Urteil
Schließung einer Betriebskrankenkasse - Beendigung eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes - Vertrauensperson der Schwerbehinderten Menschen

Gericht:

LAG Düsseldorf 6. Kammer


Aktenzeichen:

6 Sa 781/12


Urteil vom:

08.03.2013


Grundlage:

Leitsätze:

1. Im Falle der Schließung einer Betriebskrankenkasse enden die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter/innen nicht deshalb, weil die Arbeitgeberin erloschen ist. Die gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V zum Zwecke der Abwicklung fingierte Betriebskrankenkasse ist als Rechtsperson mit der ursprünglichen Körperschaft identisch.

2. Die Arbeitsverhältnisse der ordentlich kündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse enden nicht gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V zum Zeitpunkt der Schließung kraft Gesetzes. § 164 Abs.4 S.1 SGB V setzt voraus, dass zunächst das in § 164 Abs.3 SGB V vorgesehene Unterbringungsverfahren durchgeführt worden ist. Von diesem Unterbringungsverfahren sind die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer einer Betriebskrankenkasse gemäß § 155 Abs.4 S.9 SGB V ausgenommen, mit der Folge, dass § 164 Abs.4 S.1 SGB V auf sie keine Anwendung findet.

3. Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen sind keine ordentlich unkündbaren Beschäftigten im Sinne des § 155 Abs.4 S.9 SGB V.

Rechtsweg:

ArbG Düsseldorf Urteil vom 26.03.2012 - 14 Ca 7282/11

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.03.2012 - AZ: 14 Ca 7282/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 2.) des angefochtenen Urteils zum Zwecke der Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Klageantrag zu 1) zu den bisherigen Bedingungen als Sachbearbeiter im Bereich Leistungswesen weiter zu beschäftigen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der "BKK für Heilberufe" mit Schließung der Betriebskrankenkasse beendet worden ist oder mit der Beklagten fortbesteht.

Die BKK für Heilberufe war als Körperschaft des öffentlichen Rechts Trägerin einer gesetzlichen Krankenkasse und beschäftigte zuletzt ca. 270 Arbeitnehmer. Mit Bescheid vom 02.11.2011 verfügte das Bundesversicherungsamt, dass sie mit Ablauf des 31.12.2011 gemäß § 153 S. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 90 Abs. 1 SGB IV geschlossen wird. Wegen des genauen Inhalts und der darin enthaltenen Begründung der Schließungsentscheidung wird auf die Anlage BB 1, Bl. 268 ff.. d.A., verwiesen. Der Bescheid ist von einigen Mitarbeitern, nicht jedoch von der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts angegriffen worden. Die Beklagte wickelt die Geschäfte der geschlossenen Krankenkasse ab.

Der am 17.09.1958 geborene Kläger war seit dem 01.06.1999 bei der Beklagten gegen ein Bruttoentgelt in Höhe von zuletzt 2.157,- EUR als Sachbearbeiter im Bereich Leistungswesen in Teilzeit beschäftigt. Er ist schwerbehindert und gewählter Schwerbehindertenvertreter.

Ein von der Beklagten mit der Gewerkschaft der Sozialversicherung vereinbarter Tarifvertrag enthielt u.a. folgende Regelung:

"§ 32 Unkündbare Beschäftigte

(1)Nach einer Beschäftigungszeit von 20 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres, kann den Beschäftigten nur aus einem in ihrer Person oder in ihrem Verhalten liegenden wichtigen Grund gekündigt werden.

..."

Die BKK für Heilberufe informierte die überwiegende Anzahl ihrer Mitarbeiter mit einem Standardschreiben vom 16.11.2011 darüber, dass die Arbeitsverhältnisse aufgrund der Schließung mit Ablauf des 31.12.2011 endeten. Den angeschriebenen Arbeitnehmern wurde sodann seitens der "BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung" unter dem Datum des 23.11.2011 ein Angebot auf Abschluss eines befristeten Vertrages für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.06.2012 unterbreitet. Im Jahr 2012 wurden die befristeten Verträge einiger Arbeitnehmer bis zum 31.12.2012 bzw. bis zum 31.12.2013 verlängert.

Der Kläger erhielt kein Vertragsangebot der Abwicklungskörperschaft. Stattdessen übersandte ihm der BKK-Landesverband Nordwest mit Schreiben vom 02.12.2011 ein Beschäftigungsangebot bei einer anderen Betriebskrankenkasse. Das Angebot bezog sich auf eine Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der BKK F. in Düsseldorf. Die Vergütung sollte 2.400,- EUR bis 3.000,- EUR monatlich betragen. Wegen der Einzelheiten des Angebots wird auf die zur Akte gereichte Kopie, Bl. 27-28 d.A., Bezug genommen. Die BKK F. verweigerte jedoch eine Beschäftigung des Klägers, u.a. mit dem Argument, ein Einsatz in Teilzeit sei nicht möglich.

Mit seiner ursprünglich gegen die "BKK für Heilberufe" gerichteten Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2011 gewendet. Das Arbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 26.03.2012 nach Anhörung der Parteien das Passivrubrum dahin geändert, dass Beklagte die "BKK für Heilberufe, Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung" ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die BKK für Heilberufe bestehe gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V seit dem 01.01.2012 als Abwicklungskörperschaft fort. Sein Arbeitsverhältnis sei infolge der Schließung der Kasse nicht kraft Gesetzes beendet worden. Wegen der Schwere des Eingriffs in Art. 12 Abs.1 GG sei bereits zweifelhaft, ob § 164 Abs.4 S.1 SGB V überhaupt verfassungsgemäß sei. Wenn dies bejaht werde, dann sei der auch an Art. 3 Abs.1 GG zu messende Eingriff nur dann zu rechtfertigen, wenn die betroffenen Arbeitnehmer anderweitig untergebracht würden. Der Kläger sei nicht untergebracht worden, da die BKK F. es abgelehnt habe, ihn zu übernehmen.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch sei auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 - AZ: GS 1/84 - gerechtfertigt. Bei der Beklagten bestehe noch ein Beschäftigungsbedarf, wie daraus zu ersehen sei, dass nahezu allen Arbeitnehmern befristete Verträge unterbreitet worden seien.


Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien seit dem 01.06.1999 bestehende Arbeitsverhältnis mit den bis zum 31.12.2011 bestehenden Bedingungen über den 31.12.2011 hinaus fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger auch nicht durch andere Beendigungstatbestände - insbesondere Erklärungen der Beklagten - endet, sondern unverändert fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Sachbearbeiter im Bereich Leistungswesen über den 31.12.2011 hinaus weiter zu beschäftigen.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass es sich bei der zum 31.12.2011 geschlossenen BKK für Heilberufe einerseits und der Abwicklungskörperschaft andererseits um unterschiedliche Rechtsträger handle. Dies folge u.a. daraus, dass die Beendigung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts einen Schließungsakt erfordere, der in dem zum 31.12.2011 wirksam gewordenen Schließungsbescheid zu sehen sei. Nach dem 31.12.2011 werde kein anderer Schließungsakt mehr erfolgen, so dass die Existenz der BKK für Heilberufe an diesem Tag erloschen sei.

Aufgrund der Schließung sei das Arbeitsverhältnis gemäß § 155 Abs. 4 S. 9 SGB V i.V.m. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V mit dem Ablauf des 31.12.2011 beendet worden. Diese Rechtsfolge ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der beiden Normen. Die Normen seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Zwar werde damit in das Grundrecht der Arbeitnehmer auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, da er zur Sicherung der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung geeignet, erforderlich und angemessen sei. Wegen der Dritthaftung der Betriebskrankenkassen für die Verbindlichkeiten der leistungsunfähigen geschlossenen Betriebskrankenkassen gemäß § 155 Abs. 4 Sätze 4 bis 6 SGB V würde die Leistungsfähigkeit des gesamten Systems durch die Übernahme von Personalkosten weiter geschwächt. Der Erhalt der Leistungsfähigkeit des Krankenkassensystems sei als überragend wichtiger Allgemeinwohlbelang einzustufen. Demgegenüber seien die Einschnitte in die Rechte der Arbeitnehmer vergleichsweise gering. Denn im Fall der Schließung einer Krankenkasse müssten die Arbeitsverhältnisse ohnehin durch Kündigung beendet werden.

