Urteil
Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten

Gericht:

VGH Mannheim 9. Senat


Aktenzeichen:

9 S 1490/96


Urteil vom:

15.07.1997


Grundlage:

Leitsatz:

1. Der Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten
aus Krankheitsgründen steht nicht bereits entgegen, daß
sein Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Zeitrente
wegen Erwerbsunfähigkeit gem § 59 Abs 1 S 4 und 5 BAT im
Zeitpunkt der Kündigung ruht. Dieser Umstand stellt
vielmehr ein Element im Rahmen der Abwägung der
gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer
dar.

Fundstelle:

VGHBW RSpDienst 1997, Beilage 9, B 6
br 1998, 75-77 (Leitsatz und Gründe)

Rechtszug:

vorgehend VG Stuttgart 1996-03-25 8 K 5323/94

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Gründe:

Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß. Der Senat hält die zulässige Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich (§ 130a S. 1 VwGO).
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die gegen den - den Zustimmungsbescheid der Hauptfürsorgestelle vom 17.01.1994 aufhebenden - Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses bei der Hauptfürsorgestelle gerichtete Klage abgewiesen. Der Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Denn der Widerspruchsausschuß hat für seine die Zustimmung versagende Entscheidung in ermessensfehlerhafter Weise maßgeblich auf die dem Beigeladenen für die Zeit vom 07.04.1993 bis 31.10.1995 gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Rentenbescheid der BfA vom 11.11.1993) abgestellt.
Für die Beurteilung der materiellen Sach- und Rechtslage bei der Anfechtungsklage des Arbeitgebers gegen den eine bereits erteilte Zustimmung zur Kündigung aufhebenden Widerspruchsbescheid ist - ebenso wie für die Widerspruchsentscheidung selbst - auf den der Kündigung zugrundeliegenden historischen Sachverhalt abzustellen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.08.1996 - 7 S 3383/94 - m.w.N.). Die nachfolgende Entwicklung der tatsächlichen rechtlichen Verhältnisse findet daher keine Berücksichtigung. Vorliegend ist die Kündigung am 26.01.1994 ausgesprochen worden. Zu diesem Zeitpunkt war der Beigeladene bereits (Zeit-)Rentenempfänger. Der Widerspruchsausschuß hat diesen Umstand zwar grundsätzlich zu Recht in seine Erwägungen einbezogen, ihm indessen im Blick auf die Frage der Zustimmung nach § 15 SchwbG ein unverhältnismäßig hohes Gewicht beigemessen.

Der Widerspruchsausschuß hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen wegen der diesem gewährten Zeitrente gemäß § 59 Abs. 1 S. 4 und 5 BAT ruhe. Dieser Wille der Tarifvertragsparteien müsse bei der Ermessensausübung berücksichtigt werden. Danach könnten diejenigen Gründe, die zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt hätten, nicht auch für eine ordentliche Kündigung wegen Krankheit herangezogen werden. Anderenfalls komme der tarifvertraglichen Regelung nämlich keine Bedeutung mehr zu. Dies sei systemgerecht. Eine Kündigung aus anderen Gründen sei nicht ausgeschlossen, weil der Tarifvertrag insoweit kein Kündigungsverbot beinhalte. Im Hinblick auf die vorliegende krankheitsbedingte Kündigung, zu der die Zustimmung begehrt werde, komme es somit wegen § 59 Abs. 1 S. 4, 5 BAT auf eine medizinische Prognose über den künftigen Verlauf der Arbeitsunfähigkeitszeiten - zumindest bis zum Ablauf der bewilligten Zeitrente - nicht mehr an. Dahingestellt bleiben könne auch, ob der Umstand der Befristung der Rente als Indiz für eine positive Prognose anzusehen sei oder ob die Dauer der Zeitrente bezogen auf das relativ kurz bestehende Arbeitsverhältnis als negative Prognose beurteilt werden müsse.

