltungsbereichs der Betriebsvereinbarung, nach dem nur das betriebliche Eingliederungsmanagement unter Beteiligung des Betriebsrats geregelt ist, nicht aber ein solches, bei dem der die oder der Beschäftigte keine Beteiligung des Betriebsrats wünscht, spricht außerdem, dass regelmäßig schon aus Gründen der Rechtsklarheit solche Ausnahmen vom Geltungsbereich ausdrücklich genannt sind. Schließlich spricht gegen die Annahme, dass neben dem in der Betriebsvereinbarung geregelten Verfahren noch ein weiteres ungeregeltes BEM-Verfahren ohne Beteiligung des Betriebsrats möglich sein kann, dass der Betriebsrat in der Verhandlungen vor der Einigungsstelle ausdrücklich die Forderung aufgestellt hat, dass die Beteiligung des Betriebsrats am betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht unter einem Wahlrecht des oder der Beschäftigten stehen dürfe. Damit hat der Betriebsrat zum Ausdruck gebracht, dass er kein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne seine Beteiligung zulassen wolle. Die Betriebsvereinbarung verstößt demgemäß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX, weil sie ein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung des Betriebsrats nicht zulässt.

fff) Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Betriebsvereinbarung keine abschließende kollektivrechtliche Regelung zum BEM darstellen sollte, wäre sie unwirksam, weil sie keine Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung des Betriebsrats enthält. Das Fehlen solcher Regelungen ist ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Beschäftigten nach § 75 Abs. 1 BetrVG.

Es liegt eine Ungleichbehandlung der Beschäftigten vor, weil dann für Beschäftigte, die keine Beteiligung des Betriebsrats wünschten, keine mitbestimmte Regelung des BEM vereinbart worden wäre, wohl aber für Beschäftigte, die mit der Beteiligung des Betriebsrats einverstanden sind. Damit kann die Arbeitgeberin das betriebliche Eingliederungsmanagement für die Beschäftigten, die keine Beteiligung des Betriebsrats wünschen, allein regeln. Den Beschäftigten kommt damit nicht die in der Beteiligung des Betriebsrats an den Verfahrensregeln liegende Schutzwirkung zu.

Für diese Ungleichbehandlung fehlt ein sachlicher Grund. Er ergibt sich nicht daraus, dass diese Beschäftigten auf eine Beteiligung des Betriebsrats am BEM-Verfahren verzichten. Der Verzicht auf eine solche Beteiligung ist kein sachlicher Grund dafür, diese Beschäftigten von einer kollektiven Regelung zum BEM-Verfahren auszunehmen. Er muss nämlich nicht Ausdruck des Willens sein, die Anwendung betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften nicht zu wollen oder die Betriebsverfassung generell abzulehnen. Vielmehr kann Grund für den Wunsch, keine Beteiligung des Betriebsrats zu wünschen, auch sein, dass der oder die Beschäftigte die Art und das Ausmaß ihrer Erkrankung möglichst nur einem kleinen Personenkreis bekannt machen möchte. Dieses spräche dafür, nur die Arbeitgeberin zu unterrichten, deren Information für etwaige BEM-Maßnahmen im Gegensatz zur Information des Betriebsrats unverzichtbar ist. Die Arbeitgeberin und nicht der Betriebsrat müsste solche BEM-Maßnahmen nämlich ergreifen. Außerdem ist ohne weiteres denkbar, dass der oder die betroffene Beschäftigte zu dem betriebsrätlichen Mitglied des Integrationsteams ein gespanntes oder schlechtes Verhältnis hat, so dass er oder sie zwar generell nichts gegen eine Beteiligung des Betriebsrats an der Betriebsverfassung einzuwenden hat, aber diese im Falle eines ihn oder sie betreffenden betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht wünscht. In beiden denkbaren Fallkonstellationen ist es nicht angezeigt, den oder die betroffene Beschäftigte den Schutz einer mitbestimmten Regelung zum BEM zu versagen, nur weil er oder sie die Beteiligung des Betriebsrats an dem konkreten BEM nicht wünscht. Überdies wäre ein Verzicht auf den Schutz der Betriebsverfassung unwirksam. Dieser Schutz steht nicht zur Disposition der Beschäftigten.

ggg) Die zuvor genannten Unwirksamkeitsgründe führen dazu, dass die Entscheidung der Einigungsstelle insgesamt unwirksam ist.

Die von der Unwirksamkeit der Regelungen nicht betroffenen Bereiche stellen für sich genommen kein sinnvolles Ganzes mehr dar, das wirksam weiterbestehen könnte. Im Kern der Regelung steht das Integrationsteam, das umfassend das BEM durchführen und sogar noch über dessen Abschluss hinaus im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle begleiten soll. Mit dem Wegfall der unwirksamen Regelungen zum Integrationsteam ist unklar, wer das BEM durchführen soll und wie der Betriebsrat daran zu beteiligen ist. Mit dem Wegfall des Integrationsteams wäre die Betriebsvereinbarung ihres kennzeichnenden Kerns beraubt.

Ferner fehlt es an einem sinnvollen Ganzen, soweit eine Regelung zum BEM ohne Beteiligung des Betriebsrats nicht vorgesehen ist. Wie eine derartige Lücke im Rahmen einer Betriebsvereinbarung geschlossen werden soll, die darauf basiert, dass ein paritätisch besetzten Gremium das BEM einleitet, durchführt und die Ergebnisse vorbereitet, lässt sich nicht erkennen.

3) Es besteht kein Anlass, über die Kosten zu entscheiden. Gerichtskosten fallen nach § 2 Abs. 2 GKG nicht an. Für die außergerichtlichen Kosten sind die §§ 91 ff ZPO nicht anwendbar, weil die Verpflichtung der Antragstellerin, die außergerichtlichen Kosten des Betriebsrats zu tragen, nach § 40 BetrVG zu beurteilen ist. Einen Kostenerstattungsanspruch der Arbeitgeberin gegen den Betriebsrat gibt es nicht, weil der Betriebsrat nicht vermögensfähig ist.

Gegen diesen Beschluss ist nach § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG hat. Ob und wie eine Zusammenarbeit von Arbeitgeberin und Betriebsrat beim betrieblichen Eingliederungsmanagement dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt und ob dieses Mitbestimmungsrecht für diese Zusammenarbeit ein gemeinsames Gremium mit eigenen Entscheidungsbefugnissen erzwingbar macht, ist eine Frage von allgemeiner Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen. In gleicher Weise von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, ob auch für den Bereich der Betriebsverfassung gilt, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement ohne Beteiligung des Betriebsrats möglich sein muss.

Referenznummer:

R/R6448


Informationsstand: 19.02.2015