Urteil
Noch nicht erfolgte Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft - Geltung des besonderen Kündigungsschutzes schwerbehinderter Beschäftigter

Gericht:

ArbG Düsseldorf 10. Kammer


Aktenzeichen:

10 Ca 610/05


Urteil vom:

11.02.2005


Grundlage:

Nicht-amtlicher Leitsatz:

Die in § 90 Abs. 2a SGB IX geregelte Ausnahme vom Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen gilt nicht in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung des Arbeitgebers ein Verfahren auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft beim Versorgungsamt läuft, das später rückwirkend zur Anerkennung der Schwerbehinderung führt, selbst wenn im Zeitpunkt der Kündigung durch den Arbeitgeber die Fristen des § 69 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 14 SGB IX für die Entscheidung des Versorgungsamts noch nicht abgelaufen waren. In diesen Fällen bedarf die Kündigung des Arbeitgebers vielmehr der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Behindertenrecht 07/2005

Aus den Gründen:

Die Parteien streiten sich im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen krankheitsbedingten Kündigung.

Die Klägerin ist seit dem 22.2.1999 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 18.2.1999 gegen ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von Euro 1000,00 bei der Beklagten als Kassiererin in Teilzeit tätig. Die Beklagte, die elf Mitarbeiter beschäftigt, betreibt ein Reformhaus. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel Anwendung.

Die Klägerin ist seit Juni 2004 arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Schreiben vom 16.11.2004 fragte die Beklagte bei der Klägerin an, wann mit ihrer Genesung und ihrem Arbeitseinsatz zu rechnen sei. Unmittelbar nach Erhalt des Schreibens teilte die Klägerin der Beklagten unter Mitteilung der Art ihrer Erkrankung telefonisch mit, dass für den 26.11.2004 eine Operation anstünde. Nach der Operation sollte eine Reha durchgeführt werden. Die Klägerin gab an, dass aller Voraussicht nach ein Einsatz ab dem 31.7.2005 möglich sei.

Mit einem am 12.1.2005 beim Versorgungsamt D. eingegangenen Schreiben beantragt die Klägerin ihre Anerkennung als Schwerbehinderter. Der Eingang des Antrags wurde gegenüber der Klägerin mit Schreiben des Versorgungsamtes D. vom 18.1.2005 bestätigt. In diesem Schreiben bittet das Versorgungsamt D. die Klägerin um Verständnis für den Fall, dass ihr Antrag nicht sofort erledigt werden kann, weil verschiedene angeschriebene Stellen eventuell nicht ohne Verzögerung die Anfragen des Versorgungsamtes bearbeiten.

Mit Schreiben vom 13.1.2005 der Klägerin am 15.1.2005 zugegangen, sprach die Beklagte die streitgegenständliche fristgemäße Kündigung zum 30.4.2005 aus.

Nach Ausspruch der Kündigung kam es zu einem Telefonat zwischen den Parteien, dessen genauer Inhalt zwischen den Parteien streitig ist.

Nach Eingang der Klage am 27.1.2005, mit der sich die Klägerin gegen die arbeitgeberseitige Kündigung zur Wehr setzt, hat das Versorgungsamt am 24.2.2005 entschieden, dass bei der Klägerin eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 80 Prozent ab dem 12.1.2005 vorliegt. Darüber hinaus ist der Klägerin bescheinigt worden, dass bereits für den Zeitraum vom 1.6.2004 bis zum 11.1.2005 ein Grad der Behinderung von 80 Prozent vorgelegen hat. Diesbezüglich wird auf den von der Klägerin in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Schwerbehindertenausweis vom 24.2.2005 verwiesen.

Ebenfalls nach Klageeingang hat das Integrationsamt mit Entscheidung vom 10.2.2005 einen Antrag der Beklagten vom 1.2.2005 auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin zurückgewiesen, da nach Auffassung des Integrationsamtes mangels Entscheidung des Versorgungsamtes zu diesem Zeitpunkt noch kein Sonderkündigungsschutz der Klägerin bestand. Wegen der näheren Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidung verwiesen.

