Urteil
Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Zustimmung zur betriebsbedingten Kündigung - Prüfungsmaßstab des Integrationsamtes

Gericht:

VG Stuttgart 11. Kammer


Aktenzeichen:

11 K 1451/11 | 11 K 1451.11


Urteil vom:

09.12.2011


Tenor:

Der Bescheid des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg v. 22.10.2010 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.03.2011 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten der gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Beklagte vier Fünftel und die Klägerin ein Fünftel. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Klägerin war notwendig.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen.

Der am 20.01.1962 geborene Beigeladene ist laut Bescheid des Versorgungsamtes Heilbronn vom 25.06.2009 mit dem Grad der Behinderung von 30 als behinderter Mensch anerkannt. Die Agentur für Arbeit Heilbronn stellte ihn mit Bescheid vom 27.10.2009 den schwerbehinderten Menschen gleich. Der Beigeladene ist seit 01.08.2001 in der Produktion bei der Firma X in X beschäftigt. Die Klägerin beschäftigt als Metallverarbeitungsbetrieb 5 kaufmännische und 22 gewerbliche Arbeitnehmer.

Am 28.01.2010 beantragte die Klägerin beim Integrationsamt die Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Beigeladenen. Der Antrag wurde mit erheblichen Umsatzrückgängen seit Anfang des Jahres 2009 begründet.

Mit dem Schreiben vom 26.04.2010 nahm die Klägerin ihren Antrag auf Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen zurück.

Am 06.05.2010 beantragte die Klägerin erneut die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen aus betriebsbedingten Gründen. Zur Begründung wurde vorgetragen, beim Metallverarbeitungsbetrieb der Klägerin seien im gewerblichen Bereich 23 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese seien aufgeteilt in Lkw-Fahrer, die Schichtleitung, den Maschinenbedienern sowie den Helfern. Der Beigeladene sei als gewerblicher Arbeitnehmer (Helfer) in der Produktion beschäftigt. Weitere schwerbehinderte oder gleichgestellte Mitarbeiter seien in ihrem Betrieb nicht vorhanden. Aufgrund der allgemeinen Wirtschaftskrise habe sich ihr Umsatz im Jahr 2009 um 40% reduziert. In gleichem Maße sei auch der eigentliche Arbeitsanfall in der Produktion zurückgegangen, so dass hohe Leerlaufzeiten bei den Arbeitnehmern vorhanden seien. Die Geschäftsleitung habe deshalb entschieden, den Bereich der ungelernten Helfer bis auf einen einzigen Mitarbeiter ersatzlos zu streichen. Im Bereich der Helfer bestünden insgesamt 5 Arbeitsplätze. Vier dieser Arbeitsplätze entfielen künftig, drei Kündigungen seien bereits ausgesprochen worden. Hierbei handele es sich um die Beschäftigten N., S., und K..