Mit diesen Erwägungen, die das Verwaltungsgericht maßgeblich mit der Begründung bestätigt hat, eine Zustimmung komme aus Rechtsgründen nicht in Betracht, wird die Bedeutung der tarifvertraglichen Regelung für das Kündigungszustimmungsverfahren verkannt:
Die Bestimmung des § 59 BAT stellt eine arbeitsvertragsrechtliche Regelung dar, die dem Schutz des Arbeitnehmers zu dienen bestimmt und daher gesetzeskonform in einer Weise auszulegen ist, die eine Umgehung des § 1 KSchG oder der §§ 626, 622 BGB ausschließt (BAG, Urteil vom 28.06.1995, AP Nr. 6 zu § 59 BAT betreffend die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines berufsunfähigen Arbeitnehmers). Sie ist daher in erster Linie im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG zu berücksichtigen. Ob eine Kündigung im Sinne vom § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, unterliegt allerdings grundsätzlich nicht der Überprüfung durch die Hauptfürsorgestelle bzw. die Verwaltungsgerichte, sondern ist in erster Linie eine Frage des Arbeitsrechts und daher der Entscheidung durch die Arbeitsgerichte im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens überantwortet; hingegen spielen für die Entscheidung, ob die Zustimmung nach § 15 SchwbG erteilt oder versagt werden soll, nur solche Erwägungen eine Rolle, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Zweck des besonderen und neben dem allgemeinen Kündigungsschutz gegebenen Kündigungsschutzes nach § 15 SchwbG ist es, den Schwerbehinderten vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, daß er gegenüber gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät. Die Zustimmungsentscheidung erfordert daher eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des (schwerbehinderten) Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes (vgl. näher BVerwGE 90, 287, 293, 292).
Diese Abwägung ist unvollständig und daher fehlerhaft, wenn sie in entscheidungserheblicher Weise darauf abstellt, daß bereits das tarifvertraglich und damit arbeitsrechtlich vereinbarte Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit einer Kündigung aus Krankheitsgründen entgegensteht, und im Hinblick hierauf die gebotene konkrete Interessenabwägung nicht vorgenommen wird.
Eine in diesem Sinne gewissermaßen vorweggenommene Gewährung arbeitsrechtlichen Schutzes für den Schwerbehinderten könnte allerdings dann wohl nicht beanstandet werden, wenn die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage tritt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (so Bay.VGH, Entscheidung vom 16.11.1993, bei Zanker in ZfSH/SGB 1994, 237ff., 241; offengelassen von BVerwGE 90, 287, 294). Ein solcher Fall ist vorliegend indessen nicht gegeben.
Dem Wortlaut des § 59 Abs. 1 BAT kann nicht ohne weiteres entnommen werden, daß ein Arbeitsverhältnis, das aufgrund einer Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit ruht, in keinem Fall aus Krankheitsgründen gekündigt werden darf. Solches ergibt sich auch nicht aus den Gründen, die für die Änderung des § 59 Abs. 1 BAT zum 01.01.1985 maßgeblich waren. Nach § 59 Abs. 1 BAT in der bis zum 31.12.1984 geltenden Fassung endete bei Zeitrenten das Beschäftigungsverhältnis automatisch mit der Folge, daß bei Schwerbehinderten § 22 SchwbG zur Anwendung kam. Die frühere Regelung führte allerdings im Hinblick auf die Gesamtversorgung des Beschäftigten dann zu Schwierigkeiten, wenn dieser nach Ablauf der Zeitrente nicht wieder bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eingestellt werden konnte. Diese Schwierigkeiten sollten durch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses - mit allen Rechten und Pflichten - anstelle seiner Beendigung vermieden werden (vgl.
