Urteil
Betriebsbedingte Kündigung - Behinderung - Wegfall eines leidensgerechten Arbeitsplatzes

Gericht:

ArbG Hagen 4. Kammer


Aktenzeichen:

4 Ca 881/16


Urteil vom:

25.10.2016


Grundlage:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Der Streitwert wird auf 10.600,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Fortbestand des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der 55 Jahre alte, ledige Kläger ist seit dem 06.01.1982 bei der Beklagten als Kernmacher/Former, zuletzt mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von 2.650,00 Euro bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden, beschäftigt. Er ist eingruppiert nach dem Entgeltrahmenabkommen Metall und Elektro NRW in die ERA Gruppe 3. Dem Arbeitsvertrag liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 07.01.1982 zugrunde. Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 7 d.A. Bezug genommen. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 50.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine alteingesessene Gießerei, die seit dem Jahr 2012 mit erheblichen Auftrags- und Umsatzrückgängen zu kämpfen hat.

Sie beschäftigte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 71 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist bei ihr gewählt.

Durch Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - Hagen vom 29.03.2016 wurde unter dem Az. 100 IN 8/16 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung gem. § 270 InsO angeordnet.

Unter dem 29.03.2016 schlossen die Beklagte und der bei ihr gewählte Betriebsrat nach vorhergehenden, wochenlangen Beratungen, bei denen der Betriebsrat sowohl durch die IG Metall als auch durch den Rechtsanwalt C beraten wurde, am Abend einen Interessenausgleich mit Namensliste, in der der Kläger unter Ziffer 17 namentlich aufgeführt ist. Gegenstand des Interessenausgleichs war eine erhebliche Umstrukturierungs- und Personalanpassungsmaßnahme mit dem Ziel, insgesamt 19 von bisher 71 Arbeitsplätzen abzubauen. Die genaue geplante Umgestaltung bzw. vorgesehene Reduzierung der Arbeitnehmer in den einzelnen Abteilungen ergibt sich unmittelbar aus dem Interessenausgleich.

Wegen des genauen Inhalts des Interessenausgleichs und der Namensliste wird auf Bl. 39 ff. d. A. Bezug genommen.

Am 30.03.2016 reichte die Beklagte die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit ein. Insoweit wird auf die in Kopie beigefügten Unterlagen Bl. 87 ff. d. A. Bezug genommen. Diese stimmte dem Ausspruch der Kündigungen noch am selben Tag zu.

Mit Bescheid vom 26.04.2016 hat das Integrationsamt auf Antrag der Beklagten vom 29.03.2016 der Kündigung des Klägers zugestimmt. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 27.04.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2016. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 18.05.2016, der am selben Tag bei Gericht einging, Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erhoben.

Er ist der Ansicht, die Kündigung sei aus mehreren Gründen unwirksam.

Die Sozialauswahl sei trotz des Vorliegens der Voraussetzungen gem. § 125 Abs. 1 InsO grob fehlerhaft.

Die Mitarbeiter G und O die sich in derselben Eingruppierungsstufe befänden, verfügten beide nicht über unverzichtbare Zusatzqualifikationen die er nicht in angemessener Zeit erwerben könne. Sowohl Schweißen als auch Kran fahren sei in kurzer Zeit erlernbar. Diese Mitarbeiter seien deutlich weniger sozial schutzwürdig als er. Es sei auch unzulässig, den sozial weniger schutzwürdigen Mitarbeiter K für den Fall notwendiger Krankheitsvertretungen in anderen Abteilungen weiter zu beschäftigen. § 125 InsO sowie § 1 KSchG seien insoweit eindeutig und abschließend. Wer wann, wie oft und wie lange krankheitsbedingt ausfalle sei reine Spekulation.