Mit weiterem Schreiben vom 21.06.2010 trug die Klägerin vor, der Beigeladene sei lediglich als Helfer eingesetzt. Zusammen mit einem Maschinenbediener führe er längere Bleche zum Biegen und Kanten in die jeweilige Maschine ein. Als Maschinenbediener sei der Beigeladene nicht ausgebildet. Der Versuch, ihn an der Schere und der Winkelpresse einzusetzen, habe abgebrochen werden müssen, da die benötigte Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitsschritte nicht den Anforderungen und dem Standard für ausgebildete Maschinenbediener entsprochen habe. Bei der Entscheidung, die Helferabteilung zu schließen, handele es sich um eine unternehmerische Entscheidung auf Basis der rückgängigen Aufträge. Diese Entscheidung stehe nicht im Zusammenhang mit der Behinderung des Beigeladenen. Vorsorglich habe eine Sozialauswahl und eine entsprechende Bewertung der einzelnen Arbeitnehmer stattgefunden. Herr X sei zum 01.03.2010 neu eingestellt worden, das Arbeitsverhältnis sei jedoch befristet und ende zum 30.06.2010. Diese Person sei nicht wegen der Zunahme von Aufträgen eingestellt worden, sondern weil man ihm aufgrund seiner früheren Betriebszugehörigkeit die Möglichkeit gegeben habe, das Arbeitslosengeld zu überbrücken. Im Mai seien drei Leiharbeitnehmer kurzfristig bzw. tageweise beschäftig worden. Dies sei aufgrund krankheits- und urlaubsbedingter Ausfälle von Mitarbeitern notwendig gewesen, um die Aufträge zeit- und termingerecht erledigen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2010 trug die Klägerin vor, über die geplanten betrieblichen Veränderungen gebe es keinen schriftlichen Beschluss der Geschäftsleitung. Der Mitarbeiter K. sei durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht zum 30.06.2010 aus dem Unternehmen ausgeschieden. Der Vertrag mit Herrn X sei bis zum 31.08.2010 befristet. Herr X habe ebenfalls einen befristeten Vertrag. Die Befristung sei bis zum 31.12.2010 verlängert worden. Herr K. werde als Maschinenbediener beschäftigt und sei einer der besten Mitarbeiter. Eine Vergleichbarkeit der Tätigkeit des Beigeladenen mit derjenigen von Herrn L. bestehe nicht. Bei Herrn L. handele es sich um einen ausgebildeten Facharbeiter, der einen Gesellenbrief besitze. Demgegenüber habe der Beigeladene keine Ausbildung im Metallbereich. Herr I sei weiter als Springer einsetzbar und habe eine Ausbildung zum Kranführer. Mittlerweile seien die Umsatzzahlen tatsächlich wieder gestiegen.

Der Beigeladene hat der beabsichtigten Kündigung widersprochen und zur Begründung vorgetragen, er arbeite täglich 9 bis 10 Stunden und dies teilweise auch an Samstagen. Der Arbeitgeber habe sogar neues Personal eingestellt. Er sei nicht als bloßer Helfer tätig, sondern bediene auch Maschinen. Im Gegensatz zu Herrn L., der nur mit leichten Tätigkeiten beschäftigt sei, arbeite er durchweg mit schweren Teilen. Der Arbeitgeber beschäftige zudem Leiharbeitnehmer. Er selbst besitze den Staplerschein und könne mit Kränen arbeiten. Außerdem könne er die Holzkreissäge und die Kranwaage sowie die EHT-Schere und die BBM-Presse bedienen. Er wäre außerdem in der Lage, sofort als Maschinenarbeiter zu arbeiten. Die eingesetzten Leiharbeitnehmer seien auf keinen Fall höher qualifiziert als er selbst. Mit Wirkung ab dem 09.08.2010 sei er von der Klägerin von der Arbeitsleistung unter Vergütungsfortzahlung freigestellt worden. Dies sei mit einer angeblich dringend erforderlichen Umorganisation begründet worden.

Mit weiterem Schrieben vom 30.08.2010 trug die Klägerin vor, Leiharbeiter würden ausschließlich während der Ferienzeit und zur Absicherung der Auftragsspitzen tageweise eingesetzt. Neue Aufträge könnten in ihrem Betrieb in den meisten Fällen nur sehr kurzfristig platziert werden, so dass eine reine Bearbeitungszeit von manchmal nur zwei bis drei Tagen verbleibe. Der Mitarbeiter X sei zum 31.08.2010 interimsweise als Schichtleiter eingesetzt worden, da der bisherige Schichtleiter erkrankt sei. Herr X sei als Helfer und Springer tätig und zudem mit dem Beladen der LKWs beschäftigt. Bei Herrn Y handele es sich um einen LKW-Fahrer des Betriebs. Herr Z sei als Maschinenbediener tätig und könne an allen Maschinen des Unternehmens eingesetzt werden. Dies sei bei dem Beigeladenen nicht der Fall. Keiner der genannten Mitarbeiter habe in der Helferabteilung gearbeitet. Die bisherigen Helfer seien aus dem Betrieb ausgeschieden. Für den Beigeladenen als letzter verbliebener Helfer ohne jegliche Qualifikation stehe ein Arbeitsplatz im Unternehmen nicht mehr zur Verfügung.

