Urteil
Kein Sonderkündigungsschutz während laufendem Anerkennungsverfahren beim Versorgungsamt - rückwirkende Anerkennung als Schwerbehinderter

Gericht:

ArbG Essen 2. Kammer


Aktenzeichen:

2 Ca 4309/06


Urteil vom:

15.05.2007


Grundlage:

Wesentliche Aussagen:

1. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung ist dann nicht erforderlich, wenn das Versorgungsamt im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung lediglich einen Grad der Behinderung von weniger als 50 festgestellt hatte.

2. Die rückwirkende Anerkennung als schwerbehinderter Mensch im Widerspruchsverfahren oder auf eine sich anschließende Klage hin beseitigt nicht den Ausschluss der Zustimmungspflicht nach § 90 Abs. 2a SGB IX.

3. Ein betriebliches Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist nicht mehr erforderlich, wenn der Arbeitgeber vergleichbare Bemühungen unternommen hat, z.B. eine stufenweise Wiedereingliederung, die gescheitert ist.

4. Ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX ist entbehrlich, wenn der Kündigungsgrund feststeht.

Kurzbeschreibung:

Umstritten ist die Wirksamkeit einer der Klägerin am 25.07.2006 zugegangenen krankheitsbedingten Kündigung. Die Klägerin hatte seit 01. 05. 2004 als Bilanzbuchhalterin bei der Beklagten gearbeitet. Am 15.01.2005 erlitt sie in einer Einkaufspassage einen vom Betrieb unabhängigen Unfall, der schwere Kopfverletzungen und später auch psychische Beeinträchtigungen zur Folge hatte. Versuche einer stufenweisen Wiedereingliederung scheiterten daran, dass die Klägerin nur noch begrenzt in der Lage war konzentriert zu arbeiten. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt ( zugegangen am 25.07.2006).

Das Versorgungsamt stellte zunächst nur einen GdB von 30 fest, erkannte aber auf Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 26. 07.2006 rückwirkend einen GdB von 50 an. Außerdem erhielt sie von dem zuständigen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum 31.12.2007.

Die Klägerin machte vornehmlich geltend, die Kündigung sei nicht wirksam, weil die wegen ihrer Schwerbehinderung erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX nicht eingeholt worden sei. Die Beklagte beruft sich darauf, dass gem. § 90 Abs. 2a SGB IX eine Zustimmungspflichtigkeit nicht bestehe, weil die Schwerbehinderung im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht festgestellt gewesen sei.

Das Arbeitsgereicht hat sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Es folgert aus den Materialien (BT-Drs. 15/2357, S. 24), dass der Gesetzgeber die Zustimmungspflichtigkeit einer Kündigung davon abhängig machen wollte, dass die Schwerbehinderung bei Zugang der Kündigung positiv anerkannt war. Ziel sei es gewesen, die Unsicherheit zu beseitigen, die durch in der Regel aussichtslose Widerspruchsverfahren ausgelöst würde. Da im zu entscheidenden Fall die Anerkennung des GdB von 50 erst später im Widerspruchsverfahren erfolgt sei, hätten diese Voraussetzungen nicht vorgelegen. Die Schwerbehinderung sei wegen vielfältiger Unklarheiten, insbesondere, weil auch das Versorgungsamt bis zum Zugang der Kündigung nur einen GdB von 30 festgestellt hatte, für den Arbeitgeber auch nicht offensichtlich gewesen. Die weitere Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX (Verzögerung des Anerkennungsverfahrens ohne Verschulden des Betroffenen) liege hier nicht vor; denn das Versorgungsamt habe noch vor Zugang der Kündigung entschieden. Die Entscheidung sei lediglich nicht mit dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis ergangen.

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts war die Kündigung auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 84 Abs. 1 oder 2 SGB IX unwirksam. Das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX diene zwar der Konkretisierung des das Kündigungsrecht prägende Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die erforderlichen Bemühungen hätten jedoch nur den Zweck zu vermeiden, dass sich auftretende Schwierigkeiten zu Kündigungsgründen verdichteten. Sie kämen dementsprechend nicht mehr in Betracht, wenn - wie hier - ein Kündigungsgrund bereits eingetreten sei.

Auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX sei hier nicht mehr erforderlich gewesen; denn der Arbeitgeber habe die sich anbietende stufenweise Wiedereingliederung erfolglos versucht; andere geeignete Arbeitsplätze seien nicht vorhanden gewesen.

Hinweis:

Fachbeiträge zum Thema finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/b/B_2007-...
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/b/B_2007-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH

Tenor:

1. Das Versäumnisurteil vom 24. Oktober 2006 wird aufrecht erhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 22 500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 24. Juli 2006 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin wegen krankheitsbedingter und dauerhafter Leistungsunfähigkeit bzw. einer dieser Leistungsunfähigkeit gleichstehenden Ungewissheit der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit.

Die 1960 geborene Klägerin stand seit dem 01. Mai 2004 als Bilanzbuchhalterin in den Diensten der Beklagten, welche in ihrem Betrieb in Essen ca. 180 Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar zuletzt zu einem Brutto-Monats-Gehalt von 4 500,00 EUR.

Am 15. Januar 2005 gegen 20:15 Uhr wurde die Klägerin in der Einkaufspassage Porscheplatz in Essen in Höhe des Kaufhauses T.durch den Mitarbeiter einer Dienstleistungsfirma, der die Klägerin übersehen hatte, mit einem von diesem geschobenen schweren Transportwagen umgefahren. Als Folge dieses Unfalls, bei welchem sie schwere Kopfverletzungen erlitt, wurde die Klägerin zunächst stationär im F.-Krankenhaus Essen behandelt.

Die in der Zeit vom 02. Mai 2005 bis zum 25. November 2005 unternommenen Versuche einer stufenweisen Wiedereingliederung der Klägerin in das Erwerbsleben scheiterten, weil die Klägerin als Folge der von ihr erlittenen Kopfverletzungen nur noch sehr begrenzt in der Lage war, konzentriert zu arbeiten. Hinzu trat als weitere Folge des Unfalls eine psychische Erkrankung. Aufgrund der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen war die Klägerin seit dem 15. Januar 2005 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Mit Bescheid vom 30. Juni 2006 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund der Klägerin mit Wirkung ab dem 01. Oktober 2005, befristet bis zum 31. Dezember 2007, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zur Begründung heißt es in dem Rentenbescheid:

"Der Rentenanspruch ist zeitlich begrenzt, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann."

Am 25. April 2006 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt Dortmund ihre Anerkennung als Schwerbehinderte. Mit Bescheid vom 04. Juli 2006 entsprach das Versorgungsamt dem nicht und stellte lediglich einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest. Auf den Widerspruch der Klägerin mit Schriftsatz vom 07. Juli 2006 erkannte das Versorgungsamt Dortmund dann jedoch mit Bescheid vom 26. Juli 2006 die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 rückwirkend ab dem 25.04.2006 an.

