Urteil
Urlaubsabgeltung bei Firmeninsolvenz nach langandauernde Krankheit - Kündigungsschutzklage

Gericht:

ArbG Ulm 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 Ca 74/10


Urteil vom:

20.08.2010


Leitsätze:

1. Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche sind Masseforderungen, auch soweit sie aus Kalenderjahren vor der Insolvenzeröffnung stammen. (BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 9 AZR 78/04 -).

2. Aus Art. 9 Nr. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation folgt keine zeitliche Beschränkung der Urlaubsabgeltungsansprüche bei langandauernder Krankheit.

Rechtsweg:

LAG Baden-Württemberg Urteil vom 09.06.2011 - 6 Sa 109/10

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.615,38 EUR an Urlaubsabgeltung zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 55 %, der Beklagte hat 45 % der Kosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 36.423,25 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt mit ihrer Kündigungsschutzklage die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten nicht beendet wurde. Hilfsweise macht sie Sozialplan- und Urlaubsabgeltungsansprüche geltend.

Die Klägerin ist am 00.00.1956 geboren, verwitwet und niemandem zum Unterhalt verpflichtet. Sie ist gemäß Bescheid des Versorgungsamtes U. vom 09.08.2004 mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Ab dem 17.01.1977 war sie bei der L. AG angestellt und wurde in der Fertigung als Bedienerin mit einem Bruttomonatseinkommen von 2.000,00 EUR beschäftigt. Die Klägerin hat letztmals am 29.01.2003 gearbeitet und ist seither durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Wiederherstellung der Arbeitskraft ist nicht abzusehen. Die Entgeltfortzahlung endete am 21.03.2003, der Krankengeldbezug am 19.04.2004. Der Klägerin stehen pro Jahr insgesamt 30 Tage Urlaub bei einer Fünftagewoche zu.

Mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 01.07.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma L. AG eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Bei der L. AG kam es in der Folge zu einer Betriebseinschränkung, die mit einer Reduzierung des Personalbestandes verbunden war. Die Einzelheiten regelte ein am 20.07.2009 geschlossener Interessenausgleich, der die Klägerin als zu kündigende Person namentlich auswies. Der Beklagte beschäftigt weit mehr als 10 Personen ausschließlich der zur Berufsbildung Beschäftigten.

Am 11.09.2009 kam zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat der L. AG ein Sozialplan zustande. In diesem Sozialplan war eine Abfindung für Personen vorgesehen, die in den Anwendungsbereich des Sozialplanes fallen. Gemäß Punkt "I." des Sozialplans waren von dem Sozialplan unter anderem ausgeschlossen "Arbeitnehmer/-innen deren Arbeitsverhältnis aus personen- oder aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt oder aus diesen Gründen einvernehmlich beendet wird."

Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 29.07.2009 eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen, wobei zuvor keine Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt worden war. In dem daraufhin vor dem Arbeitsgericht Ulm verhandelten Kündigungsschutzverfahren kündigte die Prozessvertretung des Beklagten im Gütetermin an, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, sollte die Klägerin innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist die Klage nicht zurücknehmen. Weiter erklärte die Prozessvertretung des Beklagten, sodann der Klägerin aus personenbedingten Gründen kündigen zu wollen und somit den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung entfallen zu lassen. Eine Klagerücknahmeerklärung innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist gab die Klägerin nicht ab.

Mit Schreiben vom 19.10.2009 trat die Klägerin an den Beklagten heran und unterbreitete ein Vergleichsangebot, wonach der Rechtsstreit unter Einschluss von Ansprüchen auf Sozialplanabfindung und Urlaubsabgeltungsansprüchen gegen eine Zahlung von 15.000,00 EUR angeboten wurde. Der Beklagte war mit diesem Vergleichsvorschlag nicht einverstanden. Mit Schreiben vom 10.11.2009 erklärte die Klägerin deswegen gegenüber dem Arbeitsgericht Ulm, dass die Kündigungsschutzklage zurückgenommen werde und das Arbeitsverhältnis insofern fortbestehe.

Mit Schreiben vom 01.04.2010 wurde das Arbeitsverhältnis von der Beklagten aus personenbedingten Gründen gemäß § 113 InsO zum 31.07.2010 gekündigt (vgl. AS. 15). Vor Ausspruch der Kündigung erhielt der Betriebsrat der L. AG am 22.03.2010 ein Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin (AS. 50-52). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab. Außerdem wurde am 16.11.2009 ein Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt gestellt. Mit Schreiben vom 12.03.2010 wurde die Zustimmung zur personenbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin erteilt. Diese Vorgänge wurden am 15.06.2010 in einem Nachtrag zum Sozialplan festgehalten (AS 76).


Die Klägerin meint,

die Kündigung sei unwirksam, da keine Kündigungsgründe ersichtlich seien. Jedenfalls stehe der Klägerin ein Abfindungsanspruch nach dem Sozialplan zu.

Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass personenbedingte Gründe zur Stützung der Kündigung angeführt seien. Aus dem Geschehensablauf ergebe sich, dass die Kündigung in Wahrheit aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden sei. Grund für die Heranziehung personenbedingter Kündigungsgründe sei, dass der Beklagte nicht damit einverstanden gewesen sei, dass die Klägerin sich gegen die betriebsbedingte Kündigung zur Wehr setzte. Unabhängig davon stünden der Klägerin Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2005 bis einschließlich 2010 zu.


