A) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem Rechtsstreit über den Bestand eines Arbeitsverhältnis eingelegt ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64
Abs. 2, 8
Abs. 2
ArbGG). Der Kläger hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520
ZPO, 66
Abs. 1
ArbGG).
B) Die Berufung ist auch begründet. Die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. Mai 2018 ist rechtsunwirksam, denn die Beklagte hat mit dieser Kündigung die Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht eingehalten. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht insoweit abgewiesen.
I. Gemäß § 626
Abs. 2
BGB kann die Kündigung aus wichtigem Grund iSv. § 626
Abs. 1
BGB nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung vom 15. Mai 2018 wahre die Frist des § 626
Abs. 2
BGB. Die Frist sei am 27. April 2018 angelaufen, den Zustimmungsersetzungsantrag habe die Beklagte innerhalb der Frist des § 626
Abs. 2
BGB eingeleitet. Da die Kündigung einen Tag nach dem Ende des Betriebsratsmandats des Klägers ausgesprochen worden sei, bleibe es bei der Wahrung der Frist.
II. Dem folgt die Berufungskammer aus folgenden kurz zusammengefassten Gründen (§ 313
Abs. 3
ZPO) nicht.
1. Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach
§ 15 Abs. 1 KSchG unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen und dass die nach
§ 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Für die Frage, ob es einer Zustimmung des Betriebsrats zu der Kündigung bedarf, ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung maßgeblich (Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 29. Aufl., § 103
BetrVG, Rz 9 mwN. aus der Rechtsprechung des
BAG). Zutreffend ist das Arbeitsgericht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (
BAG 18. August 1977 - 2 ABR 19/77 - BAGE 29, 270 = AP
Nr. 10 zu § 103
BetrVG 1972; vom 7. Mai 1986 - 2 ABR 27/85 - BAGE 52, 50), der auch die Berufungskammer folgt, noch davon ausgegangen, dass für die außerordentliche Kündigung gegenüber Betriebsratsmitgliedern, die den besonderen Kündigungsschutz des § 15
KSchG genießen, auch die Ausschlussfrist des § 626
Abs. 2
BGB gilt.
Nach § 103
Abs. 1
BetrVG bedarf jede außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Zustimmung des Betriebsrats. Maßgeblich für die Feststellung bestehender Gremiumsmitgliedschaft ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung (Fitting a.a.O.). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, kann ein Zustimmungsverfahren grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist (
BAG 24. Oktober 1996 - 2 AZR 3/96 - Rz. 15 und
vgl. zum Anhörungsverfahren
BAG Urteil vom 11. Oktober 1989 - 2 AZR 88/89 - AP
Nr. 55 zu
§ 102 BetrVG 1972, zu III 4 b der Gründe; Urteil vom 31. Januar 1996 - 2 AZR 273/95 - AP
Nr. 80 zu § 102
BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung - wie hier - vorsorglich erneut kündigt. Ist die erste Kündigung ordnungsgemäß zugegangen, so greift die ausdrückliche Pflicht des § 103
Abs. 1
BetrVG ein, zu einer erneuten, lediglich vorsorglichen Kündigung auch erneut die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.
Auch im Regelungsbereich des § 103
BetrVG beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626
Abs. 2
BGB mit der Kenntnis des Arbeitgebers von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen. Der Zeitraum, der dem Betriebsrat für seine Entscheidung über den Zustimmungsantrag gemäß § 103
Abs. 1
BetrVG zur Verfügung steht, wirkt sich auf den Ablauf der Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht aus. Will der Arbeitgeber sein Kündigungsrecht nicht verlieren, so muss er innerhalb der Ausschlussfrist des § 626
Abs. 2
BGB nicht nur den Zustimmungsantrag beim Betriebsrat stellen, sondern bei ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung der Zustimmung auch das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung beim Arbeitsgericht einleiten. Der fristgerechte Ausspruch der Kündigung wird dem Arbeitgeber damit regelmäßig nur dann möglich sein, wenn er spätestens zehn Tage nach Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen beim Betriebsrat die Zustimmung zu der Kündigung beantragt hat (
vgl. BAG 24. Oktober 1996 - 2 AZR 3/96 - Rz. 11).
