Urteil
Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten

Gericht:

VG Augsburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

Au 3 K 16.1744


Urteil vom:

17.04.2018


Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dieser der Kündigung des Klägers durch die Beigeladene zugestimmt hat.

Der am 1. Juni 1963 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einen Grad der Behinderung von 50 und bei der Beigeladenen seit 1. Oktober 1996 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Am 31. August 2016 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Zur Begründung führte die Beigeladene aus, dass der Kläger trotz der Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes und wiederholter Maßnahmen des Betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (BEM) derart hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten einbringe, dass das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortgeführt werden könne. Im Antrag werden die Fehlzeiten des Klägers wie folgt aufgelistet.

- 2010: 156 Fehltage
- 2011: 70 Fehltage
- 2012: 251 Fehltage
- 2013: 61 Fehltage
- 2014: 40 Fehltage
- 2015: 119 Fehltage
- 2016: 153 Fehltage

Mit dem Antrag wurde eine "Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit" des Zentrums für Integrierte Rehabilitation an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm vom 11. April 2016 vorgelegt. Danach besteht eine belastungsabhängige Schwellneigung des gesamten rechten Unterschenkels bei subjektiv geäußerten Schmerzen. Dabei sei irrelevant, ob geringe Gewichte gehoben oder bewegt würden, oder ob es sich nur um langes Stehen bzw. Gehen handele. Eine Eingliederung in den alten Beruf sei ungeeignet. Zur Verbesserung der Stabilität im rechten oberen Sprunggelenk bei jeglicher Art von Belastung würden knöchelumgreifende Schuhe mit eingebauter Abrollhilfe empfohlen.

Der Beklagte holte Stellungnahme vom Kläger, dessen Ärzten, der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates ein. Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrat stimmten der Kündigung zu. Der Kläger ließ mitteilen, er gehe davon aus, mit knöchelumgreifenden Schuhen mit eingebauter Abrollhilfe weiter arbeiten zu können.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 teilten die behandelnden Hausärzte des Klägers mit, es sei eine Depression bekannt. Antidepressive Therapie werde derzeit nicht eingenommen. Deswegen und wegen einer koronaren Herzerkrankung sei der Kläger nur eingeschränkt belastbar. Für leichte und abwechslungsreiche Arbeit sei er aber einsetzbar.

Nach einem Schreiben des behandelnden Neurologen und Psychiaters leidet der Kläger unter (nicht näher beschriebenen) "schweren psychisch-geistigen Störungen". Rehabilitationsmaßnahmen oder Kuren seien in Anbetracht der Schwere der Krankheitsstörung und Verständigungsschwierigkeiten nicht indiziert. Es sei weiter mit Fehlzeiten im bisherigen Umfang zu rechnen. Mit einer dauerhaften Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei nicht zu rechnen.

Mit Bescheid vom 7. November 2016 stimmte der Beklagte der Kündigung zu. Die Entscheidung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX sei eine Ermessensentscheidung. Nach Prüfung der eingereichten Unterlagen und aufgrund des Ergebnisses der eigenen Ermittlungen sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers in der Firma der Beigeladenen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Der Kläger sei auf unabsehbare Zeit gehindert, die durch den Arbeitsvertrag eingegangenen Verpflichtungen der Arbeitsleistung zu erbringen. Schon aus diesem Grund sei das Arbeitsverhältnis auf Dauer ganz erheblich gestört. Dabei sei zu berücksichtigen, dass durch die langanhaltende Krankheit des Klägers der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert sei, sein Direktionsrecht auszuüben. Nach der eingeholten ärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes sei mit einem dauerhaften Wiedereintritt ins Arbeitsleben nicht zu rechnen. Auch in Zukunft sei mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen. Die bisherige Tätigkeit könne der Kläger nicht mehr ausüben. Danach könne von einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit ausgegangen werden. Insbesondere liege die erforderliche negative Zukunftsprognose vor. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger erhebliche Schwierigkeiten haben werde, wieder eine neue Anstellung zu finden. Die unbedingte Erhaltung des Arbeitsplatzes gegen die betrieblichen Erfordernisse und das gesundheitliche Leistungsvermögen des Klägers liege jedoch nicht im Sinne des SGB IX. Aus diesen Gründen werde dem Antrag zugestimmt.

Mit dem Schreiben vom 16. November 2016 kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger.

