Urteil
Fristbeginn nach § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX - Kenntnis des Arbeitgebers vom Vorliegen eines Gleichstellungsbescheides nach § 68 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 3 SGB IX erst nach Ausspruch der Kündigung

Gericht:

VG München 15. Kammer


Aktenzeichen:

M 15 K 11.5091 | 15 K 11.5091


Urteil vom:

19.04.2012


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Widerspruchsbescheides, durch den der Beigeladenen die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers nach § 91 Abs. 4 i.V.m. §§ 85 ff. SGB IX erteilt worden ist.

Der Kläger, geboren am 21. Februar 1963, war seit dem 1. September 1994 bei der Beigeladenen angestellt. Mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 9. Januar 2008 wurde ihm ein Grad der Behinderung von 30 bescheinigt; aufgrund des Gleichstellungsbescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 24. Januar 2009 wurde er gem. § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 kündigte die Beigeladene dem Kläger verhaltensbedingt fristlos aus wichtigem Grund. Der Betriebsrat hat die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses, zu der er mit Schreiben vom 22. Februar 2011 angehört worden ist, in der außerordentlichen Betriebsratssitzung vom 24. Februar 2011 zur Kenntnis genommen.

Mit Schreiben vom 11. März 2011, bei der Beigeladenen am 14. März 2011 eingegangen, teilten die Bevollmächtigten des Klägers der Beigeladenen mit, dass der Kläger mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 24. Januar 2009 - den sie als Anlage beifügten - einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden sei. Dies müsse der Beigeladenen bekannt sein.

Die Beigeladene stellte mit Schreiben vom 25. März 2011 Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gem. § 85 ff. SGB IX. Sie führte hierin auf, dass ihr die Gleichstellung gem. § 2 Abs. 3 SGB IX zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt gewesen sei. Erst mit Anwaltsschreiben vom 11. März 2011 sei ihr der Bescheid vom 24. Januar 2009 offengelegt worden.

Der Betriebsrat äußerte am 5. April 2011 gegenüber dem Integrationsamt, dass der Kläger seine Gleichstellung gem. § 2 Abs. 3 SGB IX aufgrund Bescheids vom 24. Januar 2009 weder dem Arbeitgeber, noch dem Betriebsrat oder der Schwerbehindertenvertretung mitgeteilt habe; von einer Gleichstellung sei im Hause der Beigeladenen niemand informiert gewesen. Im Übrigen habe die Kündigung nichts mit der Schwerbehinderung des Klägers zu tun.

Auch die Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen (SBV) teilte dem Integrationsamt mit Schreiben vom 7. April 2011 mit, dass der Kläger der SBV seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen aufgrund Bescheids vom 24. Januar 2009 nicht mitgeteilt habe. Ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bestehe nicht.

Der Kläger nahm mit Schreiben vom 4. April 2011 gegenüber dem Integrationsamt Stellung. Er wies darauf hin, dass sein Rechtsanwalt die Beigeladene informiert habe, dass ein Gleichstellungsbescheid vorliege. Diese Information sei auch fristgemäß erfolgt. Dies bedeute, dass er sich auf die §§ 85 ff. SGB IX berufen könne und die Kündigung mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes unheilbar unwirksam sei. In der Sache selbst seien die Vorwürfe überzogen.

Mit Bescheid vom 14. April 2011 lehnte das Integrationsamt den Antrag der Beigeladenen auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses ab. Der Antrag auf Zustimmung sei nicht fristgerecht gestellt worden. Die Frist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX habe am 14. März 2011, dem Tag, an dem die Beigeladene mit Schreiben des Rechtsanwaltes des Klägers von dessen Gleichstellung erfahren habe, zu laufen begonnen und habe am 28. März 2011 um 24.00 Uhr geendet. Der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sei aber erst am 29. März 2011 beim Integrationsamt eingegangen.

