Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64
Abs. 1
ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig ( § 64
Abs. 2
ArbGG) , sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 519
Abs. 1,
Abs. 2
ZPO, 66
Abs. 1 Satz 1
ArbGG) und begründet worden ( §§ 66
Abs. 1 Satz 3
ArbGG, 520
Abs. 3
ZPO, 64
Abs. 6
ArbGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.07.2004 zum 30.09.2005 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, weil sie nach § 85
SGB IX in Verbindung mit § 134
BGB rechtsunwirksam ist.
Gem. § 85
SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf geschlossenen Vergleich hat die Bezirksregierung Münster - unter ärztlicher Beteiligung - einen Grad der Behinderung der Klägerin von 60 % rückwirkend zum 18.08.2003
gem. § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt.
Grundsätzlich ersetzt zwar ein sog. Negativattest, wie das Integrationsamt es der Beklagten mit Bescheid vom 27.08.2004 ( Bl. 56 f. d. A.) erteilt hat, die nach § 85
SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung zur Kündigung (so
BAG, Urteil vom 27. 05.1983 -
7 AZR 482/81 - EzA § 12
SchwbG Nr. 12; KR-Etzel, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 7 Aufl., § 85 - 90
SGB IX Rz. 56; Neumann/ Pahlen/Meierski-Pahlen,
SGB IX, 10. Aufl., § 85 Rz. 82, 88). Hier war die Kündigung vom 30.07.2004 jedoch bereits vorher ausgesprochen, bevor der Negativbescheid am 02.09.2004 bei der Beklagten einging.
Damit bedurfte die Kündigung der Beklagten der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes, weil ein Ausnahmetatbestand
gem. § 90
Abs. 2 a
SGB IX hier nicht vorliegt. Insoweit folgt die Kammer weitgehend dem Urteil des Arbeitsgerichts in der vorliegenden Sache sowie dem Urteil der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22.03.2005 - 6 Sa 1938/04 - LAGE § 90
SGB IX Nr. 1 = br 2005, 198
ff..
Bis zur Gesetzesänderung durch das "Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. 04.2004"(BGBl I Seite 606) galt folgende Rechtslage:
Dem Schwerbehinderten stand der Sonderkündigungsschutz nach § 12
ff. SchwbG zu, wenn er im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder einen Bescheid im Sinne des § 3
SchwbG (
a. F.) über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt hatte. Die mangelnde Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung war dabei ohne Bedeutung, weil der Sonderkündigungsschutz allein an den objektiven Bestand der Schwerbehinderung anknüpfte. Allerdings war der Arbeitnehmer gehalten, dem Arbeitgeber innerhalb einer Regelfrist von einem Monat nach Zugang der Kündigung Mitteilung von dem Bescheid oder der Antragstellung zu machen, wenn nicht der Sonderkündigungsschutz verwirken sollte.
Dies galt auch dann, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zunächst ein die Schwerbehinderung verneinender Bescheid des Versorgungsamtes ergangen war, das Versorgungsamt jedoch nach Zugang der Kündigung auf einen rechtzeitig erhobenen Widerspruch des Arbeitnehmers durch Abhilfebescheid die Schwerbehinderung anerkannt und der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer innerhalb der Regelfrist von einem Monat nach Zugang der Kündigung hiervon unterrichtet wurde.
Diese Grundsätze sind auch nach dem Inkrafttreten des 1. Gesetzes zur Änderung des Schwerbehindertengesetzes vom 26.08.1986 für das Schwerbehindertengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.08.1986 weiter anzuwenden (so
BAG, Urteil vom 16. 08.1991 -
2 AZR 241/90 - AP
Nr. 2 zu § 15
SchwbG 1986
m.w.N.).
Der Grundsatz, dass dem Schwerbehinderten der Kündigungsschutz auch dann zugute kommt, wenn er im Zeitpunkt der Kündigung wenigstens ein Feststellungsverfahren nach § 4
SchwbG 1986 eingeleitet hat, beruht nach dem Urteil des
BAG vom 16.08.1991 ( a.a.O.) auf folgenden Erwägungen:
Wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 4 und 15
SchwbG 1986 (§ 4 und 12
SchwbG a. F.) ergibt, soll die Schwerbehinderteneigenschaft grundsätzlich vorab in einem gerichtlich nachprüfbaren behördlichen Vorverfahren festgestellt werden, obwohl sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1
SchwbG schon kraft Gesetzes vor Einleitung dieses Verfahrens gegeben sein kann. Wegen der allein dem Arbeitnehmer im Interesse des Persönlichkeitsschutzes vorbehaltenen Antragsbefugnis hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers verbindlich zu klären. Ferner bedarf im Gegensatz zum früheren Recht jede Kündigung der vorherigen Zustimmung durch die Hauptfürsorgestelle (heute Integrationsamt).
