Urteil
Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung
Gericht:
LAG Schleswig-Holstein 1. Kammer
Aktenzeichen:
1 Sa 305/08
Urteil vom:
21.04.2009
LAG Schleswig-Holstein 1. Kammer
1 Sa 305/08
21.04.2009
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 05.08.2008, Az. 3 Ca 133/08, teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 17.01.2008 beendet worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagte zu ¾ und die Klägerin zu ¼.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die am …1956 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1998 bei der Beklagten als Ausbilderin für den Ausbildungsbereich Hauswirtschaft zu einem Bruttomonatseinkommen von zuletzt EUR 3.300,00 tätig. In Ziff. 6 des Arbeitsvertrages vom 01./04.08.1999 (Bl. 32 f. d. A.) ist als regelmäßiger Beschäftigungsort H... vereinbart. In Ziff. 14 des Arbeitsvertrages haben die Parteien vereinbart, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit auch Unterricht im Hauswirtschaftsbereich erteilt und die sozialpädagogische Betreuung ihrer Teilnehmer/innen wahrnimmt. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80. Sie ist stellvertretendes Mitglied des Betriebsrates und stellvertretendes Mitglied der Schwerbehindertenvertretung. Die Beklagte, deren satzungsmäßiger Zweck die Förderung von Bildung und Qualifizierung vornehmlich von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist, unterhält im gesamten Gebiet der alten Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland Geschäftsstellen. Die Beklagte und deren Tochtergesellschaft i...-A...- und B...gesellschaft des b... mbH (im Folgenden: i...) bilden unstreitig einen einheitlichen Betrieb. Die Geschäftsstelle S...-H... N... der Beklagten führt in den Berufsbildungsstätten H..., F... und K... Berufsbildungsmaßnahmen durch. Sie wird getragen von der Beklagten und der i.... Nachdem die Beklagte zunächst den Entschluss gefasst hatte, die Geschäftsstelle H... wegen anhaltend negativer Ergebnisse zum 31.12.2007 zu schließen und deshalb am 15.03.2007 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich abgeschlossen hatte, wurden der Beklagten wider Erwarten im Spätherbst 2007 für die Berufsbildungsstätte H... neue Maßnahmen für das Jahr 2008 übertragen, allerdings nicht im Bereich Hauswirtschaft.
Bildungsmaßnahmen im Bereich Hauswirtschaft werden seit dem Jahr 2009 nicht mehr durchgeführt. Mit Schreiben vom 13.09.2007 (Bl. 42-45 und 47-50 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung zu der von ihr beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 20.09.2007 (Bl. 46 d. A.) der Kündigungsabsicht. Auf Antrag der Beklagten stimmte die Fürsorgestelle für Schwerbehinderte des Kreises N... mit Bescheid vom 18.12.2007 (Bl. 55-60 d. A.) der beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung zu. Die Beklagte hörte daraufhin sowohl den Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung nochmals zur beabsichtigten Kündigung an. Nunmehr stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 17.01.2008 (Bl. 69 d. A.) zu. Mit Schreiben vom 17.01.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin sodann fristgerecht zum 30.06.2008 (Bl. 4 d. A.). Die Klägerin legte gegen den Bescheid des Kreises N... mit Anwaltsschreiben vom 18.01.2008 Widerspruch ein. Die Beklagte hatte infolge des mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleichs den in der Bildungsstätte H... beschäftigten 38-jährigen Ausbilder B..., der seit dem 01.10.2006 bei der Beklagten beschäftigt war, im März 2008 auf die Stelle eines Bildungsbegleiters in der Bildungsstätte F... versetzt. Anfang Januar 2008, d. h. vor Zugang der streitgegenständlichen Kündigung, hatte der in der Bildungsstätte F... beschäftigte Bildungsbegleiter S... gekündigt. Auf dessen Stelle bewarb sich die Klägerin am 05.02.2008. Daraufhin stellte die Beklagte am 11.02.2008 beim Betriebsrat einen Antrag nach § 100 BetrVG auf vorläufige Einstellung der Klägerin als Bildungsbegleiterin (Bl. 88 f. d. A.). Der Betriebsrat widersprach der Einstellung der Klägerin, da diese das Anforderungsprofil eines Bildungsbegleiters zurzeit nicht erfülle. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 12.02.2008 mit, dass sie deren Bewerbung wegen des Widerspruchs des Betriebsrats nicht berücksichtigen könne, da ein Zustimmungsverfahren in der Kürze der Zeit nicht durchführbar sei (Bl. 91 d. A.). Ausweislich der Verdingungsunterlagen der Agentur für Arbeit sind die Anforderungsprofile des Personals wie folgt festgelegt (Bl. 144 f. d. A.): "Als Mindeststandard wird bei der Lehrkraft ein …
Als Mindeststandard wird beim Sozialpädagogen ein abgeschlossenes Studium der Sozialpädagogik/-arbeit erwartet. Alternativ kann auch der Abschluss als staatlich anerkannter Erzieher mit einschlägiger Zusatzqualifikation anerkannt werden, soweit er mindestens über eine dreijährige berufliche Erfahrung mit der Zielgruppe verfügt. Als Mindeststandard wird beim Ausbilder ein Abschluss (Berufsausbildung oder Studium) erwartet. Die Ausbilder müssen über mindestens dreijährige Erfahrung in der Ausbildung in dem Berufsfeld, in dem er ausbilden soll verfügen. Als Mindeststandard wird beim Bildungsbegleiter ein Abschluss (Berufsausbildung oder Studium) erwartet. Die Bildungsbegleiter müssen über eine mindestens dreijährige Berufserfahrung verfügen, davon mindestens eine zweijährige Erfahrung in der beruflichen sowie sozialen Eingliederung der Zielgruppe und eine einjährige betriebliche Erfahrung. Kenntnisse der Bildungslandschaft sowie der Anforderungen in den Berufen und am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind unabdingbar. Außerdem erfordern die Aufgaben des Bildungsbegleiters Kommunikationsfähigkeit, Sozialkompetenz, Organisationskompetenz sowie ein stark kundenorientiertes Verhalten. Unabhängig hiervon gelten die Voraussetzungen als erfüllt, wenn die Tätigkeit eines Bildungsbegleiters bereits in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme nach neuem Fachkonzept für einen Zeitraum von mindestens 9 Monaten ausgeübt wurde. Zeiten einer Berufsausbildung gelten nicht als Berufserfahrung. Beim Bildungsbegleiter ist Personalunion mit anderen Funktionen innerhalb der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme ausgeschlossen. …" Die Klägerin hat am 30.01.2008 vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich einen Weiterbeschäftigungsantrag bezogen auf die Tätigkeit als Ausbilderin zu unveränderten Bedingungen gestellt. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 05.08.2008 in vollem Umfang stattgegeben. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor. Die Beklagte habe die Möglichkeit gehabt, die Klägerin auf dem Arbeitsplatz des ehemaligen Bildungsbegleiters S... in F... zu beschäftigen. Dieser Arbeitsplatz sei zum Zeitpunkt der Kündigung frei gewesen. Die Klägerin sei für die Stelle einer Bildungsbegleiterin auch geeignet. Dies habe die Beklagte ebenso gesehen, wie das von ihr eingeleitete Zustimmungsverfahren nach § 100 BetrVG zeige. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei der Beklagten trotz des Widerspruchs des Betriebsrats auch zumutbar gewesen, zumal die Widerspruchsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG nicht tragfähig gewesen seien. Die Beklagte habe die Einstellung der Klägerin vorläufig vornehmen können. Auch der Klägerin sei die Beschäftigung als Bildungsbegleiterin trotz der geringeren Vergütung zuzumuten gewesen. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25.02.1985 (BAG-GS 1/84) begründet.