Zur Begründung heißt es in dem Abhilfebescheid:

"Die Prüfung ihres Vorbringens im Widerspruch hat ergeben, dass ihr GdB höher zu bewerten ist"

Zwischenzeitlich hatte jedoch die Beklagte bereits mit Schreiben vom 24. Juli 2006, der Klägerin am 25. Juli 2006 zugegangen, eine Kündigung zum 30. September 2006 ausgesprochen.

Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 10. August 2006 bei Gericht eingegangenen Feststellungsklage. Zur Begründung trägt sie vor, die Kündigung sei bereits deshalb rechtsunwirksam, weil die Beklagte vor deren Ausspruch nicht die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt habe.

Dessen Zustimmung sei erforderlich gewesen, da das Versorgungsamt Dortmund sie im Widerspruchsverfahren rückwirkend zum 25. April 2006 als Schwerbehinderte mit einem GdB von 50 anerkannt habe. In der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2006, zu der die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, ist die Klage auf Antrag der Beklagten durch Versäumnisurteil abgewiesen worden. Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 07.11.2006 zugestellte Versäumnisurteil hat die Klägerin mit einem am 08.11.2006 eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums ihrer Prozessbevollmächtigten Einspruch eingelegt.


Die Klägerin beantragt - unter Rücknahme ihres weitergehenden Einspruchs - nunmehr,

unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 24. Oktober 2006

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 24. Juli 2006 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin nach Wiedererlangung ihrer Arbeitsfähigkeit zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Bilanzbuchhalterin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage weiterzubeschäftigen.


Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 24. Oktober 2006 aufrechtzuerhalten.

Zur Begründung macht die Beklagte geltend, bei Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit am 15. Januar 2005 sei die Klägerin erst rund 7 Monate bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Aus dem Rentenbescheid vom 30.08.2006 gehe hervor, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die der Klägerin bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab dem 15.01.2005 erfüllt gewes en seien.

Die Gesamtdauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin werde somit wegen der vorläufigen Befristung der Rente wegen voller Erwerbsminderung zum 31.12.2007 mindestens drei Jahre betragen. Diese Prognose beziehe sich allerdings nur auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Schwerbehindertenausweis der Klägerin sehe bereits einen um ein Jahr verlängerten Zeitrahmen, nämlich bis zum 31.12.2008, vor. Auch der nicht auszuschließende Wegfall der Rente wegen voller Erwerbsminderung zum 31.12.2007 sei kein Indiz dafür, dass die Klägerin anschließend wieder arbeitsfähig sein werde. Vor diesem Hintergrund habe sich die Beklagte gezwungen gesehen, die Position der Klägerin, die bei ihrer Arbeitgeberin hohe Wertschätzung genossen habe, neu zu besetzen und die Kündigung auszusprechen. Für die Beklagte habe auch nicht die Möglichkeit bestanden, die Stelle der Klägerin befristet zu besetzen, denn qualifizierte Bilanzbuchhalter, die wegen der besonderen schwierigen Vorgaben mit zum Teil international verknüpften Rahmenbedingungen hohen Ansprüchen gerecht werden müssten, seien für befristete Anstellungen nicht zu finden.

Die Kündigung habe auch nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurft, denn zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs sei die Klägerin noch nicht als Schwerbehinderte mit einem GdB von 50 anerkannt gewesen.

Die Klägerin erwidert, vorliegend sei das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX nicht entbehrlich gewesen, denn sie sei mit Abhilfebescheid vom 26.07.2006 rückwirkend ab dem 25.04.2006 als Schwerbehinderte anerkannt worden und damit zu einem Zeitpunkt, der vor dem Zugang der streitgegenständlichen Kündigung gelegen habe. Da außerdem - meint die Klägerin - die in ihrer Person vorliegende Schwerbehinderung für die Beklagte offensichtlich gewesen sei, wäre diese verpflichtet gewesen, beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zu der von ihr beabsichtigten Kündigung zu stellen.

Die Verletzungen, die sie erlitten habe, seien der Beklagten bekannt gewesen. Die der Beklagten vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hätten für diese nur den Schluss zugelassen, dass es sich bei der Klägerin um einen schwerbehinderten Menschen handeln müsse. Außerdem rechtfertige die ihr nur befristet gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente keine negative Zukunftsprognose. Vielmehr gehe sie davon aus, dass sie nach dem 31.12.2007 ihre Arbeitsfähigkeit vollständig wiedererlangen werde.

Die Beklagte repliziert, die erst im Widerspruchsverfahren durch das Versorgungsamt festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin sei für die Beklagte keineswegs offensichtlich gewesen. Die Klägerin habe nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 17.01.2005 - also bereits zwei Tage nach dem Unfall - keine erkennbaren Verletzungen davongetragen. Sie sei selbst im Büro der Beklagten erschienen und habe in der Folge in der Zeit vom 02.05.2005 bis zum 25. 11.2005 Versuche zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben unternommen. Nicht einmal die Klägerin selbst sei von ihrer besonderen eingeschränkten Arbeitsfähigkeit und Erkrankung ausgegangen, wie es sich deutlich daraus ergebe, dass der Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte erst 15 Monate nach dem Unfall, nämlich am 25.04. 2006, beim Versorgungsamt gestellt worden sei. Wenn die Klägerin selbst bzw. der sie behandelnde Arzt jedoch 15 Monate gebraucht habe, um sich zu entschließen, einen Schwerbehindertenantrag zu stellen, könne von einer "Offenkundigkeit" im Sinne der Rechtsprechung nicht ausgegangen werden.

Aufgrund der spezifischen Form der Erkrankung der Klägerin - Kopfverletzungen und massive psychische Probleme - müsse eine Verbindung zu der von ihr auszuübenden anspruchsvollen Aufgabenstellung und den sich daraus ergebenden Anforderungen hergestellt werden. Die von der Beklagten gestellte negative Zukunftsprognose ergebe sich daraus und aus dem bis zum vorläufigen Auslaufen der Erwerbsunfähigkeitsrente vergangenen Zeitraum von zwei Jahren und einer negativen Prognose, die durch die spezifische Form des Krankheitsbildes der Klägerin ihrer Natur nach nicht zeitlich begrenzt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der von der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 24. Oktober 2006 form- und fristgerecht (vgl. § 59 ArbGG) eingelegte Einspruch war zurückzuweisen mit der Folge, dass das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten war (vgl. § 343 S. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG).