Die Klägerin beantragt daher:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis trotz Kündigungserklärung, datierend vom 01.04.2010 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.

2. Es wird hilfsweise festgestellt, dass der Klägerin Masseansprüche in Höhe von EUR 13.719,25 brutto nebst Zinsen p.a. in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zustehen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 16.704,00 brutto nebst Zinsen p.a. in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.


Der Beklagte beantragt Klageabweisung.

Er ist der Ansicht, dass die personenbedingte Kündigung aufgrund der unsicheren Gesundheitsprognose der Klägerin sozial gerechtfertigt ist.

Der hilfsweise geltend gemachte Sozialplananspruch bestehe nicht: Es könne keine Rede davon sein, dass die aus personenbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung eine Maßregelung der Klägerin darstelle, da sie sich nicht mit der betriebsbedingten Kündigung abgefunden habe. Die betriebsbedingte Kündigung sei vielmehr allen Arbeitnehmern ausgesprochen worden, deren Arbeitsstelle von der Betriebseinschränkung der L. AG betroffen gewesen seien. Man habe zunächst davon abgesehen, näher zu prüfen, ob eine Kündigung auch unter anderen Gesichtspunkten gerechtfertigt gewesen wäre. Die nachträglich ausgesprochene personenbedingte Kündigung stelle daher keine Reaktion auf die berechtigte Interessenwahrnehmung der Klägerin dar.

Die weitergeltend gemachten Ansprüche auf Urlaubsabgeltung seien ebenfalls unbegründet. Zum einen handle es sich hier größtenteils schon überhaupt nicht um Masseansprüche, die mit einer Leistungsklage verfolgt werden könnten. Zum anderen könnten Ansprüche auf Urlaubsabgeltung nicht endlos "gesammelt" werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund länger andauernder Erkrankung über Jahre hinweg nicht in der Lage ist, Urlaub zu nehmen. Die Rechtsprechung des EuGH stehe dem nicht entgegen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kündigungsschutzantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die krankheitsbedingte Kündigung vom 01.04.2010 ist gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet.

1. § 1 Abs. 1 KSchG bestimmt, dass eine Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, rechtsunwirksam ist, wenn sie sozial nicht gerechtfertigt ist. Dies gilt auch in der Insolvenz des Arbeitgebers. Diese hat auf die grundsätzliche Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften keine Auswirkungen. Insolvenzrecht und Arbeitsrecht sind zwei selbständige Rechtsgebiete, die nebeneinander bestehen, soweit keine Sonderregelung vorgesehen ist. In der Insolvenz gilt daher der allgemeine Kündigungsschutz weiter, wobei allerdings die Modifikationen der §§ 113, 125-128 InsO zu beachten sind (vgl. Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverfahren, 10. Aufl. Rn. 2290 und 2303).

Sozial gerechtfertigt ist eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG u. a. dann, wenn sie durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Häufigster Fall der personenbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen Krankheit (Griebeling, in: Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (KR), 9. Auflage § 1 KSchG RdNr. 319). Die Krankheit als solche ist kein Kündigungsgrund. Die Krankheit wird kündigungsrechtlich erst dann relevant, wenn von ihr störende Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausgehen (Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (ErfK), 10. Auflage § 1 RdNr. 110). Dies kann der Fall sein bei häufigen Kurzerkrankungen, krankheitsbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit und bei langanhaltender Krankheit des Arbeitnehmers (vgl. BAG, Urteil vom 21.05.1992 - 2 AZR 399/91 -).

Ob im Einzelfall eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, beurteilt sich anhand einer dreistufigen Prüfung: Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Sie können durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen werden. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist dann zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Die dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt dabei grundsätzlich zu einer für den Arbeitgeber nicht mehr tragbaren betrieblichen Beeinträchtigung (BAG, Urteil vom 21.05.1992 - 2 AZR 399/91 -).

Steht fest, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann, so ist schon aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört. Die auf das jeweilige Arbeitsverhältnis bezogene, betriebliche Beeinträchtigung besteht darin, dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, der Arbeitnehmer sei auf Dauer außerstande, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen.

In diesem Fall liegt die erhebliche betriebliche Beeinträchtigung darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert wird, sein Direktionsrecht auszuüben. Er kann den Arbeitnehmer schon allein hinsichtlich der Bestimmung von Zeit und Reihenfolge der Arbeit nicht mehr frei einsetzen; eine irgendwie geartete Planung seines Einsatzes ist ebenso wenig möglich wie der von Vertretungskräften.