Mit Bescheid vom 22.02.2010 lehnte der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg die Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen ab und führte zur Begründung aus, ein Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Kündigungsgrund und der Behinderung der Beigeladenen bestehe nicht. Dies führe aber nicht dazu, dass das Ermessen auf Null reduziert sei. Der Schutzcharakter des besonderen Kündigungsschutzes sei lediglich geringer ausgeprägt. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung komme das Integrationsamt zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Beigeladenen an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Vorrang hätten. Das Vorbringen der Klägerin sei nicht schlüssig. Den ersten Zustimmungsantrag vom 28.01.2010 habe sie mit erheblichen Umsatzrückgängen seit Anfang des Jahres 2009 begründet. Als das Integrationsamt Ermittlungen aufgenommen und vom Arbeitgeber detaillierte Angaben angefordert habe, sei der Antrag zurückgenommen worden. Auch der zweite Antrag vom 06.05.2010 sei auf die Umsatzrückgänge im Jahre 2009 gestützt worden. Die Klägerin habe weder den Umsatzrückgang noch die damit begründete unternehmerische Entscheidung schlüssig dargelegt. Zum Zeitpunkt der Stellung des zweiten Zustimmungsantrages und für die Zeit danach seien die Umsatzprobleme nicht mehr plausible. Denn die Klägerin habe im Jahr 2010 mehrere Mitarbeiter neu eingestellt. Hierbei handele es sich um die Herren ..... . Außerdem beschäftige die Klägerin immer wieder Leiharbeiter. Schließlich habe der Beigeladene im Mai und Juni Überstunden leisten und auch an Samstagen arbeiten müssen. Aufgrund dieser Umstände müsse davon ausgegangen werden, dass bei der Klägerin ausreichend Aufträge vorhanden seien. Bei der Entscheidung bis auf Herrn H. alle Helfer zu entlassen, handele es sich um eine unternehmerische Entscheidung, die nur partiell überprüfbar sei. Das Vorbringen der Klägerin, die Helfer seien nicht ausreichend flexible einsetzbar, erscheine durchaus einleuchtend. Allerdings habe das Integrationsamt den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin an ihre Mitarbeiter unterschiedliche Maßstäbe anlege, die einer näheren Überprüfung nicht standhielten. So sei der Beigeladene mit Herrn H., der als einziger Helfer weiterbeschäftigt werden solle, durchaus vergleichbar. Zwar habe die Klägerin geltend gemacht, bei Herrn H. handele es sich um einen Facharbeiter mit Gesellenbrief, einen entsprechenden Nachweis habe die Klägerin jedoch trotz Nachfrage nicht geliefert. Das weitere Vorbringen der Klägerin, Herr H. sei als Springer tätig und werde zusätzlich mit dem Beladen der LKWs beschäftigt, werde vom Beigeladenen bestritten mit der Behauptung, im Schichtplan sei praktisch nie ein Springer eingetragen gewesen und bei der Kranwaage handele es sich um eine einfach zu bedienende Maschine mit zwei Hebeln. Der Klägerin sei es nicht gelungen nachzuweisen, dass die fachliche Qualifikation des Herrn H. ausreiche, um ihn aus der Sozialauswahl herauszunehmen und gegenüber dem Beigeladenen vorzuziehen. Mit der Einstellung des Herrn H. setze sich die Klägerin schließlich in Widerspruch zu ihrem bisherigen Vorbringen. Zwar sei dieser laut Arbeitsvertrag als Maschinenbediener eingestellt worden. Da es sich bei Herrn H. jedoch um einen gelernten Fliesenleger handele, sei für das Integrationsamt nicht nachvollziehbar, was diesen Maschinenbediener qualifiziere, während man dem Beigeladenen, bei dem es sich um einen langjährigen Mitarbeiter handele und der den Betrieb kenne sowie betriebliche Erfahrungen mitbringe, diese Qualifikation abspreche. Ähnliches gelte im Hinblick auf Herrn M. Dieser sei nach den vorgelegten Unterlagen von Beruf Glaser, so dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb ihm diese Ausbildung einen Qualifikationsvorteil gegenüber dem Beigeladenen verschaffen soll. Bei der Ermessensentscheidung habe das Integrationsamt weiter berücksichtigt, dass der Beigeladene aufgrund seines Alters, der anerkannten Behinderung sowie dem Verlust des Arbeitsplatzes bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage persönlich und finanziell schwer belastet werde.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.11.2010 Widerspruch ein und brachte zur Begründung vor, auch nach Stellung des Antrages vom 06.05.2010 habe sich die wirtschaftliche Situation der Firma der Klägerin nicht gebessert. So sei im Geschäftsjahr von Januar bis Mai 2010 ein negatives Ergebnis von ca. 50.000 EUR entstanden. Leiharbeitnehmer seien aufgrund von Urlaubs- und Krankheitszeiten jeweils nur kurzfristig beschäftigt worden. Herr L. habe keine Kündigung erhalten weil er nicht nur als Helfer im Unternehmen tätig sei, sondern zusätzliche Qualifikationen bezüglich der Beladung von LKWs habe. Bei der Ladung von LKWs müsse auf die Lagerung und insbesondere die Ladungssicherung geachtet werden. Hierfür sei Herr L. verantwortlich. Er habe entsprechende Lehrgänge besucht und erfolgreich abgeschlossen. Diese Aufgaben könne der Beigeladene nicht ausführen. Zudem sei Herr L. sozial schutzwürdiger, da er ein höheres Lebensalter habe, länger im Betrieb beschäftigt sei und Unterhaltspflichten habe. Herr H. sei nur kurzfristig bis zum 17.12.2010 eingestellt worden. Im Gegensatz zum Beigeladenen sei Herr H. in der Lage Maschinen zu bedienen. Herr H. habe bereits vor geraumer Zeit bei der Firma der Klägerin als Maschinenbediener gearbeitet. Er sei nie als Helfer eingesetzt gewesen. Im März 2010 sei er befristet bis zum 30.06.2010 erneut als Maschinenbediener eingestellt worden. Als der Schichtleiter erkrankt sei, habe Herr H interimsweise diese Aufgabe übernommen. Nach Rückkehr des Schichtleiters werde Herr H. wieder aus dem Unternehmen ausschieden. Herr H. sei mit den fachlichen Qualifikationen des Beigeladenen nicht ansatzweise vergleichbar, da er auch ansonsten Position des Schichtleiters nicht übertragen bekommen hätte.