Am 12. Dezember 2016 ließ der Kläger Klage erheben. Der Bescheid sei unrichtig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Das Integrationsamt habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger vier Kinder habe, von denen drei noch unterhaltsberechtigt seien. Zudem sei der Kläger seit 1996 in Vollzeit bei der Beigeladenen beschäftigt. Im Jahr 2008 habe der Kläger in Ausübung seiner Tätigkeit für seine Arbeitgeberin eine komplizierte Sprunggelenksfraktur erlitten. Die Fehlzeiten resultierten aus dieser Verletzung, die auch zur Schwerbehinderung geführt habe. Der Kläger habe seine Gesundheit im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit für die Beigeladene ruiniert. In den Jahren vor dem Arbeitsunfall sei der Kläger praktisch nicht krank gewesen und habe seine Arbeit stets ordnungsgemäß erledigt. Die Kündigung beruhe also allein auf Fehlzeiten, die aus einem Arbeitsunfall resultierten. Die schützenswerten und berechtigten Interessen des Klägers wögen daher schwerer. Das Integrationsamt habe zudem im Zuge seiner Ermittlungen erfahren, dass der Kläger der Auffassung sei, mit entsprechenden orthopädischen Schuhwerk seine Tätigkeit wieder ausüben zu können. Dieser Tatsache sei das Integrationsamt ganz offensichtlich in keiner Weise nachgegangen. Die Beigeladene hätte dem Kläger ohne weiteres das entsprechende Schuhwerk finanzieren können, nachdem die Berufsgenossenschaft entsprechendes abgelehnt habe. Aus dem Bescheid ergebe sich schließlich nicht, in wiefern über ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement nachgedacht worden sei. Der den Kläger im Krankenhaus behandelnde Arzt habe angeregt, dem Kläger knöchelhohes Schuhwerk mit einer eingebauten Abrollhilfe zur Verfügung zu stellen. Mit einem solchen Schuhwerk könne der Kläger nach entsprechender Wiedereingliederung weiterhin tätig sein.

Der Kläger beantragt:

der Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Schwaben, Integrationsamt, vom 7. November 2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nicht nur die Beurteilung und Prognose von Herrn Dr. gehe davon aus, dass der Kläger voraussichtlich nicht mehr auf Dauer leistungsfähig in dem Betrieb der Beigeladenen eingegliedert werden könne. Auch die im Auftrag der Berufsgenossenschaft RCI von den Universitäts- und Rehabilitationskliniken (RKU) durchgeführte Belastungserprobung komme in ihren Feststellungen vom 11. April 2016 zu dem Ergebnis, dass eine Eingliederung des Klägers in den alten Beruf als ungeeignet gesehen werde. Er könne nur noch leichte Arbeiten, vorwiegend sitzend erledigen. Seine funktionell-motorische Leistungsfähigkeit werde aufgrund der Erprobung im Einzelnen beschrieben. Hinsichtlich seiner beruflichen Wiedereingliederung empfehle das Gutachten die Vermittlung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes. Aufgrund seiner orthopädischen Probleme solle der Kläger bei jeglicher Art von Belastung knöchelumgreifende Schuhe mit eingebauter Abrollhilfe tragen. Die Schwerbehindertenvertretung habe in ihrer Stellungnahme vom 8. September 2016 bestätigt, dass sich die Beigeladene im Rahmen mehrerer BEM-Gespräche bemüht habe, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Er habe sich einen für ihn geeigneten Arbeitsplatz selbst aussuchen können. Diese gemeinsam erarbeitete Lösung habe jedoch nicht zu einer angestrebten Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse geführt. Die Fehlzeiten seien in den Jahren 2015 und 2016 wiederum sehr hoch gewesen. Die Schwerbehindertenvertretung habe letztlich bestätigt, dass ein noch mehr auf die Bedürfnisse des Klägers Rücksicht nehmender, leidensgerechter Arbeitsplatz im Betrieb der Beigeladenen nicht zur Verfügung stehe.

Unter dem 16. August 2017 hat der Beklagte nach Aufforderung durch das Gericht eine ergänzende Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychologie Dr. vorgelegt. Danach befindet sich der Kläger seit 2011 in dauerhafter Behandlung. Unverändert bestehe eine hohe psychopharmakologische Medikation mit Mirtazipin und Quetiapin. Der Kläger leide unverändert über eine phasenübergreifend anhaltende affektive depressive Störung bei einer einfachen Primärpersönlichkeit mit reduzierter Konfliktverarbeitungsfähigkeit, grenzwertig unterdurchschnittlicher Intelligenz und Sprachproblemen. Eine ambulante Psychotherapie sei nicht möglich. Es bestehe eine eingeschränkte Kompetenz in den Alltagsverrichtungen, eine anhaltend bestehende Arbeitsunfähigkeit und eine schwergradige geistig-psychische Störung bei ausgeprägter reduzierter geistig-psychischer Belastbarkeit. Der Kläger sei auf Dauer nicht mehr in der Lage, leichtere, einfache Tätigkeiten in vollem Umfang und auf Dauer auszuüben.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil 23. Januar 2018 hat das Arbeitsgericht Augsburg der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben (Az. 1 Ca 7873/16). Die Beigeladene wurde verpflichtet, den Kläger während des Rechtsstreits weiter zu beschäftigen. Hiergegen hat die Beigeladene Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Der Kläger unternimmt seit dem einen "Arbeitsversuch" bei der Beigeladenen.