Auch der Mitarbeiter I habe keine abgeschlossene Berufsausbildung und arbeite in der Waschkaue. Auch dessen Tätigkeit könne er in einer Anlernzeit von 3 Monaten umfassend verrichten. Er habe in den vergangenen mehr als 24 Jahren bei der Beklagten nicht nur Eimer getragen oder Material befördert. Er habe auch regelmäßig selbständig Kerne gefertigt, auch wenn das Spektrum was er abdecken könne kleiner sei als das seiner Kollegen.

Zudem sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Anhörung nach § 102 BetrVG könne nicht mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbunden bzw. durch diesen ersetzt werden. Der Interessenausgleich mit Namensliste ersetze lediglich die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, nicht die nach § 102 BetrVG. Weder im Anhörungsschreiben vom 21.03.2016, noch in dem Interessenausgleich werde dem Betriebsrat schlüssig und konkret dargelegt, aus welchen Gründen speziell auch dem Kläger gekündigt werden solle bzw. müsse. Die Beklagte habe dem Betriebsrat substantiiert darlegen müssen, wie die bisher vom Kläger verrichteten Arbeiten künftig auf die verbleibenden Beschäftigten umverteilt werden solle und wie diese die Arbeiten ohne überobligatorische Mehrarbeit zusätzlich erledigen können sollen. Ferner bestreitet der Kläger die ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige und Durchführung des Konsultationsverfahrens gem. § 17 KSchG.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2016 zum 31.07.2016 beendet worden ist.

2. die Beklagte im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Kernmacher/Former weiterzubeschäftigen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Sie basiere auf einem wirksamen Interessenausgleich nebst Namensliste, so dass die Vermutungswirkung des § 125 InsO vollumfänglich greife.

Die Kündigung sei während der Insolvenz der Beklagten erfolgt, die Voraussetzungen gem. § 125 Abs. 1 InsO seien erfüllt. Ursache der Kündigung sei eine erhebliche Umstrukturierungsmaßnahme aufgrund der Insolvenz gewesen. Sie habe 19 der insgesamt 71 Arbeitsplätze abgebaut, 17 Arbeitsplätze hiervon durch den Ausspruch von Kündigungen. Es liege somit eine erhebliche Betriebseinschränkung gem. § 111 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 BetrVG vor. Die Prozentangaben gem. § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG seien erreicht. Nach wochenlangen, intensiven Beratungen mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat sei am 29.03.2016 kurz nach 21:00 Uhr der Interessenausgleich mit Namensliste von den Betriebsparteien unterzeichnet worden. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung des namentlich in der Namensliste aufgeführten Klägers werde daher vermutet. Auch die ordnungsgemäße Sozialauswahl werde hiernach vermutet. Richtig sei, dass der Mitarbeiter I in der Waschkaue ungekündigt weiterbeschäftigt werde. Dieser erreiche jedoch 128,5 Sozialpunkte der Kläger hingegen 127,5 Sozialpunkte. Er sei daher keinesfalls deutlich weniger schutzwürdig als der Kläger. Im Übrigen seien die Mitarbeiter nicht vergleichbar, da der Mitarbeiter I sich auf einer höheren Hierarchieebene befinde. Er sei eingruppiert nach ERA 4. Die Mitarbeiter G und O seien in einer anderen Betriebsabteilung mit Aufgaben betraut, die der Kläger nicht beherrsche. Der Mitarbeiter O betätige sich in der Putzerei regelmäßig auch als Schweißer. Der Mitarbeiter G könne zum einen Gabelstabler, zum anderen alleinverantwortlich den großen Kran unter der Decke fahren um schwere Gussteile in die Putzerei zu verbringen. Diese verantwortungsvolle und gefahrgeneigte Tätigkeit könne der geistig zurückgebliebene Kläger nicht verrichten. Der Mitarbeiter G werde als Kranführer auch benötigt, da es keine nur als Kranführer beschäftigten Mitarbeiter mehr bei der Beklagten gebe. Es gebe nur noch Facharbeiter wie Gießer, Former Schmelzer etc. die die Kräne bei ihr bedienen könnten. Der Kläger könne nach ihrer Einschätzung derartige Tätigkeiten geistig nicht ausfüllen. Der Mitarbeiter K sei ebenfalls nicht mit dem Kläger vergleichbar, da er sich auf einer anderen Hierarchieebene befinde. Er sei in die Vergütungsgruppe ERA 5 eingruppiert.