Für Fälle, in denen der Arbeitnehmer vor einer Kündigung kein behördliches Feststellungsverfahren eingeleitet hat, erhält das Schwerbehindertengesetz eine Regelungslücke. Das in § 15
SchwbG 1986 vorgesehene Zustimmungsverfahren ist nicht durchführbar. Die Hauptfürsorgestelle kann vor einer Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft keine Entscheidung über die Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung treffen, weil ihre Zuständigkeit ungeklärt wäre, die nur besteht wenn gegenüber einem Schwerbehinderten über die Zustimmung zur Kündigung zu entscheiden ist. Der denkbare Ausweg, dass die Hauptfürsorgestelle bis zur gesetzmäßigen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ein sog. Negativattest erteilt, würde zu undurchführbaren Auswirkungen für die Arbeitgeber und die beteiligten Behörden führen. Die Arbeitgeber müssten dann praktisch vor jeder Kündigung vorsichtshalber bei der Hauptfürsorgestelle den Zustimmungsantrag stellen.
Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung zumindest schon ein Feststellungsverfahren nach § 4
SchwbG 1986 anhängig ist:
Der Arbeitgeber ist bereits hierdurch objektiv in die Lage versetzt, die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen. Ist ihm vor Ausspruch der Kündigung bekannt, dass ein Feststellungsverfahren läuft, kann und muss er die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung beantragen. Die Hauptfürsorgestelle kann dann zwar nicht sofort entscheiden, aber ihre Entscheidung bereits vorbereiten. Sie wird sich durch Rückfragen nach dem Stand des Feststellungsverfahrens unterrichten und ihr Verfahren zumindest dann, wenn es um die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung geht, bis zur Entscheidung des Versorgungsamtes aussetzen.
Auch wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung von dem anhängigen Verfahren nichts weiß, steht dem Zustimmungsverfahren zumindest kein objektives Hindernis entgegen. Der Arbeitgeber hat allerding erst dann einen Anlass, wenn der Arbeitnehmer nachträglich unter Hinweis auf das bereits eingeleitete Feststellungsverfahren seinen besonderen Kündigungsschutz geltend macht. Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch in der Regel nicht, dem Schwerbehinderten auch dann den besonderen Kündigungsschutz zu versagen, wenn er jedenfalls rechtzeitig die Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes vorbereitet hat. Wenn der Arbeitgeber nach der Kündigung von dem anhängigen Kündigungsschutzverfahren erfährt, kann er nunmehr die Zustimmung beantragen, allerdings nur zu einer erneuten Kündigung. Der Arbeitnehmer muss sich dann aber ebenfalls innerhalb einer Regelfrist von einem Monat gegenüber dem Arbeitgeber auf das Feststellungsverfahren berufen, weil das Gebot der Rechtssicherheit im Kündigungsrecht eine zeitliche Begrenzung auch bei der Geltendmachung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitnehmer erfordert (so
BAG - a.a.O. - AP
Nr. 2 zu § 15
SchwbG 1986).
Seit dem 01.05.2004 ist nach § 90
Abs. 2 a
SGB IX in der Fassung von Artikel 1
Nr. 21 a lit. b vom "Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.04.2004" (BGBl I Seite 606) die Anwendung des § 85
SGB IX auch dann ausgeschlossen,
"wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des
§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte".
Die 13. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf ist in ihrem Urteil vom 29.10.2004 - 13 Ca 5326/04 - sowie in dem hier zur Überprüfung anstehenden Urteil zum Ergebnis gelangt, es handele sich bei der Formulierung in § 90
Abs. 2 a
SGB IX insoweit um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, als dort die beiden genannten Alternativen mit einem "und" statt mit einem "oder" hätten verbunden werden müssen.
Dem schließt sich die erkennende Kammer ebenso wenig an wie die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in ihrem Urteil vom 22.03.2005 (a.a.O.).
