Urteil
Rechtmäßige Zustimmung des Integrationsamts zu einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung - Unbegründeter Antrag auf Zulassung der Berufung mangels ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils

Gericht:

VGH Bayern 12. Senat


Aktenzeichen:

12 ZB 10.3172 | 12 ZB 10/3172


Urteil vom:

22.05.2012


Grundlage:

  • SGB IX § 91 |
  • VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 u. 5 |
  • VwGO § 124a Abs. 4 S. 4 |
  • BGB § 626 Abs. 1

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Gründe:

I.

Die ... geborene Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Zustimmung des Integrationsamts des Beklagten zu der von der Beigeladenen ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Sie weist einen festgestellten Grad der Behinderung von 70 auf. Seit dem 1. Oktober 1984 übte sie bei der Beigeladenen eine Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin aus, von der sie vom 1. Juli 1996 bis 30. November 1996 und vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2005 aus familienbezogenen Gründen ohne Bezüge beurlaubt war. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit ist die Klägerin seit 21. Oktober 2006 dienstunfähig erkrankt. Auf Antrag der Beigeladenen vom 25. November 2009 stimmte das Integrationsamt mit streitbefangenem Bescheid vom 9. Dezember 2009 ihrer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. November 2010 (Az.: M 15 K 09.5850) als unbegründet ab. Mit dem vorliegenden Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin keine ausdrücklich benannten Zulassungsgründe geltend. Sinngemäß beruft sie sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils und auf das verfahrensfehlerhafte Ergehen einer Überraschungsentscheidung.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet.

1. Vorliegend bestehen allerdings Zweifel, ob die Klägerin dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO im Hinblick auf die geltend gemachten Zulassungsgründe genügt. Zwar ist dessen Handhabung durch die Berufungsgerichte von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG geprägt. Demzufolge dürfen die an eine Zulassungsbegründung gestellten Anforderungen hinsichtlich der Darlegung der Berufungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO nicht derart überspannt werden, dass sie lediglich ein mit dem jeweiligen Rechtsgebiet als Spezialist besonders vertrauter Rechtsanwalt zu erfüllen vermag. Das Berufungsgericht darf folglich durch seine Handhabung der Zulassungskriterien das gesetzlich vorgesehene Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung auch nicht leerlaufen lassen. Daher verlangt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ferner, bei der Prüfung der vom Rechtsmittelführer geltend gemachten Zulassungsgründe der Sache nach vorliegende, aber explizit nicht benannte oder anders eingeordnete Gründe zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (vgl hierzu BVerfG vom 22.8.2011 BayVBl 2012, 157 f.; vom 10.8.2009 BayVBl 2010, 212 ff.; vom 21.1.2009, NVWZ 2009, 515 ff.; vom 24.1.2007 NVwZ 2007, 805 ff.; vom 30.6.2005 NVwZ 2005, 1176 ff.; vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1163 ff.).

Indes genügt unter Berücksichtigung dieser Vorgaben der vom Bevollmächtigten der Klägerin innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eingereichte Schriftsatz zur Begründung des Zulassungsantrags nicht einmal ansatzweise den Anforderungen an der Darlegung von Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO. Vorgelegt wird vielmehr der Sache nach eine Berufungsbegründung, die sich in weiten Teilen als textidentisch mit der Klagebegründung im erstinstanzlichen Verfahren erweist (Seiten 5 bis 7, 10 bis 14 und 15 bis 17 des Schriftsatzes vom 29.12.2010). Die im Rahmen der Darlegung der Berufungszulassungsgründe nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geforderte Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 124a RdNr. 63 f.) fehlt in weiten Teilen, sodass der Zulassungsantrag insoweit bereits mangels hinreichender Darlegung keinen Erfolg haben kann. Im Übrigen liegen auch der Sache nach Berufungszulassungsgründe nicht vor.

2. Bei wohlwollender Auslegung macht die Klägerin gegenüber dem verwaltungsgerichtlichen Urteil ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie das Vorliegen eines Verfahrensfehlers in Form einer Überraschungsentscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend. Beide Zulassungsgründe sind jedoch nicht gegeben.

2.1. Zunächst sieht die Klägerin in der Feststellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils, ihrem Bevollmächtigten wären ausweislich des in den Behördenakten befindlichen Sendeprotokolls die Gesundheitszeugnisse des Amtsarztes der Landeshauptstadt München vom 7. Januar 2009 und 18. August 2009 per Telefax am 3. Dezember 2009 übermittelt worden, eine der Garantie rechtlichen Gehörs in Art. 103 Abs. 1 GG widersprechende Überraschungsentscheidung, weil die Frage des Zugangs der Gesundheitszeugnisse per Telefax nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 18. November gebildet habe. Das Verwaltungsgericht hätte der Klägerin jedenfalls Gelegenheit geben müssen, zu der "Rechtsfrage" Stellung zu nehmen, ob ein in den Akten befindliches Sendeprotokoll geeignet sei, Vollbeweis über den Zugang des Gesundheitszeugnisses zu bilden.

Mit diesem Vortrag ist bereits das Vorliegen einer gegen die grundrechtliche Garantie des rechtlichen Gehörs in Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Überraschungsentscheidung nicht substanziiert dargetan. Eine derartige sogenannte Überraschungsentscheidung liegt immer dann vor, wenn ein Gericht seine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Umstand stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen braucht (vgl zuletzt BVerfG vom 5.4.2012 Az. 2 BvR 2126/11 (juris)). Vorliegend leitet das Verwaltungsgericht die Übermittlung der Gesundheitszeugnisse des Amtsarztes der Landeshauptstadt München vom 7. Januar 2009 und 18. August 2009 an den Bevollmächtigten der Klägerin unter Heranziehung der Verfahrensakte des Beklagten zum einen aus dem die fehlende vollständige Übermittlung rügenden Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 2. Dezember 2012, zum anderen aus dem daraufhin gefaxten Antwortschreiben des Integrationsamts vom 3. Dezember 2012 nebst Fax-Sendeprotokoll ab. Mit einer derartigen Auswertung der vorgelegten Behördenakte muss indes ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter, namentlich ein Fachanwalt für Sozialrecht, rechnen. Eines richterlichen Hinweises hierauf bedarf es regelmäßig nicht. Eine Überraschungsentscheidung, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen würde, hat das Verwaltungsgericht folglich nicht getroffen.

Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin, sie sei durch den Beklagten zum Inhalt der Gesundheitszeugnisse nicht angehört worden, nicht nur deshalb zurückweist, weil es jedenfalls seit Übermittlung des Schreibens des Integrationsamts vom 3. Dezember 2009 von der inhaltlichen Kenntnis der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten ausgeht. Ein Anhörungsmangel auf Seiten des Integrationsamts liegt darüber hinaus auch deshalb nicht vor, weil es die Klägerin angesichts der unbestrittenen Kenntnis vom Antrag der Beigeladenen auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, der die negative Gesundheitsprognose der Klägerin ausdrücklich als Kündigungsgrund benennt und ausführlich begründet, und jedenfalls der Deckblätter der Gesundheitszeugnisse es selbst in der Hand gehabt hätte, sich durch Akteneinsichtnahme Kenntnis von der amtsärztlichen Beurteilung ihrer gesundheitlichen Situation zu verschaffen und eine Stellungnahme hierzu abzugeben, was indes nicht erfolgt ist. Allein die Möglichkeit, sich zu den Gründen, die der Arbeitgeber für die Kündigung angeführt hat, zu äußern, reicht indes aus, um dem Anhörungserfordernis des § 87 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Genüge zu tun. Von daher kommt es auf die von der Klägerin in der Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage der Heilung eines in einer unterlassenen Anhörung liegenden Verfahrensmangels nicht an. Auch wäre die Verwertung des Sendeprotokolls, unterstellt, es läge insoweit ein Verfahrensfehler vor, nicht kausal für das Entscheidungsergebnis des Verwaltungsgerichts, sodass sich auch hiermit die Zulassung der Berufung nicht begründen ließe.

2.2. Die Klägerin erachtet ferner die Zustimmung des Beklagten zu ihrer Kündigung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts für ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, weil ihr seitens des Integrationsamtes ein unzureichend ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, insbesondere das Integrationsamt eine hinreichende Überprüfung der von der Beigeladenen vorgebrachten Gründe unterlassen habe.

2.2.1. So erweise sich insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin sei aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht nach § 21 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gehalten gewesen, zu der von ihr behaupteten positiven Gesundheitsprognose Nachweise vorzulegen sowie ihre behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, als rechtsfehlerhaft. Es sei vielmehr das gute Recht der Klägerin gewesen, bis zur vollständigen Übersendung der ärztlichen Unterlagen durch den Beklagten eine Abgabe der Entbindungserklärung zurückzustellen. Mit diesem Vortrag sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht substanziiert dargetan. Denn obwohl bereits mit dem Antrag des Beigeladenen die negative Gesundheitsprognose der Klägerin als Grund für die außerordentliche Kündigung bezeichnet und erläutert worden ist, hat sie sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch im gerichtlichen Verfahren über das Bestreiten dieser Prognose hinaus weder Anhaltspunkte noch Nachweise für eine von ihr behauptete positive gesundheitliche Entwicklung vorgetragen. Defizite in der Sachverhaltsermittlung seitens des Integrationsamtes, die nicht in den alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin fallen und die zur Fehlerhaftigkeit der Ermessenensausübung bei der streitbefangenen Zustimmungsentscheidung führen könnten, sind daher nicht ersichtlich.

