I.
Die gemäß § 64
Abs. 2 c)
ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis hat aufgrund der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 12.05.2005 sein Ende gefunden. Die Berufung der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.
1. Zutreffend geht das Arbeitsgericht von der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung
gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus. Die Beleidigungen gegenüber der Zeugin T. im Februar und im April 2005 nach zwei einschlägigen Abmahnungen sind geeignet, das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt zu beenden. Auf die Entscheidung vom 28.09. 2005 wird Bezug genommen.
a) Die Einwände, die die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts erhebt, überzeugen nicht. Zwar würde die Behauptung, die Klägerin sei mit der Zeugin T. nicht auf der Treppe zum Parkhaus zusammengetroffen, die Glaubwürdigkeit der Zeugin erschüttern. Jedoch schließt das behauptete Zusammentreffen der Klägerin mit dem Ehemann der Zeugin Ka. nicht aus, dass die Beleidigung auf der Treppe zum Parkhaus dennoch zuvor stattgefunden haben kann. Auch dass die Klägerin keine Veranlassung hat, mit den Zeuginnen T., Ki. und Ka. zum Parkhaus zu gehen, schließt ein Zusammentreffen mit der Zeugin T. nicht aus. Angesichts der ausweislich des Lageplans kurzen Wege zur Bushaltestelle ist das Zusammentreffen mit der Zeugin T. auf der Treppe zum Parkhaus jedenfalls nicht ausgeschlossen. Was den Vorfall im Januar 2005 betrifft, hat die Zeugin im Termin vor dem Arbeitsgericht bekundet, diesen ihrem Vorgesetzten gemeldet zu haben. Dass sich daraus keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ergaben, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Auch die mangelnden Deutschkenntnisse der Klägerin schließen Äußerungen insbesondere auf niedrigem Sprachniveau nicht aus. Schließlich geht die Klägerin zu Unrecht davon aus, dass die Äußerung im Januar 2005 mangels Betriebsratsanhörung nicht als Kündigungsgrund herangezogen werden könnte. Ausweislich des Anhörungsschreibens vom 04.05.2005 hat die Beklagte den oben genannten Vorfall als einen der für die Kündigung maßgeblichen Gründe benannt (siehe
S. 1 und
S. 3 f der Anhörung).
b) Die Beweiswürdigung in Bezug auf die Abmahnungen vom 08.04. und 21.11.2003 werden von der Klägerin nicht angegriffen.
c) Die Weiterbeschäftigung der Klägerin im Reinigungsdienst als milderes Mittel scheitert daran, dass freie oder in absehbarer Zeit frei werdende Arbeitsplätze im Reinigungsdienst im Zeitpunkt der Kündigung nicht vorhanden waren. Die Beklagte war nicht verpflichtet, ihre "Aushilfskräfte" deshalb zu kündigen, auch wenn dies nach Auffassung der Klägerin "problemlos" möglich gewesen wäre (EK-Ascheid, 6. Auflage 2006, § 1 Rn. 537).
d) Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin ihre lange Betriebszugehörigkeit berücksichtigt und einen "außerordentlich rüden" Umgangston in der Spülküche unterstellt, musste die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nicht fortsetzen. Vielmehr muss sie, gerade um das langfristig dort vorhandene Aggressionspotential abzubauen, Maßnahmen ergreifen. Dass sie sich daher zur Kündigung der Klägerin entschieden hat, ist angesichts der einschlägigen Abmahnungen und des in der Betriebsratsanhörung erwähnten und in seinen Folgen unstreitigen Vorfalls vom 03. Februar 2005 (Küchenwagen) nicht zu beanstanden.