2. Das Arbeitsgericht ist offenbar davon ausgegangen, die Kündigung vom 15. Mai 2018 könne dann als rechtzeitig angesehen werden, wenn das durch die Beklagte beim Arbeitsgericht am 4. Mai 2018 eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren als fristwahrend anzusehen war. Denn wenn man dieses Verfahren außer Betracht lässt, so hat die Beklagte die Frist des § 626
Abs. 2
BGB für die Kündigung vom 15. Mai 2018 versäumt.
a) Die Frist des § 626
Abs. 2
BGB endete am 14. Mai 2018.
Nach ihrem eigenen Vorbringen und den auch zwischen den Parteien unstreitigen Tatsachen hatte die Beklagte (spätestens) am 30. April 2018 den Entschluss zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gefasst. Dieser manifestierte sich in der (ersten) Einleitung des Beteiligungsverfahrens gegenüber dem Betriebsrat mit dem Schreiben der Beklagten vom 30. April 2018. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626
Abs. 2
BGB lief daher am 14. Mai 2018 ab.
Da allein der Antrag des Arbeitgebers an den Betriebsrat, er möge der fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds zustimmen, den Fristablauf nicht hemmt, führen weder die Einleitungen der Beteiligungsverfahren am 30. April und 9. Mai 2018 gegenüber dem Betriebsrat noch die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens am 4. Mai 2018 zu einem anderen Ergebnis bezüglich des Enddatums der Frist des § 626
Abs. 2
BGB am 14. Mai 2018.
Der Fristbeginn (30. April 2018) und damit auch das Fristende am 14. Mai 2018 gelten auch für die Kündigung der Beklagten vom 15. Mai 2018, denn die Beklagte stützt die Kündigung vom 15. Mai 2018 ausweislich ihres an den Betriebsrat gerichteten Schreibens vom 9. Mai 2018 und ihres Vortrages im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren auf dieselben Gründe, wie die Kündigung vom 4. Mai 2018.
b) Soweit des Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang bei seiner Bewertung, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist für die Kündigung vom 15. Mai 2018 noch eingehalten, die Einleitung des Beteiligungsverfahrens am 30. April 2018 und die Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens am 4. Mai 2018 berücksichtigt hat, geht dies fehl.
aa) Aufgrund des Umstandes, dass dem Kläger nach Einleitung des Zustimmungsverfahrens durch die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat am 30. April 2018 bereits am 4. Mai 2018 eine erste - unzulässige - Kündigung zugegangen war, war das Zustimmungsverfahren zu dieser Kündigung gegenstandslos geworden und das Zustimmungsersetzungsverfahren ( -
ArbG Darmstadt - 5 BV 14/18 - ) erledigt.
bb) Demgemäß bedurfte es vor Ausspruch einer weiteren Kündigung - hier: der im Berufungsrechtszug nur noch streitigen Kündigung vom 15. Mai 2018 wiederum - der Einleitung eines Beteiligungsverfahrens gegenüber dem im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebstrat. Dieses notwendige Beteiligungsverfahren hat die Beklagte mit ihrem Schreiben an den Betriebsrat vom 9. Mai 2018 sowohl gemäß § 103
BetrVG als auch gemäß § 102
BetrVG eingeleitet. Auf die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats vom 14. Mai 2018 hätte die Beklagte sodann zur Wahrung der am 14. Mai 2018 endenden Frist des § 626
Abs. 2
BGB (erneut) einen Zustimmungsersetzungsantrag bei dem Arbeitsgericht stellen müssen, denn am 14. Mai 2018 war der Kläger noch Mitglied des Betriebsrats und unterfiel dem Sonderkündigungsschutz des § 103
BetrVG. Diese Einleitung eines Zustimmungsversetzungsverfahrens bei dem Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Blick auf die mit Ablauf des 14. Mai 2018 endende Betriebsratsmitgliedschaft des Klägers unterlassen. Diese Nichteinleitung hat aber keinen Einfluss auf den Ablauf der davon unabhängig laufenden Frist des § 626
Abs. 2
BGB.