Die Anhörung des bei ihr gewählten Betriebsrats gem. § 102 BetrVG sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Betriebsparteien hätten seit Ende Januar 2016 in ständigem engen Kontakt gestanden. Sie habe dem Betriebsrat sämtliche Statusangaben aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter frühzeitig zur Verfügung gestellt. Im Zuge der Erstellung des Interessenausgleichs seien sämtliche maßgeblichen Fragestellungen, auch der künftigen funktionellen Betriebsstruktur, des dazu nur noch vermindert einsetzbaren Personals und der insoweit auszuwählenden Personen beraten und am Ende einer einvernehmlichen Lösung zugeführt worden. Die individuell maßgeblichen Gesichtspunkte seien auch innerhalb des Betriebsrats in internen Sitzungen eingehend besprochen und abgewogen worden. Die Beklagte habe dem Betriebsrat nicht einseitig ein Lösungskonzept vorgesetzt, sondern alle maßgeblichen Fragestellungen, jeweils auch individuell bezogen auf die einzelnen betroffenen Personen mit dem Betriebsrat gemeinsam erarbeitet. Dazu habe u.a. gehört, den höher qualifizierten Facharbeitern in der "Kernmacherei" verschiedene Hilfstätigkeiten mit anzuvertrauen und die betrieblichen Abläufe zu straffen. Die Betriebspartner hätten dies auch auf die Zumutbarkeit und Arbeitsauslastung für die verbliebenen Mitarbeiter sorgfältig abgewogen und geregelt. Vorsorglich sei der Betriebsrat mit Schreiben vom 21.03.2016 schriftlich angehört worden. In einer Sitzung am 30.03.2016 habe der Betriebsrat nochmals über die Anhörung gem. § 102 BetrVG beraten und gegen 12:30 Uhr mitgeteilt, dass man die durch den Interessenausgleich mit Namensliste konkretisierten Kündigungen als notwendig zur Kenntnis nehme und das Anhörungsverfahren abgeschlossen sei.

Massenentlassungs- und Konsultationsverfahren seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei am 30.03.2016 um 09:30 Uhr bei der Agentur für Arbeit eingegangen. Die Anzeige enthalte alle gem. § 17 Abs. 3 S.4 KSchG erforderlichen Angaben, ein Exemplar des von den Betriebsparteien unterzeichneten Interessenausgleichs mit Namensliste sei dem Antrag beigefügt gewesen. Noch am selben Tage habe die Agentur für Arbeit dem Ausspruch der Kündigungen unter Beachtung einer Mindestauslauffrist von einem Monat zugestimmt.

Dass das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt sei, ergebe sich aus § 5 Abs. 2 des Interessenausgleichs, in dem die Stellungnahme des Betriebsrats enthalten sei.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie das Protokoll der Kammerverhandlung vom 25.10.2016 Bezug genommen.

Rechtsweg:

LAG Hamm, Urteil vom 05.01.2018 - 16 Sa 1410/16
BAG, Urteil vom 16.05.2019 - 6 AZR 329/18

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die von der Beklagten unter dem 27.04.2016 ausgesprochene Kündigung hält einer Wirksamkeitsprüfung unter allen angesprochenen Gesichtspunkten stand.

1.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Der Kläger ist länger als 6 Monate im Betrieb der Beklagten, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer i.S.v. § 23 KSchG beschäftigt, tätig.

Ferner hat der Kläger mit Klageschrift vom 18.05.2016, die am selben Tag bei dem erkennenden Gericht einging, gem. § 4 KSchG rechtzeitig innerhalb von 3 Wochen Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 27.04.2016 erhoben.

