Urteil
Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und hilfsweise gestellten Auflösungsantrag - fehlende Vertretungsmacht von Gesamtprokuristen

Gericht:

LAG Düsseldorf 8. Kammer


Aktenzeichen:

8 Sa 574/12


Urteil vom:

21.08.2012


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 22.02.2011 - 4 Ca 1888/11 - wird (unter Abweisung des Auflösungsantrags) kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten und über einen von dieser hilfsweise gestellten Auflösungsantrag.

Der 55 Jahre alte, verheiratete Kläger ist seit dem 01.05.1994 bei der Beklagten als Verkaufsingenieur beschäftigt. Der Kläger besitzt eine abgeschlossene Ausbildung zum Diplom-Ingenieur (FH) in der Fachrichtung Technologie der metallverarbeitenden Industrie; zum Studium an der TH Magdeburg gehörten auch vier Semester Vorlesungen in Betriebswirtschaftslehre. Dem Arbeitsverhältnis der Parteien liegt der schriftliche Dienstvertrag vom 25.02.1994, wegen dessen Inhalts auf Blatt 6 der Akte verwiesen wird, zugrunde. Die Beklagte bietet weltweit industrielle Dienstleistungen wie Projektentwicklung und Projektmanagement sowie Finanzierungskonzepte für den Bau von Großanlagen (Petrochemie, Kraftwerksbau etc.) an, des Weiteren ist sie ein Vertriebs- und Servicepartner für Hersteller von Maschinen und Systemen. Der Kläger war nach Abschluss seiner Einarbeitungszeit zunächst für die Dauer von sieben Jahren in der Niederlassung der Beklagten in Indonesien als Direktor und Leiter des Verkaufs und der Vermittlung von Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen, Verpackungs- und Kunststoffmaschinen tätig, während dieser Zeit war er organisatorisch der Niederlassung H. der Beklagten zugeordnet. Seit Beendigung des Auslandsaufenthaltes arbeitet der Kläger in F. als einer von dort rund 700 Beschäftigten der Beklagten. Er wurde im Geschäftszweig Trading und dort im Bereich MEM, der von Herrn Dr. L. geleitet wird, eingesetzt. Der Bereich MEM mit insgesamt sechs Mitarbeitern beschäftigt sich mit dem Vertrieb und der Projektierung von Maschinensystemen für die Herstellung von Münzen, Alufolie und Metallverarbeitung sowie für das Recycling von Metall und Kunststoffen. Wegen der vom Kläger zuletzt bearbeiteten Projekte wird auf dessen Aufstellung K7 (als Anlage zum Schriftsatz vom 19.09.2011, Blatt 74 der Akte) Bezug genommen. Im Bereich Recycling ist der Arbeitnehmer B. N. (37 Jahre alt, verheiratet, seit acht Jahren bei der Beklagten beschäftigt) tätig, ein Diplom-Kaufmann mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, der zuvor als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft der Beklagten in Vietnam eingesetzt war. Der Kläger, der hierarchisch der Rangebene 3 zugeordnet ist, bezog zuletzt eine Bruttomonatsvergütung von 6.000,00 EUR und eine Jahrestantieme von 24.000,00 EUR.

Nachdem sie dem für die Niederlassung F. gebildeten Betriebsrat unter dem 22.06.2011 schriftlich angehört und dieser am 29.06.2011 geantwortet hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30.06.2011 zum 31.12.2011. Die Kündigung wurde am 30.06.2011 gegen 18.05 Uhr in den Briefkasten des Hauses des Klägers in I. geworfen, das dieser mit seiner Ehefrau bewohnt. Es war unterzeichnet von Herrn S. Q. mit dem Zusatz ppa. als Senior Vice President HR & Administration sowie von Frau N. E. ebenfalls ppa. als Vice President Administration. Laut Handelsregister wird die Beklagte allgemein durch zwei Vorstandsmitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. Herr Q. und Frau E. werden im Handelsregister als Gesamtprokuristen aufgeführt. Der Kläger wies die Kündigung mit Anwaltsschreiben vom 06.07.2011 "gem. § 174 BGB" wegen mangelnder Vollmacht zurück. Mit Schreiben vom 21.12.2011 stellte die Beklagte den Kläger höchst vorsorglich unter Anrechnung auf seine Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung für das Kalenderjahr 2012 frei. Als der Kläger gleichwohl am 02.01.2012 zur Arbeitsaufnahme erschien, nahm die Beklagte das Arbeitsangebot nicht an. Unter dem 14.02.2012 schlossen die Beklagte und drei weitere Unternehmen unter anderem mit dem Betriebsrat der Beklagten einen Interessenausgleich, in dem im Zusammenhang mit der Division Trading davon die Rede ist, dass "aufgrund der Schließung des Geschäftsfeldes Werkzeugmaschinen am Standort F. zum 31.12.2011 ... der Beschäftigungsbedarf von 1 FTE als Sachbearbeiter entfallen" sei. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 27.03.2012 fristgerecht; zwischen den Parteien wurde jedoch Einigkeit erzielt, dass diese Kündigung wegen einer zwischenzeitlich erlangten Anerkennung des Klägers als Schwerbehinderter keine Wirkung besitzt. Mit Schreiben vom 06.06.2012 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers. Die Stellungnahme des Klägers vom 02.07.2012 gegenüber dem Integrationsamt hierzu lautet auszugsweise wie folgt:

