Urteil
Zustimmungsfreiheit der Kündigung bei laufendem Rechtsbehelfsverfahren gegen Entscheidungen des Versorgungsamts über das Vorliegen und den Grad einer Behinderung

Gericht:

VGH Baden-Württemberg 9. Senat


Aktenzeichen:

9 S 1375/06


Urteil vom:

27.11.2006


Grundlage:

Kurzbeschreibung:

Zur Geltung des § 90 Abs. 2 a SGB IX - Ausnahme vom Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung des Arbeitgebers - in den Fällen, in denen ein Feststellungs- bzw. Erhöhungsantrag des Arbeitnehmers vom Versorgungsamt beschieden wurde und hiergegen ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist.

Rechtsweg:

VG Stuttgart Urteil vom 18.05.2006 - 4 K 4556/05

Quelle:

Behindertenrecht 07/2007

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2006 - 4 K 4556/05 - ist gegenstandslos.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Berufungsverfahren.

Aus den Gründen:

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und über die sich hieraus ergebenen Folgen durch Beschluss zu entscheiden ( § 92 Abs. 3 VwGO entspr.). Hierfür ist der bestellte Berichterstatter anstelle des Senats zuständig (§ 87 a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 3 VwGO).

Das bereits ergangene, aber noch nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts wird wirkungslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 173 VwGO). Dies ist klarzustellen.

Über die Kosten des Verfahrens ist nach billigem Ermessen zu entscheiden, dabei ist der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen (§ 161 Abs. 2 VwGO). Es entspricht billigem Ermessen, demjenigen die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der bei Fortsetzung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre.

Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Gemäß § 90 Abs. 2 a SGB IX, der mit Wirkung vom 1.5.2004 durch Art. 1 Nr. 21 a Buchst. b des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004 (BGBI. I S. 606) in das SGB IX aufgenommen wurde, findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.

Das Verwaltungsgericht hat § 90 Abs. 2 a SGB IX in Anlehnung an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.3.2006 (7 A 11298/05 - br 2006, 108; vgl. auch bereits Senat, Beschluss vom 9. Juni 2006 - 9 S 214/06 -; für den Fall der Gleichstellung Senat, Urteil vom 20.6.2006 - 9 S 604/06 - br 2007, 23) dahingehend ausgelegt, dass die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber nur dann erforderlich ist, wenn entweder im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offensichtlich besteht oder positiv festgestellt ist oder aber, wenn das Versorgungsamt über einen dahingehenden Antrag des Arbeitnehmers, obwohl die Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 14 Abs. 2 Sätze 2 und 4 sowie Abs. 5 Sätze 2 und 5 SGB IX bereits abgelaufen ist, im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht entschieden hat, ohne dass hierfür allein eine fehlende Mitwirkung des Arbeitnehmers ursächlich war, später aber einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 feststellt.

Vorliegend fehlte es im maßgeblichen Zeitpunkt an einer Anerkennung des Klägers als Schwerbehinderter und es lag auch kein Anerkennungs- bzw. Erhöhungsantrag vor, über den trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Klägers nicht entschieden worden wäre. Vielmehr war ein entsprechender Antrag, wenn auch noch nicht bestandskräftig, bereits zuvor abgelehnt worden.

Es spricht in Übereinstimmung mit der zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz sehr vieles dafür, dass die Antragstellung, gleiches gilt für den Erhöhungsantrag, allein nicht geeignet ist, die Sonderkündigungsschutzregelung des Schwerbehindertenrechts in Anwendung zu bringen. Es dürfte wohl hinzukommen müssen, dass über diesen Antrag - ohne Verschulden des Arbeitnehmers - nicht fristgerecht entschieden wurde.

Wird aber - wie hier - der Erhöhungsantrag abgelehnt, so spricht wenig dafür, allein wegen des insoweit anhängigen Rechtsstreits den Arbeitnehmer als schwerbehindert gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX anzusehen (vgl. Senat, Beschluss vom 9.6.2006, a. a.O). Hätten somit die angefochtenen Bescheide auch im Berufungsverfahren Bestand, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger die Kosten des gerichtskostenfreien (§ 188 Satz 2 VwGO) Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen jedoch nur hinsichtlich des Berufungsverfahrens ( § 162 Abs. 3 VwGO), da die Beigeladene nur insoweit ein Kostenrisiko durch Antragstellung eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Referenznummer:

R/R2883


Informationsstand: 11.02.2008