Urteil
Rechtmäßigkeit eines Zurruhesetzungsbescheides wegen Dienstunfähigkeit eines Justizvollzugsbeamten - Pflicht des Dienstherren zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung

Gericht:

VG Aachen 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 K 2261/13 | 1 K 2261.13


Urteil vom:

27.04.2015


Grundlage:

  • LBG NRW § 34 |
  • BeamtStG § 26 |
  • LGG NW § 17 |
  • LGG NW § 18 |
  • SGB IX § 95 Abs. 2 |
  • LPVG NRW § 66

Tenor:

Der Zurruhesetzungsbescheid des Beklagten vom 11. Juli 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der 1964 geborene Kläger ist seit Januar 1992 im Justizvollzugsdienst tätig. Vor seiner seit dem 5. August 2011 bestehenden Dienstunfähigkeit war er als Justizvollzugsamtsinspektor (Besoldung nach A 9 BBesO) in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Aachen im allgemeinen Vollzugsdienst tätig. Dort arbeitete er zuletzt im Abteilungsdienst und war in diesem Rahmen mit Versorgungs-, Betreuungs- und Behandlungsaufgaben beauftragt. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Nachdem er vom 5. August 2011 bis einschließlich 11. Dezember 2011 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt war, gab der Beklagte die Erstellung eines amtsärztlichen Gutachtens zur Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers in Auftrag. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 erhielt er Gelegenheit zur Stellungnahme, von der er keinen Gebrauch machte.

In dem amtsärztlichen Gutachten vom 30. Mai 2012 wurde das eingeholte fachärztliche Gutachten zitiert, in dem unter anderem festgestellt wurde, dass der Kläger seit mehreren Jahren an sogenannten imperativen Schlafanfällen und bei starker affektiver Beteiligung bzw. Erregung an einem kurzzeitigen Tonusverlust der Willkürmuskulatur mit einer erhöhten Sturzgefahr leide. Im Oktober 2011 sei die Diagnose einer Narkolepsie und Kataplexie gestellt worden. Bei dieser genetisch vermittelten Störung träten typischerweise Schlafanfälle auf, die keiner willentlichen Beeinflussung durch den Betroffenen unterlägen und - unabhängig von der äußeren Situation - zu einem Tiefschlaf führten. Dies sei dem Kläger dreimal im Dienst passiert; er sei dann von Insassen der JVA geweckt worden. Für den Kläger sei dies der Anlass gewesen, sich bei seinem Hausarzt vorzustellen und krankschreiben zu lassen, da er die mit seinem Dienst verbundene Verantwortung für Inhaftierte so nicht mehr habe tragen können. Nach Aussage des behandelnden Facharztes könnten die Schlafanfälle durch eine entsprechende Medikation und ein spezielles Schlaftraining verhindert werden. Dazu seien aktuell drei feste Schlafzeiten à 10 Minuten tagsüber notwendig, eine Reduzierung auf zwei feste Schlafzeiten am Tag werde angestrebt. Sofern dem Kläger diese Schlafpausen im Dienst zugestanden werden könnten, bestände unter bestimmten Voraussetzungen prinzipiell eine Dienstfähigkeit. Aktuell und bis auf weiteres sei eine Rückkehr in den Dienst innerhalb der JVA mit Kontakt zu Inhaftierten jedoch nicht möglich. Eine Verwaltungstätigkeit oder der Einsatz bei einer anderen Behörde des Landes sei prinzipiell möglich; eine Integration an einem neuen Arbeitsplatz könne schrittweise ab Juli 2012 über drei Monate erfolgen. Innerhalb von sechs Monaten werde der Kläger in einer geeigneten Dienststelle seine volle Dienstfähigkeit wieder erlangen, sodass aus fachärztlicher Sicht aktuell noch keine dauerhafte Dienstunfähigkeit bestehe. Dieser fachärztlichen Einschätzung schloss sich der Amtsarzt grundsätzlich an. Er führte aus, auch für ihn scheine der Kläger derzeit nicht geeignet, Tätigkeiten mit direktem Gefangenenkontakt auszuüben. Anderweitige Tätigkeiten, die die beschriebenen Einschränkungen - insbesondere die Notwendigkeit der drei festen Schlafzeiten à 10 Minuten - berücksichtigten, könnten dazu führen, dass ein Verbleib innerhalb des Justizvollzugsdienstes erreicht würde.