Zu den weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogene Behördenakte, der Gerichtsakte und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 17. April 2018.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 7. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung sind §§ 85 ff. SGB IX. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten (oder gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellten) Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX).

2. Die angegriffene Zustimmung ist formell rechtmäßig zustande gekommen. Sie ist insbesondere aufgrund eines ordnungsgemäßen Verfahrens ergangen (§ 87 SGB IX). Der Kläger wurde ordnungsgemäß angehört (§ 87 Abs. 2 SGB IX). Der Antragsteller erhielt mit Schreiben des Integrationsamtes vom 1. September 2016 den Zustimmungsantrag der Beigeladenen übersandt und Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese Möglichkeit, sich zu den Gründen, die der Arbeitgeber für die Kündigung angeführt hat, zu äußern, reicht aus, um dem Anhörungserfordernis Genüge zu tun (vgl. BayVGH, B. v. 22.05.2012 - 12 ZB 10.3172 - juris Rn. 9). Ein Anhörungsmangel liegt insbesondere auch nicht deswegen vor, weil das Integrationsamt dem Kläger nicht erneut die Gelegenheit gegeben hat, zu den eingegangenen ärztlichen Stellungnahmen seinerseits Stellung zu nehmen. Angesichts der unbestrittenen Kündigung und dem Umstand, dass der Kläger selbst Dr., als behandelnden Arzt angegeben und von der Schweigepflicht entbunden hat, hätte es der anwaltlich vertretene Kläger selbst in der Hand gehabt, sich durch Akteneinsichtnahme Kenntnis von der ärztlichen Beurteilung seiner gesundheitlichen Situation zu verschaffen und eine Stellungnahme hierzu abzugeben, was indes nicht erfolgt ist (BayVGH, B. v. 22.05.2012 a.a.O.). Da der Kläger auch bis zum Abschluss des Gerichtsverfahren die Möglichkeit hatte, die Beurteilung seines Psychiaters substantiiert in Zweifel zu ziehen, dies aber nicht getan hat, ist auch anzunehmen, dass ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt wurde (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG) und eine erneute Möglichkeit zur Stellungnahme zu keiner anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. Art. 46 BayVwVfG).

3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.

a) Über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung hat das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 88 SGB IX). Diese Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO); das Gericht kann daher die Entscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen. Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Sinn und Zweck des sozialrechtlichen Sonderkündigungsschutzes ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsgerichtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Das Integrationsamt hat deshalb im Zustimmungsverfahren nach den §§ 85 ff. SGB IX grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen etwa sozial gerechtfertigt ist im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG (vgl. BVerwG, U. v. 2.7.1992 - 5 C 51/90 - BVerwGE 90, 287). Ist die beabsichtigte Kündigung jedoch nach arbeitsrechtlichen Vorschriften offensichtlich unwirksam, liegt ihre Unwirksamkeit also "ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage", ist der Zustimmungsantrag abzulehnen bzw. eine erteilte Zustimmung vom Gericht aufzuheben. Denn die Integrationsbehörde soll nicht an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum Nachteil des schwerbehinderten Menschen mitwirken (vgl. BayVGH, U.v. 18.6.2008 - KommunalPraxis BY 2008, 390).

Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1995 - 5 C 24.93 - BVerwGE 99, 336). Dabei sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt werden soll, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen, während die Belange des Schwerbehinderten umso geringer zu gewichten sind, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellbar ist. Wird die Kündigung auf erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützt, erfordert die Abwägung zunächst eine Gesundheitsprognose. Wesentlich für die Entscheidung des Integrationsamtes ist insoweit, in welchem Umfang weitere krankheitsbedingte Fehlzeiten künftig zu erwarten sind und ob in Zukunft noch vom Fortbestehen eines wirtschaftlich sinnvollen Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung auszugehen sein wird (vgl. dazu etwa BayVGH vom 16.12.2008 Az. 12 ZB 07.3381 m.w.N. - st. Rspr.).

Für die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten ist der der Kündigung zugrundeliegende historische Sachverhalt maßgebend. Dies schließt es aus, Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen, die erst nach der Kündigung eingetreten sind und nicht zu dem dieser zugrundeliegenden Sachverhalt gehören (BVerwG, B. v. 7.3.1991 - 5 B 114/89 - juris Leitsatz).

b) Gemessen daran erweist sich die Ermessensentscheidung des Beklagten - jedenfalls unter Berücksichtigung der ergänzenden Erwägung in der Klageerwiderung (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) - als rechtmäßig.

