Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 12.12.2002 - 6 Ca 4296/02 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06. 2002 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens - längstens bis zum 31.01.2004 - arbeitsvertragsgemäß weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 27.06.2002, welche die Beklagte auf den Vortrag stützt, die Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen zur Fortführung ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit als Auszeichnerin/Kommissioniererin in der Verkaufsfiliale der Beklagten nicht mehr in der Lage.
Durch Urteil vom 12.12.2002 (Bl. 39
ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht den verfolgten Kündigungsfeststellungsantrag sowie den Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, sowohl aus dem von der Klägerin vorgelegten Attest als auch aus der betriebsärztlichen Stellungnahme ergebe sich zweifelsfrei, dass die Klägerin die anfallenden Tätigkeiten, insbesondere Über-Kopf-Arbeiten und das Bewegen von Gewichten zwischen 10 und 15
kg, nicht mehr ohne Gefährdung ihrer Gesundheit ausüben könne. Eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen sei nicht möglich, weswegen die ausgesprochene Kündigung rechtlich nicht beanstandet werden könne.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung macht die Klägerin weiterhin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend und verweist auf die unstreitige Tatsache, dass sie zwischenzeitlich durch Bescheid des Versorgungsamtes Dortmund vom 23.12.2002 mit Wirkung ab dem 13.05.2002 als Schwerbehinderte mit einem
GdB von 50 anerkannt worden ist. Mangels Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung erweise sich diese damit als unwirksam. Soweit die Beklagte geltend mache, ihr sei die Schwerbehinderung
bzw. ein entsprechender Anerkennungsantrag der Klägerin nicht bekannt gewesen, greife dieser Einwand nicht durch. Vielmehr ergebe sich aus dem Schreiben des Betriebsrats vom 31.05.2002 ein entsprechender Hinweis. Das genannte Schreiben ( Bl. 13 d.A.) dazu hat folgenden Wortlaut:
"...
Bedenken gegen Kündigung von Frau S1x,
Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung vom 28.05.2002 beschlossen, der Kündigung von Frau S1x nicht zuzustimmen.
Im folgenden erhalten Sie eine Stellungnahme mit Angabe der Gründe.
Begründung:
Frau S1x hat im Gespräch mit der Betriebsrätin H3x M2x erklärt, dass sie einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gestellt hat.
Eine von der Personalleitung genannte Überprüfung von Umsetzungsmöglichkeiten erscheint dem Betriebsrat nicht ausreichend gewesen zu sein.
Dem Betriebsrat ist bekannt, dass es andere Kolleginnen und Kollegen in anderen Bereichen des W3x U1x mit vergleichbaren Erkrankungen und '10-Kilo-Schein' gibt und diese sehr wohl beschäftigt werden können.
Als eine konkrete Einsatzmöglichkeit kann hier als ein Beispiel der Bereich der Wareneingangsbearbeitung (WEB) genannt werden.
Die Meinung der Personalleitung über die festgestellte Tendenz, dass weitere Fehlzeiten von Frau S1x wegen ihrer Erkrankung zu erwarten sind, teilt der Betriebsrat nicht!
Im Gegenteil kommt der Betriebsrat - im Falle einer Umbesetzung von Frau S1x - dazu, tendenziell einen erheblichen Rückgang der Fehlzeiten zu prognostizieren.
Nach den dem Betriebsrat vorliegenden Unterlagen hat Frau S1x seit Eintritt in das Unternehmen im Januar 1996 bis zum Eintreten ihrer Erkrankung im Juli 2001 zuverlässig und ohne krankheitsbedingte Ausfälle gearbeitet.Des weiteren kann der Betriebsrat auch unter sozialen Gesichtspunkten - Frau S1x hat drei Kinder - der Kündigung nicht zustimmen.
Abschließend kritisiert der Betriebsrat noch das befremdliche Vorgehen seitens der Personalleitung.
Eine Kollegin nach Krankheit und Reha-Maßnahme in Urlaub und Freizeit zu schicken, um ihr anschließend zu kündigen.
..."
