Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 10. Juli 2009 - 6 Ca 1430/08 - geringfügig im zweiten Absatz des Tenors wie folgt geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens, längstens bis 31. März 2011, zu unveränderten Arbeitsbedingungen als leitenden Arzt des Instituts für Laboratoriumsdiagnostik der Beklagten weiter zu beschäftigen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung sowie über die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Der am XX.XX.19XX geborene, mit einem
GdB von zunächst 40 mit Wirkung seit 26. Februar 2009 (Bescheid vom 16. April 2009) von 60 schwerbehinderte Kläger war bei ihr
bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit 1. September 1992 als leitender Arzt des Instituts für Laboratoriumsdiagnostik zu einer Bruttomonatsvergütung von 6.000,00
EUR beschäftigt. Nach § 23
Abs. 3 des Anstellungsvertrages kann das Beschäftigungsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
Im Kalenderjahr 2006 fehlte der Kläger an 28 Arbeitstagen krankheitsbedingt. Vom 29. Januar 2007 bis 11. Februar 2008 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Sodann fehlte er jeweils am 28. April 2008, 6. Mai 2008, 11., 12., 17., 18, 19. und 20. Juni 2008, am 16., 17., 20. Juli 2008 sowie am 21. August 2008 krankheitsbedingt. Hieran schloss sich einer Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 4. September bis 13. Oktober 2008 an. Auch am 20. Oktober 2008 fehlte der Kläger krankheitsbedingt. Seit 3. November 2008 ist er durchgängig arbeitsunfähig krank.
Im Kalenderjahr 2007 entstanden der Beklagten Entgeltfortzahlungskosten für den Kläger in Höhe von 29.537,11
EUR und im Jahr 2008 von 18.533,37
EUR.
Mit Schreiben vom 4., 10. und 11. November 2008 lud die Beklagte den Kläger zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ein. Unter Bezugnahme auf seine Erkrankung teilte der Kläger mit Schreiben vom 12. November 2008 (Blatt 44 der Akten) mit, dass er an dem vorgeschlagenen Termin nicht teilnehmen kann.
Ursache der Fehlzeiten in den Jahren 2007 bis 2008 war eine reaktive Depression. Nach zunächst erfolgloser ambulanter Behandlung begab sich der Kläger in der Zeit vom 26. Februar 2009 bis 29. April 2009 in eine Spezialklinik am Chiemsee.
Mit Schreiben vom 26. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2009.
Hiergegen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für die Kündigung liege nicht vor. Der Kläger behauptet, er sei als arbeitsfähig aus der stationären Therapie entlassen worden und habe am 4. Mai 2009 der Beklagten seine Arbeitskraft angeboten. Deshalb liege eine negative Prognose nicht vor. Die reaktive Depression sei auf die Bedingungen an seinem Arbeitsplatz zurückzuführen. Ferner sei der Betriebsrat nicht ausreichend über die Kündigungsgründe unterrichtet worden.
Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 10. Juli 2009 (Blatt 81 bis 83 der Akten) gemäß § 69
Abs. 2
ArbGG Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Wirksamkeit der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung scheitere am Vorliegen einer Negativprognose. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Kläger zur Behandlung in einer Spezialklinik befunden, was der Beklagten bekannt war. Im Gegensatz zur zuvor erfolglos durchgeführten ambulanten Therapie habe der Kläger nunmehr eine stationäre Behandlung gewählt. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 26. März 2009 hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die vom Kläger gewählte Behandlungsmethode keinen Erfolg haben könnte. Es sei der Beklagten zuzumuten gewesen, den Abschluss der stationären Behandlung abzuwarten. Sei damit die Kündigung unwirksam, stehe dem Kläger auch ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu.
Gegen dieses Urteil, das der Beklagten am 27. Juli 2009 zugestellt wurde, hat sie mit einem am 18. August 2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 27. Oktober 2009 am 19. Oktober 2009 begründet.
