I.
Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren um die Rechtswirksamkeit mehrerer Kündigungen, um einen Anspruch auf Beschäftigung sowie um Zahlungsansprüche. Eine der Kündigungen war als ordentlich personenbedingte Kündigung, die beiden anderen als verhaltensbedingte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigungen ausgesprochen. Erstinstanzlich machte die Beklagte keine Einwendungen gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch, die unabhängig von der Rechtswirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigungen waren, geltend.
Mit Endurteil vom 2. November 2017 - 11 Ca 160/16 - gab das Arbeitsgericht München u.a. den Kündigungsschutzanträgen statt und verurteilte die Beklagte unter
Nr. 4 des Tenors dazu, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Bedingungen als "L." weiterzubeschäftigen. Das Urteil wurde der Beklagten am 8. November 2017 zugestellt.
Mit zwei Schreiben vom 24. November 2017 sprach die Beklagte weitere Kündigungen aus: eine außerordentliche fristlose sowie eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. Mai 2018.
Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 beantragte der Kläger zur Durchsetzung seines Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß
Nr. 4 des Endurteils die Festsetzung von Zwangsmitteln.
Die Beklagte erhob ebenfalls mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 zum Arbeitsgericht München eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Vollstreckungsabwehrklage, die unter dem Aktenzeichen 11 Ca 13243/17 geführt wird. Die Beklagte beantragte, die Zwangsvollstreckung aus
Nr. 4 des Endurteils vom 2. November 2017 für unzulässig zur erklären und die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Die Klage war mit einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antrag verbundenen, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen.
Gegen das Klage stattgebende Urteil im Ausgangsverfahren legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 Berufung zu dem Landesarbeitsgericht München ein (4 Sa 823/17) und begründete sie nach Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 8. Februar 2018. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts, soweit den verhaltensbedingten Kündigungen und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben worden war. Zum Weiterbeschäftigungsantrag wurde geltend gemacht, dass er - genauso wie die Feststellungsanträge zu den Kündigungen - abzuweisen sei.
Im Verfahren 11 Ca 160/16 erteilte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 23. Januar 2018 den Hinweis, dass einer Klage nach § 767
ZPO das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn die Schuldnerin gegen das Urteil eine zulässige Berufung einlege und den in dem angefochtenen Urteil festgestellten Anspruch im Berufungsverfahren geltend machen könne. Berufe sich die Schuldnerin darauf, dass eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochene weitere Kündigung den ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruch materiellrechtlich entfallen lasse, sei dies vom Berufungsgericht im Verfahren auf Einstellung der Zwangsvollstreckung in Anwendung des § 769
ZPO zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund komme nach Ansicht des Arbeitsgerichts eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Verfahren 11 Ca 13243/17 nicht in Betracht, da dem Hauptsacheverfahren nach § 767
ZPO die Erfolgsaussichten fehlten. Im Rahmen des im Verfahren 11 Ca 160/16 gestellten Zwangsgeldantrags blieben die im Rahmen des Verfahren nach § 767
ZPO geltend zu machenden Einwendungen unberücksichtigt.
Daraufhin beantragte die Beklagte im Berufungsverfahren 4 Sa 823/17 mit Schriftsatz vom 2. Februar 2018, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Sie berief sich darauf, dass die Kündigungen vom 24. November 2017 auf neue Lebenssachverhalte gestützt würden und damit keine Wiederholungskündigungen seien. Der Kläger habe erstinstanzlich gegen seine prozessuale Wahrheitspflicht verstoßen. Weitere Aufklärungen hätten zudem ergeben, dass der Kläger zusätzlich zu den bisher gegen ihn erhobenen Vorwürfen im Zusammenhang mit der Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei der Abrechnung von Reisekosten der ihm unterstellten Beschäftigten weitere Verstöße begangen habe. Die Kündigungen erwiesen sich zudem nicht als offensichtlich unwirksam - insbesondere sei auch die Frist nach § 626
Abs. 2
BGB gewahrt -, weshalb die Zwangsvollstreckung einzustellen sei. Entgegen dem Wortlaut des § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG sei die Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils nicht erforderlich, wenn materielle Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Weiterbeschäftigungsanspruch erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden seien. Unter Bezugnahme auf Literatur und Rechtsprechung sei die Vorschrift in diesem Fall teleologisch zu reduzieren. Anderenfalls würde der Beklagten der Vollstreckungsschutz genommen und dem Weiterbeschäftigungsanspruch zur Durchsetzung verholfen, obwohl er gar nicht mehr existierte oder die Beklagte müsste den Weiterbeschäftigungstitel selbst rechtskräftig werden lassen und damit auch solche Einwendungen, auf die sie sich in erster Instanz bereits habe berufen können. Damit werde der verfassungsrechtlich verankerte Justizgewährleistungsanspruch verletzt.