Mit Bescheid vom 3. Juli 2012, teilte die Leiterin der JVA Aachen dem Kläger mit, dass von einer dauernden Dienstunfähigkeit hinsichtlich seines konkret-funktionellen Amtes ausgegangen werde und wies darauf hin, dass eine Verwendung im Verwaltungsbereich der JVA Aachen aufgrund der aktuellen Personalsituation nicht möglich sei, sie aber mehrere Justizbehörden um die Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit gebeten habe. Auf das Projekt "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" wurde der Kläger hingewiesen und gebeten, den beigefügten Personalbogen auszufüllen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs wurden folgende Stellen hinsichtlich einer Verwendungsmöglichkeit angeschrieben: Das OLG Köln, das OLG Hamm, das OVG NRW, das FG Düsseldorf, das FG Münster, das FG Köln, das LAG in Düsseldorf, das LSG in Essen, sämtliche Justizvollzugsanstalten des Landes NRW, das Justizvollzugskrankenhaus NRW, sämtliche Jugendarrestanstalten des Landes NRW, die Sozialtherapeutische Anstalt in Gelsenkirchen, die Fachhochschule für Rechtspflege NRW sowie die Justizvollzugsschule NRW. Ausweislich der Personalakte des Klägers meldete sich lediglich das OLG Hamm zurück, das allerdings keine Stelle für ihn hatte.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2012 bat die Leiterin der JVA Aachen das Finanzministerium um ressortübergreifende Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit für den Kläger. Im Rahmen dieses Projekts nahm er an mehreren Gesprächen sowie an einem Coaching teil. Ausweislich der Unterlagen des Finanzministeriums zeigte er sich im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" zunächst sehr motiviert und flexibel. Er habe erklärt, er könne sich einen Einsatz in der allgemeinen Verwaltung vorstellen, würde jedoch Aufgaben präferieren, bei denen er seine praktischen Fähigkeiten einsetzen könnte. Er würde auch gerne mit Publikumsverkehr arbeiten. Im Rahmen des Projekts wurden folgende Stellen um die Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit gebeten: Der Bau und Liegenschaftsbetrieb NRW, die OFD Rheinland, die Bezirksregierung Düsseldorf, die Unfallkasse NRW, der Landesbetrieb Straßenbau NRW, der Landesbetrieb Wald und Holz NRW sowie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW. Darüber hinaus wurde der Kläger auf eine Stellenausschreibung dieses Landesamts hingewiesen. An dieser Stellenausschreibung habe er jedoch kein Interesse gehabt, weil er sich angesichts seines damaligen Gesundheitszustands nicht in der Lage gesehen habe, eine reine Bürotätigkeit auszuüben. Laut den Unterlagen des Finanzministeriums habe der Kläger erklärt, er habe Kontakt zum Vollzugsbeauftragten aufgenommen und ihn um seine Unterstützung gebeten, da er auf jeden Fall im Vollzugsdienst verbleiben wolle. Im Ergebnis wurde das Vermittlungsverfahren erfolglos abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 9. November 2012 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er sehe sich durchaus in der Lage, im halboffenen bzw. im offenen Vollzug tätig zu sein, woraufhin der Beklagte im Dezember 2012 eine erneute amtsärztliche Begutachtung in Auftrag gab.

In dem amtsärztlichen Gutachten vom 20. Mai 2013 zitierte der Amtsarzt das fachmedizinische Gutachten von Prof. Dr. N. , einem ausgewiesenen Spezialisten auf dem Gebiet der fraglichen Erkrankungen, dahingehend, Narkolepsie und Kataplexie seien behandelbar. Der Kläger habe auf den Wachmacher Vigil mit Nebenwirkungen reagiert, das Medikament Metylphenidat (insbesondere unter dem Handelsnamen "Ritalin" bekannt) zeige jedoch positive Wirkungen. Um den Langzeiteffekt sowie etwaige Nebenwirkungen beurteilen zu können, müsse das Medikament in angemessener Dosierung für einen Zeitraum von vier Wochen getestet werden. Sollte sich kein positiver Effekt zeigen, bestünde immer noch die Möglichkeit, Medikamente zu testen, die nicht für die Behandlung von Narkolepsie zugelassen seien. Jedenfalls könnten die Symptome verbessert werden, sodass seine Leistungsfähigkeit und damit auch die Dienstfähigkeit wiederhergestellt werden könne. Weiterhin führte der Facharzt aus, Narkolepsie-Patienten seien unter adäquater Behandlung und bei guter Medikamententreue in der Lage, intellektuell und körperlich die gleiche Leistung wie Gesunde zu erbringen. Die Leistungsdauer und die geteilte Aufmerksamkeit blieben jedoch eingeschränkt. Im Allgemeinen hätten Narkolepsie-Patienten nach 2-4 Stunden jedweder nicht-körperlicher Tätigkeit einen Leistungsknick mit vermehrter Einschlafneigung. Insbesondere monotone Tätigkeiten könnten trotz ausreichender Medikation zum ungewollten Einschlafen oder zu automatisierten Tätigkeiten im Halbschlaf führen. Hinsichtlich möglicher vom Kläger durchzuführender Tätigkeiten sei Folgendes zu berücksichtigen: Die Tätigkeit müsse einen Wechsel von geistigen und körperlichen Arbeiten bieten, die es dem Kläger ermöglichen sich über körperliche Aktivität wachzuhalten. Weiterhin dürfe sie nicht aus monotonen Tätigkeiten im Sitzen bestehen und dürfe keine reine Bildschirmtätigkeit sein, wenngleich kurze Aktivitäten am PC möglich seien, sofern sie beim Bemerken von Schläfrigkeit kurz unterbrochen werden dürften; optimal seien interaktive Prozesse. Letztlich dürfe der Kläger keine Tätigkeiten übernehmen, die die Überwachung von mehreren Prozessen erforderten sowie keine Fahr- und Steuertätigkeiten. Weiterhin führt das amtsärztliche Gutachten aus, dass Prof. N. auf telefonische Nachfrage am 17. Mai 2013 erklärt habe, dass zum damaligen Zeitpunkt dem Grunde nach weiterhin Dienstunfähigkeit vorliege. Dabei müsse abgewartet werden, wie gut das Krankheitsbild durch die medizinische Behandlung beeinflusst werden könne.