Uttlinger u.a., BAT, Kommentar, Bd. 2, § 59 Erläuterung 9). Auch diesem Zweck der Änderung des § 59 Abs. 1 BAT kann nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden, daß mit dem Wegfall der (automatischen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Zeitrenten nunmehr auch eine ordentliche Kündigung aus Krankheitsgründen ausgeschlossen werden sollte. Insbesondere ließe ein solches Verständnis die Vielfalt der arbeitsvertraglichen Beziehungen außer Betracht, die auf dem Bundesangestelltentarif gründen. Es dürfte daher stets eine Frage des Einzelfalles sein, ob ein ruhendes Arbeitsverhältnis wegen des krankheitsbedingten Ausfalls des Arbeitnehmers zu Recht (ordentlich) gekündigt werden darf. Die Entscheidung hierüber ist indessen den Arbeitsgerichten vorbehalten, die sich bislang - soweit ersichtlich - zu dieser Frage noch nicht geäußert haben. Schließlich geht mit der Änderung des § 59 BAT zum 01.01.1985 auch keine Verkürzung des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte einher. Denn die nach der früheren Rechtslage gemäß § 22 SchwbG erforderliche Zustimmung zur (automatischen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestimmt sich nunmehr unmittelbar nach § 15 SchwbG.
Kann mithin nach derzeitiger Erkenntnis keine Rede davon sein, daß der Zustimmung zu einer Kündigung aus Krankheitsgründen nach § 15 SchwbG bereits das Ruhen des Arbeitsverhältnisses entgegensteht, so ist auch in diesen Fällen im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung eine Abwägung der gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers wie des Arbeitnehmers vorzunehmen. In diese Abwägung kann als ein Abwägungselement auch die Tatsache des Ruhens des Arbeitsverhältnisses mit der Folge eingestellt werden, daß sich das Gewicht des Schutzes des Arbeitnehmers verstärken könnte, wenn - wie hier - die Kündigung auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache und die zu der Zeitrente geführt haben. Soweit dies die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer nach Ablauf der Zeitrente weiter zu beschäftigen, noch weiter zugunsten des Arbeitnehmers verschieben könnte, um den Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können, enthebt dies die Hauptfürsorgestelle bzw. ihren Widerspruchsausschuß indessen nicht der Prüfung auch des Interesses des Arbeitgebers am Erhalt seiner Gestaltungsmöglichkeiten und der entsprechenden Gewichtung dieses Interesses. In diesem Zusammenhang ist etwa auch zu fragen, ob der nach der Zeitrente vorgegebene (weitere) Ausfall des (hier bereits zuvor über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankten) Arbeitnehmers vom Arbeitgeber aufgefangen werden kann (Großmann in GK-SchwbG 1992, § 22 Rdnr. 60; vgl. auch Wiegand, SchwbG § 22 Rdnr.
11). Dies bedingt eine Würdigung der Aufgaben, für die der Arbeitnehmer eingestellt worden ist, sowie der ihm eingeräumten Stellung bei (hier) der Klägerin. Schließlich ist auch zu prüfen, ob nach Ablauf der Zeitrente eine Weiterbeschäftigung ggf. in einer anderen angemessenen vergleichbaren Position möglich wäre. Wenn es auch weiterhin - im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens - eine Frage der Würdigung im Einzelfall bleibt, welche Umstände für die gegensätzlichen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit welchem Gewicht in die Interessenabwägung nach § 15 SchwbG einzustellen sind (vgl. BVerwG, Beschluß vom 06.02.1995, Buchholz 436.61 § 15 Nr. 9), so ist gleichwohl eine Abwägung, die - wie hier - ausschließlich dem Ruhen des Arbeitsverhältnisses Bedeutung beimißt und daher der Frage des Interesses des Arbeitgebers nicht nachgeht bzw. diese Frage offen läßt, fehlerhaft. Der angefochtene Widerspruchsbescheid war daher mit der Folge aufzuheben, daß der Widerspruchsausschuß erneut über den Widerspruch zu entscheiden hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Absätze 1 und 3, 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 S. 2 VwGO).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Referenznummer:

MWRE111569700


Informationsstand: 09.08.1999