"Alles in allem können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ganz gezielt ein älterer, langjähriger und gutbezahlter schwerbehinderter Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis entfernt werden soll und dass dazu eine angebliche unternehmerische Notwendigkeit vorgegeben wird, die tatsächlich nicht vorliegt und die, sobald die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unseres Mandanten rechtskräftig erreicht werden würde, wieder ins Gegenteil gekehrt wird. Unser Mandant ist keineswegs bereit, zu akzeptieren, dass seine berechtigten Interessen missachtet werden."

Mit der vorliegenden, am 20.07.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt noch die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.06.2011 geltend gemacht, die er für sozial ungerechtfertigt gehalten hat. Er hat das Fehlen eines Kündigungsgrundes sowie der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gerügt. Er hat die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl behauptet und hierzu vorgetragen, er sei mit mehr als 100 bei der Beklagten in F. und H. beschäftigten Ingenieuren vergleichbar. Hierunter befänden sich seine unmittelbaren Kollegen M., L. - die er im Urlaubs- und Krankheitsfall vertrete und umgekehrt - und Dr. L., dessen Vorgesetztenstelle zuvor ihm, dem Kläger versprochen worden sei. Weiterhin seien die Mitarbeiter L., N. de T., S., I. und vor allem Herr N. zu nennen, deren Tätigkeit der Kläger ohne weiteres ausführen könne und die allesamt erheblich jünger als er und/oder erheblich kürzer bei der Beklagten beschäftigt seien. Die Beklagte besetze permanent intern wie extern Ingenieurstellen, deren Anforderungsprofil er auch erfülle. Die streitgegenständliche Kündigung sei ihm erst am 01.07.2011 zugegangen. Er selbst habe sich in F. befunden, seine Ehefrau habe das Kündigungsschreiben erst am 04.07.2011 vorgefunden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien die die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2011 - zugegangen am 04.07.2011 - nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die streitgegenständliche Kündigung für wirksam gehalten. Sie sei aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Sie hat behauptet, der organisatorisch abgrenzbare Unterbereich "Werkzeugmaschinen" des Bereichs MEM arbeite bereits seit längerem nicht mehr effizient und kostendeckend und sei für ein negatives Ergebnis des Bereichs MEM in den Jahren 2008 bis 2010 verantwortlich. Herr B., der zuständige Head of Business Unit, habe daher am 22.11.2010 in Umsetzung des sog. Shape-Programms die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Unterbereich "Werkzeugmaschinen" inklusive aller Auslandsaktivitäten in Brasilien und China bis spätestens zum 31.12.2011 vollständig aufzugeben. Dementsprechend seien die Vertriebsteams in China und Brasilien schon zum 30.09.2011 bzw. früher durch Kündigung der Mitarbeiter aufgelöst worden. Auch der Teilbereich "Münzen" werde eingestellt. Soweit die nachlaufende Betreuung von Projekten erforderlich sei, sei diese rein kaufmännischer Natur und werde von Dr. L. geleistet. Überhaupt habe die Beklagten schon seit längerem im Bereich "Werkzeugmaschinen" nur noch Handelsgeschäfte getätigt, deren Bearbeitung keinen Techniker verlange. Technische Verantwortung für die Projekte übernehme die Beklagte nicht mehr, auch für etwa noch in der Anbahnung befindliche reine Lizenzgeschäfte wie dasjenige mit der Firma W. Engine Agricultural Machinery Corporation (W.). Da er mangels entsprechender Kenntnisse in die kaufmännische Bearbeitung von Projekten nicht habe involviert werden können, sei der Kläger schon in der Vergangenheit nicht ausgelastet gewesen. Anderweitige freie Arbeitsplätze in F. oder H., auf denen der Kläger habe weiterbeschäftigt werden können, gebe es nicht. Der Kläger verkenne, dass die Beklagte für ihre vakanten Stellen nicht irgendeinen Ingenieur, sondern Bewerber mit Spezialkenntnissen - etwa im Großanlagenbau - mit mehrjähriger Berufserfahrung suche; für keine der Stellen erfülle der Kläger das Anforderungsprofil. Die Sozialauswahl sei nicht fehlerhaft. Die vom Kläger benannten Mitarbeiter seien nicht vergleichbar, weil sie entweder nicht derselben Ebene der Betriebshierarchie angehörten und/oder über notwendige kaufmännische bzw. fremdsprachliche Kenntnisse (Spanisch, Portugiesisch, Russisch) verfügten, die dem Kläger fehlten. Der Betriebsrat sei im Vorfeld der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Ihm seien die Hintergründe des Shape-Programms ebenso bekannt gewesen wie die Tätigkeit und der Ausbildungsstand des Klägers. In die Suche nach einer Alternativbeschäftigung für den Kläger habe sich der Betriebsrat aktiv eingeschaltet, jedoch ebenfalls ohne Erfolg. Die Kündigung sei dem Kläger schon bei normativer Betrachtung noch am 30.06.2011 zugegangen. Die Zurückweisung der Kündigung mangels hinreichender Bevollmächtigung der Unterzeichner gehe ins Leere, weil die Kündigung von zwei als solchen ins Handelsregister eingetragenen Gesamtprokuristen ausgesprochen worden sei.

