Urteil
Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung für einen dienstunfähigen Beamten einer JVA - unzureichende Erfüllung der Suchpflicht des Arbeitgebers durch Hinweis auf Stellenausschreibung

Gericht:

VG Aachen 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 K 1826/14 | 1 K 1826.14


Urteil vom:

24.07.2015


Grundlage:

  • VwGO § 58 Abs. 2 |
  • BeamtStG § 26 |
  • LGG NRW § 17 |
  • LGG NRW § 18 |
  • LBG NRW § 34 |
  • LPVG NRW § 72 Abs. 1 Nr. 9 |
  • LBVG NRW § 66 Abs. 1

Leitsätze:

Der Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung für einen dienstunfähigen Beamten wird nicht genügt, wenn keine dialogischen Bemühungen unternommen werden. Insbesondere genügt die Einräumung einer Verschweigensfrist nicht.

Ein bloßer Hinweis auf Stellenausschreibungen genügt ebenfalls nicht.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Der Zurruhesetzungsbescheid des Beklagten vom 26. August 2014 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand.

Der 1957 geborene Kläger ist seit Januar 1991 im Justizvollzugsdienst tätig. Vor seiner Versetzung in den Ruhestand war er als Justizvollzugshauptsekretär in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heinsberg tätig.

Nach zwei Zurruhesetzungsversuchen in den Jahren 2011 und 2012 wurde der Kläger aufgrund weiterhin bestehender Dienstunfähigkeit im Frühjahr 2013 (erneut) amtsärztlich begutachtet.

Die Amtsärztin stellte in ihrem Gutachten vom 3. Mai 2013 fest, dass der Kläger dauerhaft dienstunfähig sei. Er leide unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit zeitweilig sehr schweren depressiven Episoden. Er habe ausgeführt, er sehe sich nicht mehr in der Lage, eine JVA zu betreten, und führe dies darauf zurück, dass er im Dienst wiederholt mit dem erfolgreichen Suizid eines Insassen konfrontiert gewesen sei. Daher stellte die Amtsärztin fest, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, in seinem jetzigen Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu verrichten. Ferner führte sie aus, dass mit einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen und diese auch bei Betrachtung eines längeren Zeitraums unwahrscheinlich sei. Da der Kläger sich nach eigenen Angaben aber gut fühle, seitdem er nicht mehr in der JVA arbeite, könne er leichte und mittelschwere Tätigkeiten außerhalb des Justizvollzugsdienstes vollschichtig ausführen.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2013 wurde der Kläger über das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung unterrichtet und auf die Möglichkeit hingewiesen, auf eigenen Antrag aus dem Dienst auszuscheiden.

Unter dem 23. Mai 2013 fragte die Leiterin der JVA Heinsberg unter Fristsetzung bis zum 3. Juni 2013 die folgenden Behörden hinsichtlich einer Verwendungsmöglichkeit für den Kläger an: Die Oberlandesgerichte Köln, Hamm und Düsseldorf, sämtliche Justizvollzugsanstalten des Landes NRW, das Justizvollzugskrankenhaus NRW, sämtliche Jugendarrestanstalten des Landes NRW, die Fachhochschule für Rechtspflege NRW, die Justizvollzugsschule NRW, die Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold, Düsseldorf, Köln und Münster sowie die Oberfinanzdirektionen Rheinland und Münster. Ausweislich der Personalakte des Klägers meldete sich lediglich das OLG Hamm zurück, das allerdings keine Stelle für ihn hatte.

Am 11. Juni 2013 wurde dem Kläger telefonisch mitgeteilt, dass die Suche nach einer anderweitigen Verwendung bisher erfolglos verlaufen sei. Auf das Projekt "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" des Landesamts für Finanzen NRW wurde er in diesem Rahmen ebenfalls hingewiesen.