A. Aufgrund der Dauer ihres Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 1 KSchG) und der Zahl der im Betrieb der Beklagten regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG) genießt die Klägerin Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Sie hat die nach diesem Gesetz zulässige Feststellungsklage auch binnen der Frist des § 4 S. 1 KSchG erhoben.

B. Die Feststellungsklage ist - entgegen der Annahme der Klägerin - nicht schon deshalb begründet, weil die Beklagte vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung nicht die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hat.

1. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX findet § 85 SGB IX " keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte".

Was die Frage betrifft, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung als schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX anzusehen gewesen ist, ist § 90 Abs. 2a SGB IX nach Auffassung der erkennenden Kammer dahin zu verstehen, dass die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber nur dann erforderlich ist, wenn entweder im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offensichtlich besteht oder positiv festgestellt ist (1. Alternative) oder aber, wenn das Versorgungsamt über einen dahingehenden Antrag des Arbeitnehmers, obwohl die Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 14 Abs. 2 Sätze 2 und 4 sowie Abs. 5 Sätze 2 und 5 SGB IX bereits abgelaufen ist, im Zeitpunkt der Kündigung noch keine Entscheidung getroffen hat, ohne dass hierfür allein eine fehlende Mitwirkung des Arbeitnehmers ursächlich war, später aber mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Kündigung feststellt, dass bei diesem bereits damals ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 bestanden hat (2. Alternative).

Dies ergibt unter Berücksichtigung ihres Sinnes und Zweckes und ihrer Entstehungsgeschichte eine Auslegung des Wortlauts dieser Bestimmung; auch dann, wenn das Versorgungsamt noch nicht entschieden hat, ist die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch "nicht nachgewiesen"(insoweit zutreffend: ArbG Düsseldorf vom 29.10.2004 13 Ca 5326/04 NZA-RR 2005, 138, 139; vgl. im übrigen: Griebeling in NZA 2005, 494, 495 f.).

a) In seiner Stellungnahme zu dem Entwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (BT-Drs. 15/1783) hatte der Bundesrat dazu aufgefordert, in § 85 SGB IX, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, folgenden Satz 2 anzufügen:

"Einer vorherigen Zustimmung bedarf es nicht, wenn der behinderte Mensch dem Arbeitgeber vor der Kündigung den Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§ 69 Abs. 5) oder den Gleichstellungsbescheid (§ 68 Abs. 2) nicht vorgelegt hat".

Zur Begründung hatte der Bundesrat geltend gemacht: "Die Ergänzung ist erforderlich, um dem zunehmenden Missbrauch des Kündigungsschutzes in den Fällen entgegenzuwirken, in denen Arbeitnehmer ein von vornherein aussichtsloses Feststellungs- oder Gleichstellungsverfahren nur mit dem Ziel in die Wege leiten, die Regelungen über den Kündigungsschutz für die Zeit dieses Verfahrens in Anspruch zu nehmen" (vgl.: BT-Drs. 15/2318, S. 16).

Hintergrund dessen war Folgendes:

Gemäß § 85 SGB IX bedurfte, von den in § 90 Abs. 1 und 2 SGB IX genannten Ausnahmefällen abgesehen, die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Schwerbehindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt oder wenn ein Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.

Den Grad der Behinderung stellt gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen das Versorgungsamt fest. Die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch entsteht zu dem Zeitpunkt, ab dem das Vorliegen eines Grades der Behinderung von wenigstens 50 festgestellt wurde, oft zum Zeitpunkt der Antragstellung, unter Umständen aber auch schon zu einem noch früheren Zeitpunkt. Dies gilt auch dann, wenn das Versorgungsamt zunächst keinen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festgestellt hatte und hierzu erst im Widerspruchsverfahren oder in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren verpflichtet worden war.

Die Gleichstellung behinderter Menschen mit einem festgestellten Grad der Behinderung von wenigstens 30 mit schwerbehinderten Menschen erfolgt bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX auf Antrag des behinderten Menschen nach § 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durch die Bundesagentur für Arbeit (früher: das Arbeitsamt) und wirkt gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX stets auf den Tag des Eingangs des Gleichstellungsantrages zurück, und zwar auch dann, wenn die Bundesagentur für Arbeit zur Gleichstellung erst im Rechtsmittelverfahren verpflichtet worden war.

b) Die rechtliche Wirkung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 85 SGB IX, d.h. der sogenannte Sonderkündigungsschutz, bestand nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich nur dann, wenn vor Zugang der Kündigungserklärung des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer ein dessen Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch feststellender Bescheid oder ein Gleichstellungsbescheid ergangen oder wenn ein dahingehender Antrag gestellt worden war, der im Nachhinein wenigstens mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Erfolg hatte; anderes galt ausnahmsweise dann, wenn eine Schwerbehinderung - z.B. bei Blindheit oder dem Verlust wichtiger Gliedmaßen - offenkundig war oder wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor Zugang der Kündigung über seine Beeinträchtigungen und eine beabsichtigte Antragstellung beim Versorgungsamt informiert hatte.

Zudem konnte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der schwerbehinderte Arbeitnehmer nur dann Sonderkündigungsschutz in Anspruch nehmen, wenn er innerhalb einer angemessenen Frist - nach früherer Rechtsprechung regelmäßig innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung (vgl. SAG vom 7.3.2002 2 AZR 612/00 - NZA 2002, 1145, m. w.N.), nach neuer Rechtsprechung binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung (vgl. BAG vom 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - NZA 2006, 1035, 1037, m.w.N.) -den Arbeitgeber von der Feststellung seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bzw. von seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen oder aber von einer diesbezüglichen Antragstellung unterrichtet hatte, weil andernfalls der Sonderkündigungsschutz verwirkt wurde. Jedoch war eine Kündigung, die der Arbeitgeber in Unkenntnis der Eigenschaft des Arbeitnehmers als schwerbehinderter Mensch, seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen oder seines diesbezüglich gestellten Antrages und deshalb ohne Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen hatte, gemäß § 134 BGB unwirksam oder wurde es nachträglich, wenn auf den Antrag des Arbeitnehmers hin später - unter Umständen erst nach Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens - festgestellt wurde, dass dieser bereits bei Zugang der Kündigung schwerbehindert oder mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen gewesen war.

