Urteil
Sonderkündigungsschutz nach § 90 - Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft vor der Kündigung

Gericht:

ArbG Ulm 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 Ca 517/04


Urteil vom:

07.04.2005


1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2004, zugegangen am 29.09. 2004, nicht aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu arbeitsvertragsgemäßen Bedingungen als Sachbearbeiter in der Logistik weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EURO 552,65 brutto nebst 5 % - Punkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von EURO 75, 35 ab 30.10.2004 sowie aus einem Betrag von jeweils EURO 159, 10 brutto ab 30.10.2004, 30.12.2004 und 30. 01.2005 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EURO 351,51 brutto nebst 5 % - Punkten über dem Basiszinssatz seit 15.12. 2004 zu bezahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

7. Der Streitwert wird auf EURO 10.819,51 festgesetzt.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tatbestand:

Die Beklagte betreibt ein Speditionsunternehmen mit regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmern. Der Kläger ist seit 01.04.1965 zunächst bei der N. beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis wurde im Mai 2000 auf die N. L. GmbH & Co. KG überführt. Bei der Beklagten ist kein Betriebsrat installiert. Am 12.05.2000 wurde zwischen der N. und dem dort bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, wonach: "Die Mitarbeiter, die aus dem Mutterbetrieb in die N. L. GmbH & Co. übernommen werden, . . . sämtliche Rechte, die sie durch ihre Betriebszugehörigkeit bei der N. erworben haben (behalten)". Auf das Arbeitsverhältnis finden nach dem undatierten Anstellungsvertrag des Klägers die Tarifverträge für die Angestellten des Speditions- und Verkehrsgewerbes in Baden-Württemberg in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. In § 20 des Manteltarifvertrages ist eine 2-stufige Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen enthalten. Der Kläger ist eingruppiert in die Vergütungsgruppe K 4/7, das monatliche Bruttoeinkommen beträgt danach EURO 3.122,00. Die Beklagte bezahlte dem Kläger monatlich jedoch lediglich EURO 3.031,58. Der Kläger, der am 10.12.1950 geboren ist, ist seiner Ehefrau und vier Kindern unterhaltspflichtig.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.09.2004, dem Kläger zugegangen am 29.09.2004, zum 30.04.2005 gekündigt. Der Kläger hat hiergegen mit Schriftsatz vom 18.10.2004, beim Arbeitsgericht Ulm eingegangen am 19.10.2004 Kündigungsschutzklage erhoben. Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 11.02.2005 um Weiterbeschäftigungs- und Vergütungsansprüche erweitert.

Beim Kläger traten erstmals im Jahr 2000 krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Mit Bescheid des Versorgungsamts Ulm vom 18.08. 2003 wurde der Kläger als zu 40 % schwerbehindert anerkannt. Der Kläger teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 25.08. 2003 mit. Am 27.07.2004 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Ulm die Erhöhung des festgestellten Grades der Behinderung. Im Widerspruchsverfahren wurde mit Bescheid des Versorgungsamts Ulm vom 08.11.2004 rückwirkend auf den 27.04. 2004 ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt. In der Klage vom 18.10.2004 hatte der Kläger darauf hingewiesen, dass ein Antrag beim Versorgungsamt auf Zuerkennung als Schwerbehinderter gestellt ist und die Zubilligung eines Grades der Behinderung von 40 % bereits vorlag. Die Zustimmung des Integrationsamtes wurde vor Ausspruch der Kündigung am 28.09.2004 von der Beklagten nicht eingeholt. Mit Schreiben vom 22.07.2004 lies der Kläger den Differenzbetrag zu dem ihm von der Beklagten tatsächlich bezahlten Gehalt zu dem tariflichen Gehalt in Höhe von EURO 90,42 sowie bereits vorab Ansprüche auf tarifliche Lohnerhöhung von 2,2 % ab Oktober 2004 geltend machen. Die Beklagte wies die Ansprüche mit Schreiben vom 02.08. 2004 unter Hinweis auf Fehlzeiten des Klägers zurück.