Der Beigeladenen trug mit dem Schriftsatz vom 02.02.2011 vor, im Juli 2010 habe eine Betriebsversammlung stattgefunden, auf der mitgeteilt worden sei, dass im Jahre 2010 Prämien wegen der guten Auftragslage gezahlt würden. Bis kurz vor Weihnachten 2010 sei unter Hinzuziehung neuer Leiharbeiter voll gearbeitet worden. Für jede Maschine würden zwei Arbeitnehmer benötigt. Er sei bereit, sich auf verschiedenen Maschinen fortzubilden. Er habe auch fast jeden Tag LKWs beladen. Zu keinem Zeitpunkt habe sich jemand beschwert, dass die Ladung unrichtig gesichert gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2011 wies der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg den Widerspruch zurück und führte zu Begründung aus, bei der vorzunehmenden Ermessensentscheidung seien die Interessen des Beigeladenen an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher zu gewichten, als das Interesse der Klägerin an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin habe weder den Umsatzrückgang noch die unternehmerische Entscheidung, einen ganzen Aufgabenbereich zu schließen, schlüssig dargelegt. Auch ein dringendes betriebliches Erfordernis, die betrieblichen Strukturen einem veränderten Beschäftigungsbedarf anzupassen, seien von der Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Die Klägerin habe im Jahre 2010 mehrere Mitarbeiter neu eingestellt und immer wieder Leiharbeitnehmer beschäftigt. Diese Neueinstellungen, die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern und die Tatsache, dass Überstunden geleistet worden seien, seien deutliche Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin mehr Aufträge vorhanden seinen als mit dem Stammpersonal abgedeckt werden könnten.