Da eine vom Arbeitgeber etwa vorsorglich eingeholte Zustimmung des Integrationsamtes zu einer vorsorglichen nochmaligen Kündigung vom Arbeitnehmer mit Widerspruch und Klage zum Verwaltungsgericht angefochten werden konnte, bestand bei einem noch nicht bestandskräftig beschiedenen Feststellungs- oder Gleichstellungsantrag des Arbeitnehmers ein unter Umständen hohes Risiko des Arbeitgebers, aufgrund dessen dieser häufig dem Arbeitnehmer die Rechtsschutzmöglichkeiten des Sonderkündigungsschutzes durch erhöhte Abfindungen "abkaufte". Allein dies war wiederum oft Grund genug auch für voraussichtlich nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer, bei einer sich abzeichnenden Kündigung seitens des Arbeitgebers einen eher aussichtslosen Antrag auf Feststellung ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch oder auf Gleichstellung zu stellen (vgl. hierzu: Bauer/Powietzka in NZA-RR 2004, 505, 507; Cramer in NZA 2004, 698, 704; Düwell in FA 2004, 200, 201; Düwell in BB 2004, 2811, 2812; Grimm/Brock/Windeln in DB 2005, 282; Feldes/Kossack in AiB 2004, 453, 454).
Jedoch kam es statt der deswegen vom Bundesrat vorgeschlagenen Anfügung eines § 85 S. 2 SGB IX mit dem oben wiedergegebenen Wortlaut zu der Einfügung des jetzigen Absatzes 2a in § 90 SGB IX. Zur Begründung dessen hatte der Bundestagsausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung in seiner Beschlussempfehlung (vgl. BT-Drs. 15/2357, S. 24) ausgeführt:

"Die Ergänzung stellt sicher, dass der Arbeitgeber zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist, so dass es eines durch ein Feststellungsverfahren zu führenden Nachweises nicht bedarf oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 erbracht ist; diesem Bescheid stehen Feststellungen nach § 69 Abs. 2 gleich. Der Kündigungsschutz gilt daneben nur in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zwar anhängig ist, das Versorgungsamt aber ohne ein Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellungen treffen konnte. Die Regelung schließt damit aus, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Im Übrigen wird mit der Neufassung grundsätzlich einem Anliegen aus der Sachverständigenanhörung und des Bundesrates Rechnung getragen."


2. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Sonderkündigungsschutz im Sinne von § 85 SGB IX, was die im vorliegenden Fall in Rede stehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX anbelangt, nur dann aufgrund der ersten Alternative des § 90 Abs. 2 a SGB IX besteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung des Arbeitgebers diese Eigenschaft beim Arbeitnehmer entweder offenkundig vorliegt oder positiv festgestellt ist. Wurde hingegen durch Bescheid des Versorgungsamtes vor Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer ein Grad der Behinderung von unter 50 und erst nach Zugang der Kündigungserklärung im Rechtsmittelverfahren ein solcher von wenigstens 50 festgestellt, so besteht Sonderkündigungsschutz auch dann nicht, wenn im letzteren Falle festgestellt wurde, der Grad der Behinderung von wenigstens 50 habe bereits vor Zugang der Kündigungserklärung vorgelegen (ebenso: OVG Koblenz vom 07. März 2006 - 7 A 11298/05 - NZA 2006, 1108; ArbG Essen vom 25. Oktober 2005 - 2 Ca 1592/05 - n. v.; KR-Etzel, 8. Aufl. , §§ 85-90SGB IX, Rz. 53c; Cramer in NZA 2004, 698, 704; Düwell in BB 2004, 2811, 2812; Grimm/Brock/Windeln in DB 2005, 282, 283; Kuhlmann in Behindertenrecht 2004, 181, zu III; Neumann/ Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., § 90 Rz. 23; Schlewing in NZA 2005, 1218, 1221; für den Fall eines Gleichstellungsantrages im Sinne von § 68 Abs. 2 SGB IX ebenso: BAG vom 01. März 2007 - 2 AZR 217/06 - NZA 2007, Heft 6, S. IX [ Pressemitteilung]; LAG Rheinland-Pfalz vom 16. März 2005 - 9 Sa 961/04 - juris.de; LAG Rheinland- Pfalz vom 12. Oktober 2005 - 10 Sa 502/05 - NZA-RR 2006, 186; LAG Baden-Württemberg vom 14. Juni 2006 - 10 Sa 43/06 - LAGE § 85 SGB IX Nr. 2 = EzA-SD 2006, Nr. 22, S. 8 = ArbuR 2006, 412 m. zust. Anm. Gagel in jurisPR-ArbR 40/2006, Anm. 3; a. A.: LAG Düsseldorf vom 22. März 2005 - 6 Sa 1938/04 - LAGE § 90 SGB IX Nr. 1 = Behindertenrecht 2005, 198; LAG Düsseldorf vom 17.1.2006 8 Sa 1052/05 EzA-SD 2006, Nr. 9, S. 15; LAG Düsseldorf vom 29. März 2006 - 17 Sa 1321/05 - DB 2006, 2244 [ LS] = BB 2006, 2140 [ LS] ; LAG Köln vom 16. Juni 2006 - 12 Sa 168/06 - NZA-RR 2007, 133).

Zwar ist die Regelung in § 90 Abs. 2a SGB IX in verschiedener Hinsicht hinter dem Vorschlag des Bundesrates zurückgeblieben. So ist insbesondere nicht die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises beim Arbeitgeber vor Zugang von dessen Kündigungserklärung erforderlich geworden, damit Sonderkündigungsschutz besteht. Jedoch ist sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch der vom Bundestagsausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung dafür gegebenen Begründung hinreichend deutlich zu entnehmen, dass nach der ersten Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX Sonderkündigungsschutz nur dann besteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch positiv festgestellt wurde; die weitergehende Frage, ob diese Feststellung auch dem Arbeitgeber vorgelegt worden sein muss, ist zu verneinen (so auch: LAG Düsseldorf vom 22. März 2005 - 6 Sa 1938/04 - a.a.O.; LAG Düsseldorf vom 29. März 2006 -17 Sa 1321/05 - a.a.O., zu B II 1b der Gründe; ArbG Bonn vom 25. November 2004 - 7 Ca 2459/04 - NZA-RR 2005, 193; Griebeling in NZA 2005, 494, 496 f.; Grimm/ Brock/Windeln, a.a. O. , S. 285; Kuhlmann, a. a. O. , S. 182; a.A.: Cramer in NZA 2004, 698, 704; Bauer/Powietzka, a.a.O., S. 507). Hierauf kommt es im vorliegenden Fall jedoch nicht entscheidend an, weil im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bei der Klägerin ein ihre Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch feststellender Bescheid nicht vorgelegen hat, sondern vielmehr ihr dahingehender Antrag abgelehnt worden war.