In einer ärztlichen Bescheinigung datierend vom 15.2.2005 bestätigt die behandelnde Ärztin, dass einer Wiedereingliederung der Klägerin ins Berufsleben nach Beendigung der derzeitigen Therapie nichts im Wege steht.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Kündigung sei bereits mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Die Feststellung des Versorgungsamtes vom 24.2.2005 wirke auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück. Hieran ändere auch die neue Gesetzeslage und § 90 Abs. 2a SGB IX nichts.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin könne sich auf den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen gemäß §§ 85 ff. SGB IX nicht berufen. Nach neuem Recht käme ein Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes erst dann in Betracht, wenn die Klägerin den Antrag auf Anerkennung ihrer Schwerbehinderung mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt hätte. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.


I.

Dem Kündigungsschutzantrag zu 1. war stattzugeben. Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 13.1.2005 hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen § 85 SGB IX gemäß § 134 BGB sowie mangels sozialer Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Eine vorherige Zustimmung des für das Arbeitsverhältnis der Parteien zuständigen Integrationsamtes liegt nicht vor.

Die Klägerin genoss im Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 15.1.2005 bereits den besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch im Sinne der §§ 85 ff. SGB IX. Die Klägerin ist durch Feststellung des Versorgungsamtes vom 24.2. 2005 beginnend ab dem 12.1.2005, dem Tag des Antragseingangs, als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt worden. Sowohl die Anerkennung als auch die Feststellung des Grades der Behinderung haben dabei nur deklaratoriche Bedeutung. Für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX reicht es daher, wenn der Arbeitnehmer bei Kündigungszusage den Anerkennungsantrag bereits gestellt hatte und seine Schwerbehinderung zu diesem Zeitpunkt bereits objektiv vorlag. (vgl. BAG, 7.3.2002, 2 AZR 612/00, NZA 2002, 1145 ff.; BAG, 16.8.1991, 2 AZR 241/90, AP Nr.2 zu § 15 SchwbG 1986).

Der Bescheid des Integrationsamtes vom 10.2.2005 hat für die Frage der Wirksamkeit der am 15.1.2005 zugegangenen Kündigung keine Auswirkungen. Zwar äußert das Integrationsamt hierin die Rechtsauffassung, die Klägerin genieße in Ermangelung einer Entscheidung des Versorgungsamtes keinen besonderen Kündigungsschutz. Als sogenanntes Negativattest (vgl. hierzu KR-Ezel, 7. Auflage 2004, §§ 85 - 90 SGB IX RdNr. 25) könnte der Bescheid des Integrationsamtes jedoch allenfalls dann Wirkung entfalten, wenn dieses Negativattest der Beklagten vor Zugang der Kündigung zugegangen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

Der Klägerin ist der besondere Kündigungsschutz auch nicht gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX n.F. zu versagen. Nach § 90 Abs. 2a SGB IX finden die §§ 85 ff. SGB IX und damit das Erfordernis der vorherigen Zustimmung bei Kündigungen keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewisen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs.1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.

Obwohl die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung wenig eindeutig ist und insbesondere auch wegen der doppelten Verneinung als wenig geglückt bezeichnet werden muss, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts mit Blick auf die Gesetzesbegründung, dass dem schwerbehinderten Menschen nach der Gesetzesnovellierung - positiv formuliert - der Schutz dann zukommen soll, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderung nachgewiesen ist oder der Arbeitnehmer bei einem laufenden Antragsverfahren den Abschluss des Verfahrens jedenfalls nicht durch fehlende Mitwirkung behindert. Die Gesetzesbegründung hierzu lautet wie folgt (BT-Drs. 15/2357, Seite 24):

"Die Ergänzung stellt sicher, dass der Arbeitgeber zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist, sodass es eines durch ein Feststellungsverfahren zu führenden Nachweises nicht bedarf oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 erbracht ist; diesem Bescheid stehen Feststellungen nach § 69 Abs. 2 gleich. Der Kündigungsschutz gilt daneben nur in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zwar anhängig ist, das Versorgungsamt aber ohne Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellung treffen konnte.

Die Regelung schließt damit aus, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Im Übrigen wird mit der Neufassung grundsätzlich einem Anliegen aus der Sachverständigenanhörung und des Bundesrates Rechnung getragen."