Dem hat der Kläger entgegen gehalten: Das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes sei zu bestreiten. Für die von der Beklagten behauptete unternehmerische Entscheidung zur Schließung des Teilbereichs "Werkzeugmaschinen", der im Übrigen organisatorisch nicht scharf abgrenzbar zum Rest des Bereichs MEM sei, habe weder die Umsatz- und Gewinnentwicklung noch das Shape-Programm Anlass gegeben. Im Rahmen dieses Programms sei es zwar zum Abschluss von rund 130 Aufhebungsverträgen, aber nur zu zwei Kündigungen gekommen. Dass die Beklagte auf die Vermittlung von Projekten im Segment "Werkzeugmaschinen" künftig verzichten wolle, könne schon in Anbetracht der im Jahre 2011 in der Akquisitionsphase befindlichen "Projekte für Produktionslinien" (Anlage K8 zum Schriftsatz vom 19.09.2011, Blatt 75 der Akte) nicht stimmen, die nunmehr von Herrn N. fortgeführt werden. Für einen der anstehenden W.-Aufträge mit einem Volumen von knapp 30 Millionen EUR sei der Kläger gemeinsam mit Herrn M. sogar bereits als Sachbearbeiter benannt worden. Abgesehen davon seien nicht einmal die bereits laufenden Projekte bis zum 31.12.2011 abzuwickeln gewesen. Besprechungstermine etwa im Januar 2012 habe an seiner Stelle Herr N. in Begleitung zweier Ingenieure wahrgenommen. Die von der Beklagten behauptete Unterscheidung in Eigen- und Handelsgeschäfte sei unzulässig; Bedarf an Ingenieurtätigkeiten gebe es hier wie da, schließlich beschäftige die Beklagte ja eine Reihe von Ingenieuren weiter. Generell sei ein Verkaufsingenieur auch im kaufmännischen Bereich zu Hause. Im Rahmen der Sozialauswahl seien Fremdsprachenkenntnisse kein Grund, von einer Unvergleichbarkeit mit dem von ihm benannten Mitarbeitern auszugehen, da er selbst gut russisch und portugiesisch spreche. Insgesamt entstehe der Eindruck, die Beklagte hege vorrangig den Wunsch, sich speziell von ihm, den Kläger, zu trennen. Überdies sei die Anhörung des Betriebsrats fehlerhaft, weil die Begründung für den Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers unzureichend und der Hinweis auf fehlende frei Arbeitsplätze und fehlende soziale Vergleichbarkeit falsch sei.

Das Arbeitsgericht hat die streitgegenständliche Kündigung mit Urteil vom 22.02.2012 für unwirksam erachtet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Kündigung verstoße bereits gegen § 174 BGB. Nach Maßgabe des Handelsregisters hätte die Kündigung auch von einem Vorstandsmitglied unterzeichnet werden müssen, eine Zeichnung durch zwei Gesamtprokuristen genüge nicht, was der Kläger rechtzeitig gerügt habe. Die Kündigung sei weiterhin sozial ungerechtfertigt, weil ein betriebsbedingter Kündigungsgrund nicht gegeben sei. Es sei nicht erkennbar, dass der Beschäftigungsbedarf des Klägers zum 31.12.2011 dauerhaft entfallen sei. Die Beklagte erbringe - wie etwa die Korrespondenz mit der Firma W. zeige - im angestammten Bereich des Klägers auch weiterhin Leistungen, für die Sachbearbeitertätigkeiten benötigt würden. Generell seien keine Aktivitäten im Bereich Trading zu erkennen, die auf eine dauerhafte Verringerung des Arbeitsaufkommens schließen ließen. Demgegenüber sei das Geschäftsfeld Recycling neu aufgebaut und der dortige Arbeitsplatz unter Verletzung der Grundsätze der sozialen Auswahl mit Herrn N. besetzt worden. Dem Kläger oblägen nach Maßgabe seines Arbeitsvertrages auch Aufgaben, die dem kaufmännischen Bereich zuzuordnen seien. Zumindest während seiner Zeit als Niederlassungsleiter in Indonesien habe der Kläger derartige Tätigkeiten verrichtet. Die Kündigung sei schließlich dem Kläger wegen der späten Einwurfzeit am 30.06.2011 erst am 01.07.2011 zugegangen, so dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühestens zum 31.03.2012 habe erfolgen können.