Der Kläger ist der Auffassung,

dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, weil der die Kündigung unterzeichnende Prokurist der Beklagten zur Kündigung nicht berechtigt sei und beruft sich hierzu auf die Betriebsvereinbarung vom 12.05.2000. Der Kläger rügt weiterhin, dass vor Ausspruch der Kündigung der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei. Der Betriebsrat seiner früheren Arbeitgeberin habe nach der Betriebsvereinbarung vom 12.05.2000 vor Ausspruch durch die Beklagte angehört werden müssen. Im Übrigen beruft sich der Kläger auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 Abs.1 SGB IX und bestreitet die soziale Rechtfertigung der Kündigung.

Der Kläger trägt weiterhin vor, er sei im Jahr 2000 10 Tage an Bronchitis sowie 26 Tage an einem Gehörsturz erkrankt. Im Jahr 2001 sei er 49 Tage an den Folgen eines Unfalls erkrankt. Er habe sich hierbei an der Schultergelenkkapsel sowie mehrere Frakturen und eine Schädelverletzung zugezogen. Im Jahr 2000 sei er lediglich an 5 Tagen wegen Bronchitis erkrankt gewesen. Im Jahr 2003 sei er 5 Tage an Bronchitis, 16 Tage wegen Magen-Darmgrippe, 2 Tage wegen Brechdurchfall und 128 Tage wegen eines rezidivierenden lumbalen Pseudoradikulärsyndroms bei degenerativer LWS-Veränderung und erheblichen muskulären Dystalancen sowie einer funktionellen Bewegungseinschränkung rechts und einer Cervikobrachialgie und chronischem Lumbago erkrankt. Daneben habe eine endoreaktive Depression bei ihm bestanden. Insgesamt sei im Jahr 2003 Entgeltfortzahlung für 53 Tage angefallen. Im Jahr 2004 sei er an 110 Tagen, vom 01.01.-07.05., vom 23.06.-28.07. und wieder vom 02.08.-05.10.2004, wegen der zuletzt genannten Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen. Entgeltfortzahlung sei im Jahr 2004 für die Beklagte überhaupt nicht entstanden. Bei den Erkrankungen handele es sich um abgeschlossene Ereignisse. Mit entsprechenden Fehlzeiten und daraus resultierenden Entgeltfortzahlungskosten sei deswegen zukünftig nicht mehr zu rechnen.


Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.09.2004 zugegangen am 29.09.2004 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu vertragsgemäßen Bedingungen als Sachbearbeiter in der Logistik weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 609,88 Euro brutto zu bezahlen zuzüglich Zinsen über dem Basiszinssatz ab 30.10.2004 aus einem Betrag in Höhe von 132,58 Euro, ab 30.11.2004 aus einem Betrag von 159,10 Euro, ab 30. 12.2004 aus einem Betrag von 159,10 Euro, ab 30.01. 2005 aus einem Betrag von 159,10 Euro.

4. Den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 843,63 Euro zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 15.12.2004 an den Kläger zu bezahlen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung,

dass vor Ausspruch der Kündigung der Betriebsrat nicht anzuhören gewesen sei. Bei der Beklagten sei ein Betriebsrat nicht eingerichtet. Die Betriebsvereinbarung vom 12.05.2000 bezwecke, die aus der Betriebszugehörigkeit des Klägers regelmäßig herrührenden Rechte wie längere Kündigungsfrist, soziale Schutzwürdigkeit und ähnliches für den Kläger zu bewahren, nicht jedoch ein Beteiligungsrecht des Betriebsrates zu begründen. Der die Kündigung unterzeichnende Prokurist sei als solcher berechtigt gewesen, die Kündigung auszusprechen. Die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes sei wegen § 90 Abs. 2 a SGB IX nicht erforderlich gewesen.