Auf Grundlage der beiden amtsärztlichen Gutachten entschloss sich die Leiterin der JVA Aachen, den Kläger in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Mit Schreiben vom 6. Juni 2013 hörte sie dazu die Gleichstellungsbeauftragte, den Personalrat, sowie die Vertrauensperson der Schwerbehinderten an. Der Personalrat erteilte am 10. Juni 2013 seine Zustimmung.

Mit Schreiben vom 9. Juli 2013 erhob der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers diverse Einwendungen gegen die geplante Zurruhesetzung. Zunächst wundere er sich, dass der Beklagte angegeben habe, eine Verwendung im Verwaltungsbereich der JVA Aachen sei nicht möglich, obgleich intern gerade zwei Stellen im Werksaufsichtsdienst ausgeschrieben worden seien. Bei dieser Tätigkeit sei die Durchführung einer Mittagspause ohne Weiteres möglich.

Darüber hinaus sei entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt worden.

Zuletzt könne angesichts der Ausführungen im amtsärztlichen Gutachten vom 20. Mai 2013 nicht nachvollzogen werden, weshalb der Beklagte davon ausgehe, dass mit der Wiederherstellung der uneingeschränkte Dienstfähigkeit nicht zu rechnen sei. Bezeichnenderweise fände sich diese Feststellung in keinem der beiden amtsärztlichen Gutachten.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2013 wurde der Kläger gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 LBG NRW in den Ruhestand versetzt.

Eine Verwendung im Werksaufsichtsdienst sei vor dem Hintergrund der Erkrankungen des Klägers nicht möglich. Pausenzeiten seien dort nicht vorhanden, sodass Ruhephasen nicht eingehalten werden könnten. Unabhängig von einer adäquaten Einstellung der Medikation verblieben weiterhin eine eingeschränkte Leistungsdauer sowie eine verminderte geteilte Aufmerksamkeit. Zudem sei der Tätigkeitsbereich im Werksaufsichtsdienst weiterhin in unmittelbarem Kontakt mit Gefangenen, von dem in dem amtsärztlichen Gutachten vom 30. Mai 2012 abgeraten worden sei. Letztlich habe sich der Kläger auch nicht auf die angesprochene interne Ausschreibung beworben.

Hinsichtlich des betrieblichen Eingliederungsmanagements sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach ca. dreimonatiger Krankheitszeit fernmündlich kontaktiert und ihm dies auch im Schreiben vom 6. Dezember 2011 mitgeteilt worden sei, er hierauf jedoch nicht reagiert habe.

Zur Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit führte die Leiterin der JVA Aachen aus, dass ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens sowie einer fernmündlichen Auskunft von Dr. L. vom 6. Juni 2013 keine hinreichende Aussage darüber getroffen werden könne, ob der Kläger innerhalb der nächsten sechs Monate wieder dienstfähig sein könnte. Selbst wenn er wieder dienstfähig würde, gälten die vorgenannten Einschränkungen des Tätigkeitsbereichs weiter. Der Einsatz im Justizvollzugsdienst setze jedoch uneingeschränkte körperliche Belastbarkeit, uneingeschränkte Leistungsdauer und volle Aufmerksamkeit voraus, sodass von einer dauernden Dienstunfähigkeit auszugehen sei. Darüber hinaus sei gemäß § 26 Abs. 1 BeamtStG ein Beamter auch dann als dienstunfähig anzusehen, wenn er infolge einer Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan habe und keine Aussicht bestehe, dass innerhalb der nächsten sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt würde. Diese Voraussetzungen seien erfüllt, da der Kläger seit dem 5. August 2011 dauernd dienstunfähig gewesen sei.