2.

Die Kündigung ist abweichend von § 1 Abs. 2 KSchG am Maßstab des § 125 InsO zu bewerten. § 125 InsO bedeutet eine Einschränkung des individuellen Kündigungsschutzes gemäß § 1 KSchG und ist lex specialis zu der letztgenannten Vorschrift (KR-Weigand, 11. Aufl., § 125 InsO, Rdnr. 2).

a)

Unstreitig ist der Interessenausgleich nebst Namenliste formwirksam zustande gekommen im Sinne des § 112 BetrVG i. V. m. § 126 BGB.

Dem Interessenausgleich liegt auch unstreitig eine Betriebsänderung nach §§ 111 Satz 1, 3 Nr. 1 BetrVG zugrunde. Die Betriebsänderung ergibt sich nach dem Grenzwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG aus dem in dem Interessenausgleich vorgesehenen reinen Personalabbau von 19, respektive 17 Arbeitsverhältnissen bezogen auf vormals insgesamt 71 Beschäftigte.

Es ist ferner nach den Erklärungen der Parteivertreter im Kammertermin unstreitig, dass die Unterzeichnung von Interessenausgleich und Sozialplan zeitlich nach Eröffnung der Insolvenz am 29.03.2016 um 12:04 Uhr erfolgt ist.

b)

Aufgrund des wirksam vereinbarten Interessenausgleichs nebst Namenliste wird daher vermutet, dass die Kündigung des Klägers durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 InsO. Aufgrund dieser Vermutung ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse zu beweisen. Stellt das Gesetz eine Vermutung auf, ist es vielmehr Aufgabe der jeweils anderen Partei, das Gegenteil zu beweisen. Es ist hierbei substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt (siehe nur BAG, 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 -, AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972, Namensliste; BAG 19.03.2009 - 2 AZR 418/07 -, NZA 2009, 1023).

Der Kläger hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung gemäß § 292 ZPO widerlegen könnten.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und bei dem ein erheblich verminderter Beschäftigungsbedarf herrscht, was sich jedenfalls dem Grunde nach aus dem unstreitigen Zahlenwerk im Interessenausgleich zu Umsatz, Tonnenangaben etc. ablesen lässt.

Die Vermutungswirkung des § 125 InsO erstreckt sich auch darauf, dass der Arbeitnehmer an keinem anderen Arbeitsplatz im Betrieb weiter beschäftigt werden kann.

c)

Die angegriffene Kündigung scheitert auch nicht an einer grob fehlerhaften Sozialauswahl.

Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist § 1 KSchG bei Vorliegen eines Interessenausgleichs nebst Namenliste mit der Maßgabe anzuwenden, dass die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und insoweit auch nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit erstreckt sich ferner auf die gesamte soziale Auswahl, insbesondere der Bildung der auswahlrelevanten Gruppen. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl nur dann, wenn ein evidenter ins Auge springender, schwerer Fehler vorliegt (vgl. BAG, 21.09.2006 - 2 AZR 284/06 -, juris; KR-Weigand, 11. Aufl., § 125 InsO, Rdnr. 22 ff.; A/P/S-Dörner/Künzel, 4. Aufl., § 125 InsO, Rdnr. 25 ff.).

Einen solchen hat der Kläger hier nicht dargelegt.

Bereits im Rahmen der "regulären" Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erstreckt sich innerhalb des Betriebes die Sozialauswahl nur auf solche Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind, wobei sich die Vergleichbarkeit nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach der bisher ausgeübten Tätigkeit richtet.