2. Die Kündigung ist nicht gemäß
§ 85 SGB IX unwirksam. Zwar bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einen schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts ( § 85
SGB IX). Gemäß
§ 68 Abs. 3 SGB IX werden auf gleichgestellte behinderte Menschen die besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen (mit Ausnahme des
§ 125 und des Kapitels 13
SGB IX) angewendet. Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden aufgrund einer Feststellung nach § 69
SGB IX behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30. Gemäß
§ 90 Abs. 2 a SGB IX findet
§ 85 SGB IX jedoch keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des
§ 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.
a) Im Zeitpunkt der Kündigung war die Eigenschaft der Klägerin als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen (erste Alternative). Unabhängig von dem Streit, ob der Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber durch Vorlage des Feststellungsbescheids
gem. § 69
Abs. 1,
Abs. 2
SGB IX zu erbringen ist, oder ob die Existenz eines Feststellungsbescheids als solches ausreicht, würde die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30 erst mit Bescheid vom 22.06.2005 und die Gleichstellung mit Bescheid vom 11.08.2005, also nach dem Zeitpunkt der Kündigung festgestellt. Eine offensichtliche Schwerbehinderung, bei der es nicht des Nachweises durch ein spezielles Feststellungsverfahren bedarf, hat die Klägerin nicht behauptet.
b) Die zweite Alternative des mit Wirkung vom 01.05.2004 eingeführten § 90
Abs. 2 a)
SGB IX betrifft die Fälle, in denen ein Feststellungsverfahren
gem. § 69
SGB IX anhängig, eine Feststellung aber noch nicht getroffen wurde (Bauer/Powietzka, NZA - RR, 2004, 505, 507; Schlewing, NZA 2005, 1218, 1221;
LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.03.2005,
6 Sa 1938/04, LAGE
Nr. 1 zu § 90 SBG IX).
(1) Nach der bis zur Einführung des § 90
Abs. 2 a)
SGB IX geltenden Rechtslage genügte es, wenn der Arbeitnehmer vor Zugang der Kündigung einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt hatte und den Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung davon unterrichtete. Anlass für die Neuregelung in § 90
Abs. 2 a)
SGB IX war die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer, der von einer bevorstehenden Kündigung erfuhr, noch unmittelbar vor deren Zugang einen entsprechenden Antrag stellen und damit das anschließende Kündigungsschutzverfahren mit einem weiteren potentiellen Unwirksamkeitsgrund anreichern konnte. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Neuregelung ausschließen, "dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird."
(2) Auch wenn der Gesetzgeber dabei irrtümlich wohl davon ausging, ein besonderer Kündigungsschutz bestehe während des Anerkennungsverfahrens auch bei später (rechtskräftig) abgewiesenem Antrag, lässt sich dem Wortlaut der Regelung die Absicht entnehmen, den Sonderkündigungsschutz dann nicht eingreifen zu lassen, wenn die in § 69
Abs. 1 Satz 2
SGB IX in Bezug genommenen Fristen im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch laufen. Dies setzt
gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX voraus, dass der Antrag länger als 3 Wochen
bzw. 7 Wochen (bei Erforderlichkeit eines Gutachtens) vor Zugang der Kündigung gestellt wurde. Ein Antrag der erst innerhalb dieser Fristen beim Versorgungsamt eingeht, kommt damit zu spät ( Schlewing, NZA 2005 1218, 1221; Griebeling, NZA 2005, 494, 498; Düwell, Betriebsberater 2004, 2811, 2813; Grimm/Brock/Windeln, DB 2005, 282, 283; Düwell, BB 2004, 281f; Bauer/Powietzka, NZA RR 2004, 305, 307).
c) Da die Klägerin den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch erst am 12.05.2005 und damit am Tag des Zugangs der Kündigung gestellt hat, war die vorherige Zustimmung des Integrationsamts
gem. §§ 85, 90
Abs. 2 a)
SGB IX nicht erforderlich. Ob § 90
Abs. 2 a)
SGB IX auch auf das nicht abgeschlossene Gleichstellungsverfahren nach § 68
Abs. 2
SGB IX Anwendung findet, kann deshalb im vorliegenden Fall dahinstehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1
ZPO. Die Revisionszulassung beruht auf § 72
Abs. 2 Ziff. 1
ArbGG, da zur Frage der Auslegung des § 90
Abs. 2 a)
SGB IX bislang keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist.