Urteil
Kündigungsschutzklage - Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des KSchG - 3-wöchige Anzeigefrist der Schwerbehinderung ab Zugang der Kündigung

Gericht:

LAG Köln 10. Kammer


Aktenzeichen:

10 Sa 1207/10


Urteil vom:

11.02.2011


Grundlage:

Leitsätze:

Der Arbeitnehmer verwirkt den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderter, wenn er nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber auf seine Schwerbehinderung hinweist (Anschluss an BAG v. 23.2.2010 - 2 AZR 659/08).

Orientierungssatz:

Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 23 Abs 1 KSchG geregelten betrieblichen Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes. Er genügt regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er - entsprechend seiner Kenntnismöglichkeiten - die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und die ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt (Rn.27) (vorliegend sprechen die vorgetragenen Merkmale
nicht hinreichend schlüssig für die Arbeitnehmereigenschaft sogenannter Außendienstmitarbeiter (Rn.29)).

Rechtsweg:

ArbG Köln Urteil vom 25.05.2010 - 6 Ca 3077/10

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2010 - 6 Ca 3077/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die wirksame Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung, in diesem Zusammenhang um die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes und um besonderen Kündigungsschutz der Klägerin aufgrund Schwerbehinderung.

Die am .1964 geborene Klägerin war seit dem 01.09.2002 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten, die als Versicherungsmaklerin speziell für Ärzte tätig ist.

Gemäß Bescheid der S K vom 01.07.2008 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Am 06.01.2010 beantragte die Klägerin die Erhöhung der Feststellungen des Schwerbehinderungsgrades bis auf 50 %. Gemäß Bescheid vom 09.04.2010 wurde rückwirkend zum 06.01.2010 ein Grad der Behinderung von 40 durch die S K festgestellt. Aufgrund des Widerspruchs der Klägerin vom 19.04.2010 wurde durch erneuten Bescheid vom 15.07.2010 rückwirkend zum 06.01.2010 der Grad der Behinderung auf 60 festgelegt.

Mit Schreiben vom 15.03.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.05.2010.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vom 13.04.2010.

Sie hat die Rechtsansicht vertreten, sie könne sich auf allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz und damit auf die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung vom 15.03.2010 berufen. Hierzu hat die Klägerin behauptet, bei ihrer Einstellung und damit vor dem 31.12.2003 seien neun Mitarbeiter einschließlich vier Außendienstmitarbeiter bei der Beklagten tätig gewesen. In der Regel seien im Betrieb der Beklagten mehr als fünf Mitarbeiter beschäftigt. Die bei der Beklagten beschäftigen neun Versicherungsvertreter seien nicht als freie Mitarbeiter, sondern als Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes einzustufen. Tatsächlich seien diese regelmäßig in die Organisation der Beklagten eingebunden, da deren Zuständigkeitsbereich durch Weisung der Beklagten festgelegt worden sei, die Versicherungsvertreter verpflichtet seien, regelmäßig an Meetings teilzunehmen, die Vergütung der Versicherungsvertreter aus einem festen Gehaltsbestandteil nebst Provision bestehe und diese keine weiteren Auftraggeber als die Beklagte hätten. Zudem hat die Klägerin gemeint, die Kündigung vom 15.03.2010 sei auch unter dem Gesichtspunkt der Schwerbehinderung der Klägerin als unwirksam anzusehen.


Sie hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 15.03.2010, zugegangen am 29.03.2010, nicht aufgelöst wird;

2. festzustellen, dass auch keine weiteren Beendigungstatbestände erfüllt sind.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, in der Regel seien bei ihr nicht mehr als drei Arbeitnehmer beschäftigt. Neben drei festangestellten Arbeitnehmern seien lediglich selbstständige Versicherungsmakler für sie tätig. Diese unterlägen keiner Weisungsbindung und seien nicht in den Betrieb der Beklagten wie Arbeitnehmer eingegliedert. Die Versicherungsmakler- bzw. -vermittler hätten nicht in der Beklagten ihren einzigen Auftraggeber. Sie hätten keine Provisionsansprüche gegenüber der Beklagten, sondern müssten selber anteilige Kosten im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung an die Beklagte abführen.

Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 25.05.2010 - 6 Ca 3077/10 - die Klage - soweit berufungsrelevant - als unbegründet abgewiesen, da sich die ordentliche Kündigung vom 15.03.2010 als wirksam erweise. Die Klägerin könne sich auf das Kündigungsschutzgesetz nicht berufen, da sie die Voraussetzungen für dessen Anwendbarkeit nicht schlüssig vorgetragen habe. Sie habe nicht dargelegt, dass sämtliche Arbeitnehmer eine Betriebszugehörigkeit mit Beginn vor dem 01.01.2004 aufwiesen. Zudem seien die Außendienstmitarbeiter der Beklagten nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes anzusehen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 26.08.2010 zugestellte Urteil am Montag, dem 27.09.2010, Berufung eingelegt und diese am 25.10.2010 begründet.

Sie verbleibt bei ihrer Rechtsansicht, dass allgemeine Kündigungsschutzgesetz sei im Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, da die Außendienstmitarbeiter als Arbeitnehmer anzusehen seien. Nunmehr seien regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer bei der Beklagten tätig, daher sei die Frage, ob diese eine Betriebszugehörigkeit mit Beginn vor dem 01.01.2004 aufwiesen, irrelevant.

Zudem macht die Klägerin den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderte geltend. Zum Zeitpunkt der Kündigung könne die Klägerin sich auf die Voraussetzungen des § 85 SGB IX berufen, da sie gemäß Bescheid der S K vom 15.07.2010 mit einem Grad der Behinderung von 60 rückwirkend zum 06.01.2010 anerkannt gewesen sei. Der Antrag der Klägerin vom 06.01.2010 sei weit über drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung vom 15.03.2010 gestellt worden. Die Klägerin behauptet, die Beklagte sei über die Antragstellung informiert gewesen. Die Klägerin habe mehrfach Gespräche über die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes mit dem Gesellschafter der Beklagten, Herrn K , geführt. Die Klägerin habe konkret über den Antrag vom 06.01.2010 informiert. Zudem habe die Klägerin einen Rentenantrag in Abstimmung mit der Beklagten gestellt. Zuletzt habe der Vorgesetzte, der Mitgesellschafter Herr K , Mitte März 2010 die Klägerin danach gefragt, ob ein Schwerbehindertenzeichen im KVG-Ausweis der Klägerin eingetragen worden sei. Jedenfalls habe die Beklagte Kenntnis spätestens durch den Vortrag der Klägerin im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 11.05.2010 erhalten.


Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25. Mai 2010, Aktenzeichen 6 Ca 3077/10 dahingehend abzuändern, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15.03.2010, zugegangen am 29.03.2010, nicht beendet worden ist.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, auch unter Einbeziehung der Außendienstmitarbeiter seien nicht mehr als zehn Beschäftigte bei der Beklagten. Kenntnis von dem Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Schwerbehinderte habe die Beklagte erst mit Zugang des Schriftsatzes vom 11.05.2010 bekommen. Vorher habe die Beklagte lediglich die häufige Arbeitsunfähigkeit der Klägerin registriert. Die Klägerin habe jedoch stets abgelehnt, über ihre gesundheitliche Situation zu sprechen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden ist (§§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Einwendungen der Klägerin aus ihrem Berufungsvorbringen gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln im Urteil vom 25.05.2010 ein anderes Ergebnis nicht rechtfertigen. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.03.2010 erweist sich als wirksam.

1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.03.2010 ist nicht auf ihre soziale Rechtfertigung nach § 1 KSchG zu überprüfen, da das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Anwendung kommt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Betrieb der Beklagten hinsichtlich der Betriebsgröße die Voraussetzungen für den Geltungsbereich nach § 23 KSchG erfüllt.

