Das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 05. Mai 1999 -- 2 Sa 575/98 -- wird aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 19. Februar 1998 -- 2 Ca 244/ 97 -- abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10. März 1997 weder fristlos noch fristgemäß aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Restitutionsklage die Aufhebung des Urteils des Hessisches Landesarbeitsgerichts vom 5. Mai 1999 -- 2 Sa 575/98 --.
Die Beklagte ist ein Unternehmen für Heizungs-, Lüftungs-, Klima-, Sanitär- und Elektrotechnik und beschäftigt etwa 20 Arbeitnehmer. Die Klägerin ist am 11. März 1952 geboren und 2 Personen zum Unterhalt verpflichtet. Zum 1. Juli 1980 stellte die Beklagte die Klägerin als Buchhalterin ein. Sie erhielt zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 7.000,-- DM. Wegen der Tätigkeit der Klägerin wird auf die Aufgabenbeschreibung vom Mai 1996 (Bl. 105
ff. d. A. 2 Ca 244/97 / 2 Ca 575/ 98) verwiesen. Die Klägerin hatte Prokura. Diese wurde ihr auf der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 10. März 1997 entzogen. Mit Schreiben vom 10. März 1997 sprach die Beklagte der Klägerin gegenüber die fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. Aug. 1997 aus.
Die von der Klägerin am 25. März 1997 eingereichte Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Gießen durch Urteil vom 19. Febr. 1998 -- 2 Ca 244/97 -- (Bl. 159
ff. d. A. 2 Ca 244/97 / 2 Sa 575/98) abgewiesen. Es hat angenommen, die Kündigung sei als außerordentliche wirksam, weil die Klägerin ohne dazu berechtigt gewesen zu sein Überstunden- und Urlaubsabgeltung an sich zur Auszahlung gebracht habe.
In der Klageschrift wies die Klägerin darauf hin, sie sei schwerbehindert und habe am 6. März 1997 die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft beantragt. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 1. April 1997 zugestellt.
Auf ihren Antrag vom 1. März 1997 wurde der Klägerin durch Bescheid vom 25. Juni 1997 (Bl. 291, 292 d. A. 2 Ca 244/97 / 2 Sa 575/98) ein Grad der Behinderung von 30% zuerkannt. Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Gießen.
Die von der Klägerin gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung hat das Hessische Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 5. Mai 1999 -- 2 Sa 575/98 -- zurückgewiesen. Auch das Berufungsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 10. März 1997 für wirksam angesehen und einen wichtigen Grund im Sinne von § 626
Abs. 1
BGB darin gesehen, dass die Klägerin sich im laufenden Arbeitsverhältnis eine Urlaubsabgeltung in Höhe von DM 9.799,44 brutto auf ihr Konto überwiesen habe.
Dem Antrag der Klägerin, den Rechtsstreit bis zur sozialgerichtlichen Entscheidung über ihre Anerkennung als Schwerbehinderte auszusetzen, ist das Berufungsgericht nicht nachgekommen, weil es eine entsprechende Sachlage hierfür nicht gesehen hat. Es hat angenommen, die Tatbestandswirkung von Bescheid und Widerspruchsbescheid spreche gegen die Anerkennung als Schwerbehinderte mit einem
GdB von 50. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Beweisanordnung des Sozialgerichts vom 18. März 1999 (Bl. 284 d. A. 2 Ca 244/97 / 2 Sa 575/98), da die Beweisfragen u.a. lauteten, ob die festgestellten Gesundheitsstörungen und der dadurch bedingte
GdB insbesondere ab Dezember 1997 bestanden hätten. Das Berufungsgericht ging davon aus, es hätte keine Auswirkungen auf die Kündigung, wenn die Beweisfrage vom Gutachter für diesen Zeitpunkt bejaht würde.
Die von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des
BAG vom 22. Okt. 1999 -- 5 AZN 735/99 -- als unzulässig verworfen (Bl. 314
ff. d. A. 2 Ca 244/97 / 2 Sa 575/98).