Auch der Umstand, dass Kündigungsfristen nicht eingehalten würden, führe nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Normen. Denn die Aufsichtsbehörde habe nach den gesetzlichen Vorgaben den Schließungszeitpunkt nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung des Ermessens würden die Belange der Arbeitnehmer durch Bestimmung eines erst in der Zukunft liegenden Zeitpunktes (hier fast zwei Monate) berücksichtigt. Schließlich sei eine Verkürzung der Kündigungsfristen auch z.B. im Fall der Insolvenz gesetzlich vorgesehen.

Es käme nicht darauf an, ob dem Arbeitnehmer ein zumutbares Angebot unterbreitet worden sei. Selbst in dem Fall, dass überhaupt keine anderweitige Unterbringung versucht werde, ende das Arbeitsverhältnis nach dem Wortlaut des § 164 Abs.4 S.1 SGB V, da lediglich auf die tatsächliche Unterbringung abgestellt werde. Gegebenenfalls stehe dem Arbeitnehmer dann ein Schadenersatzanspruch zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 26.03.2012 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat den Anträgen zu 1) und 3) stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Seine Entscheidung hat es - soweit für das Berufungsverfahren von Relevanz - im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klage sei zulässig. Die Berichtigung der Parteibezeichnung habe der Klarstellung gedient. Eine Klageänderung sei damit nicht verbunden gewesen, da die ursprüngliche BKK für Heilberufe mit der Abwicklungskörperschaft identisch sei. Unabhängig davon, ob die Beklagte voll- oder nur teilrechtsfähig sei, sei sie parteifähig, da ihr jedenfalls für den vorliegenden Rechtsstreit Rechtsfähigkeit zukomme. Das Feststellungsinteresse ergebe sich daraus, dass sich die Beklagte darauf berufe, dass Arbeitsverhältnis mit der BKK für Heilberufe habe zum 31.12.2011 geendet. Die Klage sei auch begründet. Das Arbeitsverhältnis sei nicht kraft Gesetzes gemäß § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V beendet worden. Diese Normen seien dahin auszulegen, dass Voraussetzung der gesetzlichen Vertragsbeendigung kraft § 164 Abs.4 S.1 SGB V die ordentliche Unkündbarkeit des Arbeitnehmers und seine vorherige Teilnahme an dem Unterbringungsverfahren nach § 164 Abs.3 SGB V sei. Hintergrund der Einfügung des zum 01.01.2009 in Kraft getretenen § 155 Abs.4 S.9 SGB V sei ausweislich der Gesetzesbegründung die Absicht gewesen, auch den ordentlich unkündbaren Beschäftigten einer notleidenden Betriebskrankenkasse die Möglichkeiten des Unterbringungsverfahrens zuteilwerden zu lassen. Die Gesetzesbegründung enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Bereich der Betriebskrankenkassen von der grundsätzlichen Konzeption habe abgewichen werden sollen, wonach der Beendigung stets eine erfolglose Durchführung des Unterbringungsverfahrens vorauszugehen habe. Entgegen der Annahme der Beklagten gehöre der Kläger aber nicht zu den unkündbaren Beschäftigten. Einem schwerbehinderten Menschen könne gemäß §§ 68 Abs.1, 85 SGB IX nach Zustimmung des Integrationsamtes ordentlich gekündigt werden. Aus der Eigenschaft des Klägers als stellvertretendem Schwerbehindertenvertreter folge ebenfalls keine Unkündbarkeit. Im Falle der Betriebsschließung könnten Schwerbehindertenvertreter gemäß § 96 Abs.3 S.1 SGB IX i.V.m. § 15 Ab.4 KSchG ordentlich gekündigt werden.

Gegen dieses Urteil, welches der Beklagten am 19.04.2012 zugestellt worden ist, hat sie mit einem am 24.04.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 19.06.2012 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte rügt zunächst, das Arbeitsgericht habe einen unzulässigen Parteiwechsel vorgenommen. Die seit dem 01.01.2012 existierende BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung sei ein von der ursprünglichen Beklagten strikt zu separierender Rechtsträger. Die fehlende Identität ergebe sich u.a. aus folgenden Gesichtspunkten: Die hoheitliche Anordnung der Schließung habe die Existenz der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts als actus contrarius zum Errichtungsakt beendet. Die Beendigung der Existenz eines Rechtsträgers setze zwingend einen hoheitlichen Rechtsakt voraus; ein solcher ergehe aber nach dem Schließungsbescheid nicht mehr. Die Finanzverwaltung erkenne die Abwicklungskörperschaft als eigenständigen Rechtsträger an. Sie sei verpflichtet, eine neue Steuernummer zu beantragen. Auch die Einführung der Achtwochenfrist zwischen Zustellung des Schließungsbescheides und Schließung einer Betriebskrankenkasse zeige, dass der Gesetzgeber im Jahr 2011 Handlungsbedarf zum besseren Schutz der Arbeitnehmer gesehen habe. Eines solchen Schutzes hätte es nicht bedurft, wenn die Rechtspersönlichkeit einer Betriebskrankenkasse nicht mit der Schließung untergehen würde. Sinn und Zweck der gesetzlichen Konzeption des Schließungsprocederes sei es, dass die Abwicklungskörperschaft nicht an gesetzlich vorgegebene Faktoren gebunden sein solle, die ihr Gestaltungsspielräume nähmen. Sie solle neue Arbeitsverhältnisse je nach Bedarf schließen können. Über eine etwaige Identität des Vorstandes der Abwicklungskörperschaft mit demjenigen der geschlossenen Betriebskrankenkasse sage § 155 Abs.1 S.3 SGB V nichts aus. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 155 Abs.1 S.2 SGB V ("gilt ... als fortbestehend") folge die Fiktion einer Existenz, woraus zu schließen sei, dass tatsächlich eine Beendigung der Existenz eingetreten sei. Die fingierte Abwicklungskörperschaft setze die Abwicklung der untergegangenen Betriebskrankenkasse fort. Dies entspreche auch dem gesetzgeberischen Willen, wie der Begründung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 16.06.2008 zu entnehmen sei (BT-Drs. 16/9559, S. 16). Danach solle die Schließung "insbesondere wegen ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigten und die Versicherten der Krankenkasse nur Ultima Ratio" sein. Ginge man von einer Rechtsträgeridentität aus, so wären auf die Beschäftigten überhaupt keine Auswirkungen zu verzeichnen.

Das Arbeitsverhältnis habe ipso jure durch die Beendigung der Existenz der BKK für Heilberufe und im Übrigen aufgrund von § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V geendet. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei der Kläger als Schwerbehindertenvertretung unkündbar. Der Annahme des Arbeitsgerichts, eine Kündbarkeit ergebe sich aus § 15 Abs.4 KSchG, sei nicht zu folgen. Zum einen seien die §§ 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V Spezialvorschriften, die dazu führten, dass § 15 Abs.4 KSchG nicht zur Anwendung kommen könnte. Zum anderen sei das Tatbestandsmerkmal der Stilllegung nicht erfüllt, weil dies nach ständiger Rechtsprechung einen Entschluss des Arbeitgebers erfordere. Demgegenüber sei die Schließung der Beklagten durch einen Verwaltungsakt der Aufsichtsbehörde erfolgt.

Dementsprechend sei der Kläger am Unterbringungsverfahren beteiligt worden. Auf die konkrete Ausgestaltung eines solchen Angebots komme es nicht an, da die Beendigungswirkung des § 164 Abs.4 S.1 SGB V selbst dann eintrete, wenn eine Unterbringung erfolglos verlaufe. Zudem sei das Angebot zumutbar gewesen.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe aber auch dann geendet, wenn er tatsächlich ordentlich kündbar sei. Es wäre nicht überzeugend, § 164 Abs.4 S.1 SGB V nur auf die ordentlich unkündbaren Beschäftigten anzuwenden, weil diese dann schlechter gestellt wären als die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Soweit in der Gesetzesbegründung Ausführungen zu der Situation der kündbaren Arbeitnehmer fehlten, beruhe dies darauf, dass sich die Beendigung der Arbeitsverhältnisse unabhängig von der Verweisung auf § 164 Abs.4 S.1 SGB V bereits aus dem Erlöschen des ursprünglichen Arbeitgebers ergebe. § 164 Abs.4 S.1 SGB V komme dementsprechend lediglich eine deklaratorische Bedeutung zu. Bestätigt werde die Auffassung, dass alle Arbeitsverhältnisse mit der Schließung einer Betriebskrankenkasse endeten, durch einen Antrag an den Bundestag vom 06.07.2011 anlässlich der Schließung der City-BKK, in dem gefordert wurde, bei Kassenschließungen identische Sozialstandards wie bei Betriebsschließungen, also die üblichen Vorgaben des Kündigungsschutzes einzuhalten. Der Antragsbegründung lasse sich die Intention des Gesetzgebers entnehmen, die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten mit dem Tag der Betriebsschließung enden zu lassen.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch gehe ins Leere, da die ursprüngliche, von der Abwicklungskörperschaft zu trennende Arbeitgeberin mit Ablauf des 31.12.2011 erloschen sei.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.03.2012 - AZ: 14 Ca 7282/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Richtigerweise sei der Kläger nicht unkündbar und falle dementsprechend nicht in den Anwendungsbereich der §§ 155 Abs.4 S.9, 164 Abs.4 S.1 SGB V. Aber selbst wenn man unterstellen würde, der Kläger wäre unkündbar, dann sei die Voraussetzung einer Beendigung kraft Gesetzes nicht erfüllt, da er nicht untergebracht worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger klargestellt, der Weiterbeschäftigungsantrag sei so zu verstehen, dass er für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1) gestellt werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 26.03.2012 und 08.03.2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

I. Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken.

1. Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs.1, 64 Abs.6 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 64 Abs.1, 2 lit. c) ArbGG.

2. Die Berufung ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil sie im Namen einer juristischen Person eingelegt worden ist, die bei Einlegung der Berufung gar nicht (mehr) Partei des Rechtsstreits war.

Allerdings wird in der Berufungsschrift die Beklagte nicht mit der vom Arbeitsgericht berichtigten Parteibezeichnung, sondern mit dem ursprünglichen Namen - also ohne den Zusatz "in Abwicklung" - angegeben. Namens und im Auftrag dieser Beklagten wird die Berufung eingelegt. Hierbei handelt es sich auch nicht um eine irrtümliche und im Wege einer Auslegung gegebenenfalls korrigierbare Falschbezeichnung, wie der Berufungsbegründung zu entnehmen ist. Darin wird ausdrücklich zwischen der Beklagten und der "Abwicklungskörperschaft" differenziert. Die Berufung wird u.a. darauf gestützt, dass es sich hierbei um unterschiedliche Rechtsträger handle. Wäre dies zutreffend, so wäre die Berufung nicht durch eine Partei des Rechtsstreits eingelegt worden. Die Parteistellung für das Rechtsmittelverfahren wird nämlich durch den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, die zum Vorteil oder Nachteil einer bestimmten Partei ergeht, begründet; zur Einlegung der Berufung ist darum derjenige berechtigt, gegen den sich das Urteil richtet (BGH v. 08.03.2004 - II ZR 175/02 - WM 2004, 1054). Im Übrigen sind nur diejenigen Personen zur Berufungseinlegung befugt, die in erster Instanz oder im Laufe der Rechtsmittelfrist als Gesamtnachfolger, infolge Parteiwechsel oder Parteibeitritts in den Prozess eingetreten sind oder deren Eintritt durch Urteil abgelehnt worden ist (Zöller-Heßler, ZPO, 29. Auflage 2012, § 511 Rn. 4). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die Berufung ist aber dennoch zulässig, da die Beklagte als Abwicklungskörperschaft mit der ursprünglichen "BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts" identisch ist. Es entspricht der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass im Falle der Abwicklung einer geschlossenen Betriebskrankenkasse kein neuer Rechtsträger entsteht bzw. fingiert wird (so ausdrücklich: LAG Berlin - Brandenburg Urteile v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 26, v. 08.05.2012 - 7 Sa 2558/11 - Rn. 22, v. 11.05.2012 - 13 Sa 2486/11 - Rn. 26 und v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12, Rn. 45, alle zitiert nach juris; vgl. weiter: LAG Baden - Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 15, juris; VG Baden - Württemberg v. 20.12.2011 - PB 15 S 2128/11 - Rn. 6, juris; Dalichau, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Anm. II. 2. zu § 155 SGB V; Kasseler Kommentar-Peters, Sozialversicherungsrecht, § 155 SGB V Rn.3; Gutzeit NZS 2012, 362; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, S. 270, 272). Auch das Arbeitsgericht Stuttgart räumt in dem Urteil vom 14.12.2011 - 22 Ca 4263/11 -, auf welches sich die Beklagte zur Stützung ihrer Ansicht beruft, ein, dass nicht etwa eine neue (Abwicklungs-)Körperschaft fingiert werde, sondern die "gesetzlich fingierte Beklagte" (also die Betriebskrankenkasse!) "nur noch fiktiv bestehen" bleibe (S.6 des Urteils).

Die Identität der geschlossenen Betriebskrankenkasse und der Abwicklungskörperschaft ergibt sich aus Folgendem:

Gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt eine aufgelöste oder geschlossene Betriebskrankenkasse als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Das Fortbestehen der Betriebskrankenkasse wird fingiert, damit die Handlungsfähigkeit für die Abwicklung erhalten bleibt (vgl. etwa Dalichau, SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, Anm. II. 2. zu § 155 SGB V). Daraus folgt zweierlei: Zum einen wird die Existenz der Betriebskrankenkasse eigentlich mit der Schließung beendet. Zum anderen wird aber zum Zwecke der Abwicklung nicht etwa ein neuer Rechtsträger gegründet, sondern es erfolgt eine Fiktion des Weiterbestandes der bisherigen Körperschaft. Der Wortlaut ist eindeutig und schließt die von der Beklagten vertretene 2-Rechtsträger-Theorie aus. So gilt die Fiktion nicht für "eine", sondern für "die" Betriebskrankenkasse, wodurch sprachlich ein Bezug zu der "aufgelösten oder geschlossenen Betriebskrankenkasse" in dem vorhergehenden Satz (§ 155 Abs.1 S.1 SGB V) hergestellt wird. Da sie als "fortbestehend" (Hervorhebung durch Unterzeichner) gilt, kann es sich bei der Abwicklungskörperschaft nicht um einen neuen Rechtsträger handeln. Außerdem bedürfte eine neue Körperschaft - auch im Falle einer bloßen Fiktion - der Bestellung eines Vorstandes. Gemäß § 155 Abs.1 S.1 SGB V wickelt jedoch der Vorstand der aufgelösten oder geschlossenen Betriebskrankenkasse, nicht derjenige einer neuen Abwicklungskörperschaft die Geschäfte ab. Dies ist nicht auf die Zeit bis zur Schließung begrenzt. Dementsprechend geht auch § 155 Abs.1 S.3 SGB V davon aus, dass der alte Vorstand im Amt bleiben kann, denn andernfalls hätte es einer Regelung bedurft, die nicht ausschließlich für den Fall des Ausscheidens dieses Vorstandes gilt. Stattdessen hätte der Gesetzgeber dann regeln müssen, dass der Vorstand der Abwicklungskörperschaft immer von der Aufsichtsbehörde bestimmt wird.

Ob sich aus der Vergabe einer neuen Steuernummer schließen lässt, dass die Finanzverwaltung von einem neuen Rechtsträger ausgeht, kann dahingestellt bleiben. Eine solche etwaige Einschätzung der Finanzverwaltung entfaltet im vorliegenden Rechtsstreit keine Bindungswirkung.

Ergänzend wird gemäß § 69 Abs.2 ArbGG vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Identität der ursprünglichen BKK für Heilberufe mit der Abwicklungskörperschaft Bezug genommen.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden.

1. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht das Rubrum dahingehend berichtigt hat, dass der von der Beklagten im Rechtsverkehr verwandte Zusatz "in Abwicklung" (vergleiche nur das Schreiben vom 23.11.2011) hinzugefügt wurde. Da die BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung identisch ist, liegt hierin keine Auswechslung des Klagegegners.

2. Die Klage ist zulässig.

a) Die Beklagte ist parteifähig im Sinne des § 50 Abs. 1 ZPO.

Sie ist nämlich zumindest teilrechtsfähig. Dem steht die durch den Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 02.11.2011 verfügte Schließung der BKK für Heilberufe zum 31.12.2011 nicht entgegen. Infolge der gesetzlichen Fiktion des § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt sie als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Mit der Fiktion des Fortbestehens ist die Beklagte handlungsfähig und kann sogar neue Rechtsverhältnisse begründen, soweit der Zweck der Abwicklung es erfordert (vgl. Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung etc., § 155 SGB V Rn. 5; Gutzeit NZS 2012, 361, 362 f.). Daraus ergibt sich die Parteifähigkeit bezüglich eines Bestandsschutzprozesses, da die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zur Abwicklung gehört (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 44, juris).

b) Es besteht das gemäß § 256 Abs.1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Dieses ergibt sich daraus, dass sich die Beklagte auf den Standpunkt stellt, das Arbeitsverhältnis sei unmittelbar aufgrund der Schließung der Betriebskrankenkasse bzw. kraft Gesetzes gemäß § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V beendet.

3. Die Klage ist begründet.

a) Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand über den 31.12.2011 hinaus zu den bis zum 31.12.2011 geltenden Arbeitsbedingungen fort.

aa) Die Beendigung des bisherigen unbefristeten Arbeitsverhältnisses ist nicht ipso jure dadurch eingetreten, dass mit der Schließung die Existenz der BKK für Heilberufe Körperschaft des öffentlichen Rechts erloschen ist.

Gemäß § 155 Abs.1 S.2 SGB V gilt die Beklagte zum Zwecke der Abwicklung als fortbestehend. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Würden unabhängig davon automatisch wegen der Beendigung der Existenz des bisherigen Arbeitgebers alle Arbeitsverhältnisse enden, so bedürfte es der §§ 155 Abs.4 S.9, 164 Abs.4 S.1 SGB V nicht. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, Arbeitnehmern, die nicht zum Zwecke der Abwicklung der Kasse benötigt werden, würde mit der Schließung der Arbeitgeber abhandenkommen (so Gutzeit NZS 2012, 361, 365), ist unzutreffend. § 155 Abs.1 S.2 SGB V fingiert nicht nur für einzelne Vertragsverhältnisse, sondern insgesamt zum Zwecke der Abwicklung das Fortbestehen der Betriebskrankenkasse. Durch die Einschränkung auf den Abwicklungszweck wird lediglich ausgeschlossen, dass die Betriebskrankenkasse wieder eine aktive Geschäftstätigkeit entfaltet. Auf die bestehenden Vertragsverhältnisse - seien es Arbeitsverhältnisse oder andere Verträge - hat die Beschränkung hingegen keinen Einfluss. Würde man dies anders verstehen, so gäbe es gar nichts abzuwickeln, weil alle Vertragsverhältnisse durch das Erlöschen der Betriebskrankenkasse enden würden.

bb) Das bisherige Arbeitsverhältnis hat nicht gemäß § 155 Abs.4 S.9 i.V.m. § 164 Abs.4 S.1 SGB V zum 31.12.2011 geendet, da der Kläger als ordentlich kündbarer Arbeitnehmer nicht zu dem von diesen Normen erfassten Personenkreis gehört.

aaa) Wie das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, findet § 164 Abs.4 S.1 SGB V auf ordentlich kündbare Arbeitnehmer von Betriebskrankenkassen keine Anwendung. Dieses Ergebnis folgt aus einer Auslegung der vorgenannten Normen (ebenso: LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.46 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 31.10.2012 - 4 Sa 767/12 - Rn. 29, juris; LAG Berlin - Brandenburg v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 27 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12 - Rn. 47 ff., juris; Wolter, Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 155 Abs. 4 S. 9, 164 Abs. 2 bis Abs. 4 aus Anlass der Schließung der City BKK zum 30.06.2011, S. 14; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, S. 270, 272. Anderer Ansicht: LAG Baden-Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 25 ff., juris; LAG Berlin - Brandenburg v. 12.09.2012 - 23 Sa 847/12 - Rn. 26, juris; Gutzeit NZS 2012, 361 ff.; Bohlen-Schöning KrV 2011, 85; Grau/Sittard KrV 2012, 6; Thomma KrV 2012, 27).

Bei der einfach-gesetzlichen Auslegung ist auf den Wortlaut der Vorschrift, den systematischen Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Norm abzustellen (vgl. etwa BAG v. 15.02.2012 - 7 AZR 734/10 - NZA 2012, 919; BAG v. 06.04.2011 - 7 AZR 716/09 - AP Nr. 82 zu § 14 TzBfG). Zur Ermittlung der Entstehungsgeschichte und des Zwecks der Vorschrift kann auf die Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden (vgl. BAG v. 19.06.2012 - 3 AZR 464/11 - Rn.24, juris; BAG v. 15.02.2012 a.a.O., Rn. 20 u. 23; BAG v. 13.02.2008 - 2 AZR 864/06 - AP Nr. 5 zu § 85 SGB IX). Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich hier Folgendes:

(1) Um die Reichweite der Verweisungsnorm des § 155 Abs.4 S.9 SGB V zutreffend erfassen zu können, bedarf es zunächst einmal der Feststellung, welchen Regelungsinhalt die in Bezug genommene Vorschrift des § 164 Abs.4 S.1 SGB V hat. Diese Norm führt ausschließlich in den Fällen zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, in denen zuvor das Unterbringungsverfahren nach § 164 Abs.3 SGB V ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

(a) In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob die ordnungsgemäße Durchführung des Unterbringungsverfahrens gemäß § 164 Abs.3 SGB V Voraussetzung für die Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen gemäß § 164 Abs.4 SGB V ist.

Nach einer Ansicht tritt die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V auch dann ein, wenn das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V zuvor nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 12.09.2012 - 23 Sa 847/12 - Rn 25, juris; LAG Baden-Württemberg v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 47, juris; Gutzeit NZS 2012, 361, 364; Grau/Sittard, KrV 2012, 6, 10; Thomma KrV 2012, 27, 28; Bohlen-Schöning, KrV 2011, 85, 86). Hierfür spreche der Wortlaut, denn es endeten die Anstellungsverhältnisse aller Beschäftigten, die nicht untergebracht worden seien, ohne dass danach differenziert werde, warum eine Unterbringung unterblieben sei. Ein Verstoß gegen § 164 Abs.3 SGB V löse lediglich Schadenersatzansprüche aus.

Nach anderer Ansicht kann die gesetzliche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V nur eintreten, wenn zuvor das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. LAG Hamburg v. 29.08.2012 - 5 Sa 124/11 - Rn. 44, juris; LAG Hamburg v. 04.07.2012 - H 6 Sa 140/11 - Rn. 47, juris; LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.46 ff.; LAG Berlin-Brandenburg v. 31.10.2012 - 4 Sa 767/12 - Rn. 31, juris; LAG Berlin - Brandenburg v. 12.04.2012 - 5 Sa 2554/11 - Rn. 27 ff.; LAG Berlin - Brandenburg v. 08.05.2012 - 7 Sa 2558/11 - juris; LAG Berlin - Brandenburg v. 24.05.2012 - 18 Sa 2605/11, 18 Sa 116/12 - Rn. 47 ff., juris; Klimpe-Auerbach, SozSich 2011, 270, 272; Jahn, SGB Sozialgesetzbuch für die Praxis, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung Teil 2, § 164 Rn. 28; Peters in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 73. Ergänzungslieferung 2012, § 164 SGB V Rn. 5). Die Absätze 3 und 4 der Vorschrift stünden in einem untrennbaren Zusammenhang (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 52).

(b) Die Kammer schließt sich der zweitgenannten Meinung an.

(aa) Der Wortlaut ist nicht eindeutig, spricht aber eher für die hier vertretene Auffassung.

Zwar scheint auf den ersten Blick mehr darauf hinzudeuten, dass ausschließlich auf die tatsächliche Unterbringung, nicht auf die Unterbringungsbemühungen abgestellt werden soll, denn andernfalls hätte die Formulierung "untergebracht werden können" nahegelegen (vgl. LAG Baden - Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn.51, juris). Der zweite Blick zeigt aber, dass ein in diesem Sinne wörtliches Verständnis nicht durchgehalten werden kann. Die Auffassung, die eine derartige Auslegung für zutreffend hält, vermag nicht zu erklären, warum die Unterbringung im Sinne des Absatzes 3 überhaupt in Absatz 4 S.1 SGB V genannt wird, wenn hierdurch kein Bezug auf das dort geregelte Verfahren hergestellt werden soll. Ein Abstellen auf die tatsächliche Unterbringung - den Unterbringungserfolg - würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass die Anstellungsverhältnisse derjenigen Beschäftigten, die bei einer anderen Krankenkasse untergebracht wurden, nicht enden würden. Ausgerechnet die Vertragsverhältnisse der am wenigsten schutzwürdigen - weil bereits anderweitig untergebrachten - Beschäftigten würden dann fortbestehen. Um dies zu vermeiden, wäre man gezwungen, den Wortlaut der Vorschrift hinsichtlich der Einschränkung "die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden" vollständig zu ignorieren. So kommt das Arbeitsgericht Chemnitz in einem Urteil vom 28.11.2011 - 11 Ca 1506/11 - zu dem Schluss, § 164 Abs.4 SGB V enthalte eine planwidrige unbewusste Regelungslücke, mit dem Ergebnis, dass entgegen des Wortlauts die Arbeitsverhältnisse der nach § 164 Abs.3 SGB V untergebrachten Arbeitnehmer mit der Schließung enden (KrV 2012, 27 [Leitsatz], mit Gründen in juris). Teilweise wird auch mit einem "Erst-Recht-Schluss" argumentiert (Gutzeit NZS 2012, 361, 367; Thomma KrV 2012, 28, 29).

(bb) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls gegen eine "Tabula-Rasa-Lösung".

Ausgangspunkt des Gesetzes sind nicht die normalen Arbeitnehmer, sondern die sog. Dienstordnungsangestellten. Zunächst wird für diese in § 164 Abs.3 S.1 und S.2 SGB V eine Unterbringungsverpflichtung normiert, ehe dann in Satz 3 eine modifizierte Regelung für die "übrigen Beschäftigten" erfolgt. Wie die erste Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg überzeugend aufgezeigt hat, orientiert sich das Gesetz insoweit weitgehend an den Regelungen des öffentlichen Dienstrechts (LAG Baden-Württemberg v. 21.05.2012 - 1 Sa 2/12 - Rn. 58 ff., zitiert nach juris). So sehen die Vorschriften des Beamtenrechts ebenfalls Regelungen für den Fall vor, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Rechtspersönlichkeit verliert. § 16 Abs.1 BeamtStG bestimmt für den Fall der Umbildung, dass die Beamten der eingegliederten Körperschaft in den Dienst der aufnehmenden Körperschaft übertreten. Das Beamtenverhältnis wird nach § 17 Abs.1 BeamStG mit dem neuen Dienstherrn fortgesetzt. Grundsätzlich ist dem Beamten nach § 18 Abs.1 S.1 BeamtStG ein gleichbewertetes Amt zu übertragen. Wenn eine derartige Verwendung nicht möglich ist, kann ihm auch ein anderes Amt mit geringerem Grundgehalt übertragen werden. Lediglich dann, wenn eine anderweitige Unterbringung nicht möglich ist, weil die Zahl der vorhandenen Beamten den tatsächlichen Bedarf bei der aufnehmenden oder neuen Körperschaft übersteigt, kommt eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand in Betracht (vgl. § 18 Abs.2 BeamtStG).

Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber für die den Beamten rechtlich weitgehend gleichgestellten Dienstordnungsangestellten eine vergleichbare Regelung schaffen wollte. Dementsprechend sind starke Ähnlichkeiten erkennbar. Gemäß § 164 Abs.3 S.1 SGB V sind die Dienstordnungsangestellten verpflichtet, eine dienstordnungsmäßige Stelle bei einer anderen (Innungs-)Krankenkasse anzunehmen. Ähnlich wie in § 18 Abs.1 S.2 BeamtStG vorgesehen, kann auch Dienstordnungsangestellten eine Stelle mit einer niedrigeren Besoldung übertragen werden, wobei allerdings § 164 Abs.3 S.2 SGB V einen Ausgleich der Differenz zur bisherigen Besoldung vorsieht. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses - bzw. Versetzung in den einstweiligen Ruhestand - wird als nachrangige Alternative vorgesehen (§ 18 Abs.2 S.1 BeamtStG: "wenn die Zahl der ... vorhandenen Beamtinnen und Beamten den tatsächlichen Bedarf übersteigt"; § 164 Abs.4 S.1 SGB V: "die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden").

Dieser Vergleich mit den beamtenrechtlichen Regelungen spricht dafür, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Unterbringungsverfahrens nach § 164 Abs.3 SGB V Voraussetzung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V ist. Andernfalls wäre nämlich die Beendigung des Anstellungsverhältnisses der Dienstordnungsangestellten anders als die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand bei den Beamten nicht mehr ultima ratio. Krankenkassen könnten sich auf "kaltem Wege" ihrer Dienstordnungsangestellten entledigen, ohne ihrer Unterbringungsverpflichtung nachzukommen. Die weitgehende Gleichstellung von Dienstordnungsangestellten mit Beamten (vgl. hierzu nur BAG v. 24.05.2012 - 6 AZR 679/10 - Rn. 15, juris) wäre in dem wichtigen Bereich der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses obsolet. Der Verweis auf dann entstehende Schadenersatzansprüche (so etwa Bohlen-Schöning KrV 2011, 85, 86) vermag nicht zu überzeugen. Ein Schadenersatz kann bestenfalls finanzielle Folgen ausgleichen, nicht aber den sonstigen Wert eines Arbeitsverhältnisses ersetzen. Dieses erschöpft sich nämlich nicht darin, einem Arbeitnehmer den Lebensunterhalt zu sichern. Die Beschäftigung ist Teil der im Grundgesetz in Art. 1 und 2 geschützten Würde des Menschen und dessen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das Leben eines Menschen wird zu einem ganz wesentlichen Teil durch das Arbeitsverhältnis bestimmt und geprägt. Die Arbeit in einem Arbeitsverhältnis stellt für einen Arbeitnehmer eine wesentliche Möglichkeit zur Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten und damit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit dar (vgl. hierzu die grundlegenden Ausführungen des Großen Senats des BAG, Beschluss v. 27.02.1985 - GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

(cc) Der Zweck der Norm spricht entscheidend für die hier vertretene Auffassung.

Die Befürworter der Tabula-Rasa-Lösung sehen den Zweck des § 164 Abs.4 S.1 SGB V in einer geordneten und planbaren Abwicklung einer notleidenden gesetzlichen Krankenkasse (vgl. etwa die Ausführungen der siebten Kammer des LAG Baden - Württemberg, Urteil v. 18.05.2012 - 7 Sa 13/12 - Rn. 53, juris; Gutzeit NZS 2012, 361, 366 und NZS 2012, 410, 413). Die Krankenkasse solle auf Grundlage eines Personalbestandes "Null" vornehmlich mit vormaligen Arbeitnehmern über neue - in der Regel befristete - Arbeitsverträge die Abwicklungsarbeit organisieren können (Gutzeit NZS 2012, 361, 366 ; Grau/Sittard KrV 2012, 6, 10). Es solle eine zu hohe Belastung des Gesamtsystems der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Abwicklungskosten vermieden werden (Grau/Sittard KrV 2012, 6, 10). Finanzielle Folgelasten durch Unwägbarkeiten im Personalbestand könnten über den Haftungsverbund zu einer Art "Dominoeffekt" führen und in der Folge auch die Leistungsfähigkeit weiterer Kassen gefährden (Gutzeit NZS 2012, 410, 414).

Für diese behaupteten Zweckrichtungen des § 164 Abs.4 S.1 SGB V lassen sich weder im Gesetz selbst noch in der Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte finden. Wäre wirklich der Schutz der Krankenkassen intendiert, dann dürfte es das Unterbringungsverfahren gemäß § 164 Abs.3 SGB V nicht geben, denn hierdurch können in der Tat erhebliche - und zwar dauerhafte - Personalkosten auf die anderen Krankenkassen zukommen. Außerdem ist bei dieser Zweckrichtung wiederum nicht erklärbar, warum § 164 Abs.4 S.1 SGB V überhaupt eine Einschränkung vornimmt ("die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden"), statt schlicht und ergreifend alle Arbeitsverhältnisse zum Schließungszeitpunkt zu beenden. Gegen den Zweck "Schutz der Krankenkassen/Verhinderung eines Domino - Effekts" spricht auch, dass zum Zeitpunkt der Entstehung des § 164 SGB V (Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988) ein möglicher Zusammenbruch des Krankenkassensystems nicht ernsthaft in der Diskussion stand und sich jedenfalls den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen lässt. Hätte eine solche Befürchtung tatsächlich zum damaligen Zeitpunkt bestanden, dann wäre die Regelung sicherlich nicht zunächst auf die Innungskrankenkassen beschränkt, sondern zeitgleich für die Orts- und Betriebskrankenkassen eingeführt worden.

Der wirkliche Sinn und Zweck des Gesetzes ist ein anderer: Er erschließt sich schon aus der oben aufgezeigten Gesetzessystematik. Dem Gesetzgeber ging es zunächst einmal darum, eine Regelung für die Dienstordnungsangestellten zu finden, deren Anstellungsverhältnisse nicht nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen beendet werden können (vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung zu § 171a SGB V, der für Vereinigungen von Betriebs- und Ersatzkassen auf § 164 Abs.2 bis 5 SGB V verweist. Dort heißt es: "Satz 4 [gemeint ist erkennbar Satz 5, Anm. d. Unterzeichner] enthält eine Folgeregelung zur Sicherung der Ansprüche der DO-Angestellten durch die vereinigte Krankenkasse" [BT-Drucksache 16/3100 S. 156]). Um den übrigen Beschäftigten einen besonderen Schutz zukommen zu lassen, wurde auch für diese ein Unterbringungsverfahren geschaffen und allein deshalb auch die Konsequenz der nicht erfolgreichen Unterbringungsbemühungen gemäß § 164 Abs.4 S.1 SGB V eingeführt.

Dass tatsächlich ein Schutz der Arbeitnehmer - und nicht der Krankenkassen - beabsichtigt war, geht aus der Entstehungsgeschichte zweifelsfrei hervor. § 164 Abs. 3 S.1-3 und Abs. 4 SGB V stimmen inhaltlich mit § 173 Abs. 3 und 4 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP überein (vgl. BT-Drucksache 11/2237, S.54). In der Entwurfsbegründung heißt es hierzu (BT-Drucksache 11/2237, S.212):

"Zu Absatz 3 bis 5

Im Interesse des von der Auflösung oder Schließung einer Innungs-krankenkasse betroffenen Personals wird vorgesehen, dass grundsätzlich sowohl den dienstordnungsmäßigen Angestellten als auch den übrigen Bediensteten der Krankenkasse die Weiterbeschäftigung entweder beim zuständigen Landesverband der Innungskrankenkassen oder bei einer anderen Innungskrankenkasse anzubieten ist. Die Übernahme der Beschäftigten soll zu denselben oder mindestens gleichwertigen Bedingungen erfolgen. Nur in den Fällen, in denen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist, sollen die Vertragsverhältnisse enden."

(Hervorhebungen durch Unterzeichner)

Erstmals im Jahr 2011 finden sich parlamentarische Äußerungen, die den §§ 155 Abs.4 S.9, 164 Abs.4 S.1 SGB V einen anderen Sinn beimessen. Auf eine Anfrage der Abgeordneten B. L. (SPD) antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin B. X.-N., gesetzlich sei bestimmt, "dass die Vertragsverhältnisse der oben genannten Beschäftigten, die nicht wie beschrieben untergebracht werden, mit dem Tag der Schließung enden." Das gelte "auch dann, wenn keine oder keine zumutbaren Stellen angeboten" würden (Plenarprotokoll 107/17, Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11.05.2011, S. 12273). Diese Antwort kann bei der Ermittlung des Gesetzeszwecks aber nicht herangezogen werden. Zum einen erfolgte die Äußerung mehr als zwölf Jahre nach Inkrafttreten des § 164 Abs.4 S.1 SGB V, kann also nicht die Entstehungsgeschichte dokumentieren. Zum anderen handelt es sich um eine Meinungsäußerung der (jetzigen) Bundesregierung, nicht des (damaligen) Gesetzgebers.

(dd) Dem dargelegten Verständnis des § 164 Abs.4 S.1 SGB V kann nicht entgegengehalten werden, hierin läge eine gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG) verstoßende Sanktion gegen wechselunwillige Arbeitnehmer (so Gutzeit NZS 2012, 361, 365).

Dem ist zunächst einmal entgegen zu halten, dass der Schutz der freien Wahl des Arbeitsvertragspartners nur sicherstellt, dass den Arbeitnehmern kein Vertragspartner gegen ihren Willen aufgedrängt werden kann. Es stellt aber keine Maßregelung dar, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Vertragspartner nach Ablehnung des Wechsels zu einem neuen Arbeitgeber beendet wird, sofern der bisherige Arbeitsplatz in Wegfall geraten ist (vgl. für den Fall, dass ein Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widerspricht: BAG v. 15.03.2012 - 8 AZR 858/09 - juris; Ascheid/Preis/Schmidt [APS] - Steffan, 4. Auflage 2012, BGB § 613a Rn. 225). Nichts anderes wird durch § 164 Abs.4 S.1 SGB V bezweckt.

Im Übrigen würde sich die Situation nicht anders darstellen, wenn man allein auf den Unterbringungserfolg abstellen würde. Auch dann würden die Arbeitsverhältnisse derjenigen Beschäftigten enden, die eine Unterbringung bei einer anderen Krankenkasse abgelehnt haben. Wenn man den Wortlaut des § 164 Abs.4 S.1 SGB V nicht völlig ignoriert, würden sogar ausschließlich die Beschäftigungsverhältnisse derjenigen Mitarbeiter fortbestehen, die anderweitig untergebracht wurden.

(2) Die sog. Tabula-Rasa-Lösung wurde nicht durch die Verweisungsnorm des § 155 Abs.4 S.9 SGB V für die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer der Betriebskrankenkassen eingeführt.

