Urteil
Kündigung - Rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - Zustimmungserfordernis - Weiterbeschäftigungsanspruch - Anspruch auf Verzugslohn

Gericht:

ArbG Frankfurt/Main 18. Kammer


Aktenzeichen:

18 Ca 10229/04


Urteil vom:

20.12.2005


Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.850,26 (i.W. EURO eintausendachthundertundfünfzig 28/100) brutto, abzüglich erhaltener EUR 688.67 i.W. EURO sechshundertachtundachtzig 67/100; netto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. Oktober 2004 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22. November 2004 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 19. Oktober 1992 geregelten Arbeitsbedingungen als operativen Mitarbeiterin Frankfurt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Der Wert; des Streitgegenstandes wird auf EUR 6.897,73 festgesetzt.

6. Die Berufung wird hinsichtlich der Ziffer 1 nicht zugelassen.
Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes bleibt hiervon unberührt.

Tatbestand :

Der Kläger wehrt sich gegen die Kündigung der Beklagten vom 22. November 2004, er begehrt Weiterbeschäftigung sowie Arbeitsentgelt.

Der Kläger ist 43 Jahre alt und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist bei der Beklagten seit dem 01. September 1992 als operativer Mitarbeiter beschäftigt, zuletzt an einer Spülmaschine. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat seine Grundlage im Arbeitsvertrag vom 19. Oktober 1992. Wegen der Einzelheiten dieses Arbeitsvertrages wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 8 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger erzielt ein Monatsbruttogehalt in Höhe von EUR 1.850.28.

Der Kläger hatte im Arbeitsverhältnis folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten aufzuweisen: Für das Jahr 2001 25 Arbeitstage; für das Jahr 2002 82 Arbeitstage; für das Jahr 2003 139 Arbeitstage; während für das Jahr 2004 bis zum Kündigungszeitpunkt 268 Arbeitstage angefallen sind. Am 03. Oktober 2003 erkrankte der Kläger und war daraufhin durchgängig bis zum 26. September 2004 krankheitsbedingt abwesend. Am 14. September 2004 rief der Kläger in der Personalabteilung der Beklagten bei Frau F. an und teilte ihr mit, dass er nach der Aussage der Krankenkasse wieder arbeiten solle. Frau F. erklärte ihm daraufhin, dass sie Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit habe und er sich vor einer Arbeitsaufnahme bei dem medizinischen Dienst vorstellen solle. Am 15. September 2004 erschien der Kläger schließlich in Arbeitskleidung gemeinsam mit Herrn H. in der Personalabteilung bei Frau F. Frau F. erklärte dem Kläger nochmals, dass er sich zuerst bei dem medizinischen Dienst vorstellen solle und sie sich in den nächsten Tagen bezüglich eines entsprechenden Untersuchungstermins bei ihm melden werde. Am 16. September 2004 ging bei der Beklagten eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers für den Zeitraum vom 16. bis 24. September 2004 ein. Eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis einschließlich zum 26. September 2004 reichte der Kläger nach. Aufgrund einer betriebsärztlichen Mitteilung führte die Beklagte am 30. September 2004 erneut ein Gespräch mit dem Kläger. Nach diesem Gespräch wurde dem Kläger versichert, dass weitere Einsatzmöglichkeiten geprüft würden. Abschließend wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte gegenwärtig unter Berücksichtigung seiner Einschränkungen keine Einsatzmöglichkeiten für ihn sehe und er daher bis auf Weiteres vom Dienst freigestellt sei.

Am 01. Oktober 2004 erklärte der Gruppenleiter Equipment bei der Beklagten, Herr O., dass sich der vom Kläger als geeignet benannte Arbeitsplatz "Movie Snack" seit längerem nicht mehr am Fenster befinde und dass es an diesem Platz auch keine gesonderte Frischluftzufuhr gäbe. In einem weiteren Gespräch vom 27. Oktober 2004 erklärte der Kläger, dass er auf keinen Fall weiter auf seinem bisherigen Arbeitsplatz in der Equipmentreinigung arbeiten könne, da er aufgrund seiner Lungenoperation frische Luft benötige. Stattdessen schlug der Kläger einen Einsatz in der Konditorei vor. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 01. Oktober 2004, dass der Kläger von der Arbeitsleistung freigestellt sei. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift (BL 12 d. A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 widerrief die Beklagte diese Freistellung. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift (Bl. 13 d. A.) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 06. Oktober 2004 wurde festgestellt, dass der Kläger ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 20 ist. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Feststellungsbescheides wird auf die Anlage zum Schriftsatz des Klägern vom 03. Dezember 2004 (Bl. 48 f. d. A.) Bezug genommen. Hiergegen hat der Kläger unter dem 22. Oktober 2004 Widerspruch eingelegt.