3. Nach der zweiten Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX besteht Sonderkündigungsschutz im Sinne von § 85 SGB IX, was die im vorliegenden Fall allein in Rede stehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX anbelangt, vor dem oben dargelegten Hintergrund (nur) in den Fällen, in denen das Versorgungsamt über einen diesbezüglich gestellten Antrag des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung des Arbeitgebers trotz Ablaufs der nach § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Sätze 2 und 4 sowie Abs. 5 Sätze 2 und 5 SGB IX maßgeblichen Frist noch nicht entschieden hat, ohne dass hierfür allein ein Mitwirkungsverschulden des Arbeitnehmers ursächlich ist, später aber feststellt, dass bei diesem ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 bereits im Zeitpunkt der Kündigung bestanden hat ( vgl. Bauer/Powietzka, a. a.O., S. 507, Griebeling, a.a. O., S. 498 f., Grimm/Brock/Windeln, a.a. O., S. 283; Kuhlmann, a.a.O. , S. 182).

Sonderkündigungsschutz nach der zweiten Alternative besteht damit jedoch nicht in den Fällen, in denen das Versorgungsamt noch vor dem Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer, aber nach Ablauf der vorerwähnten Frist, dessen Antrag dahin beschieden hat, bei ihm liege ein Grad der Behinderung von weniger als 50 vor, nach Zugang der Kündigung im Widerspruchsverfahren oder in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren dann aber festgestellt wird, seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch habe schon im Zeitpunkt der Kündigung vorgelegen. Dies folgt aus dem klaren Wortlaut des § 90 Abs. 2a Alt. 2 SGB IX, der sich eindeutig nur auf das Erstverfahren vor dem Versorgungsamt bis zu dessen Abschluss bezieht. In allen anderen Fällen, also auch bei Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen des Versorgungsamts, kommt hingegen der Grundsatz des § 90 Abs. 2a Alt. 1 SGB IX zum Tragen, wonach Sonderkündigungsschutz mangels Nachweises der Schwerbehinderteneigenschaft nicht besteht (vgl. Schlewing in NZA 2005, 1218, 1221f.).

Es ist zwar richtig, dass der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( vgl. BAG vom 07. März 2002 - 2 AZR 612/00 - NZA 2002, 1145 )nur deklaratorische Wirkung hat; der geänderte Gesetzeswortlaut in § 90 Abs. 2a SGB IX knüpft jedoch ausdrücklich an den Nachweis bzw. die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch - und nicht an das (vom Versorgungsamt im Erstverfahren möglicherweise nicht erkannte) objektive Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft an. Die gegenteilige Auffassung berücksichtigt nicht, dass nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut - "wenn . das Versorgungsamt . eine Feststellung . nicht treffen konnte" -Kündigungsschutz gemäß der zweiten Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX nur dann in Betracht kommt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung das Versorgungsamt noch keine Entscheidung hat treffen können. Auch nach der vom Bundestagsausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung gegebenen Begründung für den von ihm vorgeschlagenen und später Gesetz gewordenen § 90 Abs. 2a SGB IX soll Sonderkündigungsschutz außer bei offensichtlicher oder nachgewiesener Schwerbehinderung (1. Alternative) nur in den Fällen bestehen, in denen das Versorgungsamt bis zum Zugang der Kündigung noch keine Feststellung hat treffen können und nicht zusätzlich in den Fällen, in denen das Versorgungsamt noch keine rechtskräftige Feststellung über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch hat treffen können.

Danach hat die Klägerin bei Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung (noch) nicht zu den schwerbehinderten Menschen gehört, denn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 25.07.2006 hat ein Bescheid des Versorgungsamtes über einen in Ihrer Person gegebenen Grad der Behinderung von wenigstens 50 nicht vorgelegen (§ 2 Abs. 2 SGB IX), andererseits hatte das Versorgungsamt Dortmund zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eine Entscheidung - und zwar über einen in der Person der Klägerin bestehenden Grad der Behinderung von lediglich 30 - getroffen. Nach Sinn und Zweck des § 90 Abs. 2a SGB IX soll aber, wenn zum Kündigungszeitpunkt eine Feststellung durch das Versorgungsamt getroffen ist, klar sein, ob der Arbeitgeber das Integrationsamt beteiligen muss oder nicht. Diese Klarheit wäre nicht gegeben, wenn eine rückwirkende Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach zunächst erfolgter Zuerkennung eines GdB von weniger als 50 nachträglich das Zustimmungsbedürfnis auslösen würde.

Da der Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Schwerbehinderte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits insoweit abschlägig beschieden gewesen ist, als das Versorgungsamt lediglich einen Grad der Behinderung von 30 anerkannt hat, scheidet ein Sonderkündigungsschutz gemäß der gesetzlichen Neuregelung aus (vgl. Grimm/Brock/Windeln in DB 2005, 282, 284; Schlewing in NZA 2005, 1218, 1221, m.w.N.).

4. Schließlich hat die Klägerin auch keine Tatsachen vorgetragen, anhand derer sich ergäbe, dass die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 SGB IX seinerzeit "offenkundig" in ihrer Person vorgelegen hätten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin genügt es für die Annahme, ihre Schwerbehinderung sei für die Beklagte "offensichtlich" gewesen, nicht, dass der Beklagten die Umstände des Unfalls und die von der Klägerin hierbei erlittenen Verletzungen bekannt gewesen sein mögen. Die für einen Nichtmediziner erkennbaren (äußeren) Verletzungen der Klägerin, die sich zudem nur wenige Tage zur stationären Behandlung im Krankenhaus aufgehalten hatte, sind unstreitig nicht von einer derartigen Schwere und Auffälligkeit gewesen, dass sich für einen Laien das Vorliegen einer Schwerbehinderung förmlich hätte aufdrängen müssen. Die dem Arbeitgeber vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enthalten bekanntlich hinsichtlich ärztlicher Diagnose oder Art der Erkrankung keine Angaben. Auch die Klägerin selbst bzw. die diese behandelnden Ärzte sind lange Zeit nicht vom möglichen Vorliegen einer Schwerbehinderung ausgegangen und haben den diesbezüglichen Antrag erst 15 Monate nach dem Unfall gestellt. Schließlich hat selbst das in der Beurteilung solcher Fragen ungleich sach- und fachkundigere Versorgungsamt aufgrund der ihm von der Klägerin im Erstverfahren unterbreiteten und belegten Angaben zunächst lediglich einen Grad der Behinderung von 30 feststellen können. Erst "die Prüfung des Vorbringens im Widerspruch" hat, wie es im Abhilfebescheid heißt, dann im Widerspruchsverfahren zur Anerkennung eines GdB von 50 geführt.
Daher sind Anhaltspunkte dafür, bei Ausspruch der Kündigung sei offenkundig gewesen, dass die Klägerin Schwerbehinderte mit einem GdB von mindestens 50 sei, nicht erkennbar.

Nach allem hat die streitgegenständliche Kündigung somit nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurft.

C. Die Kündigungsschutzklage ist auch im übrigen nicht begründet, denn nach den Feststellungen der erkennenden Kammer ist die von der Beklagten mit Schreiben vom 24. Juli 2006 ausgesprochene Kündigung sozial gerechtfertigt gewesen.