Der Kläger widersetzte sich einer Einstellung der Zwangsvollstreckung und machte geltend, dass es sich bei den geschilderten Sachverhalten um Umstände handle, die bereits Gegenstand der Kündigungen im Ausgangsverfahren gewesen seien. Es lägen damit Wiederholungskündigungen vor, die nicht dazu führten, dass eine erneute Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eingetreten sei. Der Vortrag zum Wirtschaftlichkeitsgebot sei augenfällig identisch mit dem erstinstanzlichen Vortrag. Auch der herangezogene angeblich wahrheitswidrige Prozessvortrag sei bereits erstinstanzlich erfolgt. Umstände, die vor Urteilserlass eingetreten, im Erkenntnisverfahren vorgetragen und vom Gericht bei seiner Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag gewürdigt worden seien
bzw. hätten vorgebracht werden können, seien nach Auffassung des Klägers unbeachtlich. Der Vorwurf wahrheitswidrigen Prozessvortrags könne im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht überprüft werden. Jedenfalls sei die Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht eingehalten.
Eine teleologische Reduktion des § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG sei nicht veranlasst. Die Arbeitgeberin könne bis zur Berufungseinlegung ihre Prozesstaktik selbst verfolgen, indem sie entscheide, ob sie Vollstreckungsabwehrklage mit der Möglichkeit einer Einstellung nach § 769
ZPO ohne Bindung an einen nicht zu ersetzenden Nachteil oder eine Berufung mit der Bindung nach § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG durchführe.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht vom 7. Februar 2017 und vom 24. Oktober 2017, auf die Schreiben und Entscheidungen des Arbeitsgerichts sowie auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze - jeweils
ggf. nebst Anlagen - vom 2. Februar 2018, vom 7. Februar 2018, vom 8. Februar 2018, vom 13. Februar 2018 und vom 19. Februar 2018 sowie auf die Schreiben und Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts.
II.
Der Antrag, die Zwangsvollstreckung aus
Nr. 4 des Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 2. November 2018 einzustellen ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Landesarbeitsgericht München ist für die Entscheidung über die beantragte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgrund der dort anhängigen Berufung zuständig. Nach § 64
Abs. 7, § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG i.V.m. § 719
Abs. 1, § 707
Abs. 1
ZPO ist für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung dasjenige Gericht zuständig, bei dem die Hauptsache anhängig ist. Gericht
i.S.d. § 707
Abs. 1
ZPO ist dabei das Gericht, das über den Rechtsbehelf zu entscheiden hat, was sich aus der entsprechenden Verweisung in § 719
Abs. 1
ZPO ergibt (
vgl. LAG Hessen, Beschluss vom 31. Juli 2003 - 16 Ta 295/03 -, juris, Rn. 6,
m.w.N.;
vgl. auch Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 43).
Die Entscheidung kann nach § 64
Abs. 7
i.V.m. § 55
Abs. 1
Nr. 6
ArbGG durch Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergehen.