Die Beigeladene ließ über ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 20. April 2011 Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. April 2011 einlegen und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antrag auf Zustimmung sei dem Integrationsamt bereits am 25. März 2011 zugefaxt worden. Zudem sei auch der als Einschreiben/Rückschein versandte Antrag fristgerecht bei der Beigeladenen eingegangen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2011 legte sie ein Schreiben der Deutschen Bundespost vom 25. Mai 2011 vor, in der die Post bestätigte, dass der Empfänger des Einschreibens benachrichtigt und das Einschreiben seit dem 28. März 2011 zur Abholung bereitgehalten worden sei.

Das Integrationsamt gab dem Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2011 bzw. 14. Juli 2011 die Möglichkeit, zu dem ihm vorgelegten Widerspruchsschreiben vom 20. April 2011 sowie dem Schreiben der Beigeladenen vom 3. Juni 2011 bis zum 11. Juli 2011 bzw. 28. Juli 2011 Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme des Klägers erfolgte nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2011 gab der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt dem Widerspruch statt, hob den Bescheid des Integrationsamtes vom 14. April 2011 auf und erteilte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses. Zur Begründung führte der Widerspruchsausschuss aus, der Antrag sei fristgerecht beim Integrationsamt eingegangen. Die Beigeladene habe nachweislich am 14. März 2011 von der Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen erfahren. Unter anderem durch die Bestätigung vom 25. Mai 2011 habe die Beigeladene nachweisen können, den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung fristgerecht beim Integrationsamt gestellt zu haben. Es sei nicht erkennbar, inwieweit die Ursache für das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten in der anerkannten Behinderung begründet sein könne. Auch sei der von der Beigeladenen vorgetragene Sachverhalt grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Die Kündigung sei auch nicht offensichtlich unwirksam. Damit seien die Voraussetzungen erfüllt, unter denen das Integrationsamt die Zustimmung nach § 91 Abs. 4 SGB IX erteilen solle. Es liege ein Fall des gebundenen Ermessens vor. Weder das Lebensalter, noch die langjährige Betriebszugehörigkeit oder andere Sozialdaten seien geeignet, hier ein Sonderopfer zu begründen. Daher sei die Beigeladene durch den Ablehnungsbescheid vom 14. April 2011 in ihren Rechten verletzt worden. Das Integrationsamt hätte bei seiner Entscheidung aufgrund der Anwendbarkeit der Sollvorschrift des § 91 Abs. 4 SGB IX im Rahmen des gebundenen Ermessens die Zustimmung erteilen müssen.

Der Kläger ließ mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 über seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht München einlegen. Zur Begründung ließ der Kläger ausführen, die Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX habe nicht erst am 14. März 2011 zu laufen begonnen, da die Beigeladene bereits vor dem Ausspruch der Kündigung von der Gleichstellung des Klägers Kenntnis gehabt habe. Dies ergebe sich mittelbar daraus, dass die Beigeladene dem Kläger ein Arbeitgeberdarlehen ausgereicht habe, das in dieser Höhe nur Schwerbehinderten zustehe. Das Schreiben des Betriebsratsvorsitzenden vom 21. Januar 2010, mit dem dieser die Ausreichung des Darlehens in der betreffenden Höhe befürwortete, sei dem Geschäftsführer der Beigeladenen und dem Leiter der Personalabteilung zugeleitet worden. Die Beigeladene habe daher den Antrag auf Zustimmung nicht fristgerecht gestellt. Damit sei der Bescheid vom 14. April 2011 rechtmäßig und der Widerspruchsbescheid aufzuheben. Der Klägerbevollmächtigte regte an, den Betriebsratsvorsitzenden hierzu als Zeugen zu vernehmen.