Ein Nachweis der Schwerbehinderung der Klägerin in Form eines Feststellungsbescheides lag im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 15.1.2005 nicht vor, sodass der Streit darüber, wie der Nachweis zu führen ist (vgl. etwa ArbG Kassel, 19.11. 2004, 3 Ca 323/04, zitiert nach Juris; Griebeling NZA 2005, 494/496; Bauer/Powietzka NZA-RR 2004, 505/507), hier dahinstehen kann.

Nach Auffassung der Kammer ist der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht auf Grund der zweiten Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX der Kündigungsschutz zu versagen. Die Kammer sieht dabei das Ablaufen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX bzw. des § 14 Abs. 2 Satz 2 und 4, Abs. 5 Satz 2 und 5 SGB IX bei Zugang der Kündigung nicht als aufschiebende Bedingung für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes an (so etwa Grimm/Brock, DB 2005, 282/283; Griebeling, NZA 2005, 494/498). Die zitierten Literaturstimmen verweisen darauf, dass der Antragsteller auch dann eine verzögerte Entscheidung des Versorgungsamtes zu vertreten hat, wenn er die Feststellung der Schwerbehinderung durch verspätete Einleitung des Anerkennungsverfahrens verzögert. Schließlich könnte der Arbeitnehmer eine Entscheidung des Versorgungsamtes erst nach Ablauf der Fristen nach § 14 SGB IX erwarten. Diese Argumentation ist nach Auffassung der Kammer jedoch aus folgenden Gründen nicht stichhaltig:

Zunächst ist aus Sicht der Kammer entscheidend, dass der Gesetzeswortlaut des § 90 Abs. 2a SGB IX n.F. ein Ablaufen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX als positive Voraussetzung für das Entstehen von Sonderkündigungsschutz nicht vorsieht. Die Argumentation mit einem Gegenschluss aus der negativen Formulierung des § 90 Abs. 2a SGB IX wäre zudem auch allenfalls dann zulässig, wenn diese Norm zwingend den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung des Sonderkündigungsschutzes in einem laufenden Anerkennungsverfahren vorsähe. Dies ist nach dem Wortlaut der Norm und der Gesetzesbegründung jedoch nicht eindeutig der Fall.
Der "Zeitpunkt der Kündigung" kann nach dem Wortlaut der Novellierung sowohl ausschließlich der ersten Alternative ( Nachweis) zugeordnet werden als auch für beide Alternativen maßgeblich sein. Nach einem Blick auf die Gesetzesbegründung und das Motiv des Gesetzgebers ergibt sich jedoch, dass der "Kündigungshorizont" lediglich für die erste Alternative ausschlaggebend sein kann. Denn durch die Neuerung sollte - entgegen einer Bundesratsinitiative (vgl. Cramer, NZA 2004, 698/ 704) - der besondere Kündigungsschutz nach wie vor auch in solchen Fällen greifen können, in denen zum Zeitpunkt der Kündigung trotz laufenden Anerkennungsverfahren eben noch nicht geklärt ist, ob eine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch vorliegt. In diesen Fällen sollte weiterhin der besonderer Kündigungsschutz - mit Rückwirkung - greifen können. Bei laufenden Anerkennungsverfahren nimmt es die Novellierung nach dem Willen des Gesetzgebers nach wie vor hin, dass es im Zeitpunkt der Kündigung keine Rechtssicherheit in bezug auf das eingreifen des Sonderkündigungsschutzes und das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung gibt. Bei laufenden Verfahren vor dem Versorgungsamt ist daher der Kündigungshorizont als Maßstab für die Beurteilung nicht geeignet. Aus diesem Grund ist es auch nicht zwingend, im Zeitpunkt der Kündigung durch den Ablauf etwaiger Fristen bereits Sicherheit über die Frage des Eingreifens von Sonderkündigungsschutz zu haben.