Gegen das ihr am 21.03.2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit einem am 27.03.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.06.2012 - mit einem weiteren, am 21.06.2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz auch begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe ihren schon erstinstanzlich schlüssigen Vortrag zum Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers ignoriert. Der Kläger sei als Verkaufsingenieur im Bereich Werkzeugmaschinen mit der technischen Überprüfung der Maschinen, nicht jedoch mit der kaufmännischen Bearbeitung von Vermittlungsgeschäften betraut gewesen. Letzteres habe dem inzwischen in Altersteilzeit befindlichen Mitarbeiter E. oblegen. Infolge der Wandlung der Geschäftstätigkeit von "Selbstkäufermodell" (Eigengeschäft) zum "Vermittlungsmodell" (Handelsgeschäft) sei die vom Kläger geleistete Ingenieurstätigkeit schlicht obsolet geworden. Das sei schon seit dem Dienstsitzwechsel des Klägers im Jahre 2002, spätestens aber ab 2007 der Fall gewesen. Anschließend habe der Kläger versucht, sein Geschäftsfeld der technischen Überwachung von Vertriebsaktivitäten zu erhalten, wobei ihn die Beklagte wegen ihres grundsätzlichen Verzichts auf betriebsbedingte Kündigungen habe gewähren lassen. Im Jahre 2011 habe die Beklagte dann die Handelsvertreterverträge für den Bereich des Werkzeugmaschinengeschäfts mit den Firmen F. H. AG (CH), I. GmbH, S. AG (CH), X. N. Technologies GmbH & Co KG, T. GmbH und T. GmbH gekündigt bzw. einvernehmlich beendet. Es sei daher nicht daran zu zweifeln, dass die unternehmerische Entscheidung, den Geschäftsbereich "Werkzeugmaschinenbau" nicht mehr in dem Umfang der Vergangenheit vorzuhalten, umsetzbar sei. Die vom Kläger benannten Projekte für die Zukunft beträfen entweder in der Vergangenheit noch nicht durchgeführte Lizenzverkäufe oder gehörten nicht zum Geschäft des Bereichs "Werkzeugmaschinen" oder es handele sich um bloße Anfragen von Kunden, die nicht mehr weiterverfolgt würden; insgesamt stelle die Aufstellung K8 des Klägers eine reine "Wunschliste" dar. Die Kündigung vom 30.06.2011 sei auch nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. Schon im Hinblick auf die Sozialdaten und die hierarchische Stellung der Kollegen des Klägers könne es insoweit allein um Herrn N. gehen. Dieser verfüge aber im Gegensatz zum Kläger über die von der Beklagten verlangte qualifizierte kaufmännische Ausbildung und überdies über handels- und steuerrechtliche Kenntnisse und "strategische Fähigkeiten", die dem Kläger abgingen. Abgesehen davon hätte die Stelle des Herrn N. vorrangig mit der ebenfalls gekündigten Mitarbeiterin L. besetzt werden müssen. Im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 BGB habe das Arbeitsgericht die Satzung der Beklagten überinterpretiert. Die dortigen Bestimmungen hinderten nicht daran, durch Erteilung von Prokuren die Vertretungsmacht auf einen größeren Kreis von Personen zu erstrecken, genau dies habe die Beklagte durch die Bestellung und Eintragung von Gesamtprokuren unter anderem an Herrn Q. und Frau E. getan. Sollte die Kündigung gleichwohl als unwirksam erachtet werden, müsse das Arbeitsverhältnis der Parteien hilfsweise aufgelöst werden, weil der Beklagten dessen Fortsetzung in Anbetracht insbesondere des prozessualen Vorbringens des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit unzumutbar sei. Ohne hinreichende Anhaltspunkte werfe der Kläger der Beklagten und vor allem Herrn B. als dem Head of Business Unit, mit dem der Kläger in der Vergangenheit nie Probleme gehabt habe, vor, ihn aus sachfremden und rechtswidrigen Erwägungen aus dem Job herauszudrücken und dabei selbst vor einem Prozessbetrug nicht zurückzuschrecken. Der Kläger suggeriere weiterhin, die Geschäftsleitung der Beklagten agiere gegen jede wirtschaftliche Vernunft und lasse Mitarbeiter wie ihn die Zeche für strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des früheren Vorstands bezahlen. Die konkrete Wortwahl des Klägers und der Vorwurf, die Beklagte habe ihn als Schwerbehinderter und durch die Ablehnung eines Altersteilzeitantrages benachteiligt, täten ein Übriges.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 22.02.2012 - 4 Ca 1888/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.