Er beantragte:

Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. September 2011 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Widerspruch der Arbeitgeberin vom 20. April 2011 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die Klagebegründung einen neuen Sachvortrag enthalte, der nicht Teil des Verwaltungsverfahrens gewesen sei und daher im Rahmen der Entscheidung des Widerspruchsausschusses vom 21. September 2011 auch keine Berücksichtigung habe finden können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei der Zeitpunkt der letzten Entscheidungsfindung im Verwaltungsverfahren, vorliegend also der Zeitraum bis zum 21. September 2011. Vortrag, der erstmals danach im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht werde, könne vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden. Daher müsse auch der nunmehr in der Klagebegründung vorgebrachte Sachverhalt unberücksichtigt bleiben. Dies gelte hier umso mehr, als der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren mehrfach Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Darüber hinaus gehe aus den vorgelegten Anlagen nicht hervor, dass der Betriebsratvorsitzende den Geschäftsführer der Beigeladenen über die Gleichstellung des Klägers informiert habe. Dem vorgelegten Schreiben vom 21. Januar 2010 sei an keiner Stelle ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gleichstellung des Klägers zu entnehmen.

Die Beigeladene ließ mit Schriftsätzen vom 11. April 2012 und vom 13. April 2012 durch ihre Bevollmächtigte ausführen, dass sich aus dem vom Kläger dargelegten Sachverhalt zur Beantragung des Arbeitgeberdarlehens nicht entnehmen lasse, dass die Beigeladene über die Gleichstellung des Klägers mit einem behinderten Menschen informiert gewesen sei. Dies könne jedenfalls nicht dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des Betriebsratsvorsitzenden an den Geschäftsführer der Beigeladenen vom 21. Januar 2010 entnommen werden. Das in diesem in Bezug genommene Protokoll des Monatsgesprächs vom 23. Januar 2002 habe nicht den Inhalt gehabt, einzelne Anträge von Arbeitnehmern abzustimmen.

Die Beigeladene stellte den Antrag

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat am 19. April 2012 mündlich zur Sache verhandelt und den Betriebsratsvorsitzenden der Beigeladenen zur Frage der Kenntnis der Beigeladenen von der Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten vor dem 14. März 2011 als Zeugen gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2012 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der vom Kläger nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO angegriffene Widerspruchsbescheid vom 21. September 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Kläger greift den Widerspruchsbescheid vom 21. September 2011 insoweit an, als nach seiner Auffassung der Antrag der Beigeladenen auf Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung verfristet war. Streitgegenstand ist damit nur, ob die Beigeladene den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung fristgerecht gem. § 91 Abs. 2 SGB IX beantragt hat. Die materiell-rechtliche Entscheidung des Widerspruchsausschusses, dass ein Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Behinderung des Klägers nicht besteht und damit nach § 91 Abs. 4 SGB IX die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt werden soll, ist vom Kläger nicht angegriffen worden und damit vorliegend nicht verfahrensgegenständlich. Sie ist zudem in der Sache nicht zu beanstanden. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Die Beigeladene hat den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers fristgerecht nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beim Integrationsamt beantragt.

Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kann die Zustimmung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; maßgebend ist der Eingang des Antrags beim Integrationsamt. Die Frist beginnt nach Satz 2 mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Zu den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen gehört auch die Kenntnis des Arbeitgebers über die Schwerbehinderteneigenschaft (BAG v. 14.05.1982, 7 AZR 1221/79; VGH Baden-Württemberg v. 20.06.2006, 9 S 604/06; vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti: HK- SGB IX, § 91 Rz. 18). Dabei gelten die Sonderkündigungsschutzregelungen des SGB IX erst dann, wenn ein Gleichstellungsbescheid vorliegt, der den Minderbehinderten durch Gleichstellungsbescheid (vgl. § 68 Abs. 2 SGB IX) einem Schwerbehinderten gleichstellt. Dieser Gleichstellungsbescheid hat konstitutiven Charakter. Somit kann erst die Kenntnis vom Gleichstellungsbescheid die zweiwöchige Zustimmungsantragsfrist in Lauf setzen (vgl. BVerwG v. 5.10.1995, 5 B 73.94). Der Arbeitgeber kann erst vom Ergehen und der Kenntnis des Gleichstellungsbescheides an wissen, dass der Arbeitnehmer die gleiche Rechtsstellung besitzt wie ein Schwerbehinderter.