Während der Sonderkündigungsschutz nach der 1. Alternative des § 90
Abs. 2 a
SGB IX dann entfällt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, entfällt er nach der 2. Alternative dann, wenn ein Verfahren zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch anhängig ist und der Arbeitnehmer deshalb seine Schwerbehinderung noch nicht mittels eines Bescheides nach § 69
Abs. 1
SGB IX nachweisen kann. Im letzteren Falle greift der besondere Kündigungsschutz nur noch ein, wenn das Versorgungsamt ohne Verschulden des Arbeitnehmers innerhalb der Frist des § 69
Abs. 1 Satz 2
SGB IX keine Feststellung treffen konnte. D. h. hat der Arbeitnehmer beispielsweise noch gar keinen Antrag gestellt, kann er, abgesehen vom Fall, dass die Schwerbehinderung offenkundig ist, seine Schwerbehinderung nicht nachweisen. Hat er einen Antrag gestellt und ist dieser noch nicht (bejahend) beschieden, so entfällt der Sonderkündigungsschutz nur dann, wenn er die Schwerbehinderung nur deshalb nicht nachweisen kann, weil er ihn unter Missachtung der Frist des § 69
Abs. 1 Satz 2
SGB IX gestellt oder bei seiner Bescheidung nicht mitgewirkt hat. Dem steht nicht entgegen, dass, wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, in der 2. Alternative im Ergebnis ebenfalls ein Fall vorliegt, in dem der Nachweis nicht erbracht werden kann. In dieser 2. Alternative kommt es entscheidend darauf an, aus welchen Gründen der Nachweis nicht erbracht werden kann.
Die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, so hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts im Urteil vom 22.03.2005 (a.a. O.) bereits zu Recht ausgeführt, ist nachgewiesen, wenn das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung von 50 oder mehr bereits festgestellt hat oder ein Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit vorliegt. "Nachgewiesen" im Sinne von § 90
Abs. 2 a 1. Alternative
SGB IX verlangt dabei nicht die vorherige Vorlage des entsprechenden Bescheides beim Arbeitgeber. Die diesbezüglich eindeutige Formulierung des Vorschlages des Bundesrates, wonach die entsprechenden Bescheide dem Arbeitgeber vorgelegt sein mussten, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Die Begründung zum Gesetz stellt ausdrücklich nicht auf die Vorlage des Ausweises sondern allein auf den Feststellugsbescheid ab, wobei der geforderte Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber nicht vor Zugang der Kündigung geführt worden sein muss (Cramer, Die Neuerungen im Schwerbehindertenrecht des
SGB IX, NZA 2004, 698
ff.; Westers, Neuregelung im Recht des besonderen Kündigungsschutzes nach dem 9. Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX), br 2004, 93
ff.; Kuhlmann, Auswirkungen des § 90
Abs. 2 a
SGB IX auf das Widerspruchsverfahren im Rahmen des besonderen Kündigungsschutzes schwerbehinderter Menschen beim Integrationsamt, br 2004, 181 f.; Schlewing, Besonderer Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen nach der Novelle des
SGB IX, NZA 2005, 1218
ff.; Arbeitsgericht Bonn - Urteil vom 25.11.2004 -
7 Ca 2459/04 - NZA RR 2005, 193; Arbeitsgericht Kassel, Urteil vom 19. 11.2004 -
3 Ca 323/04 - br 2005, 85 f.; a. M.: Bauer/Powietzka, Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer - Nachweis, Sozialauswahl, Klagefrist und Reformbedarf, NZA RR 2004 505
ff.).
In der Gesetzesbegründung (13. Ausschuss zu Artikel 3
Nr. 21 a Bundestagsdrucksache 15 2357, Seite 24) heißt es nämlich:
"Die Ergänzung stellt sicher, dass der Arbeitgeber zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder offenkundig ist, dass es eines durch ein Feststellungsverfahren zu führenden Nachweises nicht bedarf oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 69
Abs. 1 erbracht ist; diesem Bescheid stehen Feststellungen nach § 69
Abs. 2 gleich. Der Kündigungsschutz gilt daneben nur in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zwar anhängig ist, das Versorgungsamt aber ohne ein Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellung treffen konnte. Die Regelung schließt damit aus, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Im Übrigen ist mit der Neufassung grundsätzlich einem Anliegen der Sachverständigenanhörung und des Bundesrates Rechnung getragen."