Am 26.04.2011 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Beklagte habe die unternehmerische Entscheidung in einem Ausmaß überprüft, das nicht mehr in seinem Prüfungsumfang liege. Die schlechten Wirtschaftsdaten im Jahr 2009 seien hinreichend dargelegt worden. Dieser Negativtrend habe sich im Jahre 2010 fortgesetzt. Der Geschäftsführer der Klägerin habe zu Beginn des Jahres 2010 die unternehmerische Entscheidung gefällt, sich von den ungelernten Helfern zu trennen. Diese Helfer könnten die Maschinen nicht einrichten und bedienen, sondern nur Hilfsarbeiten ausführen. Diese unternehmerische Entscheidung sei im Rahmen des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung nicht überprüfbar. Denn eine willkürliche Entscheidung sei nicht gefällt worden; dies zeige die Kündigung der übrigen Helfer. Aufgrund der negativen Zahlen habe das Unternehmen entschieden, dass im Rahmen der Umorganisation eine Veränderung der Personalstruktur durch Schließung der Abteilung Helfer dringend erforderlich sei. Dabei seien auch keine unterschiedlichen Maßstäbe angesetzt worden. Herr H. sei mit der Beladung der LKWs beauftragt und verfüge über entsprechende Erfahrung und eine Ausbildung im Bereich des Beladens einschließlich der Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen. Über diese Kenntnisse verfüge der Beigeladene nicht. Zudem sei Herr H. sowohl vom Lebensalter her als auch hinsichtlich der Beschäftigungsdauer her schutzwürdiger als der Beigeladene. Ähnliches gelte für Herr H. Dieser sei zwar hinsichtlich seiner fachlichen Ausbildung nicht im Maschinen-/Stahlbereich ausgebildet, er sei indes in der Lage die Maschinen zu bedienen und einzurichten. Dies treffe auf den Beigeladenen nicht zu. Bei dem Vergleich der Mitarbeiter habe der Beklagte objektive Kriterien, nämlich das technische Verständnis zum Einrichten und zu Bedienung der Maschinen nicht berücksichtigt. Die unternehmerische Entscheidung, die Abteilung Helfer mit den dort tätigen Mitarbeitern einzustellen und flexiblere und technisch versiertere Mitarbeiter einzustellen, bewerte der Beklagte zu Lasten der Klägerin und überschreite dabei seinen Bewertungsmaßstab.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg vom 22.10.2010 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.03.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Zustimmung zur betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Ergänzend trägt er vor, nach den ausführlichen Ermittlungen des Integrationsamtes sei der von der Klägerin behauptete Umsatzrückgang nicht schlüssig. Zwar habe die Klägerin negative Betriebsergebnisse dargelegt. Nähere Angaben hierzu seien jedoch nicht gemacht worden. In einer Betriebsversammlung vom Juli 2010 sei seitens des Geschäftsführers der Klägerin mitgeteilt worden, es sehe für das Unternehmen gut aus und im Jahr 2010 würden Prämien gezahlt. Insofern blieben die angeblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis heute ungeklärt. Bislang sei auch eine unternehmerische Entscheidung, die den Kündigungsbeschluss sämtlicher Helfer beinhalte, nicht vorgelegt worden. Weiter sei unklar geblieben, welche Personen im Betrieb der Klägerin miteinander vergleichbar seien. Im Jahr 2010 seien diverse Neueinstellungen erfolgt, zu dem habe die Klägerin Leiharbeitnehmer beschäftigt. Warum der Beigeladene im Gegensatz zu seinem Kollegen L. nicht hinreichend flexible einsetzbar sei, sei offen geblieben. Auch wenn diese Vergleichsperson eine Ausbildung im Bereich des Beladens von LKWs habe, könne der Beigeladene doch in anderen Bereichen als Helfer eingesetzt werden. Wegen der nicht nachgewiesenen betrieblichen Erfordernisse sei der Schutz des Beigeladene als Schwerbehinderter bei der zu treffenden Ermessensentscheidung höher zu bewerten gewesen als das Interesse der Klägerin.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sich rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat allerdings nur Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrages auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen.