das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2011 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten inklusive des neu gestellten Auflösungsantrags zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er bestreitet nach wie vor den Wegfall seines Arbeitsplatzes. Entgegen den Behauptungen der Beklagten deckten sich die Tätigkeitsanforderungen bei Eigen- und Handelsgeschäften weitgehend und seien darüber hinaus auch nicht einseitig dem technischen oder kaufmännischen Bereich zuzuordnen. Eigengeschäfte werde es weiterhin geben. Ohne technisches Knowhow könne kein Projekt initiiert und durchgeführt werden; eine ganze Reihe technisch geprägter Aufgaben verblieben auch zukünftig. Die Beklagte wisse das selbst, lasse diese Arbeiten aber durch andere technische Mitarbeiter erledigen. So sei etwa der Ingenieur M. U. noch im August 2011 für das Werkzeugmaschinengeschäft neu eingestellt worden. Insbesondere mit den Kunden W. und Q. vietnam existierten eine Reihe laufender wie demnächst neu zu realisierender Projekte, die technische Aufgaben mit sich brächten. Die Kündigung von sechs Handelsvertreterverträgen besitze wenig Aussagekraft, weil es der Kläger mit insgesamt mehr als 100 Herstellern zu tun gehabt habe. Seinem Vertrag nach sei der Kläger ins Ausland versetzbar und habe daher die Tätigkeiten der Mitarbeiter I. in der Niederlassung Q. und L. in der Niederlassung K. übernehmen können. Im Rahmen der Sozialauswahl sei er weiterhin mit Herrn K. vergleichbar. Völlig zu Recht habe das Arbeitsgericht Herrn N. für mit ihm austauschbar gehalten. Dessen vermeintliche besondere Fähigkeiten beschreibe die Beklagte nur pauschal und ohne Bezug zu bestimmten Arbeitsaufgaben. Was den Auflösungsantrag anbetreffe, belege dieser, dass die Beklagte nicht an die Wirksamkeit der streitbefangenen Kündigung glaube. Die Schriftsätze im vorliegenden Rechtsstreit seien im Übrigen sämtlich ohne Redigierung durch den Kläger verfasst worden. Keineswegs gehe er persönlich davon aus, dass Herr B. oder andere Mitarbeiter der Beklagten im Rechtsstreit die Unwahrheit sagen würden, sonst hätte er sie nicht als seine Zeugen benannt. Für etwaige Missverständnisse entschuldige er sich. Insgesamt sei die Schwelle für die Rechtfertigung eines arbeitgeberseitigen Auflösungsantrags nicht erreicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.

Rechtsweg:

ArbG Essen Urteil vom 22.02.2011 - 4 Ca 1888/11

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 ArbGG an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG.

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

I.

Die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 30.06.2011 ist wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes sozialwidrig im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 KSchG und führt daher nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Ob die Kündigung auch wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 KSchG, § 174 Satz 1 BGB und/oder § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, kann dahinstehen.

1. Die streitgegenständliche Kündigung bedarf einer sozialen Rechtfertigung. Das Kündigungsschutzgesetz findet in Anbetracht der langjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien sowie der Größe des F. Betriebs der Beklagten gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 unzweifelhaft Anwendung. Der Kläger hat seinerseits die gemäß § 4 Satz 1 KSchG zu beachtende dreiwöchige Klagefrist durch Erhebung der vorliegenden Klage am 19. bzw. 20. Tag nach Zugang der Kündigung gewahrt.

2. Die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2011 ist nicht sozial gerechtfertigt. Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers über den 31.12.2011 hinaus entgegenstehen, liegen nicht vor.

a. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist. Auf der Grundlage der betrieblichen Dispositionen des Arbeitgebers müssen im Tätigkeitsbereich des Gekündigten mehr Arbeitnehmer beschäftigt sein, als zur Erledigung der anfallenden Arbeiten benötigt werden. Dieser Überhang muss auf Dauer zu erwarten sein. Regelmäßig entsteht ein Überhang an Arbeitskräften nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (etwa einem Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer - oftmals durch diese Entwicklungen veranlassten - Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 23.02.2012 - 2 AZR 548/10, NZA 2012, 852). Betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich aus außer- wie innerbetrieblichen Umständen ergeben. Im letztgenannten Fall kann ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen, wenn eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung zu einem Rückgang des Arbeitskräftebedarfs führt, der sich auf die Anzahl der im Betrieb verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Eine solche unternehmerische Organisationsentscheidung kann etwa in einer Stilllegung von Teilen des Betriebs, in einem Outsourcen von bisher intern erledigten Arbeitsaufgaben oder schlicht in der Bestimmung einer kleineren Zahl der Belegschaftsmitglieder liegen, mit denen die im Betrieb anfallende Arbeitsmenge erledigt werden soll (BAG, Urteil vom 02.06.2005 - 2 AZR 480/04, NZA 2006, 207). Derartige unternehmerische Entscheidungen sind von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Nachzuprüfen ist aber, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich getroffen und umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG, Urteile vom 16.12.2010 - 2 AZR 770/09, NZA 2011, 505; vom 13.02.2008 - 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312).

Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen (BAG, Urteil vom 16.12.2010 - 2 AZR 770/09, aaO). Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist. Das wäre der Fall, wenn die Kündigung zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führte oder die zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung lediglich Vorwand dafür wäre, bestimmte Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeiten objektiv fortbestehen und etwa nur der Inhalt des Arbeitsvertrags als zu belastend angesehen wird (BAG, Urteil vom 22.05.2003 - 2 AZR 326/02, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126). Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d.h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können. Wird die Kündigung auf eine zu erwartende künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, braucht diese bei Kündigungsausspruch noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Das ist der Fall, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung erforderlich machender betrieblicher Grund vorliegen. Dabei muss eine der entsprechenden Prognose zugrunde liegende eigene unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers aber bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein. Andernfalls kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes führende Entscheidung nicht sicher prognostiziert werden (BAG, Urteile vom 23.02.2012 - 2 AZR 548/10, aaO; vom 09.09.2010 - 2 AZR 493/09, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 164).

b. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte auch unter Berücksichtigung ihres ergänzenden Vortrags in der Berufungsinstanz nicht hinreichend dargelegt, dass im Moment des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung absehbar war, dass sich das Arbeitsvolumen des Klägers aufgrund einer nachvollziehbaren unternehmerischen Entscheidung der Beklagten bis zum 31.12.2011 dergestalt verringern würde, dass die Arbeitskraft des Klägers zur Gänze entbehrlich sein würde.

(1) Die Kammer ist schon nicht davon überzeugt, dass die Beklagte in Person des zuständigen Head of Business Unit B. am 22.11.2010 den endgültigen und "unumstößlichen" Entschluss gefasst hat, den Bereich "Werkzeugmaschinen" innerhalb der Abteilung MEM einschließlich der bisherigen Auslandsaktivitäten spätestens zum 31.12.2011 vollständig aufzugeben. In den von der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgelegten Präsentation zur Aufsichtsratssitzung an selbigem Tage ist vom 31.12.2011 nicht die Rede, sondern vielmehr von "ME management priorities for next 3-6 months" und "until 30.06.2011". Eine Umsetzung in diesem Zeitraum ist nicht erfolgt. Hinzu kommt, dass es im Schriftsatz der Beklagten vom 15.08.2012 nunmehr heißt, man habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Geschäftsbereich "Werkzeugmaschinen" "nicht mehr in dem Umfang der Vergangenheit" vorzuhalten. Das ist etwas anderes als eine vollständige Stilllegung des Bereichs und erklärte zumindest, warum die Beklagte auch im Jahre 2012 noch weiterhin Aktivitäten im Bereich des (Vermittlungs-) Geschäfts Werkzeugmaschinen entwickeln würde, "wenn sich die Gelegenheit bieten" würde (vgl. Blatt 3 des Schriftsatzes vom 15.08.2012). Insgesamt erscheint daher fraglich, ob die Grundentscheidung vom 22.11.2010 über die Maßgabe hinaus, im Arbeitsbereich des Klägers so viele Kosten als möglich einzusparen, bereits das definitive Aus für alle dort vorhandenen Arbeitsplätze bedeutete.

(2) Nicht hinreichend nachvollziehbar ist weiterhin, inwieweit der Beschäftigungsbedarf des Klägers kausal durch die von der Beklagten behauptete unternehmerische Entscheidung zum 31.12.2011 in Wegfall geraten sein soll.

(a) Nach dem Vortrag des Beklagten beschränkte sich die Tätigkeit des Klägers in der Vergangenheit auf unterstützende Arbeiten im rein technischen Bereich, die wegen der künftigen Konzentration auf Vermittlungs- und Lizenzgeschäfte generell nicht mehr anfallen werden; deshalb sei der Kläger entbehrlich. Die dieser Argumentation zugrunde liegende trennscharfe Abgrenzung von kaufmännischen und technischen Tätigkeiten einerseits und der gänzliche Entfall aller technischen Aufgaben andererseits leuchtet indes nicht ein: Als Verkaufsingenieur ist und war der Kläger schon nach Maßgabe seiner vertraglichen Aufgabenstellung an einer Schnittstelle zwischen Technik und Vertrieb beschäftigt. Die Beklagte projektiert Großanlagen, bei denen es sich um Unikate handelt. Selbst wenn sie hierbei nur als zwischengeschalteter Makler agiert, das heißt den anfragenden Kunden an einen oder mehrere potentielle Lieferanten vermittelt, erschließt sich nicht, wie derartige Leistungen auf rein kaufmännischer Basis ohne jeden technischen Background erbracht werden können sollen. Es muss doch zumindest geklärt werden, wie die technischen Anforderungen des Kunden aussehen und was zu deren Umsetzung benötigt wird, um überhaupt einschätzen zu können, zu welchem Lieferanten das jeweilige Anforderungsprofil passt. Es überrascht daher nicht, dass der Kläger bei der Aufstellung des Katalogs seiner Aufgaben (Blatt 6 der Berufungserwiderung) zum Beispiel die "Ausdehnung des Produktportfolios durch Bildung neuer Partnerschaften auf der Beschaffungsseite" und die "... enge Abstimmung mit den Lieferanten in technischen Fragen" aufführt. Der Katalog enthält daneben als eher kaufmännisch zu bezeichnende Tätigkeiten, zu denen sich die Beklagte im Rahmen ihrer Duplik vom 15.08.2012 im Einzelnen nicht verhalten hat.