Die Klägerin beantragt,
1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund vom 12.12.2002 - 6 Ca 4296/02 - wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2003 mit dem 30.09.2002 nicht beendet wurde;
2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Auszeichnerin und Kommissioniererin weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die Klägerin könne sich trotz zwischenzeitlicher Anerkennung als Schwerbehinderte auf den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz nicht berufen, da sie eine rechtzeitige Mitteilung an die Beklagte unterlassen habe. Dies gelte zum einen für den Hinweis in der Klageschrift vom 17. 07.2002, welche der Beklagten - unstreitig - erst am 26.08.2002 zugestellt wurde. Zum anderen sei der Hinweis des Betriebsrats im Schreiben vom 31.05.2202 nicht als authentische Information über den Anerkennungsantrag ausreichend. Hieraus ergebe sich allein, dass die Klägerin offenbar gegenüber dem Betriebsrat angegeben habe, sie habe einen entsprechenden Anerkennungsantrag gestellt, nicht hingegen könne das Schreiben des Betriebsrats dahingehend verstanden werden, der Betriebsrat habe sich selbst vom Vorliegen eines solchen Anerkennungsantrages überzeugt oder mache - gleichsam als Bote der Klägerin - eine entsprechende Mitteilung an die Beklagte. Berücksichtige man weiter den Umstand, dass der Betriebsrat in der genannten Stellungnahme seine Bedenken gegen die Kündigung auf eine Vielzahl anderer Gesichtspunkte gestützt habe, werde deutlich, dass es sich bei der Erwähnung des angeblichen Anerkennungsantrags lediglich um eine beiläufige Bemerkung gehandelt habe, welcher nachzugehen für die Beklagte ebenso wenig Anlass bestanden habe, als wenn ihr entsprechende Gerüchte aus Kantinengesprächen zugetragen würden.
Vorsorglich hat die Beklagte zwischenzeitlich unter dem 11.09.2003 eine weitere Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2004 ausgesprochen, zu welcher sie zuvor die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hat.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils nach Maßgabe der verfolgten Berufungsanträge.
I
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 27.06.2002 nicht beendet worden. Mangels vorangehender Zustimmung des Integrationsamtes ist die ausgesprochene Kündigung nämlich unwirksam.
1. Nach § 85
SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Unstreitig war die Klägerin im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs (27.06.2002) schwerbehindert. Aufgrund ihres Antrages vom 13.05.2002 ist durch Abhilfebescheid vom 23.12.2002 ein
GdB von 50 festgestellt worden.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat die Klägerin den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderte nicht verloren.
Richtig ist zwar, dass nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 23.02.1978 - 2 AZR 462/76 - AP § 12
SchwbG Nr. 3) der schwerbehinderte Arbeitnehmer den Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht verliert, wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung die Schwerbehinderung
bzw. ein entsprechender Anerkennungsantrag unbekannt war und der Arbeitnehmer nicht binnen angemessener Frist, welche in der Regel einen Monat beträgt, auf diesen Umstand hinweist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für einen Verlust des Sonderkündigungsschutzes nicht vor. Der Beklagten lag nämlich aufgrund des Schreibens des Betriebsrats vom 31. 05.2002 eine hinreichende Information darüber vor, dass die Klägerin sich um die Anerkennung ihres Schwerbehindertenstatus bemühte. Darauf, dass der Hinweis der Klägerin in der Klageschrift vom 17.07.2002 die Beklagte nicht binnen der genannten Monatsfrist erreicht hat, kommt es unter diesen Umständen nicht an.
Das Schreiben des Betriebsrats vom 31.05.2002 ist nicht etwa schon deshalb ohne Belang, weil die Verpflichtung
bzw. Obliegenheit, den Arbeitgeber über die Schwerbehinderung
bzw. entsprechende Antragstellung zu unterrichten, vom Arbeitnehmer höchstpersönlich zu erledigen wäre. Der Sonderkündigungsschutz des Schwerbehinderten greift nicht etwa allein für den Fall ein, dass sich der Schwerbehinderte hierauf gesondert "beruft". Vielmehr dient die Unterrichtung des Arbeitgebers binnen der Regelfrist von einem Monat dazu, dass der Arbeitgeber, welchem bislang entsprechende Kenntnis fehlte, zeitnah zum Kündigungsentschluss die fehlende behördliche Zustimmung zur Kündigung soll beantragen können. Hierzu bedarf es keiner höchstpersönlichen Unterrichtung durch den Arbeitnehmer. Auch für den Fall, dass die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig ist, greift der Schwerbehindertenschutz ohne entsprechenden Hinweis - gleich von welcher Seite - ein, erst recht hat sich der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht auf den gesetzlichen Kündigungsschutz gesondert "zu berufen".