Mit Anwaltsschreiben vom 28. Oktober 2004 wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass dem Kläger die Arbeit an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht unmöglich sei und er vielmehr arbeitsfähig und arbeitswillig sei. Die Beklagte forderte den Kläger sodann mit Schreiben vom 08. November 2004 auf, seine Arbeit an seinem bisherigen Arbeitsplatz in der Equipmentreinigung ab dem 12. November 2004 wieder aufzunehmen. Der Kläger erschien am 12. November 2004 um kurz nach 8.00 Uhr in Begleitung eines Betriebsratsmitglieds beim Sachgebietsleiter Equipmentreinigung, Herrn H.. Nach einigen Klärungsbemühungen im Hinblick auf die Einsatzmöglichkeiten des Klägers erklärte der Kläger, dass er keine Luft bekomme und nicht heben könne. Der Kläger arbeitete daraufhin, wie von ihm gewünscht, an der Linie 9, der Abnahme. Gegen 9.30 Uhr begab sich der Kläger zu dem betriebsärztlichen Dienst der Beklagten, da es ihm nicht gut ging. Um 13.15 Uhr erschien der Kläger dann in der Personalabteilung der Beklagten und legte eine Bescheinigung des betriebsärztlichen Dienstes vor, welche besagt, dass aus medizinischer Sicht die Attestempfehlung vom 27. September 2004 eingehalten werden sollte. Daraufhin erklärte die Mitarbeiterin der Personalabteilung, Frau D., dem Kläger, dass die Beklagte ihm keinen Arbeitsplatz anbieten könne, der die dort genannten Einschränkungen berücksichtige. Mit dem Anhörungsbogen vom 15. November 2004 leitete die Beklagte das betriebsverfassungsrechtliche Anhörungsverfahren zur beabsichtigten Kündigung des Klägers ein. Wegen der Einzelheiten dieses Anhörungsbogens wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 14. Januar 2005 (Bl. 113 ff. d. A.) Bezug genommen. Unter dem 17. November 2004 erklärte sich der Betriebsrat mit der beabsichtigten Kündigung für nicht einverstanden. Wegen des entsprechenden Vermerks auf dem Anhörungsbogen vom 15. November 2004 wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 14. Januar 2005 (Bl. 113 ff. d. A.) Bezug genommen. Zuvor hatte die Beklagte unter dem 01. November 2004 seitens des Integrationsamtes die Information erhalten, dass zur beabsichtigten Kündigung des Klägers eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes nicht erforderlich sei. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheides wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vorn 14. Januar 2005 (Bl. 125 f. d. A.) Bezug genommen. Mit Abhilfebescheid vom 02. August 2005 stellte das Versorgungsamt - Hessisches Amt für Versorgung und Soziales Wiesbaden - fest, dass der Grad der Behinderung beim Kläger 50 betrage. Weiterhin stellte das Versorgungsamt in diesem Bescheid fest, dass die Voraussetzungen hierzu bereits ab dem 16. Februar 2004 vorliegen. Wegen der Einzelheiten dieses Bescheides wird auf die Anlage zum klägerischen Schriftsatz vom 04. August 2005 (BI. 211 f. d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hält die ausgesprochene Kündigung der Beklagten wegen der fehlenden Zustimmung durch das Integrationsamt für unwirksam. Da der Kläger nunmehr seit dem 16. Februar 2004 die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gehabt habe, liege auch objektiv zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine Schwerbehinderteneigenschaft vor. Da objektiv die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch vorgelegen habe, könne die fehlende Mitteilung des Klägers an die Beklagte ihm den besonderen Kündigungsschutz nicht nehmen. Der Kläger behauptet, er sei weiterhin in den Abteilungen der Beklagten ZD 331, ZD 332, ZD 212,.ZD 323 leidensgerecht zu beschäftigen. Dies sei der Beklagten auch ohne Weiteres möglich. Sofern die Beklagte den Kläger auf einem anderen Arbeitsplatz einsetze, werde dies zu einer wesentlichen Stimmungsaufhellung bei dem Kläger führen, und die Depressionszustände minimieren.