Dem - auf gesundheitlichen Gründen beruhenden - dauernden Unvermögen des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Ungewissheit, wann der Arbeitnehmer wieder hierzu in der Lage sein wird, gleichzustellen, wenn im Zeitpunkt der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit noch völlig ungewiss ist. Dann ist der Arbeitgeber in einer dem Fall der feststehenden Leistungsunfähigkeit vergleichbaren Lage. Dies gründet sich auf folgende Erwägungen: Im Schuldrecht steht die dauernde Unmöglichkeit der vorübergehenden gleich, wenn diese die Erreichung des Vertragszweckes in Frage stellt und dem anderen Vertragsteil die Einhaltung des Vertrages bis zum Wegfall des Leistungshindernisses nicht zuzumuten ist. Ob das zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und der Belange beider Parteien nach Treu und Glauben zu entscheiden (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Auflage, § 275 RdNr. 26 und 27, m. weit. Nachw.). Auch das Arbeitsverhältnis ist ein, wenn auch durch einen besonderen Arbeitnehmerschutz geprägtes, Austauschverhältnis. Deshalb ist bei der Prüfung der möglichen nachteiligen Folgen krankheitsbedingter Fehlzeiten auch die erhebliche Störung des Äquivalenzverhältnisses zu berücksichtigen. Es genügt allerdings nicht bereits ein nur unausgewogenes Verhältnis zwischen Erfüllung der Arbeits- und Lohnfortzahlungspflicht, um unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Belastung mit Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung wegen häufiger Erkrankungen sozial zu rechtfertigen (BAG, Urteil vom 16.02.1989 - 2 AZR 299/88 - zu B III 1 c bb der Gründe). Bei langanhaltender Krankheit, bei der - von dem Fall besonderer tariflicher Regelungen abgesehen - die wirtschaftlichen Auswirkungen in den Hintergrund treten, wird dieses Äquivalenzverhältnis deshalb besonders gestört, wenn eine Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers überhaupt nicht mehr absehbar ist. Deshalb kann der Beeinträchtigung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung durch eine feststehende Leistungsunfähigkeit die Beeinträchtigung durch eine langandauernde gleichgestellt werden, wenn die Dauer der Leistungsunfähigkeit zumindest völlig ungewiss, oder sogar nicht abzusehen ist, ob die Leistungsfähigkeit überhaupt wieder hergestellt werden kann.

Auch bei einer Kündigung wegen dauernder oder diesem Tatbestand gleichstehender Arbeitsunfähigkeit auf unabsehbare Zeit ist eine Interessenabwägung erforderlich. Diese kann aber nur bei Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zu dem Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber trotz der erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses auf nicht absehbare Zeit deren Fortsetzung billigerweise weiter hinnehmen muss. (zum Ganzen BAG, Urteil vom 21.05.1992 - 2 AZR 399/91 -).

2. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kündigung vom 01.04.2010 wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet.

a) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Klägerin hat die Wartezeit nach § 1 KSchG lange erfüllt und die Insolvenzschuldnerin bzw. der Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG.

b) Die Klägerin ist seit 2003 und damit seit über sieben Jahren arbeitsunfähig erkrankt. Die Behauptung des Beklagten, die Arbeitsunfähigkeit dauere an und eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei ungewiss, ist als zugestanden anzusehen, nachdem die Klägerin dem nicht entgegengetreten ist, § 138 Abs. 3 ZPO. Daher liegt ein Fall vor, der nach den vorstehend geschilderten Grundsätzen einem dauernden Unvermögen der Klägerin, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, gleichzusetzen ist. Der Darlegung einer über diese Störung des Arbeitsverhältnisses hinausgehenden Beeinträchtigung betrieblicher Belange bedarf es nicht. Eine besondere Schutzbedürftigkeit der Klägerin, die im Rahmen der Interessenabwägung eine andere Bewertung rechtfertigen könnte, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

c) Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Integrationsamtes oder des Betriebsrates der Insolvenzschuldnerin liegen nicht vor.

II.

Der zulässige Antrag auf Zahlung einer Sozialplanabfindung ist unbegründet. Der Klägerin steht nach dem Sozialplan kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung zu. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Maßregelungsverbotes nach § 612a BGB.

1. Der Antrag auf Feststellung, dass der Klägerin nach dem Sozialplan Masseansprüche zustehen, ist zulässig.

Forderungen aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellten Sozialplan sind gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten, die nach § 53 InsO vorweg zu befriedigen sind. § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO bestimmt jedoch, dass eine Zwangsvollstreckung in die Masse wegen einer Sozialplanforderung schlechthin unzulässig ist. Einer Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter wegen Forderungen aus einem von ihm vereinbarten Sozialplan fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil ein entsprechender Leistungstitel dauerhaft keine Vollstreckungsgrundlage wäre. Der Gläubiger ist auf die zulässige Feststellungsklage verwiesen (BAG, Urteil vom 21.01.2010 - 6 AZR 785/08 -; Urteil vom 22. November 2005 - 1 AZR 458/04 -; Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 3. Auflage § 123 InsO RdNr. 37).

2. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan vom 11.09.2009 zu, da der Sozialplan auf die Klägerin keine Anwendung findet.

a) Die Klägerin ist von den Regelungen des Sozialplanes ausgeschlossen.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge auszulegen. Auszugehen ist dementsprechend zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn.

Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner der Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG, Urteil vom 13.03.2007 - 1 AZR 262/06 - ). Findet ein Sozialplan seinem Wortlaut nach keine Anwendung für bestimmte Personengruppen, ist anhand dieses Maßstabes zu bestimmen, welche Fälle von dem jeweiligen Ausschlusstatbestand erfasst sind.

bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist der Sozialplan nicht auf die Klägerin anzuwenden, so dass auch ein Abfindungsanspruch ausscheidet. Dies folgt daraus, dass der Sozialplan seinem Wortlaut nach nicht auf Mitarbeiter Anwendung findet, denen aus personenbedingten Gründen gekündigt wurde. Nach allgemeinem Sprachgebrauch umfasst die personenbedingte Kündigung insbesondere die Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung. Es besteht kein Grund davon auszugehen, dass die Betriebsparteien von diesem Sprachgebrauch abweichen wollten. Unter den so zu verstehenden Begriff der personenbedingten Kündigung fällt daher auch die streitgegenständliche Kündigung, die mit der langanhaltenden Krankheit der Klägerin begründet wurde.

b) Gegen die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Ausschlusstatbestandes in einem Sozialplan bestehen keine Bedenken. Es stand den am Sozialplanabschluss beteiligten Parteien frei, keine Abfindung für Mitarbeiter vorzusehen, deren Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen gekündigt wurde.

aa) Bei der Schaffung von Sozialplanregelungen stellt der Sozialplanzweck eine rechtliche Grenze der Regelungsmacht der Betriebsparteien dar.