Der Kläger führt zunächst 2 Mitarbeiter an, die im Sinne der Rechtsprechung mit ihm vergleichbar sind, da er sich insoweit mit Arbeitnehmern vergleicht oder bzw. solche Arbeitnehmer für vergleichbar und sozial deutlich weniger schutzwürdig hält, die in andere Vergütungsgruppen eingruppiert sind. Der Mitarbeiter K ist in die Vergütungsgruppe ERA 5 und der Mitarbeiter I in die Vergütungsgruppe ERA 4 eingruppiert, der Kläger in die Vergütungsgruppe ERA 3. Vergleichbar im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG sind hingegen nur Arbeitnehmer, die austauschbar sind, d. h. deren Funktion auch von anderen Arbeitnehmern wahrgenommen werden könnte. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer setzt im Einzelnen voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer auf einem vorhandenen Arbeitsplatz tatsächlich und rechtlich einsetzbar sind. In die Sozialauswahl können nur solche Arbeitnehmer einbezogen werden, deren Aufgabenbereich miteinander vergleichbar ist, und die nach den arbeitsvertraglichen Vorgaben kraft Direktionsrecht auf den in Betracht kommenden anderen Arbeitsplatz umgesetzt bzw. versetzt werden könnten (vgl. KR-Griebeling, 11. Aufl., § 1 KSchG, Rdnr. 617, 621; BAG, 24.09.2015 - 2 AZR 680/14 -, MDR 2016, 398).

Da keiner der genannten Mitarbeiter K und I wie der Kläger die Vergütung nach der Entgeltgruppe ERA 3 erhält, kommt eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl bzgl. dieser Mitarbeiter unter keinem Gesichtspunkt in Betracht.

Auch die Sozialauswahl hinsichtlich der ebenfalls in der Vergütungsruppe ERA 3 eingruppierten Mitarbeiter G und O ist nicht grob fehlerhaft.

§ 125 InsO eröffnet mit seinem immanenten Sanierungsgedanken den Betriebsparteien einen weiten Entscheidungsspielraum bzgl. der Sozialauswahl. Sprechen gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die - ggf. fehlerhaft - getroffene Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit unterschritten (BAG, 19.12.2013, - 6 AZR 790/12-, DB 2014, 781).

Nach Ansicht der erkennenden Kammer liegt ein grober Fehler in der Sozialauswahl bei Anwendung dieses Maßstabes nicht vor. Der Mitarbeiter O hat die Zusatzqualifikation eines Schweißers, der Mitarbeiter G die Zusatzqualifikation eines Gabelstaplerfahres und eines Kranführers. Es handelt sich also bei diesen beiden Mitarbeitern um Hilfsarbeiter mit Zusatzqualifikationen, auf die die Beklagte aus für die Kammer nachvollziehbaren Gründen nicht verzichten kann. Lediglich als Kranführer beschäftigte Arbeitnehmer gibt es im Betrieb nicht mehr, da zwei Kranführer-Arbeitsplätze durch die Betriebsänderung weggefallen sind. Es können nur noch einige Facharbeiter die verschiedenen Kräne im Betrieb der Beklagten führen. Der Mitarbeiter G übt die Tätigkeit des Kranfahrens regelmäßig auch aus. Dem Kläger ist nicht zuzustimmen, dass ihm die Möglichkeit des Erwerbs der Zusatzqualifikationen durch die Beklagte zu ermöglichen sei. Die Beklagte befindet sich in der Insolvenz, die Kosten derartiger Fortbildungsmaßnahmen würden eine zusätzliche finanzielle Belastung darstellen. Zudem ist zwischen den Parteien unstreitig, dass nicht gesichert ist, dass der Kläger intellektuell in der Lage ist, die Fähigkeiten auch erfolgreich zu erwerben. Die Beklagte hat daher mit dem Betriebsrat gemeinsam die qualifiziertesten Hilfsarbeiter aus der Sozialauswahl herausgenommen. Es liegen aus oben genannten Gründen nach Ansicht der Kammer nachvollziehbare nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen der Betriebsparteien vor, diese Mitarbeiter aus der Sozialauswahl auszunehmen.

3.

Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung scheitert auch nicht an einer vermeintlich fehlerhaften Betriebsratsanhörung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt, ist das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Die Anhörung ist demgegenüber nur dann unzureichend, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Eine unbewusst erfolgte, bloß objektive Fehlinformation führt für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (BAG, 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 -, NZA 2016, 99).

Der Kläger hat insoweit vorgetragen, dass weder im Anhörungsschreiben vom 21.03.2016, noch in dem Interessenausgleich dem Betriebsrat schlüssig und konkret dargelegt werde, aus welchen Gründen speziell auch dem Kläger gekündigt werden solle bzw. müsse. Die Beklagte habe dem Betriebsrat substantiiert darlegen müssen, wie die bisher vom Kläger verrichteten Arbeiten künftig auf die verbleibenden Beschäftigten umverteilt werden solle und wie diese die Arbeiten ohne überobligatorische Mehrarbeit zusätzlich erledigen können sollen. Er bestreitet, dass dies dem Betriebsrat mündlich dezidiert dargelegt worden sei.

Die Beklagte hat daraufhin erwidert, die Betriebsparteien hätten seit Ende Januar 2016 in ständigem engen Kontakt gestanden. Sie habe dem Betriebsrat sämtliche Statusangaben aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter frühzeitig zur Verfügung gestellt. Im Zuge der Erstellung des Interessenausgleichs seien sämtliche maßgeblichen Fragestellungen, auch der künftigen funktionellen Betriebsstruktur, des dazu nur noch vermindert einsetzbaren Personals und der insoweit auszuwählenden Personen beraten und am Ende einer einvernehmlichen Lösung zugeführt worden. Die individuell maßgeblichen Gesichtspunkte seien auch innerhalb des Betriebsrats in internen Sitzungen eingehend besprochen und abgewogen worden. Die Beklagte habe dem Betriebsrat nicht einseitig ein Lösungskonzept vorgesetzt, sondern alle maßgeblichen Fragestellungen, jeweils auch individuell bezogen auf die einzelnen betroffenen Personen mit dem Betriebsrat gemeinsam erarbeitet. Dazu habe u.a. gehört, den höher qualifizierten Facharbeitern in der "Kernmacherei" verschiedene Hilfstätigkeiten mit anzuvertrauen und die betrieblichen Abläufe zu straffen. Die Betriebspartner hätten dies auch auf die Zumutbarkeit und Arbeitsauslastung für die verbliebenen Mitarbeiter sorgfältig abgewogen und geregelt.

Nachdem die Beklagte auf entsprechendes Bestreiten des Klägers konkret zur Betriebsratsanhörung vorgetragen hat, wäre es nunmehr Aufgabe des Klägers gewesen, vollständig und im Einzelnen darzulegen, ob der Betriebsrat entgegen der Behauptung des Arbeitgebers überhaupt nicht angehört worden sei oder in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder unvollständig hält (BAG, 18.05.2006 - 2 AZR 245/05 -, juris; BAG, 24.04.2008 - 8 AZR 268/07 -, NZA 2008, 1314).

Auch die Daten bzgl. der übrigen Mitarbeiter, mit denen sich der Kläger für vergleichbar hält, lagen dem Betriebsrat vor, so dass dieser in der Lage gewesen ist, eine aus seiner Sicht fehlerhafte rechtliche Einschätzung des Arbeitgebers zu erkennen und zu monieren. Die der Beklagten wesentlich erscheinenden Erwägungen wie die künftige Betriebsstruktur, die Arbeitsabläufe sowie die Verteilung der Arbeitslast auf die Mitarbeiter sind mit dem Betriebsrat erörtert worden. Sie sind großteils ausführlich im Interessenausgleich unter § 1 Ziffer 1 bis 18 schriftlich niedergelegt worden, so dass die Kammer davon ausgeht, dass dem Betriebsrat insoweit sämtliche Einzelheiten bekannt waren. So hat der Betriebsrat der Beklagten mit Schreiben vom 30.3.2016 auch mitgeteilt, dass kein weiterer Informations- oder Beratungsbedarf mehr besteht. Mit Schreiben vom 25.08.2016 führte der Betriebsrat aus, dass er seine Rechte als in jeder Hinsicht gewahrt ansieht. Insgesamt sind somit weder Unvollständigkeiten noch bewusste Fehlinformationen ersichtlich oder vorgetragen, die nicht vom Grundsatz der subjektiven Determination erfasst wären. Die Betriebsratsanhörung ist folglich ordnungsgemäß durchgeführt worden.