2. Der Antrag ist unbegründet. Es fehlt an der Darlegung eines nicht zu ersetzenden Nachteils.
a) Nach § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG, § 719
Abs. 1 Satz 1 Var. 2, § 707
Abs. 1
ZPO kann die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil gegen das Berufung eingelegt wird, auf Antrag durch das Gericht einstweilig eingestellt werden, wenn die schuldende Partei glaubhaft macht, dass ihr die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
b) In der Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet wird die Frage, ob die Voraussetzung eines nicht zu ersetzenden Nachteils auch dann erforderlich ist, wenn es um die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem (Weiter-)Beschäftigungstitel geht, dem ein weiterer, nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstandener Beendigungstatbestand entgegensteht.
aa) So wird vertreten, dass kein Fall der Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines nicht zu ersetzenden Nachteils vorliege, wenn die Arbeitgeberin zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet werde und danach ein anderer Beendigungstatbestand eintrete. Da die Wirkung der Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung auf Grund des zuerst verkündeten Urteils ende, werde der durch das Urteil festgestellte Anspruch selbst in seiner Existenz betroffen, so dass nur der Weg über die Vollstreckungsabwehrklage
i.S.v. § 767
ZPO möglich sei und die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769
ZPO durch einstweilige Anordnung erfolgen könne (
vgl. Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 22a). Nach der Rechtsprechung fehlt einer solchen Vollstreckungsabwehrklage allerdings das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die schuldende Partei gegen das Urteil eine zulässige Berufung eingelegt und den Einwand gegen den in dem angefochtenen Urteil festgestellten Anspruch im Berufungsverfahren geltend machen kann (
vgl. BAG, Beschluss vom 28. März 1985 - 2 AZR 548/83 -, juris, Rn. 23
ff.).
Würden Einwendungen gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch erst nach Einlegung einer vollumfänglichen Berufung bekannt, sei es - insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Kosten nicht zumutbar - die Berufung teilweise wieder zurücknehmen zu müssen, um die Einwendungen im Wege einer zulässigen Vollstreckungsabwehrklage geltend machen und sich gegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Wehr setzen zu können, die zum Ziel hätten, einen Anspruch durchzusetzen, gegen den im Ergebnis durchgreifende materielle Einwendungen bestünden. Sinn der gesetzlichen Regelung in § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG sei nicht, der schuldenden Partei, die materielle Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch erhebe, Hindernisse prozeduraler Art in den Weg zu stellen. Vielmehr seien in diesem Fall die Wertung der gesetzlichen Vorschrift des § 769
ZPO zu berücksichtigen, die für die Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgrund nachträglich entstandener materieller Einwendungen gerade keinen nicht ersetzbaren Nachteil verlange. Dies könne durch eine analoge Anwendung des § 769
ZPO bzw. durch eine teleologische Reduktion des § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG erfolgen (
vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2014 - 3 Sa 2/14 -, juris, Rn. 3,
m.w.N.;
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juni 2010 - 19 Sa 22/10 -, juris, Rn. 26,
m.w.N.).
bb) Nach anderer Auffassung sei die entsprechende Anwendung von § 769
ZPO jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Einwendungen nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, aber noch innerhalb der Berufungsfrist entstanden und bei Einlegen der Berufung bekannt seien. In diesem Fall bleibe es bei der Wahlmöglichkeit der schuldenden Partei, die ihre Vorgehensweise ungehindert selbst steuern könne. Bei Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage stehe die Möglichkeit eines Antrags nach § 769
ZPO ohne die Voraussetzung eines nicht zu ersetzenden Nachteils offen. Erfolge demgegenüber die Einlegung der Berufung, bestehe eine Einstellungsmöglichkeit aufgrund der eindeutigen Regelung des § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG lediglich, wenn durch die Zwangsvollstreckung ein unersetzbarer Nachteil entstünde. Weder trage in dieser Situation das Argument der unzumutbaren kostenbelastenden Berufungsrücknahme noch sei ersichtlich, welches prozedurale Hindernis die schuldende Partei habe solle (
vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Januar 2016 - 19 Sa 63/15 -, juris, Rn. 20;
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. August 2015 - 4 Sa 19/15 -, juris, Rn. 20 f.).