Der Sozialplan soll durch eine Betriebsänderung entstehende wirtschaftliche Nachteile der Betriebsänderung ausgleichen oder mildern. Unzulässig sind daher Sozialplanregelungen, die alleine die Arbeitnehmer belasten, was z. B. bei der Kürzung von Lohnansprüchen der Fall sein kann. Die Betriebspartner haben aber grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Sozialplanes (Fitting, Kommentar zum BetrVG, 24. Auflage §§ 112, 112a RdNr. 138).

Weitere rechtliche Grenzen für die Zulässigkeit von Sozialplanregelungen ergeben sich aus zwingendem staatlichem Recht. Besondere Bedeutung kommt dabei § 75 BetrVG zu, der die Betriebspartner zur Behandlung der Arbeitnehmer nach Recht und Billigkeit und insbesondere zur Wahrung des allgemeinen Gleichheitssatzes verpflichtet (ErfK/Kania, 10. Auflage § 112a RdNr. 23 f.).

bb) Gemessen daran begegnet es keinen Bedenken, eine Regelung in den Sozialplan aufzunehmen, wonach solche Mitarbeiter von einer Abfindungsregelung ausgenommen werden, deren Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen beendet wird. Der Zweck des Sozialplanes, wirtschaftliche Nachteile wegen einer Betriebsänderung auszuschließen oder zu mildern, verbietet eine solche Regelung nicht. Wird das Arbeitsverhältnis aus krankheitsbedingten Gründen beendet, fehlt es an Nachteilen, die gerade durch eine Betriebsänderung entstehen und mit dem Sozialplan ausgeglichen werden müssen. Ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit ist ebenfalls nicht ersichtlich.

c) Die streitgegenständliche Kündigung verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.

aa) Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Damit verbietet § 612a BGB jede Benachteiligung des Arbeitnehmers. Ein Verstoß gegen § 612a BGB liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Einbuße erleidet, d. h. wenn sich seine Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert, sondern auch dann, wenn ihm Vorteile vorenthalten werden, welche der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt, wenn diese entsprechende Rechte nicht ausgeübt haben (BAG, Urteil vom 23. Februar 2000 - 10 AZR 1/99 - m. w. N.). Dies gilt auch im Bereich freiwilliger Leistungen (BAG, Urteil vom 12.06.2002 - 10 AZR 340/01; BAG, Urteil vom 28. Juli 1992 - 1 AZR 87/92 - zu II der Gründe). In der Art und Weise betroffene Arbeitnehmer können verlangen, dass die rechtswidrige Benachteiligung durch den Arbeitgeber unterbleibt (ErfK/Preis, 10. Auflage § 612a BGB RdNr. 3). Keine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB liegt allerdings vor, wenn die Vorenthaltung der Vorteile sachlich gerechtfertigt oder in der Rechtsordnung schon angelegt ist (BAG, Urteil vom 26.10.1994 - 10 AZR 482/93 -; ErfK/Preis, 10. Auflage § 612a RdNr. 19, der für diesen Fall vom Fehlen der für § 612a BGB erforderlichen Kausalität ausgeht). Wenn aufgrund der zulässigen Ausübung der Rechte des Arbeitnehmers ein bestimmter Vorteil entfällt, folgt aus § 612a BGB nicht, dass der Arbeitgeber den so entfallenen Vorteil dem Arbeitnehmer auf anderem Wege zukommen lassen muss. § 612a BGB verfolgt den Zweck, vor Benachteiligungen zu schützen, die den Arbeitnehmer aufgrund zulässiger Rechtsausübung treffen. Dieser Zweck gebietet aber nicht, dem Arbeitnehmer nachträglich Vorteile zu verschaffen, die er zuvor selbst beseitigt hat.

bb) Ob eine Maßregelung wegen einer zulässigen Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten vorliegt, richtet sich bei einer Kündigung nach den gleichen Grundsätzen, die für das Verbot der Kündigung wegen des Betriebsüberganges nach § 613a Abs. 4 BGB gelten (BAG, Urteil vom 02.04.1987 - 2 AZR 227/86 - ; KR/Pfeiffer, 9. Auflage RdNr. 7).