Nachdem der Kläger sich zur Teilnahme an dem Projekt entschlossen hatte, wurden folgende Stellen um die Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit gebeten: Der Bau und Liegenschaftsbetrieb NRW, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW, das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung NRW, das Ministerium für Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung NRW, das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk NRW, das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft Natur und Verbraucherschutz NRW, das Ministerium für Inneres und Kommunales, die Bezirksregierung Köln, das Rechenzentrum der Finanzverwaltung, der Landesbetrieb Straßenbau NRW sowie der Landesbetrieb Mess- und Eichwesen. Darüber hinaus wurde der Kläger auf eine Stellenausschreibung des Landesamts für Besoldung und Versorgung NRW (LBV NRW) für Beamte des mittleren Dienstes hingewiesen.

Unter dem 17. Dezember 2013 übermittelte das Landesamt für Finanzen NRW seinen Abschlussbericht an die Leiterin der JVA Heinsberg. Darin wurden unter anderem die durchgeführten Vermittlungsbemühungen erläutert. Am 2. Dezember habe der Kläger eine Abschlusserklärung unterzeichnet, in der der erfolglose Abschluss der Vermittlung erklärt worden sei.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2014 bat die Leiterin der JVA Heinsberg weitere Behörden um Prüfung einer Verwendungsmöglichkeit für den Kläger: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, die Landesarbeitsgerichte Düsseldorf, Köln und Hamm, die Generalstaatsanwaltschaften Düsseldorf, Köln und Hamm sowie das Landessozialgericht NRW. Die bis zum 22. Januar 2014 gesetzte Frist lief ohne jegliche Rückmeldung aus.

Unter dem 21. Januar 2014 wurde der Personalrat unter Schilderung der Dienstunfähigkeit sowie der diversen Vermittlungsbemühungen gebeten, der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand zuzustimmen. Diese Zustimmung wurde am 18. Februar 2014 erteilt.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2014 teilte die Leiterin der JVA Heinsberg dem Kläger mit, dass aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens von einer dauernden Dienstunfähigkeit ausgegangen werde und wies darauf hin, dass ein leidensgerechter Dienstposten in der JVA nicht zur Verfügung stehe. Zudem legte sie dar, dass bereits am 22. Mai 2013 diverse Behörden bezüglich einer Verwendungsmöglichkeit für den Kläger angefragt worden seien, ein positives Ergebnis aber nicht zu verzeichnen gewesen sei. Dem Schreiben fügte sie ferner den Abschlussbericht des Landesamts für Finanzen NRW bei.

Nachdem der Kläger Einwände vorgebracht hatte, erläuterte das Landesamt für Finanzen NRW mit Schreiben vom 5. August 2014 die Bemühungen im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung". Aus persönlichen Gründen sei der Kläger lediglich bereit gewesen, in einem 30-km-Radius zu pendeln. Ferner habe er angegeben, er traue sich keine Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen mehr zu. Innerhalb des vorgegebenen Radius habe sich keine Beschäftigungsmöglichkeit ergeben. Lediglich in der Finanzverwaltung habe Personalbedarf bestanden; eine dortige Beschäftigung habe aber die (vom Beamten ausgeschlossene) Absolvierung einer Ausbildung vorausgesetzt. Für den Kläger sei ferner insbesondere ein Stellenangebot des LBV in Betracht gekommen. Jedoch habe der Kläger aufgrund der Distanz eine Bewerbung auf diese Stelle abgelehnt. Auch einen Einsatz beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW in Essen habe der Kläger abgelehnt. Daher sei die Suche nach einer anderweitigen Verwendung im Einvernehmen mit dem Kläger beendet worden.

Mit Bescheid vom 27. August 2014 wurde der Kläger gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG i.V.m. § 34 Abs. 2 LBG NRW in den Ruhestand versetzt.

Der Kläger hat am 29. September 2014 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er vor, die Suche nach einer anderweitigen Verwendung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Er habe sich lediglich für ca. zwei Monate im Projekt "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" befunden, sodass Zweifel an der Gründlichkeit der Vermittlungsbemühungen bestünden. Darüber hinaus seien der Personalrat und die Gleichstellungsbeauftragte nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.