cc) Ohne die oben dargestellte Differenzierung wird unter Verweis auf Wortlaut und Genese vertreten, dass die Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils
i.S.d. § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG auch bei einem auf Beschäftigung oder Weiterbeschäftigung lautenden Titel gelte. Einer analogen Anwendung von § 769
ZPO stehe entgegen, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Für eine entsprechende teleologische Reduktion des § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG mangle es an tragfähigen Gründen. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 62
Abs. 1 Satz 4
ArbGG durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I,
S. 444) die umstrittene Frage der Sicherheitsleistung geklärt, eine Ausnahme vom damals schon umstrittenen Erfordernis eines nicht zu ersetzenden Nachteils aber ausdrücklich geregelt hätte, wenn der klare Wortlaut der Norm nicht seinem Willen entsprochen hätte (
vgl. LAG München, Beschluss vom 11. Juni 2014 - 8 Sa 291/14 -, n.v., unter II. 1. der Gründe;
vgl. auch
LAG Hamm, Beschluss vom 10. November 2008 - 14 Sa 1507/08 -, juris, Rn. 6
ff., insbes. Rn. 11).
c) Unter Berücksichtigung von Wortlaut des § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG und der Genese des § 62
Abs. 1 Satz 4
ArbGG ist die Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils auch im Falle der Einstellung der Zwangsvollstreckung bei einem auf (Weiter-)Beschäftigung gerichteten Titel jedenfalls dann zu erfüllen. Weder kommen eine analoge Anwendung des § 769
ZPO noch eine teleologische Reduktion in Betracht.
aa) Für eine analoge Anwendung des § 769
ZPO fehlt es an der hierfür erforderlichen positiv festzustellenden planwidrigen Regelungslücke.
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf richterliche Rechtsfortbildung nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich vielmehr darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes hintanstellt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (
vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. Juli 2012 - 1 BvR 3142/07 und 1 BvR 1569/08 -, juris, Rn. 75, stRspr).
Es muss demnach festgestellt werden, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers - also der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will - als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle (
vgl. BAG, Urteil vom 21. September 2017 - 2 AZR 57/17 -, juris, Rn. 23;
BAG, Urteil vom 23. Juli 2015 - 6 AZR 490/14 -, juris, Rn. 34;
BAG, Urteil vom 10. Dezember 2013 - 9 AZR 51/13 - juris, Rn. 23).
(2) Nach diesen Grundsätzen ist eine Planwidrigkeit nicht zu erkennen. Der Wortlaut des § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG verweist für die Fälle des § 707
Abs. 1 und § 719
Abs. 1
ZPO eindeutig auf die Voraussetzungen des § 62
Abs. 1 Satz 2
ArbGG und damit auch auf das Erfordernis ein nicht zu ersetzenden Nachteils. Diese Voraussetzungen gelten für die Vollstreckung sämtlicher Titel, die in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren erwirkt wurden. Dass der Gesetzgeber gerade den nicht seltenen, auf (Weiter-)Beschäftigung gerichteten Titel dabei planwidrig übersehen haben soll, erscheint schwerlich denkbar. Vielmehr zeigt die Reaktion des Gesetzgebers auf bestehende Streitfragen zur Einstellung der Zwangsvollstreckung mit oder ohne Sicherheitsleistung, dass er Abweichungen explizit regeln wollte. So wurde durch die Einfügung des § 62
Abs. 1 Satz 4
ArbGG mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I,
S. 444) die zuvor geführte Diskussion, ob die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 62
Abs. 1 Satz 3
ArbGG mit oder ohne Sicherheitsleistung zu erfolgen hat, klargestellt, dass die Zwangsvollstreckung in den Fällen des § 707
Abs. 1 und des 719
Abs. 1
ZPO ohne Sicherheitsleistung eingestellt wird (
vgl. BTDrucks 16/7716,
S. 25). Daraus wird geschlossen, dass der Gesetzgeber durch die unterbliebene Erwähnung der Einstellungsmöglichkeit nach § 769
ZPO gerade in diesen Fällen eine Sonderregelung für das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht für notwendig erachtet hat (
vgl. Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 50,
m.w.N.). Übertragen auf die Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils bedeutet die fehlende ausdrückliche Ausnahme für bestimmte Konstellationen, dass der Gesetzgeber bei Kenntnis bestehender Streitfragen gerade keine Ausnahme von dieser generellen Voraussetzung machen wollte (eine Planwidrigkeit ebenfalls ablehnend
LAG München, Beschluss vom 11. Juni 2014 - 8 Sa 291/14 -, n.v., unter II. 1. der Gründe;
vgl. auch
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. Januar 2016 - 19 Sa 63/15 -, juris, Rn. 20;
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. August 2015 - 4 Sa 19/15 -, juris, Rn. 20).