Eine Kündigung wegen einer zulässigen Rechtsausübung liegt demgemäß dann vor, wenn die Rechtsausübung für die Kündigung nicht nur in irgendeiner Weise auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlass, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, d. h. das wesentliche Motiv gewesen ist. Wenn der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen ist, dann deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Den Arbeitnehmer trifft aber die volle Beweislast dafür, dass er vom Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung oder anderweitig benachteiligt worden ist, weil er in zulässiger Weise seine Rechte ausgeübt hat (BAG, Urteil vom 25.11.1993 - 2 AZR 517/93 -).

cc) Gemessen daran liegt in der personenbedingt ausgesprochenen Kündigung keine Maßregelung gemäß § 612a BGB. Die Klägerin hatte es nach Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung in der Hand, diese hinzunehmen und so einen Anspruch auf Zahlung einer Sozialplanabfindung zu erlangen. Nachdem die Klägerin im Kündigungsschutzprozess erfolgreich den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses eingefordert hatte, ging damit als notwendige Folge einher, dass eine Sozialplanabfindung nicht mehr verlangt werden konnte, da keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben war. Damit beruht die Vorenthaltung der Sozialplanabfindung auf dem Verhalten der Klägerin, mit dem als Reflex das Entfallen der Sozialplanabfindung verbunden war. Eine Maßregelung durch den Beklagten liegt insofern nicht vor. Soweit die Klägerin meint, die personenbedingte Kündigung stelle sich als ungerechtfertigte Bestrafung für das Vorgehen gegen die betriebsbedingte Kündigung dar, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass damit Vorteile vorenthalten worden sind, welche der Beklagte anderen Arbeitnehmern gewährt hat, die entsprechende Rechte nicht ausgeübt haben.

Vielmehr wurde Klägerin durch den Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung zunächst ohne rechtfertigenden Grund in den Anwendungsbereich des Sozialplanes einbezogen; ihr hätte von vornherein eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden können. Dass dies zunächst unterlassen wurde, rechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des § 612a BGB aber nicht, dem Beklagten für die Zukunft eine Berufung auf personenbedingte Kündigungsgründe abzuschneiden. Der Arbeitgeber kann auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten sein, nur betriebsbedingte Kündigungsgründe auszusprechen, wenn einzelnen Mitarbeitern auch personenbedingt gekündigt werden könnte, das Arbeitsverhältnis also unabhängig von einer Betriebsänderung gestört ist. Mit einem solchen Verhalten würde nicht eine Maßregelung verhindert, sondern eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem gefordert, da insofern nicht das gleiche Bedürfnis für den Ausgleich von wirtschaftlichen Nachteilen im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung besteht.

Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Maßregelung der Klägerin die wesentliche und tragende Ursache für den Ausspruch der personenbedingten Kündigung war. Die Klägerin konnte aus Sicht der Kammer das Vorbringen des Beklagten nicht widerlegen, wonach aus Gründen der Vereinfachung zunächst allen zu kündigenden Mitarbeitern ohne Rücksicht auf den Einzelfall betriebsbedingt gekündigt wurde und eine Einzelfallbegutachtung nur bei fehlendem Einverständnis vorgenommen wurde. Dieses Vorgehen des Beklagten beruht aus Sicht der Kammer auf verfahrenswirtschaftlichen Überlegungen und lässt eine ausreichende Maßregelungstendenz im Sinne des § 612a BGB nicht erkennen.

III.

Der Antrag auf Urlaubsabgeltung ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist als Leistungsklage zulässig. Etwas anderes gilt auch nicht in Anbetracht des Insolvenzverfahrens. Bei Urlaubsabgeltungsansprüchen handelt es sich um Masseverbindlichkeiten, die im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden können.

a) In der Insolvenz können Masseverbindlichkeiten mit einer Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter vor dem zuständigen Prozessgericht geltend gemacht werden (BAG, Urteil vom 04.06.2003 - 10 AZR 586/02 -). Wenn das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden ist, sind Urlaubsabgeltungsansprüche nach § 7 Abs. 4 BUrlG Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Dies gilt auch soweit Urlaubsabgeltungsansprüche aus Kalenderjahren vor der Insolvenzeröffnung stammen (BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 9 AZR 78/04 -). Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und können nicht einem früheren Zeitraum zugeordnet werden (vgl. Düwell/Pulz, NZA 2008, 786, 787 m. w. Nachw.). Deshalb ist es für die Einordnung als Masseverbindlichkeit unerheblich, ob die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgereicht hätte, den Urlaubsanspruch durch Freistellung von der Arbeitspflicht zu erfüllen (BAG, Urteil vom 25.03.2003 - 9 AZR 174/02 -).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist die Leistungsklage zulässige Rechtsschutzform für das von der Klägerin verfolgte Begehren. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde aufgrund der personenbedingten Kündigung vom 01.04.2010 und damit nach der Insolvenzeröffnung beendet. Der geltend gemachte Anspruch auf finanzielle Urlaubsabgeltung ist nach den vorstehend erörterten Grundsätzen demnach eine Masseschuld, die im Wege der Leistungsklage verfolgt werden kann.

2. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf finanzielle Urlaubsabgeltung für die Jahre 2005-2010 gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG zu. Dieser Anspruch ist nicht wegen der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen.

a) Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, finanziell abzugelten. Bei der Frage, in welchem Umfang Urlaub abzugelten ist, ist § 7 Abs. 3 BUrlG zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Für den Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regelung seit 1982 in ständiger Rechtsprechung zunächst dahingehend ausgelegt, dass der Urlaubsanspruch nur im Urlaubsjahr und ggf. bei Vorliegen der besonderen in § 7 Abs. 3 BUrlG genannten Merkmale darüber hinaus noch im Übertragungszeitraum bestehe, danach aber erlösche. Nach der gesetzlichen Regelung in § 1 und § 7 Abs. 3 BUrlG bestehe der Urlaubsanspruch im Urlaubsjahr, nicht für das Urlaubsjahr (BAG, Urteil vom 13.05.1982 - 6 AZR 360/80 - zu II 4 b bis e der Gründe; ErfK/Dörner, 10. Auflage § 7 BurlG RdNr. 38 ff. m. w. Nachw.; BAG, Urteil vom 26. Juni 1969 - 5 AZR 393/68 -). Mit Ausnahme der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei der finanzielle Urlaubsabgeltungsanspruch an dieselben Voraussetzungen gebunden, wie der Urlaubsanspruch selbst (vgl. nur BAG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 9 AZR 200/04 - zu II 1 a der Gründe; Urteil vom 10. Mai 2005 - 9 AZR 253/04 - zu III 2 a der Gründe). Aus diesem Gleichlauf folgerte das Bundesarbeitsgericht weiter, dass sich der gesetzliche Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in den Ersatz eines Abgeltungsanspruchs nach § 7 Abs. 4 BUrlG umwandele, wenn der Urlaubsanspruch am Ende des Urlaubsjahres oder - im Fall der Übertragung - am Ende des Übertragungszeitraums nicht erfüllbar gewesen wäre. Der Urlaubsabgeltungsanspruch erlösche in diesem Fall ebenso wie der Urlaubsanspruch selbst. Erfüllbar war der Urlaubsanspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insbesondere auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht während des Bezugs- und des Übertragungszeitraums gewähren konnte, weil der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig blieb (BAG, Urteil vom 13.05.1982 - 6 AZR 360/80 -).

b) An diesen Grundsätzen kann nicht festgehalten werden. Die Kammer schließt sich vollumfänglich den Ausführungen an, mit denen das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung insofern modifiziert hat (BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 -). Danach gilt: Die Auslegung, die § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Fälle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erfahren hat, die bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums andauerte, widerspricht sekundärem Gemeinschaftsrecht. Das folgt aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 1). Dort hat der EuGH in Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (sog. Arbeitszeitrichtlinie, ABl. EG Nr. L 299 vom 18. November 2003 S. 9) im Rahmen einer Vorabentscheidung nach Art. 234 EG der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entgegenstehende Rechtssätze aufgestellt. Diese Auslegungsergebnisse sind für die Kammer inhaltlich verbindlich. Der EuGH ist als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zur endgültigen Entscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts berufen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 - 2 BvR 197/83 - [Solange II] zu B I 1 a der Gründe; BVerwG, Beschluss 10. November 2000 - 3 C 3.00 - zu 3.1 der Gründe). Angesichts der Bindung an die Auslegungsergebnisse des zuständigen Gerichts der Europäischen Gemeinschaften hat die Kammer nicht auszuführen, ob sie der Auslegung des EuGH zustimmt.

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist "dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortbestand, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte" (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 33 und 52).

Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie steht einer nationalen Regelung, die für die Ausübung des mit der Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, nicht entgegen. Diese Modalitäten können sogar den Verlust des Anspruchs am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums beinhalten. Das gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm von der Richtlinie verliehenen Urlaubsanspruch auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] RdNr. 43).

c) In Anwendung dieser Grundsätze ist § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG so zu verstehen, dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind. Das entspricht Wortlaut, Systematik und Zweck der innerstaatlichen Regelungen, wenn die Ziele des Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG und der regelmäßig anzunehmende Wille des nationalen Gesetzgebers zur ordnungsgemäßen Umsetzung von Richtlinien berücksichtigt werden (für eine gebotene richtlinienkonforme Auslegung von § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG LAG Düsseldorf 2. Februar 2009 - 12 Sa 486/06 - zu B II der Gründe, in dem auf die Vorabentscheidung des EuGH in der Sache Schultz-Hoff ergangenen Berufungsurteil).

d) Diese Grundsätze gelten in erster Linie für den gesetzlichen Mindesturlaub nach dem BUrlG. Die Parteien des Einzelarbeitsvertrags können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt.

Dem einzelvertraglich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kein Gemeinschaftsrecht entgegen (vgl. zu diesen Erfordernissen für eine eigene Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch das nationale Gericht EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Rn. 13 ff., Slg. 1982, 3415). Für einen Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, müssen im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen, wovon nur im Ausnahmefall ausgegangen werden kann (BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - RdNr. 81, 84 - Juris).

e) Arbeitgebern ist im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsabgeltung bei langandauernder Krankheit kein Vertrauensschutz zuzubilligen. Dies gilt nicht nur für die Zeit nach dem Vorabentscheidungsersuchen des LAG Düsseldorf im Jahre 2006, das zur erwähnten Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Schultz-Hoff führte (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2010 - 11 Sa 64/09 -).