2.2.2 Auch soweit die Klägerin bestreitet, dass seitens des Amtsarztes in sozial- oder arbeitsmedizinischer Hinsicht jegliche Einsatzmöglichkeit als Krankenschwester oder im Verwaltungsbereich der Beigeladenen verneint worden sei, kann sie Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht begründen. So ergibt sich aus dem Gesundheitszeugnis vom 8. Januar 2009, dass es nicht absehbar sei, wann die Klägerin ihre Tätigkeit als Krankenschwester wieder aufnehmen könne. Bei ihr bestünden eine Reihe von Leistungseinschränkungen. So dürfe sie nicht in Nachtschichten oder in häufigen Wechselschichten eingesetzt werden, keine Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortungslage oder einer Aufsichtstätigkeit über Menschen oder Maschinen ausüben. Ferner dürfe sie nicht schwer heben, tragen oder stemmen, sich nicht häufig bücken und keine Tätigkeiten in Zwangshaltungen (Überkopfarbeiten) verrichten. Schließlich müsse sie häufig Pausen einlegen können. Hinzu kommt nach dem Gesundheitszeugnis vom 18. August 2009, dass sie nicht für Tätigkeiten mit Ansprüchen an das Konzentrations- und Merkvermögen eingesetzt werden dürfe. Weiterhin sei ein Arbeitseinsatz nur für einen Zeitraum von unter drei Stunden täglich möglich. Aus den genannten massiven Einschränkungen haben das Verwaltungsgericht wie zuvor das Integrationsamt den Vortrag der Beigeladenen für zutreffend erachtet, dass es für die Klägerin in deren Bereich keine Umsetzungsmöglichkeit gebe. Demgegenüber begründet das Verwaltungsgericht seine Auffassung nicht mit der angeblichen Äußerung der Klägerin gegenüber Mitarbeitern der Beigeladenen, sie fühle sich für Verwaltungsaufgaben nicht hinreichend qualifiziert. Das Bestreiten dieser Äußerung und die Forderung nach einem Verwertungsverbot auch im Rahmen der Zulassungsbegründung gehen daher ins Leere. Als unzutreffend erweist sich in diesem Zusammenhang auch die von der Klägerin im Zulassungsverfahren wiederholte Behauptung, die Beigeladene habe bei den Einladungen zu den Personalgesprächen lediglich die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit und den Abschluss eines Auflösungsvertrages beabsichtigt, nicht hingegen ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach langdauernder Erkrankung nach § 84 Abs. 2 SGB IX. Insoweit ergibt sich das Gegenteil aus den in der Behördenakte befindlichen Einladungsschreiben, die ausdrücklich auf § 84 SGB IX hinweisen. Hinsichtlich der Annahme fortdauernder Leistungseinschränkungen wie auch des Fehlens einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit hat die Klägerin im Zulassungsverfahren wie auch zuvor im Klageverfahren über das unsubstanziierte Bestreiten hinaus hierzu nicht einmal im Ansatz Umstände vorgetragen, die Zweifel an der Tatsachenermittlung des Verwaltungsgerichts wecken und damit die Berufungszulassung rechtfertigen könnte.

2.2.3 Auch der Verweis auf das von der Beigeladenen ausgestellte Zwischenzeugnis vom 23. Februar 2009 vermag Richtigkeitszweifel an der angefochtenen Entscheidung nicht zu begründen. So hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass Arbeitszeugnisse wohlwollend abzufassen seien und keine fundierten medizinischen Stellungnahmen, insbesondere keine Gesundheitsprognose enthalten würden. Hiermit setzt sich die Zulassungsbegründung nicht auseinander. Gleiches gilt auch für die - ohne Vorlage entsprechender Nachweise - behauptete erfolglose Rentenbeantragung, der das Verwaltungsgericht mangels anderer Tatbestandsvoraussetzungen und fehlender Tatbestandswirkung für das Zustimmungsverfahren keine Bedeutung beigemessen hat. Auch hiermit setzt sich die Zulassungsbegründung nicht auseinander, wiederholt vielmehr lediglich den Vortrag in der Klageschrift im Verfahren erster Instanz.

Der Zulassungsantrag war daher im Ergebnis als unbegründet abzuweisen.

3. Die Kostentragungspflicht der Klägerin ergibt sich dabei aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Beigeladene trägt vorliegend ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie sich mit der Antragstellung im Zulassungsverfahren keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO.

4. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.

Referenznummer:

R/R5494


Informationsstand: 25.04.2013