Die zweite Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX ist nach Auffassung der Kammer vielmehr dahingehend zu verstehen, dass dem Arbeitnehmer ein rückwirkender Sonderkündigungsschutz dann zu verwehren ist, wenn durch eine von ihm zu vertretende Verzögerung das Versorgungsamt - auch nach Zugang der Kündigung - nicht innerhalb der Fristen des § 69 SGB IX i.V.m. § 14 SGB IX entscheiden kann. Dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang die Worte "nicht treffen konnte" wählt und dabei in der Vergangenheit spricht, ist nach dem zuvor Gesagten nicht etwa dahingehend zu interpretieren, dass es doch auf den Kündigungshorizont bei der Frage des Fristablaufs ankommt:

Vielmehr ist eine solche Formulierung nach Auffassung der Kammer dem Umstand geschuldet, dass stets - und sei es in einem nachfolgenden arbeitsgerichtlichen Verfahren - erst in einer Rückschau und nach Ablauf der Fristen beurteilt werden kann, ob diese Fristen trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers oder wegen fehlender Mitwirkung nicht eingehalten werden konnten.

Neben dem Wortlaut des Gesetzes ist auch der Gesetzesbegründung kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass ein laufendes Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nur dann den besonderen Kündigungsschutz auslöst, wenn der Antragsteller mindestens drei Wochen bzw. sieben Wochen (vgl. § 14 SGB IX) vor Zugang der Kündigung seinen Antrag auf Feststellung gestellt hat. Vielmehr wird aus der Gesetzesbegründung nur das Bestreben des Gesetzgebers klar, zukünftig Missbrauchsfälle zu vermeiden und etwa dem Arbeitnehmer die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz zu versagen, der - zum Beispiel auf Anraten des Betriebsrats - noch kurz vor Zusage der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch stellt und sodann nach Zugang der Kündigung das Verfahren durch verzögerte Mitwirkung über Monate und Jahre verschleppt. Dem Bestreben, solche Missbrauchsfälle zu vermeiden, ist aus Sicht der Kammer aber auch dann Genüge getan, wenn dem Arbeitnehmer, der das Anerkennungsverfahren nur zögerlich betreibt und die erforderliche Mitwirkung nicht erbringt, der besondere Kündigungsschutz versagt ist, wenn das Versorgungsamt nicht innerhalb der Fristen der §§ 69, 14 SGB IX eine Entscheidung fällen konnte. Ob diese verzögerte Entscheidung bzw. der Ablauf der Fristen nun vor oder nach Zugang der Kündigung erfolgt, macht keinen Unterschied. Im Umkehrschluss kann dem Arbeitnehmer, der das Verfahren zügig und ordnungsgemäß betreibt, der besondere Kündigungsschutz dann nicht versagt sein, wenn die Behörde aus nicht vom Antragsteller zu vertretenden Gründen innerhalb der Fristen des SGB IX ihre Enstcheidung nicht fällen kann. Ob die Frist hierbei vor Zugang der Kündigung abläuft oder nach Zugang, kann nach Auffassung der Kammer keinen Unterschied machen. In beiden Fällen gibt es für den Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine Rechtssicherheit.

Im Gegenteil würde eine aufschiebende Bedingung in Form des Fristablaufs bei Kündigungszugang zu nicht praktikablen und nur schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führen:

Der Arbeitnehmer, dessen Antrag ohne Einholung eines weiteren Gutachtens bearbeitet werden kann, erhielte den Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX bereits nach Ablauf von drei Wochen nach Antragstellung (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 2 SGB IX in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Der Arbeitnehmer, bei dem die Einholung eines Gutachtens erforderlich ist (vgl. § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX in Verbindung mit § 14 Abs. 5 Satz 2 und 5, Abs. 2 Satz 4 SGB IX), müsste seinen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch bereits sieben Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben, um in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes zu gelangen. Letzterem Arbeitnehmer, der auf die Frage der Erforderlichkeit eines Gutachtens keinen Einfluss hat, wird man schwerlich begreiflich machen können, dass er im Gegensatz zum im ersten Fall genannten Arbeitnehmer nach Ablauf von drei Wochen noch keinen besonderen Kündigungsschutz genießt. Die Frage der Erforderlichkeit eines Gutachtens würde so darüber entscheiden, ob ein objektiv schwerbehinderter Mensch dem besonderen Schutz des Schwerbehindertenrechts unterfällt oder nicht. Dies kann so vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.

Referenznummer:

R/R2181


Informationsstand: 13.04.2006