Der Personalrat habe der beabsichtigten Zurruhesetzung am 10. Juni 2013 zugestimmt. Nach Prüfung der vorgebrachten Einwände und erfolgter Beteiligung der Personalvertretung, der Vertrauensperson für Schwerbehinderte sowie der Gleichstellungsbeauftragten sei dem Zurruhesetzungsverfahren nunmehr Fortgang zu gewähren.

Der Kläger hat am 14. August 2013 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er vor, er sei nicht dienstunfähig. Ausweislich der amtsärztlichen Stellungnahme vom 22. Mai 2013 seien die Erkrankungen, unter denen er leide, behandelbar, sodass auch die begrenzte Dienstunfähigkeit behebbar sei. Der Amtsarzt habe in der Stellungnahme lediglich ausgeführt, dass zum damaligen Zeitpunkt dem Grunde nach weiterhin Dienstunfähigkeit bestehe, er habe aber weder ausgeführt, dass er auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, seine Dienstpflichten zu erfüllen, noch, dass mit einer Wiederherstellung innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen sei. Insofern sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Frage, ob das Präparat Methylphenidat auch langfristig anschlage, binnen vier Wochen hätte beantwortet werden können.

Weiterhin sei die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erforderlich gewesen. Wenngleich es sich dabei nicht um eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung handle, führe das Unterlassen zu einer gesteigerten Darlegungs- und Beweislast des Beklagten hinsichtlich der fehlenden anderweitigen Verwendungsmöglichkeit. Die Versuche seitens der JVA, den Kläger telefonisch zu erreichen, sowie die Anhörung zur beabsichtigten amtsärztlichen Begutachtung seien nicht ausreichend, um das Erfordernis der Durchführung des BEM entfallen zu lassen.

Zudem sei ihm die Ausübung seines Amtes nach wie vor in sämtlichen Schichten und auch mit Gefangenenkontakt möglich, sofern dabei jeweils ein weiterer Justizvollzugsbeamter anwesend sei. Dies sei in weiten Bereichen der JVA Aachen, u.a. im Werksaufsichtsdienst, der Zentrale sowie der Revisionsgruppe möglich.

Soweit ersichtlich sei weiterhin die Schwerbehindertenvertretung nicht hinreichend beteiligt worden.

Zuletzt rüge er, dass die JVA Aachen lediglich im Bereich des Justizministeriums nach einer alternativen Verwendungsmöglichkeit gesucht habe. Die Suchpflicht erstrecke sich jedoch auf den gesamten Bereich des Dienstherrn - mithin des Landes Nordrhein-Westfalen.

Der Kläger beantragt,

den Zurruhesetzungsbescheid des Beklagten vom 11. Juli 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er zunächst seine Ausführungen aus dem Bescheid vom 11. Juli 2013. Ergänzend führt er aus, dass die Entscheidung, ob der Kläger dauerhaft dienstunfähig sei, eine Entscheidung sei, die sich nicht nur auf den körperlichen Zustand oder gesundheitliche Gründe beschränke, und damit letztlich vom Dienstherrn zu treffen sei. Nach Auswertung der Gutachten sowie einer telefonischen Rücksprache mit dem Amtsarzt habe die Leiterin der JVA Aachen von einer Dienstunfähigkeit ausgehen dürfen. Hinreichende Anhaltspunkte für eine Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate hätten nicht bestanden. Dass die Gutachten keine dahingehende Feststellung treffen, schade nicht.

Angesichts der besonderen Sicherheitsbelange einer JVA sei es zwingend, dass ein Beamter - ohne die vom Kläger benannten Einschränkungen - den Dienst im Kontakt mit Gefangenen verrichten könne. Dies gelte auch für den Bereich des Werksaufsichtsdienstes. Wegen der weiterhin bestehenden Einschlafgefahr könne auch nicht von einer uneingeschränkten Dienstfähigkeit oder der Möglichkeit in anderen sicherheitsrelevanten Bereichen der JVA, wie z.B. der Zentrale, tätig zu werden, die Rede sein.

Anderweitige Einsätze innerhalb der JVA Aachen beträfen nicht die Frage der uneingeschränkten Dienstfähigkeit, sondern der anderweitigen Verwendung, die jedoch aufgrund der personellen Situation nicht möglich gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Personalakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid der Leiterin der JVA Aachen vom 5. Juni 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheids ist § 34 Abs. 2 Satz 2 LBG NRW. Danach ist ein Beamter, wenn seine Dienstunfähigkeit festgestellt wird, mit dem Ende des Monats, in dem ihm oder seinem Vertreter die Verfügung zugestellt worden ist, in den Ruhestand zu versetzen. Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW trifft die nach § 36 Abs. 1 LBG NRW zuständige Stelle - regelmäßig die für die Ernennung zuständige Stelle - die Entscheidung über die Zurruhesetzung.