Der Kläger beantragt,

den Zurruhesetzungsbescheid des Beklagten vom 26. August 2014 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ferner weist er daraufhin, dass der Personalrat ausweislich der Personalakte des Klägers ordnungsgemäß beteiligt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Personalakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet wegen der einvernehmlichen Zustimmung der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2, 3 VwGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage hat im Ergebnis Erfolg.

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die am 29. September 2014 erhobene Klage gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27. August 2014 zugestellten Bescheid fristgerecht. Da die Rechtsmittelbelehrung unrichtig erteilt wurde, ist die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einschlägig. Zwar wird in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeiten der Klageerhebung durch Schriftsatz und durch Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle hingewiesen, allerdings fehlt der Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung nach § 55a Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO, § 2 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO VG/FG) vom 7. November 2012 (GV. NRW. S. 548).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 19 B 406/13 -, juris Rn. 19.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Leiterin der JVA Heinsberg vom 26. August 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheids ist § 34 Abs. 2 Satz 2 LBG NRW. Danach ist ein Beamter, wenn seine Dienstunfähigkeit festgestellt wird, mit dem Ende des Monats, in dem ihm oder seinem Vertreter die Verfügung zugestellt worden ist, in den Ruhestand zu versetzen. Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LBG NRW trifft die nach § 36 Abs. 1 LBG NRW zuständige Stelle - regelmäßig die für die Ernennung zuständige Stelle - die Entscheidung über die Zurruhesetzung.

Die Zurruhesetzungsverfügung ist formell rechtmäßig.

Ausweislich des Vermerks vom 30. April 2014 wurde die Gleichstellungsbeauftragte entsprechend den §§ 17 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 2 Satz 1 und 2 LGG NRW angehört. Da insoweit - anders als in § 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW - kein Zustimmungserfordernis besteht, ist es auch nicht zwingend erforderlich, dass eine schriftliche Rückmeldung der Gleichstellungsbeauftragten erfolgt. Auch die Personalvertretung wurde gemäß §§ 72 Abs. 1 Nr. 9, 66 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW einbezogen und hat der Zurruhesetzung zugestimmt.

Der Kläger wurde gemäß § 34 Abs. 1 LBG NRW vor der Versetzung in den Ruhestand angehört.

Die Versetzung in den Ruhestand ist jedoch materiell rechtswidrig.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von mehr als drei Monaten keinen Dienst getan hat und bei dem keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Nach § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW beträgt diese Frist sechs Monate. Von der Versetzung soll allerdings gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist. Eine anderweitige Verwendung ist nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG möglich, wenn dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. In diesen Fällen ist die Übertragung eines anderen Amtes ohne Zustimmung zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und wenn zu erwarten ist, dass die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes erfüllt werden (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, haben an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG).

Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand ist danach nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 und 2 BeamtStG kumulativ vorliegen.

Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 - 2 C 68/11 -, BVerwGE 146, 347, juris Rn. 11 m.w.N.

Zwar ist der Kläger dienstunfähig, allerdings ist der Beklagte seiner Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung nicht hinreichend nachgekommen.

Der Begriff der Dienstunfähigkeit knüpft dabei nicht an den jeweiligen Dienstposten - mithin das Amt im konkret-funktionellen Sinn -, sondern an das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn an. Das heißt, von einer Dienstunfähigkeit ist nur dann auszugehen, wenn bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten (hier eines Justizvollzugsamtsinspektors) zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juni 2014 - 2 C 22/13 -, BVerwGE 150, 1, juris Rn. 14 und vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, BVerwGE 133, 297, juris Rn. 14; BVerwG, Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, IÖD 2012, 122, juris Rn. 2.

Ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens ist der Kläger aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr in der Lage, eine Justizvollzugsanstalt zu betreten, sodass ihm die Wahrnehmung seines Amtes als Justizvollzugshauptsekretär nicht mehr möglich ist. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

Allerdings ist der Beklagte seiner Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung (§ 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und 3 BeamtStG) nicht hinreichend nachgekommen, und der Bescheid vom 26. August 2014 daher rechtswidrig.

§ 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG ist Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung". Ein dienstunfähiger Beamter soll nur dann aus dem aktiven Dienst ausscheiden, wenn er dort nicht mehr eingesetzt werden kann. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG ist eine anderweitige Verwendung möglich, wenn dem Beamten gleichwertige Funktionsämter einer anderen Laufbahn übertragen werden können. Der Anwendungsbereich der Vorschrift betrifft aber auch solche anderweitigen Verwendungen, die mit der Versetzung zu einer anderen Behörde verbunden sind. Bei dieser muss dem Beamten ein neues statusrechtliches Amt gleicher Wertigkeit verliehen werden, wenn er nicht auf einem Dienstposten eingesetzt wird, der dem bisherigen statusrechtlichen Amt zugeordnet ist. Neue Funktionsämter, die nicht dem bisherigen Amt im statusrechtlichen Sinne zugeordnet sind, können nur unter Verleihung des entsprechenden Amtes im statusrechtlichen Sinn übertragen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris Rn. 20 ff.; OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris Rn. 68 ff.

§ 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG begründet die Pflicht des Dienstherrn, nach einer anderweitigen Verwendung zu suchen (Suchpflicht). Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG, wonach die Übertragung eines anderen Amtes zulässig ist, wenn es zum Bereich desselben Dienstherrn gehört. Für diesen Umfang der Suchpflicht spricht auch, dass den Beamten zur Vermeidung der Frühpensionierung auch der Erwerb einer anderen Laufbahnbefähigung zur Pflicht gemacht werden kann. Inhaltliche Vorgaben für eine Beschränkung der Suche auf bestimmte Bereiche der Verwaltungsorganisation des Dienstherrn lassen sich aus § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG nicht herleiten. Auch die amtliche Gesetzesbegründung enthält keinen Hinweis, dass eine Beschränkung gewollt ist.

Vgl. BT-Drucks. 16/4027, S. 28 f., vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 2 C 37/13 -, IÖD 2015, 134, juris Rn. 17; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2015 - 13 K 8291/13 -, juris Rn. 55; BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris, Rn. 27.

Die Suchpflicht darf sich nicht auf die Nachfrage beschränken, ob eine andere Behörde im Bereich des Dienstherrn bereit ist, den Beamten zu übernehmen. Vielmehr sind konkrete, ggfs. auch dialogische Bemühungen erforderlich, den Beamten anderweitig zu verwenden. Ist bei einer anderen Behörde im Bereich des Dienstherrn ein amtsangemessener Dienstposten vakant, ist der Beamte auf diesem Dienstposten zu verwenden. Zur Suchpflicht gehört auch eine Nachfrage bei einer anderen Behörde, wenn diese eine Anfrage unbeantwortet lässt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 2 C 37/13 -, a.a.O., juris Rn. 22.

Wenn die Suche nach einer anderweitigen Verwendung nach § 26 Abs. 2 BeamtStG auch unter Beachtung der insoweit zu stellenden Anforderungen erfolglos geblieben ist, ist vor der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu prüfen, ob dem Beamten unter Beibehaltung des übertragenen Amtes ohne Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit übertragen werden kann (§ 26 Abs. 3 BeamtStG).

Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den Beamten diese Vorgaben beachtet hat (Dokumentationspflicht). Denn es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es zulasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die erforderliche Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. März 2015 - 2 C 37/13 -, a.a.O., juris Rn. 20, vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, IÖD 2012, 122, juris Rn. 4 und vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a.a.O., juris Rn. 25 ff.; OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, a.a.O., juris Rn. 75 ff.

Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte der Pflicht zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung nicht im angemessenen Maße nachgekommen.

Die Leiterin der JVA Heinsberg hat mit den Schreiben vom 23. Mai 2013 und vom 9. Januar 2014 zwar zahlreiche Behörden kontaktiert, allerdings sind keine dialogischen Bemühungen um eine Vermittlung des Klägers erkennbar.

Zunächst hat sie den angeschriebenen Behörden jeweils eine (sehr kurze) Frist gesetzt, nach deren Ablauf sie davon ausging, dass keine freien Stellen vakant seien. Die Setzung einer solchen Verschweigensfrist lässt sich allerdings nicht mit dem gesetzlichen "Grundsatz der Weiterverwendung vor Versorgung" in Einklang bringen. Denn die Einräumung einer bloßen Verschweigensfrist setzt nicht den erforderlichen Impuls für die angefragten Behörden, hinreichend ernsthaft und nachdrücklich nach einer anderweitig möglichen Verwendung des dienstunfähigen Beamten Ausschau zu halten. Die Möglichkeit, durch schlichtes Verschweigen auf eine Suchanfrage zu reagieren, eröffnet die Möglichkeit, den gesetzlichen Grundsatz der "Weiterverwendung vor Versorgung" zu unterlaufen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 2 C 37/13 -, a.a.O., juris Rn. 21.

Zudem hat sie trotz fehlender Rückantworten der angeschriebenen Behörden und Gerichte (mit Ausnahme einer Antwort des OLG Hamm) keine Nachfragen gestellt. Es ist mangels Antworten oder einer Empfangsbestätigung deshalb schon fraglich, ob die Anfrage die angeschriebenen Behörden und Gerichte überhaupt erreicht hat. Damit hat die Leiterin der JVA Heinsberg zumindest die nach der vorstehenden Rechtsprechung erforderliche Dokumentationspflicht nicht erfüllt.

Die fehlerhafte Suche im Geschäftsbereich der kontaktierten Behörden konnte auch nicht durch die Vermittlungsbemühungen im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" kompensiert werden. Das Projektteam hat nach Aktenlage zwar zahlreiche Behörden angeschrieben, insbesondere das Justiz-Ressort jedoch vollkommen außer Acht gelassen, sodass auch in diesem Rahmen keine dialogischen Bemühungen stattgefunden haben. Damit wurde die nicht ordnungsgemäß durchgeführte (bzw. zumindest nicht dokumentierte) Suche in diesem Ressort nicht nachgeholt.

Überdies genügen die Vermittlungsbemühungen im Rahmen des Projekts "Vorfahrt für Weiterbeschäftigung" im konkreten Einzelfall ebenfalls nicht den vorstehenden Anforderungen an die Such- und Dokumentationspflicht.

Soweit der Kläger vom Projektteam auf eine Stellenausschreibung des LBV NRW hingewiesen wurde, liegt darin keine ordnungsgemäße Suche nach einer anderweitigen Verwendung im Sinne des § 26 Abs. 2 BeamtStG.

Unabhängig von der Frage, ob es dem Kläger in rechtlich zulässiger Weise überhaupt möglich war, aufgrund der Distanz auf eine Bewerbung zu verzichten, genügt es nicht, einen potenziellen Ruhestandsbeamten auf freie Stellen hinzuweisen. Denn bei einer Suche auf dieser Basis tritt der Beamte stets in Konkurrenz mit Mitbewerbern. Die Aussichten auf Besetzung des Dienstpostens sind damit völlig offen. Dies entspricht nicht der weiten Auslegung des Grundsatzes Weiterverwendung vor Versorgung durch das Bundesverwaltungsgericht. Dies hat ausdrücklich ausgeführt:

"Ist bei einer anderen Behörde im Bereich des Dienstherrn ein amtsangemessener Dienstposten vakant, dann ist der Beamte auf diesem Dienstposten zu verwenden. Der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung darf nicht faktisch unter dem Vorbehalt stehen, dass die Behörde, bei der der vakante Dienstposten besteht, der Besetzung zustimmt."