Hier hatte die Klägerin den Antrag bereits unmittelbar vor der ersten Kündigung, die rechtskräftig für unwirksam erklärt worden ist, gestellt. Es handelt sich um keinen Missbrauchsfall, der mit der gesetzlichen Neuregelung verhindert werden sollte. Dass kein aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wurde, beweist, dass sich die Klägerin mit ihrem Begehren im sozialgerichtlichen Verfahren schließlich durchgesetzt hat.
Entscheidend ist hier, ob mit der gesetzlichen Neuregelung die bisherige Rechtslage geändert werden sollte, wonach dem Schwerbehinderten der Sonderkündigungsschutz auch dann zugute kommen sollte, wenn er zum Zeitpunkt der Kündigung ein Feststellungsverfahren eingeleitet hatte, dem Arbeitgeber hiervon Kenntnis gegeben hatte und rückwirkend als Schwerbehinderter anerkannt wurde. Hierfür ergeben sich nach Auffassung der Kammer weder aus dem Wortlaut des § 90 Abs 2 a
SGB IX noch aus der oben zitierten Gesetzesbegründung ausreichende Anhaltspunkte. Vielmehr ist gerade aus der Gesetzesbegründung zur 2. Alternative des § 90
Abs. 2 a
SGB IX zu entnehmen, dass lediglich Missbrauchsfälle ausgeschlossen werden sollten, zu denen der vorliegende erkennbar nicht gehört.
Schließlich hat bereits die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in ihrem Urteil vom 22.03.2005 (
a. a. O.) zu Recht darauf hingewiesen, dass der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes grundsätzlich nur deklaratorische Wirkung hat (so
BAG, Urteil vom 07.03.2002 -
2 AZR 612/00 - NZA 2002, 1145 f.). Die gilt auch für die Neuregelung in § 69
SGB IX mit der Konsequenz, dass der Arbeitgeber grundsätzlich bereits dann der Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn der Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung objektiv schwerbehindert war, er den Antrag auf Anerkennung zu diesem Zeitpunkt bereits gestellt hat und das Versorgungsamt deshalb dem Antrag später rückwirkend für eine Zeit vor dem Kündigungszugang stattgibt (so Erfk-Rolfs, 5. Aufl., § 69
Rdnr. 9).
Auch hier ergeben sich - wie im Fall der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf - keine Anhaltspunkte dafür, dass neues Vorbringen der Klägerin zu der bejahenden Entscheidung des Versorgungsamtes geführt hat. Vielmehr ist dem "Anerkenntnis " der Bezirksregierung Münster, das zu der vergleichsweisen Regelung geführt hat, zu entnehmen, dass die Prüfung des Vorbringens der Klägerin ergeben hat, dass der Grad der Behinderung höher zu bewerten war.
Weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass - entgegen der bisherigen Rechtslage und über den Ausschluss von Missbrauchsfällen hinaus - in der Form Rechtssicherheit für den Arbeitgeber geschaffen werden sollte, dass es auf den Erstbescheid des Versorgungsamtes ankommen sollte, selbst wenn dieser später mit Rückwirkung vom Versorgungsamt selbst - wie hier - oder vom Gericht als rechtswidrig erkannt wird (so
LAG Düsseldorf -
a. a. O. - 6 Sa 1938/04 -; Arbeitsgericht Düsseldorf -
a. a. O. - 13 Sa 5326/04 -; Schulze, Weniger Kündigungsschutz für Schwerbehinderte?, AuR 2005, 252
ff.; Neumann, Sozialgesetzbuch IX, 11. Aufl., § 85 Rz. 37 a. M.: Grimm/Brock, Einschränkung des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte im
SGB IX, DB 2005, 82
ff.; Schlewing,
a. a. O.; Culmann,
a. a. O.).
Hier ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin nach der
o. g. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Beklagte ( spätestens binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung) hiervon in Kenntnis gesetzt hatte.