Gegen dieses ihr am 14.08.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.08.2008 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 14.11.2008 am 29.10.2008 begründet. Die Beklagte trägt vor, eine Sozialauswahl habe nicht stattfinden müssen, da sie keine mit der Klägerin vergleichbaren Mitarbeiter beschäftige. Eine Versetzung in eine andere Bildungsstätte sei ausgeschlossen, da mit der Klägerin als regelmäßiger Beschäftigungsort H... vereinbart worden sei. Mithin seien nur die Mitarbeiter der Ausbildungsstätte H... in die Sozialauswahl mit einzubeziehen. Im Übrigen sei der Arbeitsplatz der Klägerin auch nicht mit dem bei der i... vorhandenen Arbeitsplatz eines Bildungsbegleiters vergleichbar. Dieser sei nach dem dortigen Gehaltstarifvertrag mit ca. € 2.200,00 dotiert, während ein Ausbilder nach dem Gehaltstarifvertrag der Beklagten € 3.060,00 verdiene. Die Klägerin habe aber auch nicht im Wege einer Änderungskündigung auf dem Arbeitsplatz des ehemaligen Mitarbeiters S... weiterbeschäftigt werden können. Die Klägerin sei eingestellt als Ausbilderin im Bereich Hauswirtschaft. Über die von der Bundesagentur für Arbeit festgelegten Mindeststandards für die Bildungsbegleitung müssten zusätzliche Qualifikationen vorliegen (siehe Auflistung Seite 7 der Berufungsschrift, Bl. 139 d. A.). Diese ergäben sich auch aus den Stellenanzeigen (Bl. 146 d. A.). Gemeinsam mit dem Betriebsrat sei sie zu der Erkenntnis gelangt, dass die Klägerin dieses Anforderungsprofil nicht erfülle. Sie verfüge über keine EDV-Kenntnisse und keine Kenntnisse über die Verfahren von Eignungsanalysen und das Erstellen von Qualifizierungsplänen. Außerdem schien es dem Betriebsrat nicht zumutbar, dass die Klägerin ständig Ausbildungsbetriebe aussuchen sollte, da nicht bei allen Betrieben ein barrierefreier Zugang unterstellt werden könne. Angesichts dessen sei es ihr auch unbenommen gewesen, ihren Zustimmungsantrag nach § 99 Abs. 1 BetrVG zur Einstellung der Klägerin wieder zurückzuziehen. Es sei auch nicht zu beanstanden gewesen, dass ihr erst aufgrund der Erörterung mit dem Betriebsrat klar geworden sei, dass die Klägerin das Anforderungsprofil für eine Bildungsbegleiterin nicht erfülle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 5. August 2008, Az.: 3 Ca 133/08, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beklagte sei selbst davon ausgegangen, dass sie, die Klägerin, die fachliche Qualifikation für die Stelle einer Bildungsbegleiterin habe. Sie habe in der Unterrichtung nach § 100 BetrVG selbst auf § 6 der KBV Stellenausschreibung und Auswahlrichtlinien (Bl. 212 ff. d. A.) hingewiesen. Danach finde eine Auswahl von Bewerbern nur bei gleichwertigen Qualifikationen statt. Im Übrigen bestreitet die Klägerin, dass überhaupt eine Erörterung zwischen Beklagter und Betriebsrat stattgefunden habe. Die Beklagte habe zudem das Anforderungsprofil eines Bildungsbegleiters in der Berufungsbegründung falsch wiedergegeben. Die von der Beklagten vorgelegte Stellenausschreibung betreffe ein völlig anderes Unternehmen und eine völlig andere Stelle. Die allgemeinen Voraussetzungen aus der Verdingungsordnung und auch die Voraussetzungen aus der von der Beklagten vorgenommenen Stellenausschreibung erfülle sie. Als Ausbilderin habe sie regelmäßig Kontakt zu Betrieben aufnehmen müssen, um für ihre Auszubildenden Praktikumsplätze zu finden. Etwaige Qualifikationsdefizite hätten innerhalb einer der Beklagten zumutbaren Nachschulung ausgeglichen werden können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 21.04.2009 verwiesen.
ArbG Flensburg Urteil vom 05.08.2008 - 3 Ca 133/08
R/R4450
Informationsstand: 27.01.2010