Urteil
Keine Nachweispflicht des Arbeitnehmers über Gleichstellung vor Zugang der Kündigung

Gericht:

ArbG Bonn 7. Kammer


Aktenzeichen:

7 Ca 2459/04


Urteil vom:

25.11.2004


Grundlage:

Orientierungssatz:

1. Für den besonderen Kündigungsschutz nach § 85 SGB 9 kommt es auf die Kenntnis des kündigenden Arbeitgebers nicht an. Entscheidend ist, ob die Kündigung ein Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen oder mit einem Gleichgestellten betrifft.

2. Für den besonderen Kündigungsschutz kommt es auch nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber von seiner Schwerbehinderung oder seiner Gleichstellung in Kenntnis gesetzt hat. Eine solche Pflicht läßt sich nicht aus § 90 Abs 2a SGB 9 herleiten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 16. Juli 2004 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Streitwert: 9.182,98 EUR.

Tatbestand:

Der Kläger ist seit dem 1. März 2003 bei der Beklagten als Gerüstbauer zu einem Bruttostundenlohn von 17,60 EUR im Rahmen einer 40-Stunden-Woche beschäftigt. Seit dem 30. Mai 2000 ist der Kläger aufgrund Bescheids der Agentur für Arbeit Bonn widerruflich einem Schwerbehinderten gleichgestellt.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2004 kündigte der Geschäftsführer der Beklagten das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebswirtschaftlichen Gründen zum 30. Juli 2004.


Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 16. Juli 2004 nicht aufgelöst worden ist.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Meinung, dass der Sonderkündigungsschutz des SGB IX nicht greife, da der Kläger die Beklagte über die Eigenschaft seiner Schwerbehinderung nicht in Kenntnis gesetzt habe. Mangels Kenntnis könne sich der Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz nicht berufen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Die Kündigung vom 16. Juli 2004 ist gemäß § 134 BGB, §§ 68 Abs. 3, 85 SGB IX unwirksam. Die Beklagte hat unstreitig die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Klägers nicht eingeholt, obwohl sie gemäß §§ 68 Abs. 3, 85 SGB IX hierzu verpflichtet gewesen wäre. Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX lagen vor. Der Kläger war gemäß § 68 Abs. 3 SGB IX durch Bescheid der Agentur für Arbeit Bonn einem Schwerbehinderten im Sinne von § 85 SGB IX gleichgestellt. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung stand die Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten fest, da durch bestandskräftigen Bescheid der Agentur für Arbeit vom 30. Mai 2000 die Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten bindend festgestellt wurde.

Auf eine Kenntnis des kündigenden Arbeitgebers kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Kündigung ein Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen betrifft oder mit einem Gleichgestellten (Henssler/Willemsen/Kalb/ Zirnbauer §§ 85 - 92 SGB IX, Rdnr. 21). Dies folgt aus der ständigen Rechtsprechung des BAG (23. Februar 1978 - 2 AZR 472/ 76, AP § 12 Schwerbehindertengesetz Nr. 3; 14. Mai 1982 - 7 AZR 1221/79, AP § 18 Schwerbehindertengesetz Nr. 4). Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers kommt es allenfalls dann an, wenn die Schwerbehinderung oder die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nicht durch Bescheid einer Behörde festgestellt wurde.

Entgegen der Auffassung von Bauer/Powietzka (NZA-RR 2004, S. 505, 507) kommt es für den besonderen Kündigungsschutz nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber von seiner Schwerbehinderung oder Gleichstellung in Kenntnis gesetzt hat ( Henssler/Willemsen/Kalb/Zirnbauer §§ 85 - 92 SGB IX, Rdnr. 22). Nach der Auffassung von Bauer/Powietzka folgt diese Pflicht aus § 90 Abs. 2 a SGB IX. Die Gesetzesänderung in § 90 Abs. 2 a SGB IX begründe eine Obliegenheit des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber den Schwerbehindertenausweis oder den Bescheid über die Schwerbehinderung vor Zugang der Kündigung vorzulegen. Eines Nachweises bedürfe es nur dann nicht, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 90 Abs. 2 a SGB IX sowie aus der gesetzgeberischen Begründung und aus dem gesetzgeberischen Zweck. In § 90 Abs. 2 a SGB IX ist lediglich die Rede davon, dass die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist. Die Vorschrift enthält keine Regelung darüber, dass der Arbeitnehmer die Eigenschaft dem Arbeitgeber nachgewiesen hat, sondern es kommt lediglich darauf an, dass sie als solche nachgewiesen worden ist. Der Begriff des Nachweises legt nahe, dass es für die Anwendung des § 85 SGB IX allein maßgeblich ist, dass ein Bescheid über die Schwerbehinderung oder die Gleichstellung des Arbeitnehmers erlassen worden ist.

Die Ausschussbegründung des Bundestages (Bundestagsdrucksache 15/2357, S. 24) führt aus, durch § 90 Abs. 2 a SGB IX solle ausgeschlossen werden, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gelte, in welchem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben werde. Der Kündigungsschutz gelte eben nur in den Fällen, in denen entweder die Entscheidung bereits getroffen sei oder der Antrag anhängig sei und das Versorgungsamt ohne ein Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellung treffen konnte. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in Fällen festgestellter Schwerbehinderung oder Gleichstellung nicht aufheben wollte, geschweige denn, dass der Gesetzgeber eine Nachweispflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber einführen wollte bzw. eingeführt hat. Die Ergänzung des § 90 SGB IX soll nach dem gesetzgeberischen Willen sicherstellen, dass der Arbeitgeber zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist, so dass es eines, durch ein Feststellungsverfahren zu führenden Nachweises nicht bedarf oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 erbracht ist; diesem Bescheid stehen Feststellungen nach § 69 Abs. 2 gleich. Der Kündigungsschutz gilt daneben nur in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zwar anhängig ist, das Versorgungsamt aber ohne ein Verschulden des Antragstellers noch keine Feststellung treffen konnte. Die Regelung schließt damit aus, dass ein besonderer Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird. Im übrigen wird mit der Neufassung grundsätzlich einem Anliegen aus der Sachverständigenanhörung des Bundesrates Rechnung getragen.
Aus der Gesetzesbegründung folgt daher, dass der Gesetzgeber lediglich in Fällen der noch nicht festgestellten oder gleichgestellten Schwerbehinderung einen Ausschlussgrund für den besonderen Schutz des § 85 SGB IX einführen wollte. Ein anderer Wille lässt sich den Ausführungen des Gesetzgebers nicht entnehmen, insbesondere wenn der Gesetzgeber vom erlassenen Feststellungsbescheid sowie Gleichstellungsbescheid spricht. Die Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung zu verschaffen, sollte durch § 90 Abs. 2 a SBG IX überhaupt nicht geregelt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, der gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG Anwendung findet.

Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG.

Referenznummer:

KARE600012468


Informationsstand: 09.09.2005