bb) Auch die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion liegen nicht vor.
(1) Sie ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. Sie setzt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, das heißt der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (
vgl. BAG, Urteil vom 27. September 2017 - 7 AZR 629/15 -, juris, Rn. 31,
m.w.N.).
(2) Die im Rahmen der Prüfung einer planwidrigen Regelunglücke dargestellten Erwägungen zur Genese rechtfertigen auch hier die Annahme, dass die Entstehungsgeschichte gegen eine einschränkende Anwendung der Voraussetzung des nicht zu ersetzenden Nachteils spricht. Sinn und Zweck sprechen ebenso wenig für eine Unanwendbarkeit der Voraussetzung bei einem auf Beschäftigung gerichteten Vollstreckungstitel. Arbeitsgerichtliche Titel sollen schnell und unkompliziert durchsetzbar sein, weshalb von einer engen Auslegung des Begriffs des nicht zu ersetzenden Nachteils auszugehen ist (
vgl. Walker, in: Schwab/Weth,
ArbGG, § 62 Rn. 13; Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 18). Eine einschränkende Anwendbarkeit der Voraussetzung würde dieser in § 62
Abs. 1 Satz 1
ArbGG zum Ausdruck kommenden Zielsetzung zuwiderlaufen. Schließlich erfordert der Zusammenhang mit § 769
ZPO keine einschränkende Anwendbarkeit. Dass der Gesetzgeber verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellt und an unterschiedliche Voraussetzungen knüpft, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht erforderlich, insoweit einen Gleichlauf im Wege einer einschränkenden Anwendbarkeit zu konstruieren.
cc) Die Anwendung des § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG gemäß dem Wortlaut ist mit den Grundsätzen der Verfassung vereinbar.
(1) So hat das Bundesarbeitsgericht bereits ausgeführt, dass Anhaltspunkte für die rechtliche Beurteilung, die gesetzliche Vorschrift des § 62
Abs. 1 Satz 2 und 3
ArbGG sei insgesamt verfassungswidrig, nicht ersichtlich seien. Das Erfordernis des "nicht zu ersetzenden Nachteils" gelte für Beschäftigte sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gleichermaßen. Ob es im Einzelfall erfüllt sei, bleibe der entsprechenden gerichtlichen Prüfung vorbehalten, begründe aber nicht den Schluss, dass der Gesetzgeber generell mit den Erfordernissen dieser Vorschrift seinen Gestaltungsspielraum in nicht verfassungsgemäßer Weise ausgeübt habe (
vgl. BAG, Beschluss vom 5. November 2003 - 10 AZB 59/03 -, juris, Rn. 12).
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt keine Verletzung des Anspruchs auf Justizgewährleistung vor, der sich für den Zivilprozess - und damit auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren - aus
Art. 2
Abs. 1
i.V.m. Art. 20
Abs. 3
GG ergibt.