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 -), der sich die Kammer vollumfänglich anschließt, gilt folgendes: Die langjährige Rechtsprechung der Urlaubssenate des Bundesarbeitsgerichts, die seit 1982 vom Verfall von Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums ausging, war zwar geeignet, Vertrauen der Arbeitgeberseite auf die Fortdauer dieser Rechtsprechung zu begründen . Die Vertrauensgrundlage entfiel aber mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996. Seit dem 24. November 1996 war das Vertrauen von Arbeitgebern auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung nicht länger schutzwürdig (zu der nötigen zweistufigen Prüfung nach Vertrauensgrundlage und Schutzwürdigkeit des Vertrauens z. B. Höpfner, RdA 2006, 156, 157 ff.).

aa) Das Unionsrecht bindet die nationale Rechtsanwendung grundsätzlich mit seinem Inkrafttreten. Für Richtlinien gilt das (spätestens) mit Ablauf der Umsetzungsfrist. Die einzelstaatlichen Gerichte sind ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, das innerstaatliche Recht richtlinienkonform auszulegen oder fortzubilden, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV zu genügen (vgl. z. B. EuGH Urteil vom 16. Juli 2009 - C-12/08 - [Mono Car Styling] RdNr. 60) . Eine Rechtsfortbildung ist unionsrechtlich geboten, wenn die nationale Methodenlehre dieses Instrument kennt.

bb) Nationaler Vertrauensschutz in eine bestehende, vom Richtlinienrecht abweichende nationale Rechtsprechung ist im Privatrechtsverkehr ausnahmsweise anzuerkennen, wenn das einzelstaatliche Recht der richtlinienkonformen Rechtsfindung Grenzen setzt. In diesem Fall kann sich der nationale Vertrauensschutz durchsetzen . Dieses seltene und nur ausnahmsweise anzunehmende Ergebnis wird von der Rspr. des EuGH anerkannt (EuGH Urteil vom 16. Juli 2009 - C-12/08 - [Mono Car Styling] RdNr. 61).

cc) Die Ermittlung nationalen Vertrauensschutzes muss ebenso wie die richtlinienkonforme Rechtsfindung den grundsätzlichen Durchsetzungsanspruch des Unionsrechts beachten. Das System mehrerer rechtlicher Ebenen, die von Unionsrecht und nationalem Recht gebildet werden, ist dem Grundgesetz nicht fremd. Zu Gesetz und Recht, die die innerstaatliche Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG binden, gehören die unionsrechtlichen Richtlinienvorgaben. Auch das Inkrafttreten einer Richtlinie ist ein vertrauensbegründender Umstand. Der durch die Richtlinie Begünstigte kann sich auf die richtlinienkonforme Auslegung oder Fortbildung des nationalen Rechts verlassen, obwohl die Richtlinie zwischen Privaten nicht unmittelbar wirkt (vgl. Riesenhuber Anm. AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21) .

dd) Für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf eine bisherige richtlinienwidrige nationale Rechtsprechung kommt es in dem Mehrebenensystem von Unionsrecht und einzelstaatlichem Recht nicht (nur) darauf an, ob sich die Rechtsunterworfenen überwiegend auf die innerstaatliche Rechtsanwendung verlassen. Die Durchsetzung des Unionsrechts ist in gleichwertiger Weise sicherzustellen wie die Durchsetzung des einzelstaatlichen Rechts (sog. Äquivalenzgrundsatz). Das bedeutet, dass das Vertrauen auf die Durchsetzung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte ebenso zu schützen ist wie das Vertrauen auf die Beständigkeit nationaler Rechtsanwendung. Die unionsrechtlich verbürgten Rechte dürfen im Ergebnis nicht leerlaufen (sog. Effektivitätsgrundsatz). Das Unionsrecht verlangt der nationalen Methodenlehre daher ab, seine Durchsetzung so weit wie möglich sicherzustellen (vgl. Riesenhuber Anm. AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21).

ee) Damit kommt es nicht zu einer "verkappten" unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Privatrechtsverkehr. Vielmehr ist schützenswertes Vertrauen auf eine einzelstaatliche richtlinienwidrige ständigen Rechtsprechung wegen der Mehrgliedrigkeit von Unionsrecht und innerstaatlichem Recht nur ausnahmsweise anzunehmen. Nationaler Vertrauensschutz setzt besondere Umstände voraus. Die richtlinienwidrige Rechtsfindung darf nur im Ausnahmefall fortgesetzt werden.

ff) Die nötigen besonderen Umstände für innerstaatlichen Vertrauensschutz waren seit dem Ende der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 nicht länger gegeben. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 standen sich im rechtlichen Mehrebenensystem der Europäischen Gemeinschaften (heute: der Europäischen Union) die Deutungshoheit des EuGH für Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie und die Interpretationskompetenz des Bundesarbeitsgerichts für das Bundesurlaubsgesetz gegenüber.

Mit Inkrafttreten von Art. 7 der ersten Arbeitszeitrichtlinie war unklar, ob der EuGH die frühere Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Urlaubs(-abgeltungs)ansprüche bei Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums untergingen, auf der Grundlage des Richtlinienrechts teilen würde. Art. 7 der ersten Arbeitszeitrichtlinie traf nach Ablauf der Umsetzungsfrist mit dem 23. November 1996 auf eine seit über 14 Jahren bestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 BUrlG. Mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie im Jahr 1996 trat deswegen eine objektive und bedeutende Unsicherheit darin auf, wie § 7 BUrlG richtlinienkonform zu verstehen war. Der EuGH machte mit seiner ersten Entscheidung BECTU zu Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie seine Auslegungskompetenz für das Unionsrecht deutlich (Urteil vom 26. Juni 2001 - C-173/99 - Slg. 2002, I-4881) . Er trat dort im Urlaubsrecht erstmals einer nationalen - britischen - Auslegung urlaubsrechtlicher Pflichten entgegen. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG bei Arbeitsunfähigkeit nicht von jeher einheitlich war. Der Fünfte Senat, der vor 1982 für das Urlaubsrecht zuständig war, hatte noch angenommen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht verfielen (grundlegend: Urteil vom 13. November 1969 - 5 AZR 82/69 - zu 2 der Gründe) . Das Vertrauen darauf, dass § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht richtlinienkonform auszulegen oder fortzubilden sein würde, ist aus diesen Gründen seit 1996 nicht mehr schutzwürdig.