Aus demselben Grunde kommt es nicht darauf an, dass der Betriebsrat bei Abfassung des Schreibens vom 31.05. 2002 ersichtlich nicht als Bote für die Klägerin, sondern im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102
BetrVG tätig geworden ist. Darauf, ob die Klägerin den Betriebsrat um eine Weiterleitung der entsprechenden Information gebeten hatte, kommt es unter diesen Umständen nicht an. Maßgeblich ist vielmehr die objektive Kenntnis des Arbeitgebers
bzw. die Möglichkeit derselben.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, die im Schreiben vom 31.05. 2002 gegebene Information sei - ähnlich einem "Kantinengerücht" - derartig allgemein gehalten, dass ihr ersichtlich keine eigenständige Bedeutung zukomme. Allein die Tatsache, dass der Betriebsrat in der Sache zahlreiche weitere Bedenken gegen die Kündigung aufgeführt hat, bedeutet nicht, dass der an erster Stelle genannte Hinweis auf den Anerkennungsantrag bedeutungslos sein soll. Richtig ist zwar, dass der Betriebsrat in dem genannten Schreiben nicht etwa aufgrund eigener Anschauung und Überzeugung von einem "geprüften" Anerkennungsantrag berichtet, sondern allein die Tatsache erwähnt, dass die Klägerin in einem Gespräch mit der Betriebsrätin M2x erklärt hat, sie habe (angeblich) einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gestellt. Weder gegenüber dem Betriebsrat noch gegenüber dem Arbeitgeber braucht der Arbeitnehmer jedoch, um seine Rechte auf Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht zu erhalten, bereits in diesem Stadium einen entsprechenden Nachweis führen. Dem Interesse des Arbeitgebers, über eine Schwerbehinderung
bzw. entsprechende Antragstellung unterrichtet zu werden, ist vielmehr mit einem bloßen Hinweis gedient. Dieser versetzt den Arbeitgeber in die Lage, beim zuständigen Integrationsamt vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen. Liegt tatsächlich - abweichend von der Erklärung des Arbeitnehmers - ein Anerkennungsantrag gar nicht vor, so wird ein entsprechendes Negativ-Attest erteilt.
Selbst wenn man aber den Arbeitnehmer, welcher im Zusammenhang mit einer Kündigung auf einen Anerkennungsantrag verweist, für verpflichtet hält, seine Angaben zeitnah zu konkretisieren und etwa das Datum des Antrages (nicht hingegen den genauen Inhalt mit den maßgeblichen Erkrankungen pp.) mitzuteilen, war die Beklagte hier jedenfalls aufgrund des Hinweises im Betriebsratsschreiben vom 31.05.2002 ohne weiteres in die Lage versetzt, eine entsprechende Aufforderung an die Klägerin zu richten. Wenn die Beklagte demgegenüber den Hinweis des Betriebsrats allein zum Anlass nahm, in der Personalakte der Klägerin nach einem entsprechenden Nachweis zu suchen und sodann dem Betriebsrat mit Schreiben vom 03.06.2002 mitteilte, der Personalleitung sei von einem Antrag der Klägerin auf Anerkennung einer Schwerbehinderung nichts bekannt, so ging die Beklagte bewusst das Risiko ein, dass ihr - allein auf die Personalakte gestützter - Kenntnisstand mit der Realität nicht in Einklang stand. Die Klägerin ihrerseits hat durch die Erklärung gegenüber dem Betriebsrat in ausreichender Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Anerkennung als Schwerbehinderte betreibt. Nachdem der Betriebsrat - keineswegs übereifrig, sondern im Rahmen seiner Aufgabenstellung gemäß § 102
Abs. 2 Satz 4
BetrVG - die Klägerin zur beabsichtigten Kündigung angehört und die von der Klägerin erhaltene Information im Zuge seiner Stellungnahme gemäß § 102
Abs. 2 Satz 1
BetrVG der Beklagten mitgeteilt hat, war die Beklagte ausreichend über den Anerkennungsantrag der Klägerin in Kenntnis gesetzt.
II
Aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergibt sich die Verpflichtung der Beklagten zur arbeitsvertragsgemäßen Weiterbeschäftigung, wobei allerdings mit Rücksicht auf die weitere Kündigung zum 31. 01.2004 eine entsprechende zeitliche Beschränkung in den Urteilstenor aufzunehmen war.
Der Beschäftigungsanspruch der Klägerin entfällt auch nicht etwa im Hinblick auf die behauptete Leistungsunfähigkeit. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass die Klägerin auf Dauer ihre Tätigkeit in der bisherigen Form nicht ohne Gefährdung ihrer Gesundheit ausüben kann und der Beklagten - wie das Arbeitsgericht angenommen hat - nicht zugemutet werden kann, die Arbeit nach Maßgabe der gesundheitlichen Beschränkungen der Klägerin dauerhaft umzuorganisieren, schließt dies die Möglichkeit nicht aus, jedenfalls für den begrenzten Zeitraum bis zum 31.01.2004 bei der Arbeitseinteilung auf die gesundheitlichen Probleme der Klägerin Rücksicht zu nehmen.
III
Die Kosten des Verfahren hat die Beklagte zu tragen, da die unterlegen ist.
IVDie Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72
ArbGG zugelassen.
Dr. Dudenbostel,...... Kaiser,...... Hülsmann,.......