Die Zurruhesetzungsverfügung ist formell rechtmäßig.

Die Gleichstellungsbeauftragte ist nach §§ 17 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 LGG NRW frühzeitig angehört worden. Die Schwerbehindertenvertretung wurde gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unverzüglich nach der Fassung des Entschlusses, den Kläger in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, umfassend unterrichtet und angehört. Ein Zustimmungserfordernis ist insoweit - anders als in § 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW - nicht vorgesehen. Auch die Personalvertretung wurde entsprechend §§ 72 Abs. 1 Nr. 9, 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW einbezogen und hat der Zurruhesetzung zugestimmt.

Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22/13 -, NVwZ 2014, 1319, juris Rn. 46 ff., m.w.N. aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Thematik.

Der Kläger wurde entsprechend § 34 Abs. 1 LBG NRW vor der Versetzung in den Ruhestand angehört.

Die Versetzung in den Ruhestand ist jedoch materiell rechtswidrig.

Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22/13 -, a.a.O., Rn. 10, m.w.N.

Im Ergebnis kann dahinstehen, ob der Beklagte zu Recht von der Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen ist (1), denn er hat jedenfalls seine Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung verletzt (2).

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von mehr als drei Monaten keinen Dienst getan hat und bei dem keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Nach § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW beträgt diese Frist sechs Monate. Von der Versetzung soll allerdings gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist. Eine anderweitige Verwendung ist nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG möglich, wenn dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. In diesen Fällen ist die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und wenn zu erwarten ist, dass die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes erfüllt werden (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, haben an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG).

Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand ist danach nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 und 2 BeamtStG kumulativ vorliegen.

(1) Im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung dürfte es zwischen den Beteiligten unstreitig gewesen sein, dass der Kläger aufgrund seiner Leiden zum fraglichen Zeitpunkt nicht in der Lage war, Tätigkeiten auszuüben, bei denen er in unmittelbaren Kontakt zu den Gefangenen kommt. Folglich dürfte er unstreitig nicht in der Lage gewesen sein, sein zuvor ausgeübtes Amt im konkret-funktionellen Sinn auszuüben.

Der Begriff der Dienstunfähigkeit knüpft jedoch nicht an den jeweiligen Dienstposten - mithin das Amt im konkret-funktionellen Sinn -, sondern an das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn an. Das heißt, von einer Dienstunfähigkeit ist nur dann auszugehen, wenn bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten (hier eines Justizvollzugsamtsinspektors) zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22/13 -, a.a.O., juris Rn. 14; BVerwG, Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, IÖD 2012, 122-123, juris Rn. 2; BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, BVerwGE 133, 297-310, juris Rn. 14.

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist es zweifelhaft, ob von einer Dienstunfähigkeit des Klägers ausgegangen werden kann.

Die amtsärztlichen Stellungnahmen und auch die ihnen zugrundeliegenden fachärztlichen Stellungnahmen stellen lediglich fest, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt gesundheitlich nicht in der Lage war, seinen Dienst in Bereichen zu verrichten, in denen er unmittelbaren Gefangenenkontakt hat. In der fachärztlichen Stellungnahme, die in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 30. Mai 2012 zitiert wird, heißt es u.a.:

"Da aktuell weiterhin Schlafanfälle auftreten, ist [dem Kläger] aktuell und bis auf Weiteres eine Rückkehr in den Dienst innerhalb der JVA mit einem Kontakt zu Inhaftierten nicht möglich. Eine Verwaltungstätigkeit oder der Einsatz innerhalb einer anderen Behörde des Landes sind prinzipiell möglich. Eine Integration an einem neuen Arbeitsplatz kann schrittweise ab Juli 2012 über drei Monate erfolgen, innerhalb von sechs Monaten wird [der Kläger] in einer geeigneten Dienststelle seine volle Dienstfähigkeit wieder erlangt haben, sodass aus fachärztlicher Sicht (noch) keine dauerhafte Dienstunfähigkeit besteht."

Dieser grundsätzlichen Wertung hat sich der Amtsarzt angeschlossen. Die amtsärztliche Stellungnahme vom 22. Mai 2013 verhält sich zu der weiteren Prognose und der Frage einer Tätigkeit, die kein unmittelbares Zusammentreffen mit Gefangenen betrifft, nicht. In dem auszugweise zitierten Fachgutachten heißt es jedoch:

"Narkolepsiepatienten sind unter adäquater Behandlung und guter Medikamententreue in der Lage, intellektuell und körperlich die gleichen Leistungen wie Gesunde zu erbringen."