(a) Auch der Wortlaut dieser Norm ist nicht eindeutig.

Zwar wird lediglich bezüglich § 164 Abs.3 S.3 SGB V eine ausdrückliche Einschränkung vorgenommen, so dass von der Verweisung auf § 164 Abs.4 S.1 SGB V grundsätzlich alle Beschäftigten erfasst werden. Der Wortlaut dieser Norm gibt aber keinen Aufschluss darüber, ob es sich um eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung handeln soll. Nur im letztgenannten Fall käme es auf die der Norm des § 164 Abs.4 S. 1 SGB V immanente Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Unterbringungsverfahrens nicht an.

(b) Die Gesetzessystematik spricht gegen die Ansicht, § 164 Abs.4 S.1 SGB V gelte für die ordentlich kündbaren Beschäftigten.

Dem Gesamtzusammenhang lässt sich nämlich entnehmen, dass § 155 Abs.4 S.9 SGB V keineswegs nur auf die Rechtsfolgen des § 164 Abs.2 - 4 SGB V verweisen wollte. Der Gesetzgeber wollte nicht unabhängig von den Voraussetzungen des § 164 Abs.2 bis 4 SGB V sämtliche Rechtsfolgen dieser Norm auf alle Beschäftigten der Betriebskrankenkassen zur Anwendung bringen. So gelten § 164 Abs.3 S.1 und S.2 SGB V selbstverständlich nur für die Dienstordnungsangestellten der Betriebskrankenkassen, nicht für die sonstigen Beschäftigten derselben. Dann gibt es aber auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass § 164 Abs.4 S.1 SGB V unabhängig von der Voraussetzung eines zuvor ordnungsgemäß durchgeführten Unterbringungsverfahrens zur Anwendung kommen soll, allein diesbezüglich also lediglich ein Verweis auf die Rechtsfolgen des § 164 Abs.4 S.1 SGB V gemeint ist.

(c) Die Entstehungsgeschichte und der dabei zum Ausdruck gekommene Sinn und Zweck des § 155 Abs.4 S.9 SGB V sprechen gegen eine Anwendbarkeit des § 164 Abs.4 S.1 auf die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer von Betriebskrankenkassen.

So heißt es in der Entwurfsbegründung (BT-Drucksache 16/9559, S. 19) hierzu:

"Durch die entsprechende Anwendung des § 164 Abs.2 bis 4 werden auch im Bereich der Betriebskrankenkassen die Beschäftigungsansprüche der Dienstordnungsangestellten (DO-Angestellte) und der übrigen Beschäftigten in unkündbaren Arbeitsverhältnissen insoweit gesichert, als ihnen bei den anderen Betriebskrankenkassen eine ihrer bisherigen Stellung entsprechende Stelle anzubieten ist. Die Rechtsposition dieser Beschäftigten wird hierdurch entsprechend den vorhandenen Regelungen für Orts - und Innungskrankenkassen gesichert, wie es als Folge von kassenübergreifenden Fusionen bereits in § 171a SGB V geregelt ist."

Der Begründung lässt sich entnehmen, dass eine der Rechtslage bei den Innungs- und Ortskrankenkassen entsprechende Regelung geschaffen werden sollte. Keineswegs sollte eine völlig neue, bisher nicht bekannte Regelung, nämlich die Beendigung von Arbeitsverhältnissen kraft Gesetzes ohne vorgeschaltetes Unterbringungsverfahren, eingeführt werden. Die lediglich intendierte Übernahme bereits in anderen Bereichen bestehender Bestimmungen lässt sich zusätzlich der Bezugnahme auf die kassenübergreifenden Fusionen entnehmen, für die gemäß § 171a Abs.2 S. 5 SGB V auch im Bereich der Betriebskrankenkassen bereits § 164 Abs.3 und 4 SGB V galt. Weiter lässt sich der Begründung entnehmen, dass die entsprechende Anwendung des § 164 Abs.2 bis 4 SGB V dem Schutz der Arbeitnehmer dienen sollte. Für eine dem Schutz der Krankenkassen dienende Tabula-Rasa-Lösung findet sich kein Anhaltspunkt. Weder werden die ordentlich kündbaren Beschäftigten erwähnt noch ist davon die Rede, den Betriebskrankenkassen müsse eine Planungssicherheit gegeben werden oder es solle ein Domino - Effekt im Haftungsverbund verhindert werden.

Eine andere Sichtweise ist auch nicht aufgrund der weiteren Gesetzesentwicklung geboten. Soweit durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 in § 153 SGB V die Regelung aufgenommen wurde, dass zwischen der Zustellung des Schließungsbescheids und dem Schließungszeitpunkt mindestens acht Wochen liegen müssen, bestätigt dies nicht die Auffassung, alle Arbeitsverhältnisse endeten mit der Schließung. Die 8-Wochen-Frist dient nicht dem Schutz der Arbeitnehmer, sondern allein dem Schutz der Versicherten, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. Dort heißt es (BT-Drucksache 17/8005, S. 122):

"Zu Nummer 59c - neu - (§ 153 SGB V)

... Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass für die Mitglieder einer

geschlossenen Krankenkasse ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung

steht, um das Wahlrecht zu einer neuen Krankenkasse auszuüben, ..."

Die Gesetzesinitiative einiger Abgeordneter sowie der Fraktion der SPD vom 06.07.2011 (BT-Drucksache 17/6485) ist vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden, so dass keinerlei Rückschlüsse auf dessen Willen gezogen werden können. Die in der Begründung zu diesem Antrag getätigten Rechtsansichten spiegeln nicht die Ansicht des Gesetzgebers in der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages (Inkrafttreten des § 155 Abs.4 S.9 SGB V), sondern die einer Fraktion im 17. Deutschen Bundestag wider.

(d) Durch eine solche Auslegung der Norm entstehen auch keine Wertungswidersprüche. Der Einwand, die ordentlich kündbaren Arbeitnehmer stünden dann besser als die eigentlich schutzwürdigeren unkündbaren Arbeitnehmer (vgl. etwa Gutzeit NZS 2012, 361, 365; Grau/Sittard, KrV 2012, 6, 10) verfängt nicht.

Bei einem Günstigkeitsvergleich darf nicht ausschließlich auf die negative Beendigungsfolge des § 164 Abs.4 S.1 SGB V abgestellt werden. Zugleich wird den ordentlich unkündbaren Beschäftigten zuvor ein Anspruch auf Unterbringung bei einer anderen Betriebskrankenkasse verschafft. Bei einem Gesamtvergleich der sich daraus ergebenden Rechtsstellung der unkündbaren mit den kündbaren Arbeitnehmern ergibt sich somit, dass die erstgenannte Gruppe aufgrund der Anwendung der Regelungen des § 164 Abs.3 und 4 SGB V deutlich besser geschützt wird als die Gruppe der "normalen" Beschäftigten der Betriebskrankenkassen, deren Arbeitsverhältnisse zwar nicht kraft Gesetzes, aber aufgrund von Kündigungen enden werden, sobald der Beschäftigungsbedarf entfallen ist.

bbb) Der Kläger gehört zur Personengruppe der ordentlich kündbaren Beschäftigten.

(1) Eine Unkündbarkeit des Klägers ergibt sich nicht daraus, dass er schwerbehindert ist.

Schwerbehinderte sind keine ordentlich unkündbaren Beschäftigten im Sinne des § 155 Abs.4 S.9 SGB V (ebenso Grau/Sittard KrV 2012, 6, 8). Die ordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten ist nicht ausgeschlossen, sondern bedarf gemäß § 85 SGB IX lediglich der vorherigen behördlichen Zustimmung.

(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine Unkündbarkeit im Sinne des § 155 Abs.4 S.9 SGB V nicht daraus, dass der Kläger Schwerbehindertenvertreter ist.