Das Arbeitsgericht habe der Kündigungsschutzklage zu Unrecht stattgegeben. Der Beklagten sei bis zum Kammertermin im Mai 2009 nicht bekannt gewesen, an welcher Erkrankung der Kläger litt. Ihr sei lediglich bekannt gewesen, dass sich der Kläger nach eigenen Angaben in einer Klinik aufhielt. Am 3. März 2009 sei bei ihr eine Bescheinigung der Klinik eingegangen, nach der sich der Kläger seit 26. Februar 2009 dort bis auf weiteres in stationärer Behandlung befinde (Blatt 194 der Akten). Der Vortrag des Klägers, die reaktive Depression sei auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen werde bestritten. Der Kläger genieße nicht den besonderen Kündigungsschutz eines Schwerbehinderten, da die Beklagte erstmals im Kammertermin vom 2. Juni 2009 hiervon Kenntnis erlangt habe. Der Betriebsrat sei zur Kündigung ordnungsgemäß angehört worden (Blatt 287 bis 289 der Akten). Der Weiterbeschäftigungsanspruch sei auch deshalb unbegründet, weil sich die Beklagte am 9. Juni 2009 entschlossen habe, die Stelle des Klägers zu streichen und deshalb mit Schreiben vom 25. November 2009 nach Anhörung des Betriebsrats und Zustimmung des Integrationsamts außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31. März 2011 kündigte (Blatt 230 der Akten). Die Laborleistungen würden durch eine Kooperation mit der A
GmbH gewährleistet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main - 6 Ca 1430/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen soweit das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 26. März 2009 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt wurde, den Kläger ab 1. Juli 2009 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als leitenden Arzt des Instituts für Laboratoriumsdiagnostik weiterzubeschäftigen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Das Arbeitsgericht habe richtig erkannt, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass die vom Kläger gewählte Behandlungsmethode keinen Erfolg haben könnte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
I.
Die Berufung ist statthaft, § 8
Abs. 2
ArbGG, §§ 511
Abs. 1
ZPO, 64
Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66
Abs. 1
ArbGG, § 519, § 520
ZPO und damit insgesamt zulässig.
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die außerordentliche Kündigung vom 26. März 2009 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30. September 2009 aufgelöst hat. Eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626
BGB wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist, wobei grundsätzlich eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist (Bundesarbeitsgericht 18. Oktober 2000 -
2 AZR 627/99 - BAGE 96,65). An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist allerdings schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen, so dass nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber im Sinne des § 626
Abs. 1
BGB unzumutbar sein kann (Bundesarbeitsgericht 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - AP
Nr. 13 zu § 626
BGB-Krankheit, Rn. 25). Erforderlich ist das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit können die Gefahr künftiger Erkrankungen indizieren, wenn dem nicht die objektiven Verhältnisse bei Zugang der Kündigung entgegenstehen (Bundesarbeitsgericht 10. November 2005 -
2 AZR 44/05 - NZA 2006,655, Randnummer 23).
Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, liegt eine negative Gesundheitsprognose nicht vor. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung befand sich der Kläger in einer stationären Behandlung. Dies war der Beklagten auch bekannt. Erst nach dem Ende der stationären Behandlung konnte eine Prognose hinsichtlich weiterer Fehlzeiten des Klägers gestellt werden. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung lagen daher keine objektiven Tatsachen vor, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigten.
Auch wenn sich aus der Bescheinigung der Klinik nicht ergab, wie lange der Klinikaufenthalt andauern würde, war es der Beklagten insbesondere im Hinblick auf den langjährigen Bestand des Arbeitsverhältnisses zuzumuten, sich zu erkundigen, wie lange die stationäre Therapie noch fortdauern wird und abzuwarten, ob die Behandlung Erfolg zeigt. Daraus, dass es in der Bescheinigung heißt "Voraussichtliche Behandlungsdauer: Bis auf weiteres" folgt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass die Therapie des Klägers auf unabsehbare Zeit mit ungewissem Ausgang fortdauern würde. Vielmehr wird lediglich das Entlassungsdatum, weil noch nicht feststehend, nicht angegeben.
2. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers ist - allerdings nur bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens, längstens bis zum 31. März 2011 - begründet. Aus § 611, § 613
BGB in Verbindung mit § 242
BGB, der durch die Wertentscheidungen der Artikel 1 und 2 Grundgesetz ausgefüllt wird, folgt dass der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet ist, seinen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser es verlangt (Bundesarbeitsgericht 20. Februar 1985 - GS 1/84, NZA 1985, 702) . Aufgrund des Obsiegens des Klägers in dem Kündigungsschutzverfahren überwiegt sein Beschäftigungsinteresse das der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung des Klägers. Dem steht die von der Beklagten behauptete Unmöglichkeit nicht entgegen. Es liegt weder ein Fall der objektiven, der subjektiven noch der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vor (§ 275
Abs. 1 und 2
BGB). Die Beschäftigung ist nicht objektiv unmöglich geworden, denn die arbeitsvertragliche Position des Klägers ist bei der Beklagten nach wie vor vorhanden. Die Beklagte hat die Ausführung der Aufgaben lediglich einem Drittunternehmen übertragen. Im Hinblick auf die mit Schreiben vom 25. November 2009 ausgesprochene außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31. März 2011 (Blatt 230 der Akten) überwiegt ab diesem Zeitpunkt (Ende der Auslauffrist) wiederum das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung.
III.
Gemäß § 97
Abs. 1
ZPO hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Soweit die Entscheidung des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags geändert wurde ("bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Kündigungsschutzverfahrens, längstens bis 31. März 2011"), handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, die keine Kosten veranlasst hat, § 92
Abs. 2
Nr. 1
ZPO.