Die nach § 85 Abs. 1 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für diese rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung (vgl. BVerwG, Beschluss v. 07.03.1991 - 5 B 114/89 - Buchholz 436.61, § 12 SchwbG Nr. 3). Bei der Entscheidung des Integrationsamtes über die Zustimmung zur Kündigung von schwerbehinderten Menschen handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, mit der das Integrationsamt die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Schutzinteressen des behinderten Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der in § 89 SGB IX vorgesehenen Einschränkungen abwägt. Sie ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen auszurichten (vgl. BVerwG, Urt. 02.07.1992 - 5 C 51/90 - BVerwGE 90, 287). Besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen dann zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Entsprechend ist der Schutz um so geringer, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellbar ist. Andererseits ist auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen. Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Die §§ 85 ff. SGB IX sollen nach ihrer Regelungskonzeption erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bieten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.05.2006 - 5 B 24/06 - juris-). Das Integrationsamt hat im Zustimmungsverfahren nach §§ 85 ff. SGB IX grundsätzlich auch nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten etwa sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 51/90 - a.a.O.). Denn diese Prüfung ist allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen. Der Sonderkündigungsschutz soll vor allem die Nachteile der Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.02.1968 - V C 33.66 - BVerwGE 29, 140). Dessen Zweck geht dahin, den Schwerbehinderten vor den Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwG, Urt, 12.01.1966 - V C 62.64 - BVerwGE 23, 123). Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können deshalb nur Erwägungen eine Rolle speilen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Kündigenden diejenige Rechtsstellung zurückzugeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe (vgl. BverwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 51.90 - a.a.O.). Allerdings darf die Integrationsbehörde an einer offensichtlich unwirksamen Kündigung nicht mitwirken. Eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung kann aber nur angenommen werden, wenn sie ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.09.1996 - 5 B 109/96 - Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 8 ).

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so unterliegt die Verwaltungsentscheidung einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Danach prüft das Gericht nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Dies beinhaltet die Prüfung, ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit zwischen den Beteiligten kennzeichnenden Gesichtspunkte eingestellt hat und ob sie dabei von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. VGH Mannheim Urt. v. 09.05.1994 - 7 S 2294/92 - juris - und Urt. v. 05.07.1989 - 6 S 1739/87 - juris). Die Ermessensentscheidung ist danach fehlerhaft, wenn die Behörde Umstände außer Betracht lässt, die zu berücksichtigen waren, desgleichen, wenn sie Umstände in die Ermessensbetätigung einstellt, die nicht ausreichend ermittelt sind, aber auch, wenn sie einzelne Gesichtspunkte zwar erkennt, diese aber unzutreffend gewichtet.

Bei einer Verpflichtungsklage auf Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbehinderten kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.01.1993 5 B 80/92 - Buchholz 436.61 § 15 SchwbG Nr. 7).

Nach diesen Grundsätzen ist die vom Integrationsamt getroffene Ermessensentscheidung fehlerhaft. Allerdings ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass der Kündigungsgrund nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Beigeladenen steht, sondern betriebsbedingt ist und der Schwerbehindertenschutz unter diesen Voraussetzungen an Intensität verliert. Ein Zusammenhang mit der Schwerbehinderung wird auch vom Beigeladenen nicht geltend gemacht.

Der Beklagte hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung jedoch zu Unrecht den von der Klägerin geltend gemachten Kündigungsgrund überprüft und als nicht gerechtfertigt bewertet. Hierbei hat der Beklagte übersehen, dass § 85 SGB IX weder ein Prüfungsrecht noch gar eine Prüfungspflicht zum Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. des § 626 Abs. 1 BGB begründet. Es ist nicht Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes der §§ 85 ff SGB IX, den von den Arbeitsgerichten nach erfolgter Kündigung zu gewährenden arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu ersetzen oder gar überflüssig zu machen. Dem Integrationsamt ist nicht die umfassende Abwägung aller den Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmenden widerstreitenden Interessen aufgetragen, sondern nur die Einbringung bestimmter vom Schutzzweck des Schwerbehindertenrechts erfasster Interessen. Es ist auch nicht Sinn des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 SGB IX, dem Schwerbehinderten die Unannehmlichkeiten und Belastungen eines Kündigungsschutzstreits mit dem Arbeitgeber abzunehmen. Derartige Belastungen können alle Arbeitnehmer treffen.