Im Übrigen trägt die Beklagte vor, dass der Kläger 2000 insgesamt an 36 Arbeitstagen Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 5.988,00 Euro, im Jahr 2001 an 52 Arbeitstagen Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 4.780,00 Euro, im Jahr 2002 an 5 Arbeitstagen Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 785,00 Euro sowie im Jahr 2003 an 176 Arbeittagen Entgeltfortzahlungskosten für 65 Tage in Höhe von 8.935,00 Euro verursacht habe. Im Jahr 2004 sei der Kläger 159 Arbeitstage allerdings ohne Entgeltfortzahlung erkrankt gewesen. Auf Grund dieser Krankheitszeiten sei auch in Zukunft mit entsprechenden Fehlzeiten und damit verbundenen Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen. Im Übrigen sei der Kläger dauerhaft außer Stande, die in seiner Position auf ihn zukommenden Stresssituationen zu bewältigen. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.
Die Klage ist zulässig. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a + b ArbGG, die örtliche Zuständigkeit aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 17, 29 Abs. 1 ZPO.

II.
Die Klage ist teilweise begründet.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2004 hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht zum 30.04.2004 aufgelöst.

a) Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht an der mangelnden Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG. Bei der Beklagten besteht kein Betriebsrat. Aus der Vereinbarung vom 12.05.200? zwischen der früheren Arbeitgeberin des Klägers und des dortigen Betriebsrates ergibt sich eine Pflicht zur Beteiligung durch die Beklagte nicht. Die Berechtigung des Prokuristen zum Ausspruch der Kündigung ergibt sich unmittelbar aus der Prokura, § 49 Abs.1 HGB.

b) Die Kündigung ist nach § 85 Abs.1 SGB IX unwirksam, weil die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung nicht die erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hat. Dieser Kündigungsschutz wird nicht ausgeschlossen durch § 90 Abs. 2 a SGB IX. Danach ist der Kündigungsschutz § 85 SGB IX ausgeschlossen, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung (des schwerbehinderten Menschen) nicht treffen konnte.

Die Regelung geht auf eine Initiative des Bundesrates zurück, wonach der Kündigungsschutz nach der bisherigen Rechtsprechung zugunsten der Rechtsklarheit des Arbeitgebers eingeschränkt werden sollte (Cramer, NZA 2004, 704). Nach der bisherigen Rechtslage war für den Kündigungsschutz ausreichend, wenn der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zumindest einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt hatte, dies dem Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach Ausspruch der Kündigung mitgeteilt hatte und dann rückwirkend auf den Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft für den behinderten Menschen positiv beschieden wurde. Dies galt auch im Falle der positiven Entscheidung erst im Widerspruchsverfahren (BAG 30.06.1983, 2 AZR 10/82).

Der Regelungsgehalt des § 90 Abs. 2 a SGB IX ist in der Literatur streitig. Teilweise wird vertreten, dass sich der Wortlaut des § 90 Abs. 2 a, zweiter Halbsatz SGB IX nur auf Erstverfahren beim Versorgungsamt bis zu deren Abschluss beziehe. In allen anderen Fällen, also auch bei Widerspruch und Klage gegen Erstentscheidungen des Versorgungsamtes, komme der Grundsatz des § 90 Abs. 2 a, erster Halbsatz SGB IX zur Anwendung, wonach kein Kündigungsschutz mangels Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft bestehe (Westers, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, www.lwl.org; Dr. Detlef Grimm/Dr. Martin Brock, DB 2005, 282,284).

