Die nach § 64
Abs. 1 und 2
ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist
gem. §§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG iVm. §§ 519, 520
ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.
I.
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 22.09.2015 nicht mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.03.2016 aufgelöst worden.
Die Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie nicht aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist (
§ 1 Abs. 1, 2 KSchG). Das
KSchG findet auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung (§ 1
Abs. 1, 23
Abs. 1
KSchG). Der Kläger hat innerhalb der Frist der
§§ 4,
7 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben.
Die Beklagte hat die Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten des Klägers und damit auf Gründe in seiner Person iSd. § 1
Abs. 2 Satz 1
KSchG gestützt. Die Kündigung lässt sich vorliegend jedoch derzeit nicht unter den Kriterien für eine Kündigung wegen wiederholter Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit rechtfertigen.
1. Die krankheitsbedingte Kündigung ist sozial gerechtfertigt (§ 1
Abs. 2
KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe - (st. Rspr. des
BAG vgl. etwa 21.05.1992 -
2 AZR 399/91, NZA 1993, 497).
a) Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass zum Kündigungszeitpunkt aufgrund der Fehlzeiten in der Vergangenheit vorliegend objektive Tatsachen vorlagen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang und damit eine negative Gesundheitsprognose rechtfertigen.
b) Zudem führen die auch künftig zu erwartenden Fehlzeiten des Klägers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellen schon allein die entstandenen und zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (
BAG 16.07.2015 -
2 AZR 15/15 - Rn. 29 mwN, NZA 2013, 99
ff.). Dies ist vorliegend der Fall, da die Beklagte seit dem Jahr 2011 aufgrund der Kombination von längerer Erkrankung mit häufigen Kurzerkrankungen jährlich für mehr als 6 Wochen Entgeltfortzahlung leistete und diese auch zukünftig zu erwarten ist.
c) Allerdings fällt die Interessenabwägung auf der dritten Stufe zugunsten des Klägers aus.
(1) Das Arbeitsgericht hat dies darauf gestützt, dass die ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig sei, da die Beklagte zuvor kein ordnungsgemäß eingeleitetes bEM durchgeführt habe und sie den daraus resultierenden Anforderungen an ihre Darlegungslast für dessen Nutzlosigkeit nicht genügt habe.
In der Tat genügt das von der Beklagten angeführte Gespräch am 19.05.2014 schon deshalb nicht den Minimalanforderungen an ein ordnungsgemäßes bEM, da die Beklagte es unterlassen hat den Kläger zuvor gemäß
§ 84 Abs. 2 S. 3 SGB IX über die Ziele des bEM zu informieren sowie auf Art und Umfang der dabei erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen (
vgl. zu diesem Erfordernis std. Rspr.
BAG 20. November 2014 -
2 AZR 755/13, NZA 2015, 612).
Allerdings könnte im vorliegenden Fall die damit grundsätzlich nach der Rechtsprechung einhergehende Verpflichtung, im Rahmen einer erweiterten Darlegungslast durch konkreten Sachvortrag aufzuzeigen, dass die Kündigung unvermeidlich war (
BAG 13.5.2015 -
2 AZR 565/14 - NZA 2015, 1249), entfallen sein, weil das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt hatte.
Mit Blick auf eine verhaltensbedingte Kündigung, die ohne die erforderliche Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84
Abs. 1
SGB IX erklärt worden war, hat das
BAG dem Arbeitgeber eine Darlegungserleichterung zugebilligt, wenn das Integrationsamt gemäß
§ 85 SGB IX seine Zustimmung erteilt hat (
vgl. BAG 7.12.2006 -
2 AZR 182/06 - Rn. 27, BAGE 120, 293). Da das Verwaltungsverfahren nach
§§ 85 ff. SGB IX der Prüfung der Rechte des schwerbehinderten Arbeitnehmers diene und die Entscheidung des Integrationsamts durch mehrere Instanzen nachprüfbar sei, könne nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass ein Präventionsverfahren nach § 84
Abs. 1
SGB IX die Kündigung hätte verhindern können (
vgl. BAG 07.12.2006 -
2 AZR 182/06 - Rn. 28, aaO;
BVerwG 19. August 2013 -
5 B 47.13 - Rn. 12).
Ob das
BAG an dieser Rechtsprechung festhält und diese auch auf den Fall der Unterlassung eines gebotenen bEM übertragen werden kann, wenn sich aus der Begründung des Zustimmungsbescheids oder der des Widerspruchsbescheids keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass mögliche, kündigungsrechtlich beachtliche Beschäftigungsalternativen im Verwaltungsverfahren nicht in den Blick genommen worden sind (
vgl. BAG 20.11.2014 -
2 AZR 664/13 - Rn. 41
m.w.N., NZA 2015, 931, 935), brauchte vorliegend jedoch nicht entschieden werden.
Ebenso wenig bedurfte es der Entscheidung durch die Kammer, ob die Beklagte nicht ohnehin zumindest in der Berufungsinstanz selbst bei Zugrundelegung einer primären Darlegungslast zur Nutzlosigkeit dieser genügte und ausreichend dargetan hat, dass auch ein ordnungsgemäßes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können.
(2) Denn die angefochtene Entscheidung erweist sich unabhängig von diesen Fragen dennoch im Ergebnis als richtig. Die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen sind unter Abwägung des Interesses des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum jetzigen Kündigungszeitpunkt noch billigerweise von der Beklagten hinzunehmen.
Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist zu prüfen, die erheblichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Zu berücksichtigen ist einerseits das Ausmaß der Beeinträchtigung des Arbeitgebers, ob etwa nur Betriebsablaufstörungen oder ausschließlich hohe wirtschaftliche Belastungen zu erwarten sind oder ob aus beiden Gesichtspunkten Belastungen anzunehmen sind. Auf der Seite des Arbeitnehmers sind demgegenüber insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter, der Familienstand und etwaige Unterhaltspflichten sowie ggfs. eine Schwerbehinderung von Belang. Daneben kann es beispielsweise darauf ankommen, ob die Erkrankungen u.U. auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind (
BAG 8.11. 2007 -
2 AZR 292/06 -, NZA 2008, 593).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien war es der Beklagten insbesondere im Hinblick auf das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers mit 57 Jahren, dessen Schwerbehinderung und die erhebliche Dauer des Arbeitsverhältnisses von mehr als 9 Jahren zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die betrieblichen Beeinträchtigungen, die im Wesentlichen in den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten bestehen, noch zuzumuten. Dabei verkennt die Kammer auch nicht, dass das Arbeitsverhältnis bereits seit 2007 mit Fehlzeiten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit belastet war. Denn die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten nehmen bisher kein solches Ausmaß an, als dass sie für die Beklagte bei Abwägungen mit den Belangen des Klägers nicht mehr tragbar erscheinen. Die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten sind insbesondere nicht außergewöhnlich hoch.
II.
Die unterlegene Beklagte hat gemäß § 91
Abs. 1
ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung
i.S.v. § 72
Abs. 2
Nr. 1
ArbGG. Das Urteil der Kammer weicht nicht von einer Entscheidung der in § 72
Abs. 2
Nr. 2
ArbGG genannten Gerichte ab.