Der Kläger behauptet, es liege auch keine negative Gesundheitsprognose vor. Dem Kläger sei nämlich ein tuberkulöses Gewebestück aus dem Brustbereich entfernt worden. Außerdem seien die Fehlzeiten überwiegend auf Einmalerkrankungen zurückzuführen. Die Erkrankung im Zusammenhang mit dem tuberkulösem Gewebe sei nunmehr ausgeheilt.
Außerdem sei es auch zu keinen nennenswerten Betriebsablaufstörungen gekommen, wenn der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sei.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger noch ausstehende Arbeitsvergütung für den Monat Oktober 2004 in Höhe von EUR 1.850,28 brutto abzüglich erhaltener EUR 688,67 netto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.10.2004 zu zahlen;

2. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 22.11.2004 zum 30.06.2005 aufgelöst wird;

3. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für den. Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 2 zu den im Arbeitsvertrag vom 19. Oktober 1992 geregelten Arbeitsbedingungen als operativen Mitarbeiter in F. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 2 weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei seit dem 16. Oktober 2004 nicht mehr einsatzfähig. Aufgrund der hohen Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit bestehe auch eine negative Gesundheitsprognose. Es gebe bei der Beklagten keinen für den Kläger leidensgerechten Arbeitsplatz. Es sei eben die Zufuhr von frischer Luft nicht gewährleistet. Deshalb sei der Kläger aufgrund der Notwendigkeit einer Frischluftzufuhr bei der Beklagten nicht störungsfrei einsetzbar.
Schließlich seien die wirtschaftlichen Belastungen auf der Grundlage der von der Beklagten vorgenommenen Entgeltfortzahlungsleistungen für diese nicht zumutbar.
Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, dass eine Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht erforderlich gewesen sei. Unerheblich sei es insoweit auch, ob die Anerkennung der Schwerbehinderung zu irgendeinem Zeitpunkt erfolgt sei. Gemäß § 90 Abs. 2 a SGB IX bestehe kein Sonderkündigungsschutz, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bereits nachgewiesen sei. Vorliegend bestehe deshalb kein Sonderkündigungsschutz für den Kläger, da die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht nachgewiesen gewesen sei.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Klage ist begründet, soweit sich der Kläger mit seinem Klageantrag zu 2 gegen die Kündigung der Beklagten vom 22. November 2004 wehrt. Die Klage ist begründet, weil die Kündigung der Beklagten gemäß. § 134 BGB nichtig ist.

Die Kündigung der Beklagten vom 22. November 2004 ist nichtig, weil die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung gegen das Zustimmungserfordernis nach § 85 SGB IX verstoßen hat.

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bedarf gemäß § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dabei ist eine Schwerbehinderung im Sinne der §§ 85 ff. SGB IX gegeben, wenn bei der betroffenen Person ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliegt, § 2 Abs. 2 SGB IX. Die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ist öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung, eine ohne die erforderliche Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 134 BGB unheilbar nichtig.
Es ist zwischen den Parteien im Ausgangspunkt unstreitig, dass der Kläger deutlich vor Zugang der Kündigung der Beklagten vom 22. November 2004 einen Antrag auf Anerkennung eines schwerbehinderten Menschen gestellt hat. Demgemäß wurde mit Bescheid vom 06. Oktober 2004 dann auch festgestellt, dass der Kläger ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 20 ist. Nach der Einlegung des Widerspruchs hiergegen erkannte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales bezogen auf den Kläger einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 ab dem 16. Februar 2004, mithin ebenfalls weit vor Zugang der Kündigung der Beklagten, an. Damit sind die Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX gegeben: Der Kläger hat vor Zugang der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt, es existiert weiterhin eine Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bezogen auf den Zeitpunkt vom 16. Februar 2004 und die Beklagte hatte vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis von der Antragstellung des Klägers.

Diese Rechtslage wird auch nicht durch § 90 Abs. 2 a Alt. 1 SGB IX verändert. Der Sonderkündigungsschutz nach § 90 Abs. 2 a Alt. 1 SGB IX besteht, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen ist. Dieser Nachweis kann nach der Gesetzesbegründung durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX erbracht werden. Dass die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bereits durch die Existenz eines entsprechenden Bescheides nachgewiesen ist und dass es der Vorlage dieses Bescheides an den Arbeitgeber vor Ausspruch des Kündigungszugangs nicht bedarf, ergibt eine Auslegung der Norm.