Wieso der Beklagte angesichts der geschilderten Einschätzungen zu dem Ergebnis kommt, der Kläger sei innerhalb der Beschäftigungsbehörde nicht mehr - auch nicht halbtägig - zu beschäftigen hat er nicht dargelegt. Auch ist nicht ersichtlich, wieso der Beklagte angesichts seiner Fürsorgepflicht nicht noch abgewartet hat, wie sich der Zustand des Klägers nach einer Einstellung auf Methylphenidat darstellt. Wenngleich ausweislich des zweiten fachärztlichen Gutachtens bestimmte Einschränkungen bestehen blieben (verminderte geteilte Aufmerksamkeit und Leistungsdauer), erscheint es durchaus möglich, dass der Kläger dadurch wieder in die Lage hätte versetzt werden können, seinem Amt jedenfalls halbtägig nachzugehen.

Aufgrund dieser Erwägungen ist auch zweifelhaft, ob von einer Dienstunfähigkeit i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG ausgegangen werden durfte. Insbesondere in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 30. Mai 2012 bzw. in dem darin zitierten fachärztlichen Gutachten wird dargelegt, dass der Kläger bei einer Verwaltungstätigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate seine volle Dienstfähigkeit wieder erlangt haben würde.

Wenn - wie hier - davon auszugehen ist, dass der Beamte sein Amt im abstrakt-funktionellen Sinn grundsätzlich noch erfüllen kann, darf eine Dienstunfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn alle amtsangemessenen Dienstposten bereits besetzt sind und die Beschäftigungsbehörde weder über eine freie Stelle verfügt noch eine Stelle frei machen kann, die diesen Kriterien entspricht. Sofern dies die sachgemäße und reibungslose Erfüllung der Aufgaben - über das mit Änderungen vorübergehend zwangsläufig verbundene Maß hinausgehend - beeinträchtigt, ist trotz Restleistungsvermögens von einer Dienstunfähigkeit auszugehen.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris Rn. 14f. m.w.N..

Der Beklagte hat sich jedoch sowohl im Verwaltungs- als auch im Gerichtsverfahren mit der Behauptung begnügt, eine Beschäftigung des Klägers in der Verwaltung der JVA sei aufgrund der "aktuellen Personalsituation" nicht möglich gewesen.

(2) Selbst wenn man - angesichts der Tatsache, dass die Beurteilung der Frage der Dienstunfähigkeit letztlich dem Dienstherrn obliegt - davon ausgehen möchte, dass beim Kläger tatsächlich dauerhafte Dienstunfähigkeit vorlag, ist der Zurruhesetzungsbescheid jedenfalls wegen einer Verletzung der Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung (§ 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG) rechtswidrig.

§ 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ist Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung". Ein dienstunfähiger Beamter soll nur dann aus dem aktiven Dienst ausscheiden, wenn er dort nicht mehr eingesetzt werden kann. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG ist eine anderweitige Verwendung möglich, wenn dem Beamten gleichwertige Funktionsämter einer anderen Laufbahn übertragen werden können. Der Anwendungsbereich der Vorschrift betrifft aber auch solche anderweitigen Verwendungen, die mit der Versetzung zu einer anderen Behörde verbunden sind. Bei dieser muss dem Beamten ein neues statusrechtliches Amt gleicher Wertigkeit verliehen werden, wenn er nicht auf einem Dienstposten eingesetzt wird, der dem bisherigen statusrechtlichen Amt zugeordnet ist. Neue Funktionsämter, die nicht dem bisherigen Amt im statusrechtlichen Sinne zugeordnet sind, können nur unter Verleihung des entsprechenden Amtes im statusrechtlichen Sinn übertragen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris Rn. 20 ff.; OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris Rn. 68 ff.

§ 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG begründet die Pflicht des Dienstherrn, nach einer anderweitigen Verwendung zu suchen (Suchpflicht). Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken; im Einzelfall kann sich unter Fürsorgeaspekten eine räumliche Begrenzung ergeben. Inhaltliche Vorgaben für eine Beschränkung der Suche auf bestimmte Bereiche der Verwaltungsorganisation des Dienstherrn lassen sich aus § 26 Abs. 2 BeamtStG hingegen nicht herleiten. Die Suchpflicht darf sich nicht auf die Nachfrage beschränken, ob eine andere Behörde im Bereich des Dienstherrn bereit ist, den Beamten zu übernehmen. Vielmehr sind konkrete, ggfs. auch dialogische Bemühungen erforderlich, den Beamten anderweitig zu verwenden. Ist bei einer anderen Behörde im Bereich des Dienstherrn ein amtsangemessener Dienstposten vakant, dann ist der Beamte auf diesem Dienstposten zu verwenden. Zur Suchpflicht gehört auch eine Nachfrage bei einer anderen Behörde, wenn diese eine Anfrage unbeantwortet lässt. Wenn die Suche nach einer anderweitigen Verwendung nach § 26 Abs. 2 BeamtStG auch unter Beachtung der insoweit zu stellenden Anforderungen erfolglos geblieben ist, ist vor der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu prüfen, ob dem Beamten unter Beibehaltung des übertragenen Amtes ohne Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit übertragen werden kann (§ 26 Abs. 3 BeamtStG). Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den Beamten diese Vorgaben beachtet hat (Dokumentationspflicht). Denn es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es zulasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die erforderliche Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, IÖD 2012, 122, juris Rn. 4 und vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris Rn. 25 ff.; OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, a.a.O., juris Rn. 75 ff.

Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte der Suchpflicht nach einer anderweitigen Verwendung nicht im angemessenen Maße nachgekommen.

Die mit dem Schreiben der Leiterin der JVA Aachen vom 29. Juni 2012 veranlasste Suche entspricht schon deshalb nicht den vorstehend dargestellten Anforderungen der Rechtsprechung, da sie auf das eigene Ressort (Justiz) beschränkt wurde. Bezogen auf die angeschriebenen Behörden sind zudem keine dialogischen Bemühungen um eine Vermittlung des Klägers erkennbar. Die Leiterin der JVA Aachen hat trotz fehlender Rückantworten der angeschriebenen Behörden und Gerichte (mit Ausnahme einer Antwort des OLG Hamm) keine Nachfragen gestellt. Es ist mangels Antworten oder einer Empfangsbestätigung deshalb schon fraglich, ob die Anfrage die angeschriebenen Behörden und Gerichte überhaupt erreicht hat. Damit hat die Leiterin der JVA zumindest die nach der vorstehenden Rechtsprechung erforderliche Dokumentationspflicht nicht erfüllt.

Die fehlerhafte Suche im Ressort Justiz konnte auch nicht durch die Vermittlungsbemühungen im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" kompensiert werden. Das Projektteam hat nach Aktenlage den Landesbetrieb Straßenbau NRW, den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, die Oberfinanzdirektion NRW, die Bezirksregierungen Düsseldorf, die Unfallkasse NRW, den Landesbetrieb Wald und Holz NRW und das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW angeschrieben. Es wurden im Rahmen des Projekts also ausschließlich Vermittlungsbemühungen außerhalb des Ressorts Justiz getätigt. Damit wurde die nicht ordnungsgemäß durchgeführte (bzw. zumindest nicht dokumentierte) Suche in diesem Ressort im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" nicht nachgeholt. Auch in diesem Rahmen wurde bei den bereits durch die JVA kontaktierten Stellen nicht nachgehakt.

Überdies genügen die Vermittlungsbemühungen im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" im konkreten Einzelfall ebenfalls nicht den vorstehenden Anforderungen an die Such- und Dokumentationspflicht.

Soweit dem Kläger vom Projektteam eine Stellenausschreibung übersandt und er zur Bewerbung aufgefordert wurde, liegt darin keine ordnungsgemäße Suche nach einer anderweitigen Verwendung im Sinne des § 26 Abs. 2 BeamtStG. Denn bei einer Suche auf dieser Basis tritt der Beamte stets in Konkurrenz mit Mitbewerbern. Die Aussichten auf Besetzung des Dienstpostens sind damit völlig offen. Dies entspricht nicht der weiten Auslegung des Grundsatzes Weiterverwendung vor Versorgung durch das Bundesverwaltungsgericht. Dies hat ausdrücklich ausgeführt:

"Ist bei einer anderen Behörde im Bereich des Dienstherrn ein amtsangemessener Dienstposten vakant, dann ist der Beamte auf diesem Dienstposten zu verwenden. Der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung darf nicht faktisch unter dem Vorbehalt stehen, dass die Behörde, bei der der vakante Dienstposten besteht, der Besetzung zustimmt."

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, a.a.O., Rn. 4.

Auch soweit sich das Projektteam unmittelbar an Dienststellen im Land NRW gewandt hat, hat es dabei zumindest nicht durchgehend den Anforderungen an die Such- und Dokumentationspflicht genügt. Auf die Anfrage des Projektteams hat z.B. die Bezirksregierung Düsseldorf eine Übernahme des Klägers auch mit der Begründung abgelehnt, dass ihm die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen fehlten. Auch die OFD Rheinland sowie der Landesbetrieb Straßenbau haben sich u.a. auf die fehlende Qualifikation des Klägers berufen. Das Projektteam hätte diesen Antworten entgegentreten müssen, da die fehlende Laufbahnbefähigung für sich genommen kein ausreichender Grund ist, Dienstposten von der Suche nach einer anderweitigen Verwendung auszuschließen. Dies wird aus § 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG deutlich, wonach Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen haben. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass Dienstposten, die einem Amt einer anderen Laufbahn zugeordnet sind, in die Suche einzubeziehen sind:

"Außerdem muss die Suche nach einer anderweitigen Verwendung sich auch auf Dienstposten erstrecken, die in absehbarer Zeit neu zu besetzen sind; der insoweit zu betrachtende Zeitraum ergibt sich aus der für den Erwerb einer anderen Laufbahnbefähigung erforderlichen Zeit."