In der Verhandlung des Sozialgerichts Gießen vom 3. Febr. 2000 (Sitzungsniederschrift Bl. 355
ff. d. A.) schloss die Klägerin mit dem Land Hessen folgenden Vergleich:
1. Der Beklagte erkennt bei der Klägerin ab März 97 einen
GdB von 50 an.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
3. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.
Mit Datum vom 24. Febr. 2000 erhielt die Klägerin vom Versorgungsamt G einen Ausführungsbescheid, mit dem der Feststellungsbescheid vom 25. Juni 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 1998 wie folgt geändert wurde:
"Der bei Ihnen festgestellte Grad der Behinderung (
GdB) beträgt 50.
Der festgestellte Grad der Behinderung liegt ab 3/1997 vor."
Am 29. Febr. 2000 reichte die Klägerin Restitutionsklage ein. Sie ist der Auffassung, dass mit der Geltungsdauer im Schwerbehindertenausweis "ab: 03/1997" der volle Monat März 1997 zu verstehen sei.
Die Klägerin beantragt,
das rechtskräftige Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Mai 1999 -- 2 Sa 575/98 -- einschließlich des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 19. Febr. 1998 -- 2 Ca 244/97 -- aufzuheben,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10. März 1997 weder fristlos noch zum 31. Aug. 1997 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, für eine analoge Anwendung des § 580
Nr. 7 b
ZPO sei angesichts der nachträglich erstellten Urkunde kein Raum. Der Beweis der Schwerbehinderung könne bei einer Überprüfung durch ein Sachverständigengutachten drei oder vier Jahre nach Antragstellung rückwirkend nicht in einer den Erfordernissen des § 580
Nr. 7 gerecht werdenden Weise geführt werden. Im Problembereich psychischer Beeinträchtigungen müsse sich der Sachverständige auf die Äußerungen der Klägerin verlassen. Die von der Klägerin geschilderte Situation sei erst nach der Kündigung eingetreten, denn zuvor seien derartige Symptome nicht erkennbar gewesen. Es frage sich auch, ob es dem Versorgungsamt überhaupt möglich sei, durch einen Vergleich die Voraussetzungen für den Feststellungsbescheid zu schaffen. Was den Zeitpunkt der Feststellung betrifft, sein ein Tag im Monat März 1997 nicht angegeben, so dass nicht festgestellt werden könne, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges bereits vorgelegen hätte. Schließlich sei es als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn die Klägerin kurz vor Kündigungszugang einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte gestellt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Restitutionsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.
Die Parteien haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Das Gericht hat daraufhin am 17. März 2000 beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und Verkündungstermin bestimmt.
Die Restitutionsklage ist zulässig. Das Berufungsgericht ist nach § 584
Abs. 1
ZPO zuständig, da es die Berufung der Klägerin durch Sachentscheidung durch das angegriffene Urteil zurückgewiesen hat. Hierüber kann -- da die Parteien dem zugestimmt haben -- gemäß §§ 64
Abs. 6 und 7
ArbGG, 523, 128
Abs. 2
ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Restitutionsklage ist an sich statthaft, da sie sich gegen das rechtskräftige Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 5. Mai 1999 richtet, durch das die Restitutionsklägerin beschwert ist, § 578
Abs. 1
ZPO.
Der Zulässigkeit der Restitutionsklage steht auch § 582
ZPO nicht entgegen. Die Klägerin hat den Rechtsweg bis zur Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschöpft und den Umstand, dass sie den Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte gestellt hatte, im früheren Verfahren geltend gemacht. Ihre Anerkennung erfolgt erst nach Rechtskraft des angegriffenen Urteils.
Die Klageschrift wahrt die wesentlichen Erfordernisse des § 587
ZPO, insbesondere hat sie einen Restitutionsgrund dargelegt.
Die Klagefrist des § 586
Abs. 1
ZPO ist gewahrt. Der Vergleich vor dem Sozialgericht Gießen wurde am 3. Febr. 2000 geschlossen, was die Klägerin durch Vorlage einer Ablichtung des Protokolls glaubhaft gemacht hat (§ 589
Abs. 2
ZPO). Die Ausführungsbenachrichtigung datiert vom 24. Febr. 2000, der Schwerbehindertenausweis vom 25. Febr. 2000. Die Frist beginnt erst mit der Feststellung des Versorgungsamtes (
BAG Urteil vom 15. Aug. 1984 -- 7 AZR 558/82 -- EzA § 580
ZPO Nr. 2). Die Klage wurde am 29. Febr. 2000 eingereicht.
