Urteil
Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten - betriebsbedingte ordentliche Kündigung - Prüfungsrahmen hinsichtlich der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers - Grundsätzlich keine inhaltliche Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers

Gericht:

VG Würzburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

W 3 K 12.645 | 3 K 12.645


Urteil vom:

11.04.2013


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zustimmung zu einer Kündigung im Rahmen des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I S. 1046) i.d.F. d. Bek. vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3057), - SGB IX.

I.

Nach Aktenlage beträgt der Grad der Behinderung der Klägerin 60.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2012, bei dem Beklagten eingegangen am 24. Mai 2012, beantragte der Beigeladene beim Beklagten die Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, er habe sich aus Kostengründen entscheiden müssen, die Anzahl der Mitarbeiterstunden von 105 Stunden auf 89 Stunden zu reduzieren. In der Umsetzung dieser Entscheidung habe er sich entschieden, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen. Die von der Klägerin bisher erledigten Aufgaben könnten von den verbleibenden Mitarbeiterinnen übernommen werden. Die damit einhergehende Leistungsverdichtung sei beabsichtigt und auch vertretbar. Hierbei gab der Beigeladene an, insgesamt vier Arbeitnehmer zu beschäftigen.

In ihrer Stellungnahme vom 2. Juni 2012 bzw. 30. Mai 2012 gab die Klägerin daraufhin im Wesentlichen an: Derzeit seien zwei "ganztags" Angestellte, eine Angestellte mit 12 Wochenstunden und sie selbst mit 16 Wochenstunden bei dem Beigeladenen beschäftigt. Dieser habe die Klägerin auch nach dem Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit wieder weiterbeschäftigt. Die Situation in der Praxis könne sich nicht innerhalb von wenigen Tagen derart verändert haben, dass 16 Wochenstunden in Wegfall kommen sollen.

In seinem Schreiben vom 30. Juni 2012 gab der Beigeladene an, der Praxisablauf sei auch ohne die Tätigkeit der Klägerin, die über ein Jahr krank gewesen sei, "gut geschafft" worden und werde auch weiter geschafft werden. Sein Hauptproblem seien seine finanziellen Schwierigkeiten, so dass er Personal reduzieren müsse.

Mit Bescheid des Beklagten vom 10. Juli 2012 wurde dem Beigeladenen die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des mit der Klägerin bestehenden Arbeitsverhältnisses erteilt. In diesem Bescheid wurde u.a. ausgeführt, der Kündigungsgrund stehe nicht direkt im Zusammenhang mit der bei der Klägerin anerkannten Behinderung. Auslöser für die beabsichtigte Kündigung seien die wirtschaftlichen Aspekte im Bereich der Praxisorganisation und -führung, die eine weitere Beschäftigung der Klägerin entbehrlich machen würden. Die Klägerin sei teilweise aufgrund ihrer Behinderung zur Kündigung ausgewählt worden, weswegen bei der Ermessensabwägung ein höherer Maßstab an die Zulässigkeit der Kündigung angesetzt werde.

II.

Mit ihrer am 30. Juli 2012 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg eingegangenen Klage ließ die Klägerin beantragen:

1. Der Zustimmungsbescheid des Beklagten vom 10. Juli 2012 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass der Zustimmungsbescheid des Beklagten vom 10. Juli 2012 rechtswidrig ist.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung beruhe nicht rein auf betriebsbedingten Gründen, sondern auf der Erkrankung der Klägerin, was der Mitteilung des Beigeladenen, die Klägerin sei über ein Jahr krank gewesen, schlüssig zu entnehmen sei. Des Weiteren sei die Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft. Die Sachverhaltsermittlung sei unzureichend, die Klägerin sei zu den Einwendungen des Arbeitgebers nicht gehört worden. Sonst hätte sie vorgetragen, dass sie zur Erbringung ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten und geschuldeten Leistung trotz ihrer Schwerbehinderung in der Lage sei.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, eine Anhörung der Klägerin zur Stellungnahme des Beigeladenen vom 30. Juni 2012 sei im Rahmen der Ermittlung nicht nötig gewesen, da diese Stellungnahme keine für die Behördenentscheidung wesentlichen neuen Angaben enthalten habe. Die Klägerin habe bereits in ihrem Schreiben vom 2. Juni 2012 ausführlich Stellung genommen. Eine weitere Stellungnahme der Klägerin auf das Schreiben des Beigeladenen hätte keine neuen entscheidungsrelevanten Tatsachen erwarten lassen. Dies habe sich nunmehr auch dadurch bestätigt, dass die Klägerin vortrage, sie hätte im Falle einer weiteren Anhörung erwidert, dass sie trotz ihrer Behinderung in der Lage wäre, die bisherige Tätigkeit weiterhin auszuüben. Gerade dies sei aber von niemandem in Abrede gestellt worden. Des Weiteren habe der Beigeladene rein betriebsbedingte Gründe für die Kündigung angegeben, nämlich dass er sich aufgrund von geplanten finanziellen Einsparungen dazu entschlossen habe, durch Leistungsverdichtung bei den verbleibenden Arbeitnehmerinnen die Stelle der Klägerin einzusparen. Die Tatsache, dass der Beigeladene angegeben habe, während der längeren Erkrankung der Klägerin habe sich gezeigt, dass die anfallende Arbeit tatsächlich von den zwei verbleibenden Kräften geleistet werden könne, ändere nichts an der Einschätzung, dass es sich um eine betriebsbedingte Maßnahme handele. Diese Aussage habe nur belegen sollen, dass die geplante Arbeitsverdichtung möglich sei. Die Kündigung werde aber nicht mit der vorangegangenen Erkrankung begründet. Ein Zusammenhang mit der Behinderung könne sich höchstens im Rahmen der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmerin ergeben. Nachdem der Beigeladene nur drei Beschäftigte habe, sei er dabei nicht an die strengen Sozialauswahlkriterien des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) gebunden, so dass er grundsätzlich bei dieser Auswahl relativ frei sei. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin vorgelegen habe, seien in jedem Fall nicht gegeben. Die Klägerin habe diesbezüglich nichts vorgetragen.

Der Beigeladene beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er führte hierzu aus, für die Kündigung seien rein betriebsbedingte Gründe ausschlaggebend gewesen. Die von der Klägerin besetzte Stelle sei ersatzlos gestrichen worden und weggefallen. Sie werde auch nicht mehr besetzt werden. Insbesondere beruhe die Kündigung nicht auf einer seit dem 12. Juli 2012 bestehenden Erkrankung der Klägerin.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des sonstigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist hinsichtlich des Aufhebungsbegehrens (Klageantrag 1) zulässig, aber unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 10. Juli 2012 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung sind §§ 85 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Art. 1 des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I S. 1046) i.d.F. d. Bek. vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3057), - SGB IX.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung hat das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 88 SGB IX). Diese Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO). Dem Gericht ist es deshalb versagt, die behördlichen Ermessenserwägungen durch eigene zu ersetzen; es kann die Entscheidung nur auf Ermessensfehler (Ermessensausfall, Ermessensdefizit, Ermessensfehlgebrauch) hin überprüfen. Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 27).

Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Dabei sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt werden soll, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass der Schwerbehindertenschutz an Gewicht gewinnt, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, und dass infolgedessen an die bei der interessenabwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um dem im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation angemessen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24/93 - BVerwGE 99, 336 - juris Rn. 16 m.w.N.). In Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber deshalb sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer "durchzuschleppen" (zu alledem vgl. BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 28 m.w.N.).

Um die nach §§ 85 ff. SGB IX erforderliche Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, muss das Integrationsamt anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das ermitteln und sodann auch berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können. Die dem Integrationsamt in § 20 SGB X auferlegte Aufklärungspflicht gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht. Soweit ein Umstand materiell-rechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24/93 - BVerwGE 99, 336 - juris Rn. 15 m.w.N.; BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 31 m.w.N.).

Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides kommt es im vorliegenden Fall - da kein Widerspruchsverfahren durchgeführt wurde - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung an (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.1993 - 5 B 80/92 - juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 29.5.2007 - 12 ZB 06.1134 - juris Rn. 6 f.; VG München, U.v. 25.1.2006 - M 18 K 05.2039 - juris Rn. 28; vgl. hierzu auch: BayVGH, U.v. 31.1.2013 - 12 B 12.860 - juris Rn. 26 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 7.3.1991 - 5 B 114/89 - juris).