cc) Die Beklagte hat mit dem zweiten Kündigungsschreiben vom 15. Mai 2018 auch nicht bloß die erste Kündigung bestätigt, sondern nach dem eindeutigen Wortlaut dieses Schreibens an der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gerichteten außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 4. Mai 2018 festgehalten und aus Vorsorge erneut gekündigt. Eine Kündigung aus Gründen der Vorsorge wiederholt oder bestätigt nicht eine bereits erklärte Kündigung. Zudem war dem Kläger die Kündigung vom 4. Mai 2018 bereits zugegangen.
3. Zusammenfassend gilt: Das erste Zustimmungsverfahren war in dem Augenblick abgeschlossen, als die Beklagte trotz der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats - unwirksam - schon am 4. Mai 2018 die erste Kündigung erklärte. Ab diesem Zeitpunkt bestand für den Betriebsrat kein Anlass mehr, weiter tätig zu werden und etwa weitergehend zu beraten. Das erste Zustimmungsverfahren war durch Ausspruch der Kündigung vom 4. Mai 2018 abgeschlossen und damit "verbraucht". Der Ausspruch einer erneuten Kündigung setzte deshalb einen neuen Antrag auf Zustimmung des Betriebsrats voraus, soweit die Kündigung dem Kläger noch während des für ihn bestehenden Sonderkündigungsschutzes zugehen sollte und setzte jedenfalls eine erneute Anhörung des Betriebsrats voraus, soweit die Kündigung dem Kläger nach dem 14. Mai 2018 zugehen sollte. Zwar hat die Beklagte eine Anhörung des Betriebsrats zu der zweiten Kündigung am 9. Mai 2018 eingeleitet und auch dieses Beteiligungsverfahren war mit dem 14. Mai 2018 nach der endgültigen Stellungnahme des Betriebsrats von diesem Tag abgeschlossen. Aber die Beklagte hat mit der Erklärung der Kündigung erst am 15. Mai 2018 die Frist des § 626
Abs. 2
BGB nicht eingehalten. Diese war bereits am 14. Mai 2018 abgelaufen.
II. Da der Kläger mit dem Hauptantrag erfolgreich war, ist über den unechten Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung zu entscheiden.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß §§ 611,613
BGB in Verbindung mit § 242
BGB. Die Generalklausel des § 242
BGB wird dabei ausgefüllt durch die Wertentscheidung der
Art. 1 und 2
GG.
Nachdem der Kläger mit seinen Kündigungsschutzanträgen jeweils obsiegt hat, überwiegt sein Interesse an der Verwirklichung seines Klageanspruchs durch tatsächliche Beschäftigung bei der Beklagten deren Interesse an dessen Nichtbeschäftigung. Denn diese instanzbeendende Entscheidung hat, trotz der noch nicht eingetretenen Rechtskraft, ein erhebliches Gewicht zugunsten des Klägers. Die reine Ungewissheit über den endgültigen Prozessausgang vermag eine Gewichtung innerhalb der Interessenabwägung nun nicht mehr ohne weiteres zugunsten des Arbeitgebers zu begründen. Es müssen zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt (
vgl. BAG v. 27.2. 1985, DB 1985, 2197ff).
Besondere zusätzliche Umstände, die dem Anspruch des Klägers entgegenstehen, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92
ZPO. Die Kostenquotelung war wegen der unterschiedlich hohen Streitwerte nach dem Unterliegen und Obsiegen der Parteien für beide Instanzen gesondert vorzunehmen.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 72
ArbGG.