Die Restitutionsklage ist begründet. Ein Restitutionsgrund liegt vor, § 580
Nr. 6
ZPO. Der Bescheid des Versorgungsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids, auf den das landesarbeitsgerichtliche Urteil sich stützte, wurde aufgehoben. Nach § 580
Nr. 6
ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn ein Gerichtsurteil, auf welches das Urteil gegründet ist, aufgehoben wird. Den in § 580
Nr. 6 genannten Urteilen sind Verwaltungsakte gleichzustellen, wenn sie ihrer Bedeutung nach einem Urteil gleichkommen (
vgl. BAG Urt. vom 26. Sept. 1991 -- 2 AZR 132/91 -- EzA § 1
KSchG Personenbedingte Kündigung
Nr. 10;
BAG Urteil vom 15. Aug. 1984 -- 7 AZR 558/82 -- EzA § 580
ZPO Nr. 2; Baumbach/Lauterbach/Hartmann,
ZPO, § 580 Rz. 9,10; Zöller-Schneider,
ZPO, § 580 Rz. 13). Dies ist der Fall. Wegen der Tatbestandswirkung der Bescheide berücksichtigte das Landesarbeitsgericht den von der Klägerin gestellten Anerkennungsantrag bei seiner Entscheidung nicht und lehnte auch die von der Klägerin beantragte Aussetzung des Verfahrens ab. Dass die Abänderung der Bescheide und die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft auf einem Vergleich mit dem Versorgungsamt beruhen, ändert nichts an der Eignung dieses Umstandes als Restitutionsgrund. Sie wurden als Ergebnis des sozialgerichtlichen Verfahrens nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgeändert. Nach § 101
SGG können die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch zu erledigen, einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Das Hessische Landesamt für Versorgung und Soziales durfte einen Vergleich mit dem genannten Inhalt schließen, auf Grund dessen das Versorgungsamt Gießen den Bescheid vom 24. Febr. 2000 erließ und den Schwerbehindertenausweis erteilte. Nach § 4
Abs. 1
SchwbG stellt das Versorgungsamt auf Antrag des Behinderten das Vorliegen einer Behinderung und deren Grad fest und stellt nach § 4
Abs. 5
SchwbG den Ausweis aus. Die Feststellung der Behinderung "ab 03/1997" bedeutet ab 1. März 1997. Dies entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Der Eintritt eines Zustandes ab März 1997 bedeutet, wenn kein Datum genannt wird, ab Beginn dieses Monats. Für einen Beginn erst im Laufe des Monats müsste ein bestimmtes Datum genannt werden. Für eine Feststellung der Behinderung erst ab dem 11. März 1997 ergeben sich aus dem Vergleich, Bescheid oder Ausweis keine Anhaltspunkte.
Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen §§ 21, 15
SchwbG rückwirkend unwirksam (
vgl. BAG Urteil vom 5. Juli 1990 -- 2 AZR 8/90 -- EzA § 15
SchwbG 1986 Nr 3). Dem Antrag der Klägerin auf Feststellung der Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50 wurde rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung stattgegeben.
Die Klägerin hat sich gegenüber der Beklagten rechtzeitig binnen Monatsfrist (
vgl. BAG Urteil vom 14. Mai 1982 -- 7 AZR 1221/79 -- EzA § 18
SchwbG Nr. 5) auf ihren am 6. März 1997 und damit vor Zugang der Kündigung vom 10. März 1997 bei beim Versorgungsamt gestellten Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte berufen. Dies geschah in der der Beklagten am 1. April 1997 zugestellten Klageschrift. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin können dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die unterlegene Beklagte nach § 91
Abs.1
ZPO zu tragen.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung, § 72
Abs. 2
ArbGG.