Die Gesetzesmaterialien (Bundestagsdrucksache 15/2357) nennen zur Begründung des § 90 Abs. 2 a SGB IX lediglich, dass die Regelung ausschließen solle, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gelte, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben werde. Der Kündigungsschutz gelte . . . in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zwar anhängig ist, das Versorgungsamt aber ohne ein Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellung treffen konnte. Das Vorverfahren gem. § 78 ff. SGG nach Widerspruch ist wesentlicher Teil des Verwaltungsverfahrens als Teil einer Selbstkontrolle der Verwaltung. Nach § 90 Abs. 2 a, zweiter Halbsatz SGB IX ist der Kündigungsschutz ausgeschlossen, wenn das Versorgungsamt eine entsprechende Feststellung nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wegen fehlender Mitwirkung des schwerbehinderten Menschen nicht treffen konnte. Aus dem Umkehrschluss ergibt sich, dass der Arbeitnehmer dann Kündigungsschutz genießen soll, wenn eine entsprechende Entscheidung des Versorgungsamtes nicht getroffen werden konnte, obwohl er seinerseits alles hierfür erforderliche getan hat. Diese Auslegung der Norm entspricht dem in dem Gesetzgebungsverfahren genannten Grund für die Einschränkung des Kündigungsschutzes, dem Ausschluss des Kündigungsschutzes für aussichtslose Anerkennungsverfahren ( Erfurter Kommentar, Rolfs § 90 Rn. 4 a). Dabei kann es nach Auffassung des Arbeitsgerichts keinen Unterschied für den Bestand des Kündigungsschutzes des Klägers machen, ob das Versorgungsamt innerhalb der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX überhaupt keine oder eine falsche Entscheidung getroffen hat, die dann im Wege des Widerspruchsverfahrens von derselben Behörde revidiert wird. Der Kündigungsschutz des § 85 SGB IX besteht deswegen auch in den Fällen, in denen das Integrationsamt den Antrag zwar zunächst abgelehnt, dem Widerspruch des Arbeitnehmers jedoch im Ergebnis stattgegeben hat ( Erfurter Kommentar, Rolfs § 85 SGB IV, Rn. 5). Der Kläger hat am 27.07.2004 die Feststellung eines Grads der Behinderung von wenigstens 50 % beantragt. Auf seinen Widerspruch hin hat das Versorgungsamt Ulm mit Bescheid vom 08.11.2004 rückwirkend auf das Datum der Antragstellung, den 27.07.2004, die Anerkennung als 50 % Schwerbehinderter festgestellt. Der Kläger hatte die Antragstellung in der Klage vom 18.10.2004, also innerhalb eines Monats nach Ausspruch der Kündigung, der Beklagten mitgeteilt und die Anerkennung als Schwerbehinderter mit Schriftsatz vom 12.11.2004. Dass die nachträgliche Feststellung des Grads der Behinderung von 50 % durch das Versorgungsamt am 08.11.2004 auf einer mangelnden Mitwirkung des Klägers beruht, hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht behauptet.

Die Kündigung vom 28.09.2004 ist deswegen nach § 85 SGB IX mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam.

c) Unabhängig hiervon ist auch zweifelhaft, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG ist. Die Beklagte hat im Verfahren nicht behauptet, dass der Kläger dauerhaft arbeitsunfähig sein würde. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass der Kläger dauerhaft außer Stande sei, die in seiner Position zwangsläufig auftretenden Stresssituationen zu bewältigen, ist der Vortrag der Beklagten unschlüssig. Die Beklagte hat nicht dargelegt, welche Tätigkeiten der Kläger im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zu erbringen hat und woraus sich welche Anforderungen an den Kläger ergeben, die von diesem nicht mehr erbracht werden können. Allein der Hinweis auf frühere Fehlzeiten ist hierfür nicht ausreichend. Ob die Beklagte die Kündigung mit häufigen Kurzerkrankungen des Klägers und der hieraus resultierenden Befürchtung der Beeinträchtigung betrieblicher Belange durch zukünftig auftretende Entgeltfortzahlungskosten begründen kann, ist zweifelhaft im Hinblick auf die vom Kläger vorgetragenen Krankheitsursachen, dies kann jedoch letztlich dahinstehen.

2. Der vom Kläger geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch ist begründet. Nach Beschluss des großen Senats BAG v. 27. 02.1985 hängt der Anspruch auf Weiterbeschäftigung über das Kündigungsdatum hinaus von der Wertung der Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers und der Interessen des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung ab. Bis zu einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden erstinstanzlichen Urteil begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses regelmäßig ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers. Nach dem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil ist diese Ungewissheit allein nicht mehr geeignet ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen. Die Beklagte hat im Verfahren keine weitergehenden Gründe für die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers geltend gemacht. Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist danach begründet.