Vorliegend ist das Gericht der Überzeugung, dass die Beigeladene erst durch das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 11. März 2011, ihr zugestellt am 14. März 2011, Kenntnis vom Gleichstellungsbescheid erhalten hat.

Im Rahmen der Anhörung nach § 87 Abs. 2 SGB IX haben sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen erklärt, dass der Kläger seine Gleichstellung weder der Beigeladenen noch ihnen mitgeteilt habe.

Auch den Aussagen des Klägers im Rahmen der Anhörung nach § 87 Abs. 2 SGB IX lässt sich nach Ansicht des Gerichts entnehmen, dass die Beigeladene erst durch das Schreiben des Rechtsanwalt des Klägers vom 11. März 2011 darüber informiert worden ist, dass der Kläger durch den Gleichstellungsbescheid vom 24. Januar 2009 nach § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist. Dies ergibt sich zum einen aus der Bezugnahme des Klägers auf die Ausführungen der Beigeladenen im Antrag auf Zustimmung gem. §§ 85 ff. SGB IX ("Wie mein Arbeitgeber selbst ausführt, wurde dieser von meinen Anwalt informiert, dass ein Gleichstellungsbescheid vorliegt"). Zum anderen ist dies seiner Aussage zu entnehmen, dass diese Information auch fristgemäß erfolgt sei ("Die Information erfolgt auch fristgemäß ("Dreiwochenfrist nach Bundesarbeitsgericht, z.B. Urteil 12. Januar 2006)"). Das Bundesarbeitsgericht hat in der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung ausgeführt, dass der Arbeitnehmer innerhalb einer Regelfrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung mitteilen muss (BAG v. 12.02.2006, 2 AZR 539/05 - juris).

Zudem hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen, der Beigeladenen den Gleichstellungsbescheid bereits vor dem 14. März 2011 vorgelegt zu haben, obwohl er hierzu zumindest im Rahmen der Anhörung zum Widerspruch der Beigeladenen gegen den Bescheid vom 14. April 2011 ausreichend Gelegenheit gehabt hätte (zweifache Aufforderung zur Stellungnahme) und hierzu auch verpflichtet gewesen wäre. Denn auf dem Gebiet des schwerbehindertenrechtlichen Kündigungsschutzes unterliegt es in erster Linie der sozialrechtlichen Mitwirkungspflicht des schwerbehinderten Arbeitnehmers, der Zustimmungsbehörde rechtzeitig die in seiner Sphäre liegenden, aus seiner Sicht relevanten Umstände, wenn sie nicht offen zu Tage liegen, anzuzeigen. Nur dann kann die Zustimmungsbehörde auch alle diejenigen Umstände bei ihrer Entscheidungsfindung einbeziehen, soweit sich ihr diese nicht aufdrängen (OVG NRW v. 23.01.1992, 13 A 297/91, NZA 1992, 844). Vorliegend hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten im Schreiben vom 11. März 2011 zwar darauf hingewiesen, dass der Beigeladenen die Tatsache, dass der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, bekannt sein müsste, ohne diese Aussage in seiner Anhörung vor dem Integrationsamt oder im Widerspruchsverfahren aber auch nur annähernd zu präzisieren. Dies geht zu seinen Lasten.