I. Die Überprüfung einer Kündigung wegen lang anhaltender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfolgt in drei Stufen:

Danach setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus (1. Stufe). Es kommt also darauf an, ob nach den objektiven Umständen zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, mit der Wiederherstellung der Gesundheit des Arbeitnehmers sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen (vgl. BAG vom 25.11.1982 - 2 AZR 140/81 - AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG vom 07. November 1985 - 2 AZR 657/ 84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG vom 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - NZA 1999, 978, jeweils m. w. N.). Dieser Sachverhalt ist aber nur geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn die entstandenen und für die Zukunft prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (2. Stufe).

Schließlich ist in der dritten Stufe bei der sog. Interessenabwägung zu prüfen, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betrieblichen Ursachen beruhen, ob bzw. wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist, ferner das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers. In der dritten Stufe ist außerdem zu prüfen, ob es dem Arbeitgeber zumutbar ist, die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen durch an sich mögliche weitere Überbrückungsmaßnahmen zu verhindern (vgl. BAG vom 06.09.1989 - 2 AZR 19/ 89 - AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit= DB 1990, 429).

II: Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 24. Juli 2006 ausgesprochene ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt gewesen ist.
1. Nach den Feststellungen der erkennenden Kammer war die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 25. Juli 2006 objektiv nicht absehbar. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt seit dem 15. Januar 2005 ununterbrochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Sie hat im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht angeben können, ob und gegebenenfalls wann mit der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei. In der Klageschrift vom 10. August 2006 hat sie selbst nicht angeben können, ob jemals wieder mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei. Aufgrund des Rentenbescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund steht andererseits fest, dass die Klägerin seit dem 15. Januar 2005 die Anspruch svoraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt. Auch wenn die Rente auf den 31. Dezember 2007 befristet ist, so stand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 25. Juli 2006 fest, dass die Klägerin noch mindestens 1 ½ Jahre lang nicht in der Lage sein würde, die geschuldete Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten zu erbringen.

Entgegen der Annahme der Klägerin stand andererseits jedoch nicht fest, dass sie anschließend ab dem 01. Januar 2008 ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangen und ihre Arbeit im Betrieb der Beklagten würde wieder aufnehmen können. Hierzu genügt es nämlich nicht, dass es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden "nicht unwahrscheinlich" sein mag, dass die volle Erwerbsminderung der Klägerin behoben werden könne.

Tatsachen, anhand derer sich ergeben hätte, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung mit ihrer alsbaldigen Wiedergenesung bzw. der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit zu rechnen gewesen wäre, hat die Klägerin selbst nicht benennen und vortragen können. Im Gegenteil hat sie selbst nicht bestreiten können, dass sie als Folge des Unfalls unter schwersten gesundheitlichen Einschränkungen leidet, die ihr die Durchführung ihrer Tätigkeit im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bis zur letzten mündlichen Verhandlung und darüber hinaus auf unabsehbar lange Sicht unmöglich machen.

Die Beklagte musste daher zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung davon ausgehen, dass sowohl das Ob als auch das Wann der gesundheitlichen Wiederherstellung der Klägerin nicht absehbar gewesen sind. Die in der Person der Klägerin vorliegenden schweren Erkrankungen, die auch zu ihrer Anerkennung als Schwerbehinderte mit einem GdB von 50 geführt haben, haben vielmehr offensichtlich einen extrem langen Genesungsprozess erwarten lassen, dessen Dauer sich seinerzeit objektiv nicht näher hat bestimmen lassen und bei dem zudem ungewiss ist, ob er jemals wieder zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin auf ihrem Arbeitsplatz als Bilanzbuchhalterin führen kann.

2. Die von der Beklagten angenommene und von der Klägerin nicht mit Tatsachen substantiiert bestrittene krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, berechtigte die Beklagte zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitgeber in einem solchen Fall eine darüber hinausgehende erhebliche Betriebsbeeinträchtigung nicht darlegen. Hierbei geht es nämlich nicht um eine Kündigung wegen Leistungsminderung infolge Krankheit, sondern um eine Kündigung wegen dauernder Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Bei einem Arbeitsverhältnis, bei dem feststehe, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen könne, sei schon aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört; die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene unzumutbare betriebliche Beeinträchtigung bestehe darin, dass der Arbeitgeber damit rechnen müsse, der Arbeitnehmer sei auf Dauer außerstande, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen (vgl. BAG vom 30. Januar 1986 - 2 AZR 668/84 -NZA 1987, 555, zu A IV 2c der Gründe; BAG vom 28. Februar 1990 - 2 AZR 401/89 - NZA 1990, 727, 728, zu II 1b bb der Gründe).

Vom Fehlen einer betrieblichen Beeinträchtigung könnte in einem solchen Fall nur ausgegangen werden, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers überhaupt keinen Wert hätte. Einen solch ungewöhnlichen Ausnahmetatbestand, der voraussetzen würde, der Arbeitgeber beschäftige überflüssige Arbeitnehmer, muss der Arbeitnehmer vortragen. Dies hat die Klägerin vorliegend nicht getan.

3. Die streitbefangene Kündigung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil die Beklagte die Klägerin auf einem anderen freien Arbeitsplatz - zu veränderten Arbeitsbedingungen - hätte weiterbeschäftigen können.

Die nach der Rechtsprechung insoweit eingreifende Darlegungslast (vgl. BAG vom 30. Januar 1986 - 2 AZR 668/84 - NZA 1987, 555, 557, zu A IV 2d der Gründe) erfüllt der Vortrag der Klägerin nicht.

Die Klägerin hat keinen bei der Beklagten bestehendenfreien Arbeitsplatz bezeichnet, auf dem sie unter Berücksichtigung der in ihrer Person vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingesetzt werden könnte. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht bereits wiederholt entschieden, dass der Arbeitgeber nur verpflichtet ist, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu beschäftigen. Daraus ergibt sich, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu einem Austausch von Arbeitnehmern oder gar einem Ringtausch nicht besteht. Eine solche Verpflichtung ist § 1 KSchG, der Konkretisierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, nicht zu entnehmen. Eine solche Maßnahme des Arbeitgebers würde auch Rechtspositionen anderer Arbeitnehmer berühren (vgl. BAG vom 30. Januar 1986 - 2 AZR 668/84 - a.a.O.).

Insoweit hat die Beklagte vorgetragen, in ihrem Betrieb seien weder ein für die Klägerin leidensgerechter noch ein freier Arbeitsplatz vorhanden.