3. Der Kläger hat einen Betrag von 609,98 Euro brutto als Differenz zwischen der tatsächlich von der Beklagten gewährten Vergütung von 3.031,58 Euro zu der vertragsgemäßen Vergütung von 3.122,00 Euro sowie der ab Oktober 2004 hierauf zu gewährenden Erhöhung des Tarifentgelts um 2,2 % für die Monate Oktober 2004 bis Januar 2005 geltend gemacht. Nach dem Arbeitsvertrag des Klägers finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die Angestellten des Speditions- und Verkehrsgewerbes in Baden-Württemberg in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Das dem Kläger danach zustehende Grundgehalt in der Eingruppierung K 4/7 beträgt 3.122,00 Euro. Dieses Grundgehalt erfuhr ab Oktober 2004 eine 2,2 %ige Erhöhung. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach § 20 des Tarifvertrages für die Betriebe des Speditions-, Lagerei- und Logistikgewerbes für Baden-Württemberg sind alle Ansprüche innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich zu erheben und nach Ablehnung innerhalb von drei Monaten nach Ablehnung gerichtlich geltend zu machen, andernfalls erlöschen die Ansprüche. Der Kläger hat mit der Klage vom 18.10.2004 Ansprüche auf ein monatliches Grundgehalt von 3.122,00 Euro geltend gemacht. Eine Ablehnung durch die Beklagte ist nicht erfolgt. Mit Klage vom 11.02.2005 hat der Kläger darüber hinausgehend diese Ansprüche und die Ansprüche, die sich aus der Erhöhung dieses Grundgehaltes ab Oktober 2004 um 2,2% ergeben, betragsmäßig eingeklagt. Für Oktober kann der Kläger deswegen lediglich die Differenz zwischen dem von der Beklagten tatsächlich bezahlten Gehalt und dem Grundgehalt von 3.122,00 Euro mit Erfolg geltend machen. Dies macht unter Berücksichtigung der sechstägigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers ohne Entgeltfortzahlung für den Oktober 2004 einen Betrag von 75, 35 Euro. Für die Monate November, Dezember und Januar kann der Kläger zusätzlich die sich aus der 2,2 %igen Tariferhöhung ab Oktober ergebenden Beträge von monatlich insgesamt 159,10 Euro brutto beanspruchen. Die Vergütung ist jeweils fällig zum Monatsende. Die Beklagte befindet sich jeweils seitdem in Verzug. Die vom Kläger geltend gemachte Verzinsung ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 247 Abs. 1 BGB.

4. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte auf Zahlung von 843,63 Euro Jahressonderzahlung zu verurteilen. Nach § 16 des Manteltarifvertrages für die Betriebe des Speditions-, Lagerei- und Logistikgewerbes für Baden-Württemberg besteht Anspruch auf Jahressonderzahlung, wenn der Arbeitnehmer am Auszahlungstag, dem 15. Dezember, in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis steht. Nach siebenjähriger Betriebszugehörigkeit beträgt die Jahressonderzahlung 843,63 Euro. Nach § 16 Ziffer 6 MTV mindert sich die Jahressonderzahlung um 1/ 12 für jeden Kalendermonat, in dem der Arbeitnehmer nicht für mindestens 14 Kalendertage Anspruch auf Vergütung oder Entgeltfortzahlung hat. Der Anspruch des Klägers ist jedoch nach § 16 Ziffer 6 auf 5/12 reduziert. Der Kläger war lediglich in den Monaten Mai, Juni, Oktober, November und Dezember 2004 mindestens 14 Kalendertage arbeitsfähig. In den übrigen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hatte der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die Klage ist insoweit nur in Höhe von 351,51 Euro brutto begründet.


III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

2. Der Streitwert war dem Grunde nach § 61 Abs. 1 ArbGG und der Höhe nach § 42 Abs. 4 GKG auf eine Quartalsvergütung des Klägers zuzüglich der Addition der übrigen Klagebeträge festzusetzen.

3. Die Berufung war, soweit sie von Gesetzes wegen nicht ohnehin statthaft ist, nach § 64 Abs. 3 ArbGG nicht zuzulassen.

Referenznummer:

R/R2538


Informationsstand: 06.10.2006