4.

Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung scheitert schließlich auch nicht an der Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige im Sinne der §§ 17 ff. KSchG.

Unstreitig war die Beklagte verpflichtet, der Agentur für Arbeit schriftlich Anzeige zu erstatten, bevor sie die im Interessenausgleich vorgesehenen Entlassungen vornahm.

Eine solche Massenentlassungsanzeige ist auch erfolgt.

Entgegen der Behauptungen des Klägers sind jedoch Mängel im Verfahren nicht vorgetragen bzw. nicht ersichtlich.

a)

Soweit der Kläger die Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG bestreitet, so reicht dieses einfache Bestreiten hier nicht aus. Die hier seitens des Klägers bestrittene Pflicht zur Beratung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG geht zwar über eine bloße Anhörung deutlich hinaus. Der Arbeitgeber muss mit dem Betriebsrat über die Entlassungen bzw. die Möglichkeiten ihrer Vermeidung verhandeln, ihm dies zumindest anbieten.

Der hatte mit § 5 des Interessenausgleichs deutlich gemacht, dass er annahm, der Beklagte habe seine Pflichten aus §§ 111, 112 BetrVG und § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erfüllt. Mit dieser Stellungnahme belegte der Betriebsrat zugleich, dass Kündigungen in dem aus dem Interessenausgleich ersichtlichen Umfang auch nach seiner Auffassung unvermeidlich und soziale Maßnahmen beraten worden waren (vgl. BAG, 20.09.2012, 6 AZR 155/11 -, juris; BAG 18. 01. 2012 - 6 AZR 407/10 - EzA KSchG § 6 Nr. 4).

Die Beklagte legt zusätzlich in ihrem Schriftsatz dezidiert dar, dass bereits ab Januar 2016 Verhandlungen über die Zukunft des Unternehmens stattgefunden hätten und den Betriebsrat zu jeder Zeit im Einzelnen klar gewesen wäre, ob es sich nun um Beratungen zum Interessenausgleich, Anhörung nach § 102 BetrVG oder aber Beratung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG gehandelt habe. Dafür spricht auch, dass sich der Betriebsrat durch den Rechtsanwalt C sowie auch die IG Metall sachverständigen Beistand gesucht hat. Mit Schreiben vom 25.08.2016 (Bl. 86 d. A.) wird seitens des Betriebsrats nochmal ausdrücklich bestätigt, dass auch die für das Konsultationsverfahren erforderlichen Beratungen stattgefunden haben.

Es wäre hier Aufgabe des Klägers gewesen, nunmehr im Einzelnen und konkret vorzutragen, dass entgegen der schriftlichen Darstellung vom 25.08.2016 keine die Massenentlassung betreffende Beratungen stattgefunden hätten oder warum die in dem Schreiben enthaltene Aussage falsch sein sollte.

b)

Auch die bei der Agentur für Arbeit eingereichte Massenentlassungsanzeige selbst ist nicht zu beanstanden.

Nach alledem erwies sich die Kündigung vom 30.03.2016 als wirksam.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO, wonach die in dem Rechtsstreit unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gem. den §§ 42 Abs. 4 GKG, 46 Abs. 2 Satz 1, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO im Urteil festgesetzt worden. Insoweit wurden 3 Bruttomonatsgehälter des Klägers für den Feststellungsantrag und ein Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag in Ansatz gebracht.

Referenznummer:

R/R8226


Informationsstand: 17.06.2019