Urteil
Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung bei Wegfall des Arbeitsplatzes - Kein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung

Gericht:

VG München 18. Kammer


Aktenzeichen:

M 18 K 09.5162 | 18 K 09.5162


Urteil vom:

19.01.2011


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte bzw. die Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen die vom Beklagten erteilte Zustimmung zu ihrer außerordentlichen Kündigung seitens der Beigeladenen (ihrer Arbeitgeberin).

Die am ... 1951 geborene Klägerin war zunächst seit ... November 1969 bei der ... AG im Bereich "Logistik" beschäftigt. Nach einer Ausgliederung und Übertragung dieses Arbeitsbereichs auf die Vorgängergesellschaft der Beigeladenen begründete die Klägerin mit dieser ab ... September 1998 einen Arbeitsvertrag unter Anrechnung ihrer Dienstzeiten bei der ... AG, wobei die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit bei den logistischen Diensten der ... AG fortführen sollte (vgl. § 4 des Arbeitsvertrages v. ...6.1998).

Mit Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales, Region ... - Versorgungsamt - vom ... Juli 2009 wurde zum Antrag der Klägerin vom ... März 2009 ein Grad der Behinderung von 40% (wegen 1. Depression und 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule/degenerative Veränderungen) festgestellt.

Mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom ... November 2009 wurde die Klägerin mit Wirkung zum ... August 2009 gem. § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Am ... September 2009 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Erteilung der Zustimmung zur beabsichtigen außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit Auslauffrist, nachdem die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom ... August 2009 die Beigeladene auf die Behinderung und den gestellten Gleichstellungsantrag der Klägerin hingewiesen hatte.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der zwischen der ... AG und der Beigeladenen bestehende Dienstleistungsvertrag, der den größten Teil des Auftragsvolumens der Beigeladenen ausmache, seitens der ... AG zum ... August 2009 gekündigt worden sei. Die Beigeladene habe sich deshalb entschlossen, ihr Unternehmen komplett neu auszurichten und die konkrete Auftragsdurchführung mit allen Arbeitsschritten von der Warenannahme bis zur Transportdurchführung künftig durch externe Subunternehmer vornehmen zu lassen. Dies führe dazu, dass 29 überwiegend gewerblichen Mitarbeitern gekündigt werden müsse und nur 12 Mitarbeiter (einschließlich Geschäftsführerin) bei der Beigeladenen verblieben. Auf die vorgenommene Anzeige der vorgesehenen Entlassungen habe die Bundesagentur für Arbeit am ... August 2009 ihre Zustimmung erteilt. Ein Betriebsrat bzw. eine Schwerbehindertenvertretung bestehe bei der Beigeladenen nicht. Nachdem die Klägerin wegen ihrer langen Firmenzugehörigkeit ordentlich nicht mehr kündbar sei, andererseits ihr Arbeitsplatz bei der Beigeladenen weggefallen sei, werde die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit Auslauffrist beantragt.

Nach Anhörung der Klägerin und Stellungnahme durch ihre Bevollmächtigte vom ... September 2009, in der der beabsichtigten Kündigung entgegengetreten wurde, stellte der Beklagte mit Bescheid vom ... September 2009 fest, dass - nachdem innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen wurde - die beantragte Zustimmung gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt gelte. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die beabsichtigte Kündigung der Klägerin gem. § 91 Abs. 5 SGB IX nur unverzüglich nach Eintritt der Zustimmungsfiktion am ... September 2009 erklärt werden könne.

Mit Schreiben der Beigeladenen vom ... September 2009 kündigte diese der Klägerin außerordentlich unter Gewährung einer sozialen Auslauffrist zum ... September 2010. Hierzu - sowie zu vorangegangenen Kündigungen seitens der Beigeladenen - sind arbeitsgerichtliche Verfahren anhängig, nach Angabe der Parteien allerdings noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Am 30. Oktober 2009 ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht München wie folgt erheben:

1. Der Bescheid des Beklagten vom ... September 2009, zugegangen am ... Oktober 2009 (richtig: ...9.2009), wird aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verpflichtet, die Zustimmung zur Kündigung zu versagen.

Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass ein die Ermessensbindung ausschließender Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung im Sinne des § 91 Abs. 4 SGB IX bestehe. Zudem hätte der Beklagte die Beigeladene auffordern müssen, darzulegen, inwieweit der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen sei und welche Präventivmaßnahmen durchgeführt worden seien. Der Beklagte hätte die Feststellung treffen müssen, dass der Arbeitsplatz der Klägerin tatsächlich weggefallen sei. Hierbei dürfe er sich nicht allein auf die Aussagen der Beigeladenen verlassen. Es bestehe zumindest ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der Behinderung der Klägerin und dem Kündigungsgrund. Die aus dem Alter und der Behinderung folgenden Leistungseinschränkungen hätten sicherlich auf die Entscheidung der Beigeladenen Einfluss genommen, ihre alte Belegschaft durch junge Subunternehmer zu ersetzen.

Demgegenüber beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 27. Januar 2010

die Klage abzuweisen.

Auch der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragte mit Schriftsatz vom 7. Januar 2011,

die Klage abzuweisen.

Am 19. Januar 2011 fand der Termin der mündlichen Verhandlung statt. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage wiederholten die Beteiligten die vorstehenden, bereits schriftsätzlich gestellten, Anträge.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die im Wege der Fiktion erteilte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit sozialer Auslauffrist ist rechtmäßig; der Bescheid des Beklagten vom ... September 2009 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Klägerin fällt als gem. § 2 Abs. 3 SGB IX Gleichgestellte unter die Kündigungsschutzvorschriften der §§ 85 ff. SGB IX. Gemäß § 91 Abs. 1 i.V.m. § 90 Abs. 1 i.V.m. § 85 SGB IX bedarf die außerordentliche Kündigung einer Schwerbehinderten der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.

Die Zustimmung wurde seitens der Beigeladenen innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX beantragt, wobei die für den Beginnszeitpunkt dieser Frist entscheidende Kenntnis des Arbeitgebers bezüglich der für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen auch die Schwerbehinderteneigenschaft mit umfasst (vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti, 3. Aufl. 2010, § 91 SGB IX, Rdnr. 18). Abstellend auf die diesbezüglichen Informationen durch die Bevollmächtigte der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom ... August 2009 an den Bevollmächtigten der Beigeladenen ist die angesprochene Frist eingehalten.

Die im Wege der Fiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX erteilte Zustimmung ist gemessen an § 91 Abs. 4 SGB IX nicht zu beanstanden. Danach soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht.

Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein derartiger Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung im vorliegenden Fall nicht anzunehmen ist.

Aufgrund der Darlegungen der Beigeladenen im Antrag vom ... September 2009 auf Erteilung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung wird deutlich, dass das Verhalten der Klägerin bzw. Eigenschaften der Klägern (z.B. Alter oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit) für die beabsichtigte Kündigung keine Rolle spielten. Hierzu wurde - seitens der Klagepartei unwidersprochen - vorgetragen, dass aufgrund der weggefallenen Arbeitstätigkeit "Transportauftragsabwicklung" allen gewerblichen Mitarbeitern, zu denen auch die Klägerin gehört, gekündigt worden ist. Eine Differenzierung nach Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Leistungsfähigkeit oder Schwerbehinderteneigenschaft erfolgte ersichtlich nicht. Nachdem auch die Klagepartei hierzu nichts Abweichendes vorgetragen hat, waren diesbezüglich auch keine weitergehenden Ermittlungen durch den Beklagten im Rahmen des Zustimmungsverfahrens veranlasst. Dass die Klägerin durch die Folgen der Kündigung aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung besonders betroffen ist, wird nicht in Zweifel gezogen, vermag allein allerdings den erforderlichen Zusammenhang nicht zu begründen (vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti, a.a.O., Rdnr. 29 am Ende).

Atypische Umstände, die der im Regelfall bei einem fehlenden Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung zu erteilenden Zustimmung entgegenstehen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Den zu Gunsten der Klägerin zu würdigenden Umständen (Schwerbehinderteneigenschaft, Alter, lange Betriebszugehörigkeit etc.) steht nach dem substantiierten Vorbringen der Beigeladenen gegenüber, dass eine geeignete Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin in Form entsprechender gewerblicher Logistikarbeiten nicht mehr vorhanden ist, so dass auch diese Umstände vorliegend zu keiner anderen Entscheidung führen können.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 154 Abs. 3 VwGO analog i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, dass die Voraussetzungen des § 124 a) Abs. 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R5630


Informationsstand: 08.08.2013