f) Der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt keiner Verfallfrist nach Art. 9 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 (BGBl. 1975 II S. 746).

aa) Gemäß Art. 9 Nr. 1 des genannten Übereinkommens ist der in Artikel 8 Absatz 2 dieses Übereinkommens erwähnte ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens achtzehn Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen. In der Rechtsprechung wird erwogen, in dieser Bestimmung eine mit § 7 Abs. 3 BUrlG vergleichbare Ausschlussfrist für Urlaubsansprüche zu sehen (LAG Hamm, Vorlagebeschluss zum EuGH vom 15.04.2010 - 16 Sa 1176/09 -).

bb) Nach Ansicht der Kammer kommt Art. 9 Nr. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 24.06.1970 keine Bedeutung für den Urlaubsabgeltungsanspruch zu. Zwar teilt die Kammer die Bedenken gegen die Folgen der Schultz-Hoff-Rechtsprechung des EuGH. Insbesondere ist nicht zu verkennen, dass diese Judikatur die Stellung der Arbeitnehmer insofern gegenüber der vormaligen BAG-Linie verschlechtert, als Arbeitgeber nunmehr geneigt sein dürften, langfristig erkrankten Arbeitnehmern zur Vermeidung von weiteren Urlaubsansprüchen zu kündigen. Problematisch ist aus Sicht der Kammer weiter, dass ein Bedürfnis für bezahlten Urlaub sich nicht ohne weiteres erschließt, wenn über einen Zeitraum von mehreren Jahren überhaupt nicht gearbeitet wurde. Ungeachtet dessen ist nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung und Gesetzgebung nicht davon auszugehen, dass sich über Art. 9 Nr. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation oder anderweitig eine zeitliche Beschränkung der Urlaubsabgeltungsansprüche bei Krankheit erreichen lässt.

Nach nationalem Recht ist Art. 9 Abs. 1 des IAO-Übereinkommens Nr. 132 vom 24.06.1970 keine unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Norm. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Übereinkommen zwar durch Gesetz vom 30.04.1975 zugestimmt. Hierdurch ist das Übereinkommen Nr. 132 allerdings nicht innerstaatliches Recht in dem Sinne geworden, dass seine Vorschriften normativ auf alle Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einwirken (BAG, Urteil vom 07.12.1993 - 9 AZR 683/92 -). Die Anwendbarkeit des Abkommens ergibt sich auch nicht daraus, dass der EuGH in der Rechtssache Schultz-Hoff zur Begründung seiner Rechtsansicht ausgeführt hat, dass die Richtlinie 2003/88 ausweislich ihres sechsten Erwägungsgrundes den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung Rechnung getragen habe (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] RdNr. 37). Vielmehr spricht dieser Umstand gegen eine Anwendbarkeit des Art. 9 Nr. 1 des IAO-Übereinkommens Nr. 132. Der EuGH hat sich im Weiteren jeder Aussage enthalten, ob und wie das nationale Recht eine andere zeitliche Begrenzung als Kalenderjahr und Übertragungszeitraum für den Fortbestand des nicht untergegangenen Urlaubsanspruchs aus den Vorjahren vorsehen kann. Gerade wegen der Erwähnung des IAO-Übereinkommens an anderer Stelle wäre eine ausdrückliche Aussage zur Ausschlussfrist des Art. 9 IAO-Übereinkommen zu erwarten gewesen, wenn der EuGH dieser Vorschrift für den vorliegenden Zusammenhang Bedeutung beigemessen hätte. Demnach lassen die Entscheidungsgründe des EuGH wegen ihrer insoweit deutlichen Diktion nur den Schluss zu, dass keinerlei Begrenzung für den Fortbestand möglich ist.

g) Besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung, ist dieser der Höhe nach in Anlehnung an § 13 BUrlG zu berechnen. Bei einer Fünftagewoche ist der anzusetzende Bruttomonatsverdienst mit drei (Monaten) zu multiplizieren, durch 13 (Wochen), sodann durch fünf (Wochenarbeitstage) zu teilen und mit der Anzahl der bei Beendigung offenen Urlaubstage zu multiplizieren (vgl. BAG, Urteil vom 23.03.2010 - 9 AZR 128/09 - RdNr. 122).

3. In Anwendung der vorstehenden Grundsätze steht der Klägerin der ausgeurteilte Urlaubsabgeltungsanspruch zu. Hieran ändert sich nichts durch die dauerhafte Erkrankung der Klägerin oder die zwischen 1982 und 2009 entgegenstehende ständige Rechtsprechung des BAG. Bei 6 Beschäftigungsjahren mit 30 Urlaubstagen errechnet sich der ausgeurteilte Betrag (2000 x 3 : 13 : 5 x 180 = 16.615,38 EUR).

IV.

1. Die Kosten des Rechtsstreits waren entsprechend dem Ausmaß des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens hinsichtlich der jeweiligen Anträge zu verteilen, § 92 ZPO.

2. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe dem addierten Streitwert der Einzelanträge.

Referenznummer:

R/R3494


Informationsstand: 18.03.2011