Dem Wortsinn des Begriffes "nachgewiesen ist" lassen sich keine hinreichend deutlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass hiermit die Vorlage des Bescheides oder die entsprechende Mitteilung an den Arbeitgeber gemeint ist. Den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX soll nämlich nicht nur derjenige Arbeitnehmer genießen, der den entsprechenden Nachweis nach § 90 Abs. 2 a Alt 1 SGB IX führen kann, sondern auch derjenige, der unter die zweite Alternative des § 90 Abs. 2 a SGB IX fällt, der sich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung also noch im Anerkennungsverfahren befindet. Würde man die erste Alternative des § 90 Abs. 2 a SGB IX dahingehend auslegen, dass die Vorlage oder Information des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer erforderlich sei, würde diese Regelung zu einem Widerspruch zur zweiten Alternative des § 90 Abs. 2 a SGB IX geraten. Der Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX setzt nämlich die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft gerade nicht voraus. Der Arbeitnehmer ist auch nicht verpflichtet, den Arbeitgeber während des Laufs des Arbeitsverhältnisses über eine Schwerbehinderung zu informieren. Hätte der Gesetzgeber es anders regeln wollen, so hätte er die bisherige Rechtslage klar und deutlich abändern müssen, zumindest hätte dies im Wortlaut einer entsprechenden Bestimmung Anklang oder Andeutung finden müssen. Weiterhin hat der Gesetzgeber (BT-Dr 15/2357, S. 24) allein auf das Vorhandensein eines Feststellungsbescheides nach § 69 Abs. 1 SGB IX abgestellt und diesen dem Bescheid nach § 69 Abs. 2 SGB IX gleichgestellt. Deswegen ist der Nachweis der Schwerbehinderung nach der Auffassung des Gesetzgebers dann erbracht, wenn der Arbeitnehmer entweder offensichtlich schwerbehindert ist oder das Aberkennungsverfahren positiv abgeschlossen wurde oder ein Bescheid nach § 69 Abs. 2 SGB IX vorliegt.

Explizit gesetzlich nicht geregelt ist dann der Fall, dass ein Arbeitnehmer nach zunächst erfolglosem Anerkennungsantrag im Widerspruchsverfahren oder mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage Erfolg hat. Zur alten Rechtslage ist man davon ausgegangen, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung, also mit ex-tunc-Wirkung anerkannt sei (BAG vom 16.08.1991 - 2 AZR 241/90, NZA 1992, S. 23; BAG vom 11.05.2000 - 2 AZR 276/99, NZA 2000, S. 1106; ErfK-Rolfs, § 85 SGB IX RdN. 5).

Dabei ist davon auszugehen, dass gerade aufgrund der ex-tunc-Wirkung eines Widerspruchsbescheides wie im vorliegenden Fall rechtlich ein Nachweis zum Zeitpunkt der Kündigung vorliegt. Für die Existenz des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX kommt es allein auf das objektive Vorliegen der Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung an. Der neue Ausnahmetatbestand des § 90 Abs. 2 a 1. Alt. SGB IX beruht allenfalls auf einer beschränkten gesetzgeberischen Absicht, nämlich Missbräuche zu verhindern. Dies kann aber für die vorliegende Situation nicht bedeuten, dass an der vormaligen Rechtslage etwas geändert werden sollte. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der spätere Erfolg des Widerspruchs allein auf einer im Ausgangsverfahren unterlassenen und erst später nachgeholten Mitwirkung beruht.

Dafür hat die Kammer allerdings keinerlei Anhaltspunkte, die Beklagte hat ihr tatsächliches Vorbringen auch darauf nicht bezogen. Deswegen verbleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Verweigerte man einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, der erst im Widerspruchsverfahren mit seinem Antrag Erfolg hat, den Sonderkündigungsschutz, würde man seinen verfahrensrechtlichen Einsatz materiell-rechtlich weitgehend entwerten und damit die Rechtslage konterkarieren.

Daran kann auch die Tatsache der Mitteilung des Integrationsamtes an die Beklagte, dass eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich sei, nichts ändern. Der Kläger hat nachträglich einen verfahrensrechtlichen Erfolg erzielt, dieser ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich garantierten Gebotes des effektiven Rechtsschutzes (BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, S. 118 [123 f.]; BVerfG vom 20.06.1995, NJW 1995; S. 3173; BVerfG vom 30.04.2003, NJW 2003, S. 1924) zu beschränken oder gar aufzuheben. Deshalb ist auf der Grundlage der rückwirkenden Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ab dem 16. Februar 2004 davon auszugehen, dass der Kläger zum Einen als schwerbehinderter Mensch den Sonderkündigungsschutz schon ab diesem Zeitpunkt genießen konnte, während der Nachweis ebenfalls vor Ausspruch der Kündigung durch den Kläger als geführt anzusehen ist.
Die Klage ist im Klageantrag zu 3 begründet, soweit der Kläger Weiterbeschäftigung begehrt.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu, weil er im Kündigungsschutzprozess erstinstanzlich obsiegt hat Danach steht dem Arbeitnehmer auf der Grundlage des Arbeitsvertrages i. V. m. § 105 GewO i. V. m. § 242 BGB i. V. m. Art. 1 und 2 GG ein Weiterbeschäftigungsanspruch zu, weil das Interesse eines Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung überwiegt. Die Beklagte hat auch keinerlei Einwände gegen das Bestehen eines Weiterbeschäftigungsanspruches geltend gemacht, sodass dieser so auszuurteilen ist.