Nach diesem Vorbringen der Beklagten hätte die Klägerin ihrerseits einen konkreten, bereits bestehenden und freien Arbeitsplatz benennen müssen, den sie mit ihrer Qualifikation trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen voll hätte ausfüllen können. Insoweit ist ihr Tatsachenvortrag jedoch unzureichend geblieben.

Letztendlich hätte allerdings auch ein solches Vorbringen nicht darüber hinweggeholfen, dass die Wiederherstellung der - auch nur eingeschränkten - Arbeitsfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung wie auch rund fünf Monate später, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, unstreitig nicht absehbar gewesen ist.

4. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht daran, dass die Beklagte vor Kündigungsausspruch kein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchgeführt hat.

a) Nach § 84 Abs. 1 SGB IX schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, Verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten in Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, die in § 93 SGB IX genannten Mitarbeitervertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

Die Regelung in § 84 Abs. 1 SGB IX richtet sich an Arbeitgeber, die schwerbehinderte Mitarbeiter beschäftigen.

b) Die Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX ist jedoch keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung mit der Folge, dass eine Kündigung grundsätzlich nach § 84 Abs. 1 SGB IX unwirksam wäre, wenn ein Präventionsverfahren vor ihrem Ausspruch nicht durchgeführt worden ist. § 84 Abs. 1 SGB IX kann nicht als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB betrachtet werden. Weder dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 SGB IX noch der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass Rechtsfolge einer Verletzung von § 84 Abs. 1 SGB IX stets die Unwirksamkeit einer Kündigung sein soll (vgl. BAG vom 07. Dezember 2006 - 2 AZR 182/06 - DB 2007, 1089 = EzA- SD 2007, Nr. 10, S. 16, zu B III 3b der Gründe).

c) Ebenso wenig stellt allerdings § 84 Abs. 1 SGB IX eine reine Ordnungsvorschrift mit bloßem Apellativcharakter dar, deren Missachtung in jedem Fall folgenlos bliebe. Durch die dem Arbeitgeber von § 84 Abs. 1 SGB IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der Beschäftigung erreicht werden. Ziel der gesetzlichen Prävention ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen. Die in § 84 Abs. 1 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung eines Kündigungsausspruchs zur Verhinderung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen.

d) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass § 84 Abs. 1 SGB IX eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht inner wohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt. Eine Kündigung ist danach nur erforderlich (ultima ratio) wenn sie nicht durch mildere Maßnahmen zu vermeiden ist (vgl. BAG vom 26. Januar 1995 - 2 AZR 649/ 94 - DB 1995, 1028; BAG vom 15. August 2002 - 2 AZR 514/01 - EzA KSchG § 1 Nr. 56; BAG vom 12. Januar 2006 -2 AZR 179/ 05-DB 2006, 1566).Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. BAG vom 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - a.a.O.) . Solche Mittel können beim Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Menschen die in § 84 Abs. 1 SGB IX genannten Möglichkeiten und Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Hilfen darstellen. Das Gesetz mutet dem Arbeitgeber grundsätzlich zu, mit Hilfe der genannten Stellen frühzeitig zu prüfen, ob und wie eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses und damit letztlich der Ausspruch einer Kündigung vermieden werden kann. Eine Kündigung kann damit wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt zu beurteilen sein, wenn bei gehöriger Durchführung des Präventionsverfahrens Möglichkeiten bestanden hätten, die Kündigung zu vermeiden (vgl. Düwell in BB 2000, 2570, 2573). Im Umkehrschluss steht das Unterbleiben des Präventionsverfahrens einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn die Kündigung auch durch das Präventionsverfahren nicht hätte verhindert werden können (vgl. BAG vom 07. Dezember 2006 - 2 AZR 182/ 06 - a. a. O. , zu B III 3 der Gründe).

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt das Unterbleiben des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht zu einer Interessenabwägung zu Lasten der Beklagten.

Es lagen bereits keine "Schwierigkeiten" im Sinne von § 84 Abs. 1 SGB IX vor. Solche "Schwierigkeiten" können nach dem Sinn des Präventionsverfahrens nur dann angenommen werden, wenn es sich um Unzuträglichkeiten handelt, die noch nicht den Charakter von Kündigungsgründen aufweisen. Denn nach dem Gesetz sollen die präventiven Maßnahmen eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses verhindern, also der Gefährdung und damit dem Entstehen von Kündigungsgründen zuvorkommen. Sind solche Gründe aber bereits entstanden, so können sie nicht mehr verhindert werden. Das Arbeitsverhältnis ist dann bereits "kündigungsreif" und nicht etwa nur von Gefährdung bedroht. Eine Prävention, also eine Vorbeugung, kann es bei dieser Lage nicht mehr geben. Da im Streitfall Gründe vorgelegen haben, die die Beklagte zur Kündigung berechtigt haben, kann von "Schwierigkeiten" nicht gesprochen werden. Insofern kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung in der Person der Klägerin lediglich ein GdB von 30 festgestellt gewesen ist.

5. Entgegen der Ansicht der Klägerin begegnet die Kündigung auch nicht deswegen rechtlichen Bedenken, weil die Beklagte keine ausreichenden Versuche des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX unternommen hätte.
a) Gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber dann, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war, ein "betriebliches Eingliederungsmanagement" durchzuführen. Dabei hat der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Personen die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich, wird der Werks oder Betriebsarzt hinzugezogen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, so sollen vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen werden.

Welche Auswirkungen die Nichtvornahme des nach dieser Vorschrift vorgesehenen "betrieblichen Eingliederungsmanagements" auf die Wirksamkeit einer Kündigung hat, ist umstritten. Vereinzelt wird angenommen, eine krankheitsbedingte Kündigung ohne Durchführung einer solchen Maßnahme sei in der Regel unverhältnismäßig und damit sozialwidrig und unwirksam (Gaul/Süßbrich/ Kulejewski in Arbeitsrechtsberater 2004, 308), in weiten Teilen von Rechtsprechung und Rechtslehre wird § 84 Abs. 2 SGB IX hingegen als Konkretisierung des dem Kündigungsrecht innewohnenden ultima-ratio-Prinzips verstanden (so: MG Berlin vom 27. Oktober 2005 - 10 Sa 783/05 - NZA-RR 2006, 184 = LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 37= BB 2006, 560; LAG Hamm vom 29. März 2006 - 18 Sa 2104/05 - LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 39; LAG Niedersachsen vom 25. Oktober 2006 - 6 Sa 974/05 - BB 2007, 719= EzA-SD 2006, Nr. 25, S. 3 [LS]; APS-Vossen, 2. Aufl., § 85 SGB IX, Rz. 2a; Brose in RdA 2006, 149, 154 f.; Düwell in BB 2000, 2570, 2573; KR-Griebeling, 8. Aufl. § 1 KSchG, Rz. 215a u. 234a - e; Neumann/Pahlen/ Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., § 84 SGB IX Rz.77). Dabei wird es aber als ausreichend angesehen, wenn der Arbeitgeber die in § 84 Abs. 2 SGB IX inhaltlich vorgesehenen Schritte und Maßnahmen prüft und durchführt; dass er dies unter dem ausdrücklichen Etikett der "betrieblichen Eingliederungsmaßnahme" tun müsste, sei nicht erforderlich (vgl. LAG Berlin vom 27. Oktober 2005 - 10 Sa 783/ 05 - NZA-RR 2006, 184 = BB 2006, 560).