Der Schwerbehinderte hat insoweit keinen besonderen Schutzanspruch. Das Gesetz will ihn nicht gegenüber Nichtbehinderten bevorzugen, sondern lediglich seine behinderungsbedingten Nachteile ausgleichen. Der Behinderte muss sich deshalb, was die privatrechtliche Wirksamkeit der Kündigung anlangt, auf die Überprüfung durch die Arbeitsgerichte verweisen lassen. Dies gilt auch in Fällen von vorgetäuschten Kündigungsgründen. Den Schwerbehinderten vor vorgetäuschten Kündigungsgründen zu schützen, ist nicht Aufgabe des Integrationsamtes, sondern der Arbeitsgerichte. Denn der Gefahr, mit vorgetäuschten Kündigungsgründen überzogen zu werden, ist der nichtbehinderte Arbeitnehmer gleichermaßen ausgesetzt, so dass es auch insoweit gerechtfertigt ist, den Schwerbehinderten wie jeden anderen Arbeitnehmer auf den repressiven Rechtsschutz durch die Arbeitsgerichte zu verweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.07.192 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90. 275; VGH Mannheim Beschl. v. 24.11.2005 - 9 S 2178/05 -. VBIBW 2006, 148). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn sich im Rahmen der im Zustimmungsverfahren vorzunehmenden Ermittlungen herausstellen sollte, dass die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine ordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen. Eine derartige offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung kann aber nur dann angenommen werden, wenn sie ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage liegt, sich jedem Kundigen nahezu aufdrängt (vgl. BverwG, Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 30.90 - a.a.O). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es ist zwischen den Beteiligten höchst streitig, ob eine unternehmerische Entscheidung, sich von den ungelernten Helfern zu trennen, getroffen wurde und die Umsatzprobleme eine derartige unternehmerische Entscheidung rechtfertigen könnten. Von einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der Kündigung kann bei diesem Sach- und Streitstand keine Rede sein.

Der Beklagte hat in seiner Ermessensentscheidung zudem die von der Klägerin getroffene Sozialauswahl geprüft und beanstandet. Hierbei hat er jedoch übersehen, dass er nicht über die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu entscheiden hat; die ist vielmehr Sache des Arbeitsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 5 C 51/90 - BVerwGE 90, 287).

Trotz Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung steht der Klägerin kein Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zu. Ein solcher wäre nur gegeben, wenn der der Behörde grundsätzlich eröffnete Ermessensspielraum nach den konkreten Umständen des Einzelfalls dahin verdichtet ist, dass sich nur die Erteilung der begehrten Zustimmung als rechtmäßige Ermessensbetätigung erweist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hatte bislang nicht geprüft, ob die Klägerin ihre Pflicht aus § 71 Abs. 1 SGB IX erfüllt. Die Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs. 1 SGB IX ist nach § 156 Abs. 1 SGB IX bußgeldbewehrt. Es handelt sich um eine Rechtspflicht, die die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) konkretisiert. Falls die Klägerin die Pflicht aus § 71 Abs. 1 SGB IX im Falle der Kündigung des Beigeladenen nicht mehr erfüllt, muss der Beklagte - in Art einer "Unzumutbarkeitsprüfung"- dahingehen Erwägungen anstellen, ob er einem Verstoß der Klägerin gegen die gesetzliche Pflicht aus § 71 Abs. 1 SGB IX zustimmt (vgl. VG Stuttgart Urt. v. 12.05.2011 - 11 K 5112/10 - juris -). Der Beklagte hat danach unter Berücksichtigung des maßgeblichen Sachverhalts und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine erneute Ermessensentscheidung zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht aus § 154 Abs. 3, § 155 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.

Die Zuziehung eine Bevollmächtigen im Vorverfahren durch die Klägerin war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären.

Referenznummer:

R/RBIH6706


Informationsstand: 30.07.2015