Mitglieder von Interessenvertretungen der Beschäftigten sind keine unkündbaren Beschäftigten im Sinne des § 155 Abs.4 S.9 SGB V (ebenso, allerdings ohne Begründung: Thomma, KrV 2012, 27, 28, der ausführt, nur tarifvertraglich ordentlich unkündbare Mitarbeiter seien im Unterbringungsverfahren zu berücksichtigen; offen gelassen von Grau/Sittard KrV 2012, 6, 7). Bereits nach dem Wortlaut sind ausschließlich Beschäftigte betroffen, "deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann". Dies ist bei der Schwerbehindertenvertretung nicht der Fall.

Gemäß § 96 Abs.3 S.1 SGB IX besitzen Schwerbehindertenvertreter bei Kündigungen die gleiche Rechtsstellung wie Betriebs- und Personalräte. Danach darf dem Kläger gemäß § 15 Abs.2 S.1 KSchG grundsätzlich nicht ordentlich gekündigt werden. Bei Betriebsschließungen bleibt aber eine Kündigung gemäß § 15 Abs.4 KSchG zulässig, allerdings frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Abs.4 KSchG soll hiermit nicht etwa ein Sonderfall des wichtigen Grundes geregelt werden; gemeint ist vielmehr eine ordentliche Kündigung (allgemeine Meinung, vgl. nur BAG v. 21.06.2001 - 2 AZR 137/00 - AP Nr. 50 zu § 15 KSchG 1969, unter I. 1. [vor lit. a] der Entscheidungsgründe; KR-Etzel, 10. Auflage 2013, § 15 KSchG Rn.73; APS-Linck, § 15 KSchG Rn. 170).

Die Schließung einer Betriebskrankenkasse ist eine Form der Betriebsstilllegung (vgl. Grau/Sittard KrV 2012, 6,7). Dabei ist unerheblich, ob es sich bei einer Betriebskrankenkasse um einen Betrieb im engeren Sinne oder eine Dienststelle handelt. Unter den Begriff der Betriebsstilllegung im Sinne des § 15 Abs.4 KSchG fällt auch die Auflösung einer Dienststelle, denn § 15 Abs.4 KSchG gilt uneingeschränkt für den von § 15 Abs.2 KSchG erfassten Personenkreis (vgl. APS-Linck, § 15 KSchG Rn. 169a). Soweit Abwicklungsarbeiten auszuüben sind, fallen allerdings der behördlich bestimmte Zeitpunkt der Schließung der Betriebskrankenkasse und der Zeitpunkt der Stilllegung des Betriebes/der Dienststelle auseinander. Ein solches Auseinanderfallen von Schließungs- und Stilllegungszeitpunkt führt aber nicht zu einer Unkündbarkeit der Personalratsmitglieder, sondern lediglich dazu, dass ihr Arbeitsverhältnis infolge der ordentlichen Kündigung gemäß § 15 Abs.4 KSchG erst zum letztgenannten Zeitpunkt enden kann. Weiter ist es nicht von Relevanz, dass die Schließung der Betriebskrankenkasse nicht auf einer unternehmerischen Entscheidung, sondern auf einem Verwaltungsakt beruht. § 15 Abs.4 KSchG liegt die Überlegung zugrunde, dass kein schutzwürdiges Interesse des von der Norm erfassten Personenkreises an einem besonderen Kündigungsschutz mehr besteht, wenn der Betrieb, in dem sie ihre Rechte als Vertreter der Arbeitnehmerschaft ausüben, aufgelöst wird, mit der Folge, dass alle Arbeitnehmer aus dieser Organisationseinheit ausscheiden und somit eine Interessenvertretung weder möglich noch erforderlich ist (APS-Linck, KSchG § 15 Rn. 157). Diese Überlegung greift unabhängig davon, auf wessen Entscheidung die Schließung des Betriebes bzw. der Dienststelle zurückzuführen ist.

Der Beklagten kann des Weiteren nicht darin gefolgt werden, bei § 155 Abs.4 S.9 SGB V handle es sich um eine Sondervorschrift, die § 15 Abs.4 KSchG verdränge. Hätte der Gesetzgeber Personalratsmitglieder bzw. Schwerbehindertenvertretungen von der Verweisung des § 155 Abs.4 S.9 SGB V auf § 164 Abs.3 SGB V erfassen wollen, so hätten in § 155 Abs.4 S.9 SGB V entweder generell Beschäftigte mit einem besonderen Kündigungsschutz genannt werden müssen oder es hätte dem Satzteil "nicht durch ordentliche Kündigung ..." eine Einschränkung wie z.B. "in der Regel" vorangestellt werden müssen. Beides ist jedoch nicht geschehen. Diese anhand des Wortlauts gefundene Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm, die für diejenigen Beschäftigten eine Regelung treffen soll, die aufgrund ihrer Unkündbarkeit den Dienstordnungsangestellten vergleichbar sind. Auf die bereits oben zitierte Entwurfsbegründung (BT-Drucksache 16/9559, S. 19) ist wiederum zu verweisen. Danach findet das Unterbringungsverfahren auf die "Dienstordnungsangestellten (DO-Angestellten) und ... übrigen Beschäftigten in unkündbaren Arbeitsverhältnissen" Anwendung. Durch Voranstellung des Begriffs "übrigen" vor den "Beschäftigten" wird erkennbar, dass für beide genannten Beschäftigtengruppen die Voraussetzung "in unkündbaren Arbeitsverhältnissen" gleichermaßen gelten soll. Dies schließt es aus, solche Gruppen einzubeziehen, die anders als Dienstordnungsangestellte unter bestimmten Voraussetzungen ordentlich kündbar sind.

b) Dem Kläger steht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu.

aa) Nach der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 kann ein Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsrechtsstreits verlangen, wenn ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, das die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellt (BAG GS v. 27.02.1985- GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Durch ein solches noch nicht rechtskräftiges Urteil wird zwar keine endgültige Klarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geschaffen, aber die Parteien hatten Gelegenheit, dem Gericht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren die zur rechtlichen Beurteilung der Kündigung aus ihrer Sicht erforderlichen Tatsachen vorzutragen. Ein solches Urteil wirkt sich dahin aus, dass allein die Ungewissheit über den Prozessausgang nicht mehr ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung begründen kann (BAG GS v. 27.02.1985 a.a.O.). Dieselben Erwägungen gelten auch für andere Bestandsstreitigkeiten (vgl. für Befristungen: BAG v. 10.08.1994 - 7 AZR 695/93 - AP Nr. 162 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG v. 28.09.1988 - 7 AZR 451/87 - AP Nr. 125 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu V. der Entscheidungsgründe. Für auflösende Bedingungen: BAG v. 13.06.1985 - 2 AZR 410/84 - AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung ergeben könnten, sind weder vorgetragen worden noch sonst wie ersichtlich. Insbesondere besteht noch ein Beschäftigungsbedarf, wie daraus zu ersehen ist, dass mit anderen Mitarbeitern befristete Verträge bis zum 31.12.2013 geschlossen worden sind.

bb) Die Kammer hat allerdings Ziffer 2. des Tenors zum Zwecke der Klarstellung neu gefasst. Dies beruhte auf folgenden Erwägungen:

Die Kammer hat den Klageantrag zu 2) so ausgelegt, dass die Weiterbeschäftigung nur für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits begehrt wird. Die Richtigkeit dieses Verständnisses hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt. Die Auslegung beruht darauf, dass der Kläger sich zur Begründung seines Antrags ausschließlich auf die Entscheidung des Großen Senats des BAG v. 27.02.1985 gestützt hat, ohne sich darauf zu berufen, dass die Besorgnis einer über den rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits fortdauernden Nichtbeschäftigung bestehen könnte.


B.

I. Gemäß § 97 Abs.1 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

II. Die Revision wurde für die Beklagte gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zugelassen, weil der Entscheidung Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegen.

Referenznummer:

R/R6216


Informationsstand: 20.06.2014