Die Klage ist begründet, soweit der Kläger im Klageantrag zu 1 Arbeitsentgelt begehrt.
Die Klage ist begründet, weil dem Kläger ein entsprechender Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten zusteht. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 615 Satz 1 BGB i. V. m. § 293 BGB i. V. m. § 296 BGB.

Der Arbeitgeber gerät danach gemäß § 296 Satz 1 BGB auch ohne ein wörtliches Angebot in Annahmeverzug, weil es einer nach dem Kalender bestimmten Mitwirkungshandlung, des Arbeitgebers bedarf, nämlich der Einrichtung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes und der Zuweisung der Arbeit damit der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringen kann. Der Annahmeverzug endet bzw. tritt von vornherein nicht ein, wenn dem Arbeitnehmer die Erbringung der geschuldeten Leistung unmöglich ist. Dies ergibt sich aus § 297 BGB. Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist nicht schon immer dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zum Spektrum der vertraglich vereinbarten Tätigkeiten zählen. Dem Arbeitnehmer kann nämlich durch Ausübung, des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO ein vertragsgerechter Arbeitsplatz mit Aufgaben zugewiesen werden, die dem Arbeitnehmer weiterhin möglich sind. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer leidensgerechte Arbeit zuzuweisen, so ist die Zuweisung anderer Arbeiten unbillig (BAG vom 24.09.2003 - 5 AZR 282/02).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte ausreichend eine etwaige Leistungsunmöglichkeit des Klägers ab dem 12. Oktober 2004 dargelegt hätte. Die Beklagte stellt nämlich nur darauf ab, dass der Kläger nach mehreren Betriebsbegehungen und Inaugenscheinnahmen von Arbeitsplätzen nicht in der Lage gewesen sei, seine Arbeitsleistung an seinem bisherigen Arbeitsplatz zu erbringen. Warum dies der Fall gewesen sein könnte, begründet die Beklagte ausschließlich mit etwaigen Äußerungen des Klägers oder einer Bezugnahme auf den betriebsärztlichen Dienst. Der Kläger seinerseits hat eine Leistungsunmöglichkeit oder gar eine Arbeitsunfähigkeit in Abrede gestellt. Gleichzeitig hat der Kläger behauptet, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit dem tuberkulösen Gewebe ausgeheilt sei.

In einer solchen Situation ist dann der Arbeitgeber, hier die Beklagte, für die bestehende Leistungsunfähigkeit darlegungs- und beweispflichtig (BAG vom 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - DB 2004, S. 439). Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang nämlich nur dargelegt, sie könne den Kläger nicht leidensgerecht einsetzen, denn die Frischluftzufuhr könne nicht durchgehend gesichert werden. Ob damit, auch und gerade unter Berücksichtigung eines möglichen Einsatzes des Weisungsrechts, eine Leistungsunmöglichkeit im Gesamtbetrieb der Beklagten dargelegt ist, kann die Kammer nicht annehmen. Der Tatsachenvortrag der Beklagten ist auch unter Bezugnahme auf die vielen Betriebsbegehungen im Hinblick auf eine völlige Leistungsunmöglichkeit nicht ausreichend, zumal der Kläger selbst auf etwaige Einschränkungen hingewiesen hat. Diese begründen aber nur Einschränkungen und keine Unmöglichkeit bezogen auf den Monat Oktober. Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellen sollte, dass der Kläger selbst sich unklar über seine Einsatzmöglichkeiten ihr gegenüber geäußert haben könnte, so ersetzt dies nicht tatsächliches Vorbringen bezogen auf eine objektive Leistungsunmöglichkeit in der Person des Klägers.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage im § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, da die Beklagte in vollem Umfang unterlegen ist.

Der Wert des Streitgegenstandes ist im Urteil festzusetzen, § 61 Abs. 1 ArbGG. Er bestimmt sich im vorliegenden Fall für den Kündigungsrechtsstreit gemäß § 42 Abs. 4 GKG auf drei Bruttomonatsgehälter des Klägers, während der Weiterbeschäftigungsanspruch mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt zu bewerten ist. Hinzuzuaddieren ist schließlich das mit dem Antrag zu 1 geltend gemachte Leistungsinteresse.

Referenznummer:

R/RBIH6721


Informationsstand: 05.08.2015