Die Klägerin hatte die Beklagte bereits im Vorprozess, die erste Kündigung betreffend, mit den Schriftsätzen vom 13. und 19. 01.2004 davon in Kenntnis gesetzt, dass sie gegen den Bescheid vom 12.01.2004, mit dem ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt worden war, Widerspruch eingelegt und gleichzeitig einen Antrag auf Gleichstellung gestellt hatte. Entsprechend hatte die Beklagte sogar mit Antrag vom 01.08.2003 die Zustimmung zur Kündigung der Klägerin beim Integrationsamt beantragt. Dieser Antrag ist mit Bescheid des Integrationsamtes vom 27.08.2004, das heißt unmittelbar nach Ausspruch der zweiten hier streitigen Kündigung, zurückgewiesen worden. Es mag dahinstehen, inwieweit die Beklagte aufgrund der Formulierung im Bescheid, "eine Antragstellung
bzw. ein Widerspruchs-/Klageverfahren begründet nicht den besonderen Kündigungsschutz", bereits darauf schließen konnte, dass sich die Klägerin inzwischen im Widerspruchs-
bzw. Klageverfahren befand. Nach Sinn und Zweck der Unterrichtung des Arbeitgebers durch den Schwerbehinderten reicht es aus, dass der Arbeitgeber Kenntnis davon erhält, dass der Arbeitnehmer ein Verfahren eingeleitet hat, das zu einem Sonderkündigungsschutz für einen Schwerbehinderten führen kann. Spricht der Arbeitgeber dann eine Kündigung aus, so hat er - aufgrund dieser Information - Veranlassung, sich nach dem jeweiligen Stand des Verfahrens zu erkundigen, um sicher zu gehen, dass der Arbeitnehmer dem Sonderkündigungsschutz nicht unterliegt. Es ist nicht notwendiger Inhalt der Unterrichtung, den Arbeitgeber über jeden weiteren Stand des Verfahrens zu informieren, was hier bedeutet hätte, dass der Kläger die Beklagte über die Zurückweisung des Widerspruchs und über die Klageerhebung hätte informieren müssen.
Nichts anderes folgt aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 02.06.1982 - 7 AZR 82/80 - AP
Nr. 8 zu § 12
SchwbG. Hier hatte der Arbeitnehmer den verneinenden Feststellungsbescheid dem Arbeitgeber vorgelegt, ohne darauf hinzuweisen, dass er hiergegen Widerspruch eingelegt hatte. Im Gegensatz zu diesem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall konnte hier aufgrund der Informationen der Klägerin im Vorprozess bereits kein Zweifel bestehen, dass sich die Klägerin auf den Sonderkündigungsschutz berufen wollte.
Allerdings hat sich die Klägerin dann in der vorliegenden Klage gegen die zweite Kündigung weder in der Klageschrift noch innerhalb eines Monats nach Ausspruch der Kündigung hierauf berufen. Vielmehr hat sie die Sozialwidrigkeit der Kündigung zunächst nur darauf gestützt, dass sie sich auf anderweitige Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung berufen hat. Dies ist offensichtlich deshalb erfolgt, weil die erste Kündigung vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf aus diesen Gründen rechtskräftig für sozialwidrig erklärt worden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Klägerin den vorher bereits gegenüber dem Arbeitgeber für sich in Anspruch genommenen Sonderkündigungsschutz nicht mehr geltend machen wollte.
Schließlich ist auch der Ausnahmetatbestand des § 90
Abs. 2 a
SGB IX 2. Altern. hier nicht gegeben, wonach der Sonderkündigungsschutz entfällt, wenn das Versorgungsamt eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung des Schwerbehinderten nach Ablauf der Frist des § 69
Abs. 1 Satz 2
SGB IX nicht treffen konnte.
Es mag dahinstehen, wer hierfür darlegungs- und beweispflichtig ist. Nach Auffassung der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 22.03.2005 -
a. a. O. - ist dies der Arbeitgeber, der sich auf die Ausnahmeregelung in § 90
Abs. 2 a 2. Altern.
SGB IX beruft, allerdings nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast (
vgl. dort die weiteren Nachweise). Die gegenteilige Auffassung vertritt Schlewing (
a. a. O.).
Im vorliegenden Fall lag zum Zeitpunkt der Kündigung keine Feststellung vor, weil ein verneinender Bescheid ergangen war, der hiergegen gerichtete Widerspruch zurückgewiesen war und von der Klägerin hiergegen Klage eingereicht worden war, die letztlich erfolgreich war. Anhaltspunkte dafür, dass dies auf eine fehlenden Mitwirkung der Klägerin zurückzuführen war, gibt es unter diesen Umständen nicht
bzw. sind auch nicht geltend gemacht worden.
Nach allem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.
Gem. § 97
Abs. 1
ZPO in Verbindung mit § 64
Abs. 6
ArbGG hat die Beklagte die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Gem. § 72
Abs. 2 Ziff. 1
ArbGG war die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache für die Beklagte zuzulassen.
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten Revision eingelegt werden.
Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.