(b) Überhaupt vermittelt der Vortrag der Beklagte kein Bild davon, womit sich der Kläger zuletzt (im Jahre 2011) während seiner Arbeitszeit im Einzelnen positiv beschäftigt hat, welches der ja unstreitig noch laufenden Projekte er wann und in welchem zeitlichen Umfang bearbeitet hat. Lediglich pauschal weist die Beklagte darauf hin, der Kläger habe mit seinen Kenntnissen als "Ansprechpartner und Fachmann für technische Fragestellungen im Rahmen der Vertriebsgeschäfte" fungiert und dort "unterstützende Tätigkeit ... ohne kaufmännische Verantwortung" erbracht. Zugleich ist aber davon die Rede, dass die Arbeitskraft des Klägers faktisch seit Jahren obsolet ist, weil die Beklagte bei ihren Vermittlungsgeschäften schon seit Längerem keine technische Verantwortung mehr übernehme und deshalb die vom Kläger erbrachte Ingenieurstätigkeit nicht mehr erforderlich sei. Man habe ihn aber bei dem Versuch, sein Geschäftsfeld der technischen Überwachung von Vertriebsaktivitäten zu erhalten, gewähren lassen. - Was bedeutet das? Wie sieht der Arbeitsbereich aus, den sich der Kläger in stillschweigendem Einvernehmen mit der Beklagten geschaffen hat, zum Beispiel im Hinblick auf die Betreuung des Kunden W. in Vietnam? War er beschränkt auf den Bereich der "Werkzeugmaschinen", oder trifft der Einwand des Klägers zu, eine genaue Abgrenzung zwischen diesem Bereich und den weiteren Aktivitäten der Abteilung MEM lasse sich nicht ziehen?

(c) In zeitlicher Hinsicht ist schließlich zu berücksichtigen, dass der Kläger in die Abwicklung der im Kündigungszeitpunkt bereits laufenden Projekte der Abteilung MEM nach Maßgabe seiner Aufstellung K7 (Anlage zum Schriftsatz vom 19.09.2011) involviert ist oder war, deren Richtigkeit die Beklagte nicht bestritten hat. Fünf dieser Projekte - Handelsgeschäfte - liefen danach bis teilweise weit ins Jahr 2012 und waren daher absehbar bei Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers noch nicht beendet. Ob und welche Aktivitäten insoweit 2012 noch anstanden, wer - gegebenenfalls anstelle des Klägers - die Arbeiten erledigt hat und ob und wie ihm dies ohne überobligatorischen Einsatz möglich war, bleibt offen.

c. Ergänzend sei erwähnt, dass die Kündigung des Klägers auch deshalb hätte vermieden werden können, weil der Kläger auf einer freien Stelle am Standort H. hätte weiterbeschäftigt werden können. Der Kläger hat bereits erstinstanzlich die Ausschreibung einer Stelle als "Project Purchasing Manager" (Nr. 300416, Anlage K18 zum Schriftsatz vom 31.10.2011) vorgelegt, die nach seiner Einschätzung "haargenau" der eigenen Qualifikation entsprach; objektiv ist zumindest nicht erkennbar, warum der Kläger die einschlägigen Anforderungen der Stelle nicht erfüllte. Hierzu hat sich die Beklagte mit keinem Wort verhalten; insbesondere hat sie nicht behauptet, dass die Vakanz dieser Stelle im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht absehbar war.

II.

Ohne Erfolg begehrt die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung. Die hierin liegende Klageerweiterung in der Berufungsinstanz ist zwar schon gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG zweifelsfrei zulässig. Der Antrag der Beklagten ist jedoch unbegründet. Es liegen keine Gründe im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen.

1. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG, Urteil vom 23.02.2010 - 2 AZR 554/08, NZA 2010, 1123). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht. Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG, Urteile vom 24.03.2011 - 2 AZR 674/09, EzA § 9 KSchG nF Nr. 62; vom 10.07.2008 - 2 AZR 1111/06, NZA 2009, 312). Auflösungsgründe im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG, Urteil vom 08.10.2009 - 2 AZR 682/08, EzA § 9 KSchG nF Nr. 57). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG, Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09, EzA § 9 KSchG nF Nr. 60). Das gilt auch für Äußerungen eines Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzverfahren, wenn diese vom Arbeitnehmer veranlasst sind oder der Arbeitnehmer sie sich ohne Distanzierung zu eigen macht (BAG, 10.06.2010 - 2 AZR 297/09, NJW 2010, 3796). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können. Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann. Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteile vom 24.03.2011 - 2 AZR 674/09, aaO; vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09, aaO).

2. Nach diesen Grundsätzen genügt das von der Beklagten gerügte Verhalten des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten nicht, um einen Auflösungsgrund anzunehmen.

(1) Der Beklagten ist zuzugestehen, dass der Vortragsstil und die Wortwahl des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten teilweise unangemessen erscheinen, er der Beklagten offen vorwirft, der Kündigungssachverhalt sei konstruiert, um sich von ihm zu trennen, und einige seiner (rechtlichen) Schlussfolgerungen kaum nachvollziehbar sind. Beispielhaft sei - neben den Angriffen des Klägers auf Herrn B. - der Hinweis auf die "Schonung etwaiger Straftäter aus den Führungsebenen" (Blatt 8 der Berufungserwiderung vom 08.08.2012) und die Ansicht des Klägers genannt, aus dem Interessenausgleich vom 14.02.2012 einen Anspruch darauf ableiten zu können, erst ab dem 01.03.2012 betriebsbedingt gekündigt zu werden (ebenda, Blatt 10).