Allein die Tatsache, dass die ordnungsgemäße Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht erfolgt ist, führt grundsätzlich nicht zur Aufhebung der Entscheidung des Integrationsamtes. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist dies keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes (BVerwG, B. v. 29.8.2007 - 5 B 77/07 - NJW 2008, 166; BayVGH, U. v. 22.10.2008 - 12 BV 07.2256 - juris; BayVGH, U. v. 05.10.2011 - 12 B 10.2811 - juris), die Nichtdurchführung des Verfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX kann aber im Ermessen gegebenenfalls zu Lasten des Arbeitgebers berücksichtigt werden, wenn bei gehöriger Durchführung des Präventionsverfahren die Möglichkeit bestanden hätte, die Kündigung zu vermeiden (vgl. BVerwG, B. v. 29.8.2007 a.a.O. Rn.5). Vorliegend durfte das Integrationsamt davon ausgehen, dass ein ordnungsgemäßes Präventionsverfahren durchgeführt wurde. Der anwaltlich vertretene Kläger hat im Verwaltungsverfahren keine diesbezüglichen Mängel gerügt. Die Schwerbehindertenvertretung des Beigeladenen hat gegenüber dem Integrationsamt ausgeführt, dass dem Kläger im Rahmen eines betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements verschiedene leidensgerechtere Arbeitsplätze angeboten wurden, was jedoch nicht zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt habe und dass ein noch leidensgerechterer Arbeitsplatz angeboten wurden, was jedoch nicht zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt habe und dass ein noch leidensgerechterer Arbeitsplatz im Betrieb der Beigeladenen nicht zur Verfügung stehe. Dass der Beklagte bei dieser Sachlage der Kündigung zustimmte erweist sich insofern nicht als ermessensfehlerhaft, zumal nicht erkennbar ist, dass die Arbeitsunfähigkeit des Klägers aufgrund seiner psychischen Erkrankung mithilfe eines Präventionsverfahrens überwindbar gewesen wäre.

Die Gesundheitsprognose des Beklagten ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der sehr hohen, in den letzten beiden Jahren vor der Antragstellung noch einmal gestiegenen Fehlzeiten und den ärztlichen Stellungnahmen des Zentrums für Integrierte Rehabilitation an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken vom 11. April 2016 und insbesondere des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. vom 24. Oktober 2016 durfte der Beklagte davon ausgehen, dass der Kläger eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung dauerhaft nicht mehr Erbringen können wird. Angesichts der attestierten schweren psychischen Erkrankung, die nach den dem Beklagten vorliegenden Unterlagen für sich genommen schon zur dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Klägers führte, musste die Beklagte der Frage, ob der Kläger mit besonderen orthopädischen Hilfsmitteln noch in der Lage gewesen wäre, bestimmte Tätigkeit zu verrichten, kein entscheidendes Gewicht beimessen, zumal auch die Stellungnahme des Zentrums für Integrierte Rehabilitation an den Universitäts- und Rehabilitationskliniken vom 11. April 2016 davon ausgeht, das eine Integration in die bisherige Tätigkeit "nicht geeignet" sei.

Auch dem vom Kläger angeführten Gesichtspunkt (Unterhaltspflichten, langjährige Betriebszugehörigkeit usw.) musste der Beklagte keine ausschlaggebende Bedeutung bei seiner Ermessensentscheidung zumessen. Dabei handelt es sich um Fragen der sozialen Rechtfertigung der Kündigung, die zwar für das arbeitsgerichtliche Verfahren, nicht aber für die Entscheidung des Integrationsamtes maßgeblich sind (s.o.).

Schließlich vermögen auch die Entwicklungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach der Kündigung die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung der Beklagten nicht in Zweifel zu ziehen, weil es - wie dargestellt - allein auf die Sachlage beim Ausspruch der Kündigung ankommt. Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass die für das Integrationsamt ausschlaggebende psychische Erkrankung des Klägers im arbeitsgerichtlichen Verfahren ausweislich der Urteilsgründe des Arbeitsgerichts - aus welchen Gründen auch immer - keine entscheidungserhebliche Rolle gespielt hat.

Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Erstreckung der Kostentragungspflicht auf die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen war aus Billigkeitsgründen geboten, weil die Beigeladene mit der Antragstellung ein eigenes Prozessrisiko einging (§ 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Referenznummer:

R/R7913


Informationsstand: 30.10.2018