Der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes findet nach § 23 Abs. 1 KSchG nur Anwendung, wenn im Betrieb zum Kündigungszeitpunkt in der Regel entweder mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind, oder aber mehr als fünf "Alt-Arbeitnehmer", die bereits am 31.12.2003 im Betrieb beschäftigt waren.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 23 Abs. 1 KSchG geregelten betrieblichen Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes (vgl. BAG, Urteil vom 23.10.2008 - 2 AZR 131/07 -, EzA Nr. 33 zu § 23 KSchG m. w. N.). § 23 KSchG beschreibt eine Anspruchsvoraussetzung. Der Arbeitnehmer kann nur bei Überschreitung des Schwellenwerts die fehlende soziale Rechtfertigung geltend machen. Auch hat der Gesetzgeber den Wortlaut des § 23 KSchG trotz verschiedentlicher Neuregelungen im hier maßgeblichen Punkt unverändert gelassen. Schließlich verlangt der Gesichtspunkt der Sachnähe des Arbeitgebers, was die grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast anbelangt, kein anderes Ergebnis. Es ist allerdings darauf zu achten, dass an die Erfüllung der Darlegungslast durch den Arbeitnehmer keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Insbesondere muss sich der Stellenwert der Grundrechte in der Darlegungs- und Beweislastverteilung wiederspiegeln. Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber aufgrund seiner Sachnähe ohne Weiteres substantiierte Angaben zum Umfang und zur Struktur der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen machen kann. Dementsprechend dürfen vom Arbeitnehmer keine Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeit nicht erbringen kann. Der Arbeitnehmer genügt deshalb regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er - entsprechend seiner Kenntnismöglichkeiten - die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und die ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt (vgl. BAG, Urteil vom 23.10.2008 - 2 AZR 131/07 - a.a.O.). Allerdings ist der Arbeitnehmer gehalten, zumindest - gegebenenfalls durch konkrete Beschreibung der Personen - anzugeben, welche mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer zum Kündigungszeitpunkt im Betrieb beschäftigt sind.

a. Die Klägerin hat hierzu erstinstanzlich lediglich ausgeführt, zum Zeitpunkt der Einstellung der Klägerin habe die Beklagte neun Arbeitnehmer beschäftigt, wozu neben der Klägerin, der in K tätigen Sekretärin, einer in D tätigen Sekretärin, einer studentischen Aushilfe und einer Putzkraft noch vier Außendienstmitarbeiter gezählt hätten. Die Anzahl der Außendienstmitarbeiter hätte sich nunmehr auf ca. neun erhöht. Diesen, von der Beklagten bestrittenen Vortrag, hat die Klägerin allerdings nicht durch nähere Beschreibung der von ihr in Bezug genommenen Personengruppen näher substantiiert. Sie hat weder diese Personen durch Namensnennung individualisiert noch deren konkrete Aufgabenbereiche voneinander abgegrenzt. Hierzu wäre die Klägerin aber nach dem Zuschnitt des Betriebs der Beklagten und der Übersichtlichkeit aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl durchaus in der Lage gewesen.

b. Zudem sprechen die von der Klägerin vorgetragenen Merkmale nicht hinreichend schlüssig für die Arbeitnehmereigenschaft der sog. Außendienstmitarbeiter. Die von der Klägerin angeführte Zuordnung zu festen Zuständigkeitsbereichen durch die Beklagte entspricht auch im freien Dienstverhältnis der Vereinbarung und Beschreibung des Auftragsgegenstandes der Dienstvertragsparteien. Die von der Klägerin dargestellten regelmäßigen Meetings sind auch im Rahmen der Abstimmung von freien Mitarbeitern im Verhältnis zu ihrem Dienstgeber nicht wesensfremd. Zudem hat die Klägerin hier nicht die Häufigkeit solcher Meetings dargelegt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie hinreichend kennzeichnend sind für eine Bindung der Außendienstmitarbeiter an arbeitszeitliche Vorgaben der Beklagten. Auch das Auftreten der Versicherungsvertreter im Namen der Beklagten entspricht dem Auftragsgegenstand und ist nicht zwingend auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zurückzuführen. Die von der Klägerin behaupteten Fest- und Provisionsvergütungen der Versicherungsvertreter sind zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat entgegen der ihr obliegenden Darlegungslast hierfür nicht näher vorgetragen. Mit Rücksicht darauf hat die Klägerin auch diesbezüglich ihrer Darlegungslast nicht genügt.