Nach einer weiteren im Schrifttum vertretenen Ansicht soll es sich bei § 84 Abs. 2 SGB IX dagegen lediglich um eine sanktionslose Norm handeln (so: Balders/Lepping in NZA 2005, 854, 857; ErfK-Rolfs, 7. Aufl., § 84 SGB IX, Rz. 1; KR-Etzel, 7. Aufl., vor §§ 85-92 SGB IX, Rz. 36; Schlewing in ZfA 2005, 485, 496 ff.).

b) Dieser Meinungsstreit bedarf für den vorliegenden Fall indes keiner Entscheidung. Unstreitig sind nämlich die in der Zeit vom 02. Mai 2005 bis zum 25. November 2005 - also für die Dauer von immerhin 6 ½ Monaten - im Betrieb der Beklagten unternommenen Versuche einer stufenweisen Wiedereingliederung der Klägerin in das Erwerbsleben gescheitert, weil die Klägerin als Folge der bei dem Unfall erlittenen Kopfverletzungen nur noch sehr begrenzt in der Lage gewesen ist, konzentriert zu arbeiten. Außerdem war als Folge des Unfalls eine psychische Erkrankung hinzugekommen.

Damit ist die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung ihren Verpflichtungen gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX sehr wohl nachgekommen unabhängig von der Frage, welche rechtlichen Konsequenzen ein Verstoß gegen diese Vorschrift hätte nach sich ziehen können.

6. Da ein vergleichbarer Arbeitsplatz nicht besteht, auf dem die Klägerin im Rahmen ihres gesundheitlichen Restvermögens bei der Beklagten eventuell hätte weiterbeschäftigt werden können, führt die abschließend anzustellende Interessenabwägung auch im übrigen nicht zu ihrer Weiterbeschäftigung.

a) Im Rahmen der Interessenabwägung, ob nämlich die festgestellten erheblichen Beeinträchtigungen für den Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als unzumutbar erscheinen lassen, ist neben der mit ca. einem Jahr sehr kurzen Betriebszugehörigkeit der Klägerin und ihres Lebensalters auch zu berücksichtigen, ob ihre Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, weil die Krankheitsursache von ganz erheblicher Bedeutung ist (vgl. BAG vom 07. November 1985 - 2 AZR 657/84 AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit= DB 1986, 863, zu B III der Gründe).

b) Insoweit hat die Klägerin zwar die Behauptung aufgestellt, bei dem Unfall, als dessen Folgen sich in ihrer Person die zu ihrer Arbeitsunfähigkeit führenden schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen eingestellt haben, habe es sich um einen sog. Wegeunfall gehandelt: Sie habe nämlich am 15. Januar 2005 bis ca. 19:30 Uhr gearbeitet und sich dann in die Einkaufspassage Porscheplatzbegeben und dort bei N.einen Fertigsalat gekauft, den sie mit zu ihrem Arbeitsplatz im Betrieb der Beklagten habe nehmen wollen. Beim Verlassen der N.-Filiale sei sie dann von einem Mitarbeiter der Reinigungsfirma, die das City-Center reinige, umgefahren worden. Infolge dessen habe es sich bei dem in Frage stehenden Unfall, der die lang anhaltende Arbeitsunfähigkeit ausgelöst habe, um einen Wegeunfall gehandelt.

Unabhängig davon, dass die Beklagte unter Hinweis auf die seitens der Klägerin bei Einleitung des Verfahrens bei der Berufsgenossenschaft gemachten Angaben bestritten hat, dass es sich um einen Arbeits- bzw. Wegeunfall gehandelt hat, so hat sich jedenfalls in dem tragischen Unfall, den die Klägerin erlitten hat, kein spezifisch betriebliches bzw. berufstypisches Risiko realisiert, das auf ihre Tätigkeit im Betrieb der Beklagten zurückzuführen wäre. Vielmehr hat es sich bei dem Unfall um einen Schicksalsschlag gehandelt, auf dessen Verursachung die Beklagte als Arbeitgeberin keinen Einfluss hat nehmen und den sie auch nicht hätte verhindern können. Die schwere Erkrankung der Klägerin lässt sich eindeutig nicht auf betriebliche Ursachen, sondern auf einen ungewöhnlichen, schweren Schicksalsschlag zurückführen, der sich - wenn überhaupt - eher zufällig in der Peripherie des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zugetragen hat und nicht im Rahmen der Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Interesses der Klägerin an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führt.
Im übrigen gilt dann, wenn ein Arbeitnehmer auf Dauer die von ihm geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann, dass die Interessenabwägung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur in extremen Ausnahmefällen - vom Arbeitgeber verschuldeter Arbeitsunfall - einmal zur Sozialwidrigkeit der Kündigung führen kann. Für eine solche Ausnahmesituation hat sich vorliegend aber, wie gesagt, kein Anhaltspunkt tatsächlicher Art ergeben.

Nach allem war die von der Beklagten mit Schreiben vom 24. Juli 2006 ausgesprochene ordentliche Kündigung sowohl durch personenbedingte Gründe bedingt als auch sozial gerechtfertigt, so dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Pa rteien zum 30. September 2006 aufgelöst worden ist.

D. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, die Klägerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die streitgegenständliche Kündigung vorläufig weiterzubeschäftigen.

Der sog. allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch scheitert daran, dass die Kündigung der Beklagten - wie ausgeführt - rechtswirksam ist. Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch hängt nämlich vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ab (vgl. BAG, Beschluss des Großen Senats vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht= NZA 1985, 702 = DB 1985, 2197). Da das Arbeitsverhältnis jedoch durch die streitgegenständliche Kündigung rechtswirksam beendet worden ist, konnte auch dem Weiterbeschäftigungsbegehren der Klägerin bereits aus diesem Grund kein Erfolg beschieden sein.

E. 1. Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG die Klägerin zu tragen.

2. Den Wert des Streitgegenstandes hat die Kammer gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 4 S. 1 GKG, § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit den § 3ff. ZPO festgesetzt.

Referenznummer:

R/R2793


Informationsstand: 16.10.2007