Hinsichtlich der Überprüfung der Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes zu einer betriebsbedingten Kündigung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 1. März 2012 - 12 ZB 10.587 - (juris Rn. 9) ausgeführt:

"Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung beachtet, dass das Integrationsamt zunächst untersuchen muss, ob Kündigungsgründe überhaupt vorliegen (BVerwG vom 28.11.1958 BVerwGE 8, 46). Das Integrationsamt muss im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht sicherstellen, dass betriebsbedingte Kündigungsgründe tatsächlich bestehen und nicht lediglich vorgeschoben werden (SächsOVG vom 25.8.2003 Behindertenrecht 2004, 81). Da die Organisation und Struktur eines Betriebes aber allein der unternehmerischen Entscheidung unterliegen, können die hierauf bezogenen Entscheidungen des Unternehmens jedenfalls vom Integrationsamt grundsätzlich nicht inhaltlich überprüft werden (vgl. zum Prüfungsumfang betriebsbedingter Kündigungsgründe durch die Arbeitsgerichte etwa BAG vom 23.4.2008 Az. 2 AZR 1110.06 m.w.N.). Solche Entscheidungen, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen, darf das Integrationsamt aber daraufhin überprüfen, ob sie unsachlich oder willkürlich sind (siehe dazu Trenk-Hinterberger, HK-SGB IX, 3. Auflage 2010, § 88 RdNr. 14). Deshalb beschränkt sich die Verpflichtung darauf, ob die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (zu alledem Knittel, SGB IX, Stand: März 2010, § 85 RdNrn. 73 f. unter Hinweis auf BVerwG vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 275). An einer in diesem Sinne offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Antragstellung fehlt es immer dann, wenn die vom Arbeitgeber genannten Gründe geeignet sind, eine ordentliche Kündigung zu tragen. Diese Grenzen der Überprüfung betriebsbedingter Kündigungsgründe gehen einher mit der dazu veranlassten Sachverhaltsaufklärung (vgl. zu allem BayVGH vom 28.9.2010 Az. 12 B 10.1088 m.w.N.)."

Bei Anwendung obiger Grundsätze begegnet die Entscheidung des Beklagten vom 10. Juli 2012 im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.

Nach Überzeugung des Gerichts ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorlag und nicht lediglich vorgeschoben wurde.

Die vom Beigeladenen in seinem Antrag vom 21. Mai 2012 angegebene Reduzierung der Mitarbeiterstunden aus Kostengründen von 105 Stunden auf 89 Stunden war aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung tatsächlich möglich und - insbesondere auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin vom 2. Juni 2012 - nachvollziehbar. Weitergehende Ermittlungen seitens des Beklagten waren daher nicht veranlasst. Hinsichtlich des Vorbringens der Bevollmächtigten der Klägerin, die Kündigung beruhe auf der Erkrankung der Klägerin, ist auszuführen, dass die Abwesenheit der Klägerin lediglich zeigte, dass eine solche Stundenreduzierung möglich war. Der Grund für deren Abwesenheit - vorliegend wohl deren Arbeitsunfähigkeit - war hierbei unerheblich. Entscheidend ist, dass die Stundenreduzierung möglich war und aus Kostengründen durchgeführt werden sollte.

Hinsichtlich der vom Beigeladenen getroffenen Auswahlentscheidung der zu kündigenden Arbeitnehmerin war vom Beklagten lediglich zu prüfen, ob diese Entscheidung nach arbeitsrechtlichen Vorschriften offensichtlich unwirksam ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1999 - 5 C 23/99 - BVerwGE 110, 67 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 25.11.2008 - 12 ZB 07.2677 - juris Rn. 14 f.; BayVGH, U.v. 20.3.2003 - 12 B 99.1880 - juris Rn. 44; VG München, U.v. 28.10.2010 - M 15 K 10.239 - juris Rn. 37 ff.).

Aus dem Rechtsgedanken des § 91 Abs. 4 SGB IX ergibt sich, dass es auf einen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund ankommt. Die Auswahlentscheidung ist jedoch nicht Teil des Kündigungsgrundes, sondern setzt diesen vielmehr voraus. Des Weiteren betrifft die Auswahlentscheidung in erster Linie nicht das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Arbeitnehmer, sondern das Verhältnis der Arbeitnehmer zueinander - diese stehen im Rahmen der Auswahlentscheidung in Konkurrenz. Im Rahmen seiner Entscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen (s.o.). Die Interessen anderer Arbeitnehmer sind hingegen nicht unmittelbar Teil dieser Abwägung.

