A. Der Kläger ist seit 1994 - mit mehreren Unterbrechungen - als Klempner bei der Beklagten beschäftigt. Die Vergütung richtet sich nach dem jeweils gültigen Tarifvertrag, für gewerbliche Arbeitnehmer im Dachdeckerhandwerk. Die letzte Bruttomonatsvergütung betrug 2272,28
EUR.
Mit Schreiben vom 28.7.2004 - dem Kläger zugegangen am 31.7.2004 - kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 12.8.2004.
Mit dieser Kündigung ist der Kläger nicht einverstanden. Zunächst ist er der Ansicht, dass das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, da im Betrieb der Beklagten 6 Arbeitnehmer in der Regel beschäftigt seien. Ausgehend davon sei die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt und damit unwirksam. Insbesondere sei die Beklagtenkündigung aber deshalb unwirksam, weil der Kläger Schwerbehinderter im Sinne des
SGB IX sei. Seit dem 2.5.2002 habe der Kläger einen Grad der Behinderung von 50. Seit dem 21.4.2004 betrage der Grad der Behinderung sogar 100. Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig.
Die Beklagte ist der Ansicht, die von ihr ausgesprochene Kündigung gegenüber dem Kläger sei wirksam. Zum einen handele es sich, entgegen dem Vortrag des Klägers, bei der Beklagten um einen Kleinstbetrieb, sodass das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Auf die Frage, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt sei, komme es deshalb nicht an. Zum anderen sei die Kündigung aber auch deshalb nicht unwirksam, weil der Kläger ein Schwerbehinderter im Sinne des
SGB IX sei. Die Beklagte habe nämlich erstmals mit der Klageschrift von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erfahren. Nach der neuen Vorschrift des § 90
Abs. 2a
SGB IX sei nämlich Voraussetzung für die Inanspruchnahme des besonderen Kündigungsschutzes, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft vor Ausspruch der Kündigung nachgewiesen worden sei. An dieser Voraussetzung fehle es im vorliegenden Fall, sodass sich der Kläger zu seinen Gunsten auf die Schwerbehinderteneigenschaft nicht berufen könne.
Zur Frage der Schwerbehinderteneigenschaft trägt der Kläger demgegenüber vor, bereits im Jahre 2002 sei der für die Personalangelegenheiten Zuständigen bei Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses die Schwerbehinderteneigenschaft mitgeteilt und auch eine Fotokopie des Schwerbehindertenausweises übergeben worden. Letztendlich könne die Klärung dieser Frage aber dahinstehen, da nach der neuen Vorschrift des § 90
SGB IX ein Nachweis gegenüber der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung nicht notwendig sei. Dies ergebe sich aus der Auslegung des § 90
Abs. 2a
SGB IX...
B. Die Klage ist zulässig. Sie ist auch in vollem Umfang begründet.
Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 28.7.2004 - zugegangen am 31.7.2004 - nicht zum 12.8.2004 aufgelöst worden. Dabei kann im vorliegenden Fall zunächst dahinstehen, ob es sich bei der Beklagten um einen Kleinstbetrieb im Sinne des
§ 23 KSchG handelt. Die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung gegenüber dem Kläger verstößt nämlich gegen
§ 85 SGB IX, wonach die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Diese liegt im vorliegende Fall unstreitig nicht vor.
Wenn sich die Beklagte auf
§ 90 Abs. 2a SGB IX beruft, kann diese Vorschrift nach Ansicht der Kammer nicht zu Gunsten der Beklagten zum Erfolg verhelfen. Danach finden die Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist. Die Auslegung dieser Vorschrift ergibt nicht - wie die Beklagte meinte - dass vor Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte dieser Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft bereits erbracht sein müsste. Nach herrschender Meinung in der Literatur - aufgrund der Gesetzesnovelle seit 1.5.2004 liegen Gerichtsentscheidungen noch nicht vor - gilt die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch bereits dann als nachgewiesen, wenn ein entsprechender Feststellungsbescheid vorliegt, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündgiung Kenntnis hiervon hat oder nicht (so
z.B. Moderegger, ArbRB 2004, 248/250; Westers, br 2004, 93/96). Auch in der Begründung der Gesetzesnovelle (BT-Drs. 15/2357, B Besonderer Teil, zu 21 b) ist der ausdrückliche Hinweis zu finden, dass es hinsichtlich des Nachweises nicht auf die Vorlage des Ausweises gegenüber dem Arbeitgeber, sondern allein auf den Feststellungsbescheid ankommt.
Dieser Ansicht schließt sich die Kammer an. Damit fehlt es an der erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85
SGB IX. Da im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung gegenüber der Beklagten erklärt worden ist, kann sich der Kläger auch noch auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß den §§ 85
ff. SGB IX berufen. Die Klärung der Streitfrage, ob die Schwerbehinderteneigenschaft vor oder nach Kündigungserklärung gegenüber dem Arbeitgeber offengelegt worden ist, ist deshalb entbehrlich.
War die Kündigung somit wegen der Nichtbeachtung der Vorschriften des §§ 85
ff. SGB IX unwirksam und besteht deshabl das Arbeitsverhältnis unaufgelöst über den 12.8.2004 hinaus fort, hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91
ZPO).
Vergleich: Urteil des
ArbG Bonn vom 25.11.2004 -
7 Ca 2459/04.