2. Die Kündigung vom 15.03.2010 scheitert auch nicht an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX. Nach dieser Vorschrift bedürfen Kündigungen der Arbeitsverhältnisse schwerbehinderter Menschen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Eine solche Zustimmung lag vor Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte vom 15.03.2010 nicht vor.

a. Der Schwerbehindertenschutz für schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX und damit auch der Kündigungsschutz beginnt grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, mag auch die Feststellung hierüber erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen worden sein. Die Feststellung des Versorgungsamtes kann auch für einen in die Vergangenheit zurückreichenden Zeitraum getroffen werden.

Die Klägerin ist durch Widerspruchsbescheid vom 15.07.2010 mit einem Grad der Behinderung von 60 rückwirkend zum 06.01.2010 als schwerbehinderte Person anerkannt worden. Dem besonderen Kündigungsschutz steht auch nicht § 90 Abs. 2 a SGB IX entgegen, da die Klägerin durch ihre Antragstellung vom 06.01.2010 länger als drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung der Beklagten am 15.03.2010 die Anerkennung als Schwerbehinderte beantragt hatte.

b. Jedoch hat die Klägerin die Geltendmachung des besonderen Kündigungsschutzes im Sinne des § 85 SGB IX verwirkt.

Das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, unterliegt der Verwirkung. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB. Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal geltend zu machen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, das ihm die Erfüllung des Anspruches nicht mehr zuzumuten ist. Der Arbeitnehmer muss, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder - wie hier - zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Dreiwochenfrist ist eine Regelfrist. Sie konkretisiert den Verwirkungstatbestand. Ihre Überschreitung führt danach regelmäßig, aber nicht zwingend zur Verwirkung (vgl. BAG, Urteil vom 23.02.2010 - 2 AZR 659/08 -, in AP Nr. 8 zu § 85 SGB IX m. w. N.).

Der Klägerin ist die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung der Beklagten vom 15.03.2010 am 29.03.2010 zugegangen. Die Beklagte wendet ein, Kenntnis von dem Antrag auf Schwerbehinderung erst durch den Schriftsatz der Klägerin vom 11.05.2010 und damit nach Verstreichen der o.g. Dreiwochenfrist nach Zugang der Kündigung erhalten zu haben.

Eine vorherige Information über ihren Antrag auf Schwerbehinderung hat die Klägerin nicht hinreichend vorgetragen und unter Beweis gestellt. Im Rahmen der Anhörung der Parteien gemäß § 141 ZPO im Verhandlungstermin vom 11.02.2011 ist zwischen den Parteien streitig geblieben, ob die Klägerin in Gesprächen mit dem Gesellschafter der Beklagten, Herrn K , im November 2009 und Ende Januar 2010 tatsächlich auf die beabsichtigte Antragstellung wegen der Anerkennung als Schwerbehinderte bzw. auf ihren bereits am 06.01.2010 gestellten Antrag hingewiesen hat. Diese Behauptung der Klägerin hat der Beklagtengesellschafter, Herr K , im Verhandlungstermin im Rahmen seiner Anhörung nicht bestätigt, sondern darauf hingewiesen, dass es im Jahr 2009 Gespräche mit der Klägerin auch wegen Missständen in der Bürokommunikation gegeben habe. Im Jahr 2009 habe es wegen einer Krankmeldung der Klägerin intern Ärger gegeben. In dem Zusammenhang damit habe die Klägerin geäußert, nicht mehr über Krankheiten und warum sie krankgeschrieben sei, zu kommunizieren.

Die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung im Sinne des § 448 ZPO über die bloße Parteianhörung nach § 141 ZPO hinausgehend waren nicht gegeben, da von einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptungen der Klägerin nicht ausgegangen werden konnte. Nach den vorgetragenen Umständen sprach nicht mehr für als gegen die Behauptungen der Klägerin, so dass nicht davon auszugehen war, dass bereits "einiger Beweis" im Sinne des § 448 ZPO erbracht ist (vgl. Zöller-Greger, § 448 ZPO, Rdnr. 4 m. w. N.).

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die unterlegene Klägerin nach § 97 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 72 ArbGG sind nicht gegeben, da die Entscheidung zur Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Umständen des Einzelfalles entspricht.

Referenznummer:

R/R5318


Informationsstand: 24.01.2013