Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 26. Januar 2010 - 6 Ga 7/09 - teilweise abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Parteien streiten in dem einstweiligen Verfügungsverfahren über die Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers als Profilfräser für die Dauer der Kündigungsfrist und bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzverfahrens.
Die Verfügungsbeklagte stellt Maschinen zur Textilherstellung her. Der am XX.XX.19XX geborene, mit einem
GdB von 50 schwerbehinderte Verfügungskläger ist seit 1987, zuletzt als Profilfräser, zu einer Bruttomonatsvergütung von 3024,00
EUR bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt.
Im Frühjahr 2009 entschloss sich die Verfügungsbeklagte verschiedene Betriebsänderungen durchzuführen, die zum Wegfall von etwa 380 Stellen führen sollen und vereinbarte mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. In Umsetzung der Betriebsänderungen beabsichtigte die Verfügungsbeklagte auch das Arbeitsverhältnis des Verfügungsklägers zu kündigen und beantragte am 6. Juni 2009 beim Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Verfügungsklägers, die mit Bescheid vom 6. Juli 2009 verweigert und auf den Widerspruch hin am 5. November 2009 erteilt wurde. Bis 15. Juli 2009 erbrachte der Verfügungskläger seine Arbeitsleistung und befand sich sodann in Erholungsurlaub. Ab 16. August 2009 wurde er nicht mehr beschäftigt. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2009 stellte die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger von der Arbeitsleistung frei. Daraufhin beantragte der Verfügungskläger am 12. Oktober 2009 der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Verfügungskläger zu ansonsten unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Profilfräser in der A zu beschäftigen. Dieses Verfahren wurde beim Arbeitsgericht Offenbach unter dem Aktenzeichen 6 Ga 6/09 geführt. Mit Urteil vom 10. November 2009 wies das Arbeitsgericht Offenbach den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Die Entscheidung wurde rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 6. November 2009 hörte die Verfügungsbeklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung des Verfügungsklägers zum 30. Juni 2010 an. Unter dem 12. November 2009 widersprach der Betriebsrat dieser Maßnahme. Am selben Tag kündigte die Verfügungsbeklagte das mit dem Verfügungskläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2010 (Blatt 7 der Akten). Die hiergegen vom Verfügungskläger erhobene Kündigungsschutzklage wird beim Arbeitsgericht Offenbach unter dem Aktenzeichen 6 Ca 534/09 geführt. Mit Schreiben vom 25. November 2009 (Blatt 10 der Akten) verlangte der Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten die Weiterbeschäftigung nach
§ 102 Abs. 5 BetrVG auch für die Zeit vor Ablauf der Kündigungsfrist. Dem kam die Verfügungsbeklagte nicht nach.
Mit seinem am 23. Dezember 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt der Verfügungskläger die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Der Verfügungskläger ist der Auffassung, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus dem allgemeinen Beschäftigungsanspruch sowie aus § 102
Abs. 5
BetrVG.
Der Verfügungskläger hat beantragt,
die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, den Verfügungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens mit dem Aktenzeichen 6 Ca 534/09 vor dem Arbeitsgericht Offenbach als Profilfräser zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses in der A weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, aufgrund der Entscheidung des Arbeitsgerichts Offenbach vom 10. November 2009 - 6 Ga 6/09 - stehe rechtskräftig fest, dass der Verfügungskläger auf der Basis des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs keine Weiterbeschäftigung verlangen könne. § 102
Abs. 5
BetrVG gelte nur für die Beschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Die Verfügungsbeklagte behauptet, ihr sei eine Beschäftigung des Verfügungsklägers unmöglich.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung teilweise stattgegeben und die Verfügungsbeklagte verurteilt, den Verfügungskläger bis zum 30. Juni 2010 als Profilfräser weiterzubeschäftigen. Es hat gemeint, die Entscheidung der Kammer vom 10. November 2008 - 6 Ga 6/09 - stehe einer Sachentscheidung nicht entgegen, da in dem dortigen Rechtsstreit das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitpunkt der Entscheidung nicht gekündigt war. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Verfügungsklägers sei widersprüchlich, so dass dem Interesse des Verfügungsklägers an seiner Weiterbeschäftigung Vorrang gegenüber dem Interesse der Verfügungsbeklagten an der Nichtbeschäftigung einzuräumen sei. Für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist hat das Arbeitsgericht den Antrag abgewiesen, da kein Verfügungsgrund vorliege. Wegen der Einzelheiten der Begründung der Entscheidung des Arbeitsgerichts wird auf das Urteil (Blatt 41 bis 50 der Akten) verwiesen.
Gegen dieses Urteil, das beiden Parteivertretern am 29. Januar 2010 zugestellt wurde, hat die Beklagte mit einem am 3. Februar 2010 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 4. März 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Verfügungskläger hat mit einem am 8. April 2010 eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Verfügungsbeklagte rügt, das Arbeitsgericht hätte aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung vom 10. November 2009 keine erneute Sachentscheidung treffen dürfen. Im Übrigen vertieft sie ihr Vorbringen zur Unmöglichkeit einer Beschäftigung des Verfügungsklägers.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 26. Januar 2010 - 6 Ga 7/09 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Verfügungskläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und das angefochtene Urteil abzuändern und der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, den Verfügungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens mit dem Aktenzeichen 6 Ca 534/09 vor dem Arbeitsgericht Offenbach als Profilfräser zu den bisherigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses weiterzubeschäftigen.
Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts Offenbach in dem Verfahren 6 Ga 6/09 stehe hier einer Sachentscheidung nicht entgegen da sich aufgrund der ausgesprochenen Kündigung sowie aus dem Widerspruch des Betriebsrats ein neuer Lebenssachverhalt ergebe. Der Verfügungskläger behauptet, es sei der Verfügungsbeklagten nach wie vor möglich, ihn tatsächlich zu beschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts, soweit die Klage abgewiesen wurde, als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
I.
Berufung und Anschlussberufung sind statthaft, § 8
Abs. 2
ArbGG, §§ 511
Abs. 1
ZPO, § 64
Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz, § 524
ZPO. Sie sind auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66
Abs. 1
ArbGG, § 519, § 520, § 524
Abs. 2 und 3
ZPO und damit insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist begründet.
Die Rechtskraft der Entscheidung des Arbeitsgerichts Offenbach vom 10. November 2009 - 6 GA 6/09 - steht, soweit das Arbeitsgericht im vorliegenden Verfahren der Klage stattgegeben hat, einer Sachentscheidung entgegen. Die Rechtskraftwirkung setzt eine Identität der Streitgegenstände voraus. Streitgegenstand ist der als das Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung verstandene prozessuale Anspruch. Er wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt. Zum Streitgegenstand sind dabei alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens unterbreitet hat (
BAG 15. September 2009 - 3 AZR 173/08 - NZA 2010, 342, Randnummer 22).
In dem Rechtsstreit 6 Ga 6/09 vor dem Arbeitsgericht Offenbach war Streitgegenstand die Beschäftigung des Verfügungsklägers in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Im vorliegenden Rechtsstreit ist Streitgegenstand zum einen die Weiterbeschäftigung im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist sowie darüber hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Hieraus folgt, dass eine Identität der Streitgegenstände vorliegt, soweit es im vorliegenden Verfahren um die Beschäftigung bis zum Ende der Kündigungsfrist geht. Dies ergibt sich zum einen aus dem insoweit identischen Klageantrag. Zum anderen ist auch der zu Grunde liegende Lebenssachverhalt derselbe. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (27. Februar 1985 - GS 1/84 - NZA 1985,702) ist der Arbeitgeber gemäß § 611, § 613 in Verbindung mit § 242
BGB, ausgefüllt durch die Wertentscheidungen der Artikel 1 und 2 Grundgesetz, grundsätzlich verpflichtet seinen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser es verlangt. Dieser allgemeine Beschäftigungsanspruch muss allerdings dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Diese Rechtslage gilt im ungekündigten sowie im gekündigten Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist gleichermaßen. Eine Zäsur tritt damit nicht mit dem Ausspruch der Kündigung, sondern erst mit dem Ende der Kündigungsfrist ein. Nach der Rechtsprechung des Großen Senats begründet - abgesehen von den Fällen der offensichtlich unwirksamen Kündigung - die Unsicherheit über die Wirksamkeit der Kündigung ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers, den gekündigten Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsprozesses nicht zu beschäftigen. Diese Rechtsfolge knüpft jedoch nicht an den Ausspruch der Kündigung, sondern an das Ende der Kündigungsfrist an. Dies zeigt, dass der den beiden einstweiligen Verfügungsverfahren zu Grunde liegende Lebenssachverhalt im ungekündigten und im gekündigten Arbeitsverhältnis bis zum Ende der Kündigungsfrist identisch ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Betriebsrat der Kündigung nach § 102
Abs. 3
BetrVG widersprochen hat. Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102
Abs. 5
S. 1
BetrVG entsteht erst nach Ablauf der Kündigungsfrist (KR-Etzel, 9. Aufl., § 102
BetrVG Rn. 195; Schrader/Straube, RdA 2006, 98, 103). Hierfür spricht nicht nur der klare Gesetzeswortlaut ("nach Ablauf der Kündigungsfrist"), sondern auch der Sinn und Zweck des besonderen Weiterbeschäftigungsanspruchs. Dieser besteht darin, dem Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens die Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten, wenn der Betriebsrat widersprochen hat. Vor Ablauf der Kündigungsfrist ist der Arbeitnehmer durch den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch (
BAG GS 1/84, NZA 1985,702) ausreichend geschützt. Deshalb trifft es auch nicht zu, wenn Fitting (
BetrVG, § 102 Rn. 106) meint, der Arbeitnehmer könne seine Weiterbeschäftigung nach § 102
Abs. 5
BetrVG schon vor Ablauf der Kündigungsfrist verlangen, weil sonst eine Lücke in der Beschäftigung entstünde.
III.
Die Anschlussberufung ist nicht begründet.
Insoweit hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass es für die geltend gemachte Beschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist (30. Juni 2010) am Vorliegen eines Verfügungsgrundes fehlt, § 62
Abs. 2 Satz 1
ArbGG i.V.m. §§ 935, 940
ZPO. Das Arbeitsgericht weist zutreffend darauf hin, dass der Anspruch nach § 102
Abs. 5
BetrVG in dem Kündigungsschutzverfahren 6 Ca 534/09 vor dem Arbeitsgericht Offenbach geltend gemacht und insoweit rechtzeitig Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann.
IV.
Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91
Abs. 1
ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
V.
Gegen diese Entscheidung ist die Revision nicht zulässig, § 72
Abs. 4
ArbGG.