Zu Recht ist der Beklagte in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2012 zu dem Ergebnis gekommen, dass für die offensichtliche Unwirksamkeit der Auswahlentscheidung nichts ersichtlich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) i.d.F. d. Bek. vom 25. August 1969 (BGBl I S. 1317), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2008 (BGBl I S. 444) die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 hinsichtlich der Klägerin nicht gelten. Zu Recht hat der Beklagte im vorliegenden Fall auch keine Anhaltspunkte dafür erkannt, dass die Klägerin gerade wegen ihrer Behinderung zur Kündigung ausgewählt wurde. Insbesondere aus den Fehlzeiten der Klägerin aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit lässt sich dies nicht entnehmen (vgl. BAG, U.v. 28.4.2011 - 8 AZR 515/10 - NJW 2011, 2458).

Die Anhörung der Klägerin entsprach den Anforderungen des § 87 Abs. 2 SGB IX, eine erneute Anhörung der Klägerin zum Schreiben des Beigeladenen vom 30. Juni 2012 war nicht - auch nicht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung - erforderlich. Eine Anhörung nach § 87 Abs. 2 SGB IX erfordert im Wesentlichen, dass dem schwerbehinderten Menschen Gelegenheit gegeben wird, sich zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers und zu den übrigen für die Entscheidung des Integrationsamtes erheblichen Tatsachen zu äußern (BayVGH, B.v. 17.12.2009 - 12 CS 09.2691 - juris Rn. 20). Dies ist vorliegend geschehen. In seinem Schreiben vom 30. Juni 2012 führte der Beigeladene nämlich keine entscheidungserheblich neuen Tatsachen an, sondern erläuterte lediglich seinen im Antrag vom 21. Mai 2012 angegebenen Kündigungsgrund. Ihre zeitweilige Arbeitsunfähigkeit brachte die Klägerin im Übrigen selbst bereits in ihrer Stellungnahme vom 2. Juni 2012 vor. Hinsichtlich des Vorbringens der Bevollmächtigten der Klägerin, diese sei zur Erbringung ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten und geschuldeten Leistung trotz ihrer Schwerbehinderung in der Lage, ist anzuführen, dass der Beklagte bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen (Seite 4 des angefochtenen Bescheides) ein etwaiges Fehlen dieser Fähigkeit nicht zu Lasten der Klägerin berücksichtigte.

Insoweit die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 2. Juni 2012 geltend machte, die Situation in der Praxis habe sich nicht innerhalb von wenigen Tagen derart verändern können, dass 16 Wochenstunden in Wegfall hätten kommen sollen, ist anzuführen, dass der Beigeladene auch nicht als Kündigungsgrund angab, dass 16 Wochenstunden an Arbeit innerhalb von wenigen Tagen weggefallen seien, sondern dass er diese Reduzierung der Mitarbeiterstunden durch eine "Leistungsverdichtung" zu erreichen beabsichtige (Behördenakte Bl. 2). Zu Recht hat der Beklagte dieses Argument der Klägerin nicht zu deren Gunsten berücksichtigt. Der Umstand, dass neben zwei Vollzeit- und einer Teilzeitkraft eine weitere Teilzeitkraft beschäftigt wurde, bedeutet nicht, dass die vorhandene Arbeit nicht auch durch zwei Vollzeit- und eine Teilzeitkraft hätte erledigt werden können. Die Entscheidung des Beigeladenen für die Stundenreduzierung durch "Leistungsverdichtung", kann aber als unternehmerische Entscheidung grundsätzlich nicht inhaltlich überprüft werden (s.o.)

Der Beklagte ist in seiner Entscheidung - zutreffend - von einem betriebsbedingten Kündigungsgrund, jedoch - unzutreffend (s.o.) - von einer teilweise behinderungsbedingten Auswahlentscheidung ausgegangen. Er setzte bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen seiner Ermessensentscheidung unzutreffend - aber zu Gunsten der Klägerin - einen höheren Maßstab an die Zulässigkeit der Kündigung an. Seine Entscheidung war daher zwar ermessensfehlerhaft, aber dennoch im Ergebnis rechtmäßig. Des Weiteren wurde die Klägerin durch die Anwendung des für sie zu günstigen Maßstabs auch nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Hinsichtlich des Klageantrags 2 ist die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 154 Abs. 3 Halbs. 1, § 162 Abs. 3, § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren aus Billigkeitsgründen der Klägerin aufzuerlegen, weil sich der Beigeladene durch Stellung eines Sachantrags einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 162 Rn. 23).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R5890


Informationsstand: 20.08.2013