Der Zeuge erklärte in der mündlichen Verhandlung, der Kläger habe die Beigeladene von seiner Gleichstellung vor der Kündigung nicht schriftlich informiert und habe weder der Beigeladenen noch dem Betriebsrat seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten angezeigt. Zwar sei er selbst vom Kläger mündlich über dessen Gleichstellung "privat" in Kenntnis gesetzt worden. Ein Gleichstellungsbescheid sei ihm jedoch nicht vorgelegt worden. Das Gericht sieht diesen Vortrag als glaubwürdig an, zumal er mit der Aussage des Klägers vom 4. April 2011 übereinstimmt. Die unbestrittene Tatsache, dass der Kläger bis zu seiner Kündigung weder Sonderurlaub noch sonstige Vergünstigungen in Anspruch genommen hat, die ihm als einem Schwerbehinderten Gleichgestellten zugestanden hätten, spricht im Übrigen auch dafür, dass der Kläger die Beigeladene nicht über seine Gleichstellung informiert hat.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Umstände der Gewährung des Arbeitgeberdarlehens, die der Kläger erst in seiner Klagebegründung vom 20. Oktober 2011 vorgetragen hat, überhaupt zu berücksichtigen sind oder ob dieser Vortrag bereits deswegen präkludiert ist, da der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht (vollumfänglich) nachgekommen ist und sich erst im gerichtlichen Verfahren auf diese Tatsachen berufen hat (so OVG NRW v. 23.01.1992, a.a.O). Denn nach Auffassung des Gerichts ist dem Schreiben des Betriebsratvorsitzenden vom 21. Januar 2010 jedenfalls nicht zu entnehmen, dass der Geschäftsführer der Beigeladenen vor dem 14. März 2011 positiv vom Vorliegen des Gleichstellungsbescheides Kenntnis hatte. Weder ist dem Schreiben der Gleichstellungsbescheid beigefügt worden, noch ist in diesem an irgendeiner Stelle konkret auf die Gleichstellung des Klägers mit einem behinderten Menschen hingewiesen worden.

Der Anregung des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, den Personalleiter der Beigeladenen dazu zu vernehmen, ob dieser schon zum Zeitpunkt der Darlehensbeantragung und damit auch im Zeitpunkt der Kündigung zumindest "privat" Kenntnis von der Gleichstellung des Klägers hatte, brauchte das Gericht nicht nachgehen. Dies ist nämlich nicht entscheidungserheblich, da es nicht auf die "private" Kenntnis von der Gleichstellung des Klägers ankommt. Vielmehr muss der Kläger den Arbeitgeber schriftlich von seiner Gleichstellung informieren und den Gleichstellungsbescheid vorlegen, um den Sonderkündigungsschutz im Sinne der §§ 85 ff. SGB IX in Anspruch nehmen zu können (BVerwG v. 5.10.1995, 5 B 73.94). Darüber hinaus war dieses Vorbringen auch verspätet (§ 87 b VwGO).

Damit begann die Frist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hier am 14. März 2011, also zu dem Zeitpunkt, in dem die Beigeladene von der Gleichstellung des Klägers Kenntnis erlangt hat, und endete nach § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB am 28. März 2011. Die Beigeladene hat glaubhaft machen können, dass der Antrag auf Zustimmung nach §§ 85 ff. SGB IX per Einschreiben/Rückschein bereits am 28. März 2011 beim Integrationsamt eingegangen ist. Damit hat die Beigeladene die Zweiwochenfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eingehalten. Der Bescheid vom 14. April 2011, mit dem das Integrationsamt den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung wegen Verfristung abgelehnt hat, ist somit rechtswidrig und verletzt die Beigeladene in ihren Rechten. Der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2011 hat daher zu Recht dem Widerspruch stattgegeben, den Bescheid vom 14. April 2011 aufgehoben und die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses erteilt.

Nach alledem ist der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2011 rechtmäßig ergangen und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Klage ist damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht vorliegend der Billigkeit, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese zum einen einen Sachantrag gestellt hat und damit wegen § 154 Abs. 3 VwGO ein Kostenrisiko eingegangen ist und zum anderen durch die Vorlage mehrerer Schriftsätze das Verfahren wesentlich gefördert hat, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Referenznummer:

R/R5432


Informationsstand: 08.04.2013