(2) Gleichwohl stellen sich die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit - so sie ihm denn überhaupt zuzurechnen sind - als Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Sie orientieren sich allein am Ziel des Obsiegens im Kündigungsschutzverfahren und sind jeweils bestimmten Punkten zuzuordnen, die hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Kündigung vom Gericht zu überprüfen sind. An keiner Stelle werden die Beklagte oder einzelne ihrer Mitarbeiter ausdrücklich der Lüge bezichtigt. Dass der Kläger insgesamt den Eindruck gewonnen hat, es ginge der Beklagten um die zielgerichtete Entfernung seiner Person aus dem Arbeitsverhältnis, ohne dass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliege, entspricht seiner subjektiven Wahrnehmung von den betrieblichen Verhältnissen und wird - wie die Zitate der Beklagten im Schriftsatz vom 15.08.2012 zeigen - vom Kläger explizit oder zumindest konkludent als Wiedergabe eines Eindrucks gekennzeichnet. Dass damit gleichzeitig die Richtigkeit des Vortrags der Beklagten bzw. die Glaubwürdigkeit von Zeugen wie Herrn B. in Frage gestellt wird, ist zwingende Folge der Unvereinbarkeit des beiderseitigen Prozessvortrags. Würde derartiges Prozessverhalten einen Auflösungsgrund darstellen, würde das Recht des Arbeitnehmers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) unzulässig verkürzt. In diesem Sinne hat das BAG etwa die schriftsätzliche Äußerung eines gekündigten Arbeitnehmers, ihm sei "ganz erhebliches Unrecht geschehen durch eine als betriebsbedingt vorgeschobene Kündigung", als regelmäßig von berechtigten Interessen des Arbeitnehmers gedeckt angesehen (BAG, Urteil vom 09.09.2010 - 2 AZR 482/09, aaO unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 23.02.2010 - 2 AZR 554/08, EzA § 9 KSchG nF Nr. 58).

(3) Abgesehen davon hat der Eindruck des Klägers nie in der Luft gehangen, sondern wurde von einer ganzen Reihe benannter Umständen untermauert, die immerhin das Arbeitsgericht bewogen haben, sich die Einschätzung des Klägers zu eigen zu machen (vgl. Blatt 23 der Berufungsbegründung: "... offenbar vom Arbeitsgericht gewonnener Eindruck, dass sie (die Beklagte) mit dem Kläger unredlich umgehe."). Das mag den Kläger, soweit es seinen gerügten Vortrag in der Berufungsinstanz anbetrifft, darin bestärkt haben, dass er "richtig liegt". Jedenfalls im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung schließt sich das Gericht dem ebenfalls an, wie die Ausführungen zu oben I. zeigen.

(4) Soweit die Beklagte dem Kläger vorhält, er habe sie außergerichtlich im Schreiben vom 23.07.2012 der Diskriminierung seiner Person als schwerbehinderter und älterer Mitarbeiter bezichtigt, ist dies nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat insoweit lediglich zusammen gefasst, dass nach seinem Empfinden seine Arbeitskraft im Bereich "Werkzeugmaschinen" durch zwei objektiv jüngere und eben nicht schwerbehinderte Mitarbeiter, nämlich Herrn K. und Herrn N., ersetzt werden soll. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein Schreiben an die Hauptfürsorgestelle wegen deren erforderlicher Zustimmung zur (erneuten) Kündigung des Klägers als schwerbehinderter Mensch gehandelt hat, nicht zu beanstanden.

(5) Schließlich ist festzustellen, dass nicht nur der Kläger die Beklagte, sondern auch die Beklagte den Kläger im Rahmen ihrer Schriftsätze hart attackiert hat, und der Rechtsstreit insgesamt nicht eben zimperlich geführt worden ist. So hat die Beklagte dem Kläger zum Beispiel kaufmännische Kompetenzen mit der Behauptung abgesprochen, seine immerhin siebenjährige Tätigkeit in Indonesien sei "nachhaltig erfolglos" und der Grund für die Schließung der dortigen Niederlassung gewesen (Blatt 25 der Berufungsbegründung), und weiterhin dem Kläger schon erstinstanzlich vorgehalten, er äußere Vermutungen ins Blaue und verkaufe dies gegenüber dem Gericht als Tatsache, weshalb er an seine prozessuale Wahrheitspflicht zu erinnern sei (Blatt 4 des Schriftsatzes vom 15.02.2012). Folgte man der Argumentation der Beklagten, läge darin ebenfalls der Vorwurf eines (versuchten) Prozessbetruges.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision zugunsten der Beklagten war mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.

Referenznummer:

R/R6228


Informationsstand: 11.07.2014