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, a.a.O., Rn. 4.

Auch soweit sich das Projektteam unmittelbar an Dienststellen im Land NRW gewandt hat, hat es dabei zumindest nicht durchgehend den Anforderungen an die Such- und Dokumentationspflicht genügt. Auf die Anfrage des Projektteams hat u.a. die Bezirksregierung Köln unter dem 12. September 2013 eine Übernahme des Klägers mit der Begründung abgelehnt, dass ihm die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen fehlten. Das Projektteam hätte solchen Antworten entgegentreten müssen, da die fehlende Laufbahnbefähigung für sich genommen kein ausreichender Grund ist, Dienstposten von der Suche nach einer anderweitigen Verwendung auszuschließen. Dies wird aus § 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG deutlich, wonach Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen haben. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass Dienstposten, die einem Amt einer anderen Laufbahn zugeordnet sind, in die Suche einzubeziehen sind:

"Außerdem muss die Suche nach einer anderweitigen Verwendung sich auch auf Dienstposten erstrecken, die in absehbarer Zeit neu zu besetzen sind; der insoweit zu betrachtende Zeitraum ergibt sich aus der für den Erwerb einer anderen Laufbahnbefähigung erforderlichen Zeit."

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, a.a.O., Rn. 4.

Die Suchpflicht ist auch nicht wegen fehlendem ausreichendem Restleistungsvermögens entfallen.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 1 A 2111/13 -, nrwe.de Rn. 13 ff. m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 6. November 2014 - 2 B 97/13 -, IÖD 2015, 2ff., juris Rn. 13.

Von einem fehlenden Restleistungsvermögen ist nur auszugehen, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, wenigstens noch einfache dienstliche Aufgaben in einem seiner oder einer anderen Laufbahn zugehörigen Amt wahrzunehmen.

In dem amtsärztlichen Gutachten wurde ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger grundsätzlich in der Lage ist, vollschichtig leichte und mittelschwere Tätigkeiten wahrzunehmen.

Überdies hat es der Beklagte versäumt, eine Ermessensentscheidung nach § 26 Absatz 3 BeamtStG zu treffen.

Danach kann zur Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand unter Beibehaltung des übertragenen Amtes ohne Zustimmung auch eine geringerwertige Tätigkeit im Bereich desselben Dienstherrn übertragen werden, wenn eine anderweitige Verwendung nicht möglich ist und die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeit zumutbar ist. Nach dieser Vorschrift kann dem Beamten folglich eine Tätigkeit übertragen werden, die in ihrer Wertigkeit nicht seinem abstrakt-funktionellen Amt entspricht, wobei er sein abstrakt-funktionelles Amt trotzdem behält. Bei der Ermessensausübung ist einerseits das öffentliche Interesse daran, den Beamten nicht vorzeitig in den Ruhestand versetzen zu müssen und dadurch Versorgungsmittel einzusparen, zu berücksichtigen. Andererseits sind aus Gründen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und im Hinblick darauf, dass dem Beamten die geringerwertige Tätigkeit ohne seine Zustimmung übertragen werden kann, die schutzwürdigen Belange des Beamten, z.B. in gesundheitlicher Hinsicht, zu beachten.

Vgl. VG Göttingen, Urteil vom 12. August 2013 - 1 A 274/12 -, juris, Rn. 25 m.w.N.

Der Beklagte hat ausweislich des Schreibens der Leiterin der JVA Heinsberg Dienstposten, die der Besoldungsgruppe A 7 BBesO entsprachen, von vornherein nicht in Betracht gezogen ("Die ausgeschriebenen Stellen entsprechen entweder nicht der Wertigkeit [...]") und damit das ihm durch § 26 Absatz 3 BeamtStG eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R6692


Informationsstand: 12.05.2016