(a) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in zivilrechtlichen Streitigkeiten - ebenso wie
Art. 19
Abs. 4 Satz 1
GG für den Bereich des öffentlichen Rechts - nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch die Richterin oder den Richter. Die Gewährleistung schließt eine gesetzliche Ausgestaltung der Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs allerdings nicht aus. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für Rechtssuchende einschränkend auswirken. Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen die einzelne rechtsuchende Person nicht unverhältnismäßig belasten. Darin findet die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zugleich ihre Grenze. Der Rechtsweg darf danach nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe der genannten Art nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Das gilt auch für das mit der Rechtsverfolgung verbundene Kostenrisiko. Mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Justizgewährungspflicht ist es nicht vereinbar, wenn die rechtssuchende Partei mit einem Kostenrisiko belastet würde, das außer Verhältnis zu ihrem subjektiven Interesse an dem Verfahren steht (
vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 2. März 1993 - 1 BvR 249/92 -, juris, Rn. 21,
m.w.N.;
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 -, juris, Rn. 27 f.).
(b) Dies zu Grunde gelegt, verstößt es nicht gegen den Justizgewährungsanspruch, dass nach eingelegter Berufung die Einstellung der Zwangsvollstreckung an strengere Voraussetzungen geknüpft wird als bei einer Vollstreckungsabwehrklage. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit der Gesetzgeber dadurch seinen Gestaltungsspielraum überschritten hätte.
Der Schuldnerin wird es nicht unmöglich gemacht, zu einer vollständigen Überprüfung ihrer Angelegenheit - hier des erstinstanzlich ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruchs unter Berücksichtigung sämtlicher Einwendungen - zu kommen. Dies kann im Wege der Berufung erfolgen, mit der nicht nur die erstinstanzlich erhobenen Einwendungen, sondern auch neu eingetretene, dem Anspruch entgegenstehende Umstände geltend gemacht werden können. Dass die Zwangsvollstreckung in dieser Lage mit dem Erfordernis des nicht zu ersetzenden Nachteils an strengere Voraussetzung geknüpft wird als bei einer Vollstreckungsabwehrklage, mit der gemäß § 767
Abs. 2
ZPO nur nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstandene Einwendungen geltend gemacht werden können, führt nicht dazu, dass der Schuldnerin Einwendungen abgeschnitten werden. Sie kann sie im Wege der Berufung geltend machen.
Es besteht auch kein faktischer Zwang, um den Preis einer erleichterten Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung nach § 769
ZPO einstweilen eingestellt zu bekommen, einen solchen Verlust in Kauf zu nehmen. Denn Einwendungen gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch, die unabhängig von der Rechtsunwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung sind und bereits erstinstanzlich erhoben, vom Arbeitsgericht aber nicht als dem Beschäftigungsanspruch entgegenstehend gewürdigt wurden, erweisen sich in den meisten Fällen als solche Umstände, die einen nicht zu ersetzenden Nachteil darstellen können, etwa die Unmöglichkeit der Beschäftigung oder die Gefahr einer Schadensverursachung bei Beschäftigung des Arbeitnehmers. Fallgestaltungen, bei der erstinstanzlich gegen den (Weiter-)Beschäftigungsanspruch erhobene Einwendungen nicht im Rahmen des nicht zu ersetzenden Nachteils Berücksichtigung fänden, hat die Beklagte nicht aufgezeigt; sie sind auch nicht ersichtlich. Dass solche bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Erkenntnisverfahrens waren, hindert eine Berücksichtigung im Rahmen des § 62
Abs. 1 Satz 3
i.V.m. Satz 2
ArbGG nicht (
vgl. BAG, Beschluss vom 15. April 2009 - 3 AZB 93/08 -, juris, Rn. 26, das ausdrücklich auf § 62
Abs. 1 Satz 2 und Satz 3
ArbGG verweist; ebenso Walker, in: Schwab/Weth,
ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 82 Fn. 6; a.A. unter Verweis auf das
BAG, a.a.O.: Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 22).