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, a.a.O., Rn. 4.

Die Suchpflicht ist auch nicht wegen fehlendem ausreichendem Restleistungsvermögens entfallen.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 1 A 2111/13 -, nrwe.de Rn. 13 ff. m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 6. November 2014 - 2 B 97/13 -, IÖD 2015, 2ff., juris Rn. 13.

Dafür, dass der Kläger nicht in der Lage ist, wenigstens noch einfache dienstliche Aufgaben in einem seiner oder einer anderen Laufbahn zugehörigen Amt wahrzunehmen, bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte. Sowohl der Amtsarzt in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2012 als auch der Facharzt, der zuvor konsultiert wurde, gehen vielmehr davon aus, dass der Kläger bei einem Einsatz innerhalb der Verwaltung der JVA bzw. bei einer anderen Behörde wieder seine volle Dienstfähigkeit erlangt, sofern er drei feste Schlafpausen à 10 Minuten einhält. Dass eine solche Aufteilung der dem Kläger zustehenden Pausenzeit innerhalb keiner Behörde des Dienstherrn möglich sein soll, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr dürfte es grundsätzlich innerhalb der gesamten Verwaltung des Landes NRW ausreichend Stellen geben, bei denen eine freie Einteilung der Pausenzeit sowie die damit verbundenen kurzzeitigen "Abwesenheiten" des Klägers keinerlei Auswirkungen auf den Dienstbetrieb haben dürften. Auch die in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 22. Mai 2013 bzw. dem dieser zugrundeliegenden fachärztlichen Begutachtung genannten Anforderungen an eine potenzielle Dienststelle bieten keinen Anlass, von einem unzureichenden Restleistungsvermögen auszugehen. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der fragliche Maßstab einfache dienstliche Aufgaben sind, dürfte noch ein ausreichendes Restleistungsvermögen des Klägers bestehen, zumal dieser in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, mit Hilfe seiner Medikamente längere Autofahrten von über 1.000 km am Stück absolvieren zu können. Dazu wurde auch nichts Gegenteiliges vorgetragen. Dass es schwierig sein dürfte, einen Dienstposten zu finden, dessen Erfüllung mit ausreichend Bewegung verbunden ist und demnach keine monotonen Tätigkeiten im Sitzen bzw. ausschließlich PC-Arbeit verlangt, genügt nicht für die Annahme eines fehlenden - die Suchpflicht ausschließenden - Restleistungsvermögens, sondern begründet bestenfalls einen Fehlschlag der Vermittlungsbemühungen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ausweislich des fachärztlichen Gutachtens vom 8. Mai 2013 die zunehmende Tagesmüdigkeit des Klägers bereits seit ca. 2009 bestand und er bis in den Sommer 2011 seinen Dienst - insoweit auch von der Leiterin der JVA Aachen unbeanstandet - verrichtete. Dass er sich nach seinem dritten Einschlafen im Dienst dienstunfähig erkrankt meldete, beruhte auf seinem Entschluss, angesichts seines Gesundheitszustands die verantwortungsvolle Aufgabe der Gefangenenbetreuung nicht weiter zu übernehmen. Ferner wurden seitdem keine Arbeitsversuche, sei es auf dem vom Kläger zuvor bekleideten Dienstposten noch in einer anderen Funktion, durchgeführt. Folglich kann auch nicht von früheren "Fehlschlägen" auf ein nicht ausreichendes Restleistungsvermögen des Klägers geschlossen werden. Zudem ist in Bezug auf sein Restleistungsvermögen zu berücksichtigen, dass der Kläger bei medikamentöser Behandlung ausweislich des fachärztlichen Gutachtens vom 8. Mai 2013 intellektuell und körperlich grds. die gleichen Leistungen wie ein Gesunder erbringen kann und dass der Kläger auf Metylphenidat positiv reagiert hat. Dass seine Leistungsdauer und die geteilte Aufmerksamkeit vermindert bleiben, vermag nicht die Annahme eines unzureichenden Restleistungsvermögens zu begründen. Es dürfte diverse Tätigkeiten geben, die keine geteilte Aufmerksamkeit, sprich die gleichzeitige Beobachtung mehrerer Prozesse, verlangen. Der verminderten Leistungsdauer müsste durch eine entsprechende Pausenregelung und ggfs. einer Reduzierung der Arbeitszeit Rechnung getragen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R6748


Informationsstand: 24.02.2016