Ebenso wenig führt die höhere Kostenlast, die sich aus einer aufgespalteten Prüfung im Weg der beschränkten Berufung und der Vollstreckungsabwehrklage ergibt, zu einer Unvereinbarkeit mit dem Justizgewährungsanspruch. Es ist nicht ersichtlich, dass die Prüfung in zwei Verfahren und das damit verbundene Kostenrisiko die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der oder des Einzelnen überstiege oder die Beschreitung des Rechtsweges sich als praktisch unmöglich darstellte, weil das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis stünde, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erschiene (
vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 -, juris, Rn. 33).
(c) Im Ausgangsverfahren jedenfalls erweist sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit zudem nicht als entscheidungserheblich. Denn die Beklagte hat weder erstinstanzlich noch in ihrer Berufungsbegründung Umstände aufgezeigt, die dem Weiterbeschäftigungsanspruch unabhängig von der Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge bereits bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entgegengestanden wären. Zudem war die Beklagte mit Blick auf den zeitlichen Ablauf in der Lage, eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auf Grundlage des § 769
ZPO zu beantragen. Denn die weiteren Kündigungen vom 24. November 2017 sind als neue Einwendung vor Einlegung der Berufung am 7. Dezember 2017 ausgesprochen worden, so dass die Beklagte nicht außer Stande war, eine auf die Kündigungsschutzanträge beschränkte Berufung sowie eine mit einem Antrag nach § 769
ZPO verbundene Vollstreckungsabwehrklage einzulegen und jeglichen aus ihrer Sicht drohenden Rechtsverlust durch eigenes Handeln zu verhindern.
d) Bedarf es demnach eines nicht zu ersetzenden Nachteils, liegt ein solcher nicht vor.
aa) Ein nicht zu ersetzender Nachteil
i.S.v. § 62
Abs. 1 Satz 2
ArbGG ist mehr als ein lediglich schwer zu ersetzender Nachteil. Ein solcher ist allein dann anzunehmen, wenn er nicht abgewendet oder bei Wegfall des Vollstreckungstitels nicht durch Geld oder andere Mittel ausgeglichen werden kann (
vgl. LAG München, Beschluss vom 16. Mai 2017 - 6 Sa 203/17 -, n.v., unter II. 2. b. der Gründe;
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. August 2008 -5 Sa 52/08 -, juris, Rn. 27; Walker, in: Schwab/Weth,
ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 16).
Die Tatsache der Weiterbeschäftigung allein stellt keinen solchen nicht zu ersetzenden Nachteil für die Arbeitgeberin als Vollstreckungsschuldnerin dar. Für die mit der Beschäftigung verbundene Entgeltzahlung erhält diese im Gegenzug die übliche Arbeitsleistung. Allein die Einschränkung der Handlungsfreiheit, die für die Arbeitgeberin mit dem Zwang zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verbunden ist, ist nicht bereits ein unersetzbarer Nachteil
i.S.d. § 62
Abs. 1 Satz 2
ArbGG. Anderenfalls wäre ein Weiterbeschäftigungsanspruch vor Rechtskraft eines insoweit stattgebenden Urteils nicht vollstreckbar. Deshalb ist die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Weiterbeschäftigungstitel nur bei Vorliegen besonderer Umstände denkbar - etwa dem Wegfall des betreffenden Arbeitsplatzes und der daraus resultierenden objektiven Unmöglichkeit der Beschäftigung oder bei konkret zu befürchtenden Schäden, die bei einer tatsächlichen Beschäftigung drohten, oder sonstiger atypischer Umstände, die im Einzelfall mit einer Beschäftigung verbunden sein mögen (
vgl. LAG München, Beschluss vom 7. April 2014 - 4 Sa 148/14 -, n.v., unter 1. a) der Gründe; Walker, in: Schwab/Weth,
ArbGG, 5. Aufl. 2018, § 62 Rn. 19; Schleusener, in: Germelmann
et al.,
ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 62 Rn. 22).
bb) Solche Umstände hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Sie sind auch nicht ersichtlich.
3. Nach § 62
Abs. 1 Satz 5
ArbGG ergeht die Entscheidung durch unanfechtbaren Beschluss, so dass ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.