Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung nachgereichte Schriftsatz des Klägers bot keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Nach § 104
Abs. 3 Salz 2
VwGO kann zwar das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Grundsätzlich liegt diese Entscheidung aber im Ermessen des Tatsachengerichts (
BVerwG. Beschl. v. 5.11.2001 - 9 B 50/01 -, NVwZ-RR 2002. 217 sowie
BVerwG, Beschl. v. 19.03.1991 - 9 B 56.91 - , Buchholz 310 § 104
VwGO Nr. 25,
S. 10). Ein Fall, in dem nur durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör (
vgl. Art. 103
Abs. 1
GG, § 108
Abs. 2
VwGO) gewährt werden kann und deswegen eine Rechtspflicht zur Wiedereröffnung anzunehmen ist (
vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 1.03.1995 - 8 C 36.92 -, Buchholz 303 § 287
ZPO Nr. 3), liegt hier nicht vor.
Nachdem zuletzt auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2012 seine Zustimmungen zur Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter anstelle der Kammer erklärt hat, konnte der Berichterstatter vorliegend gemäß § 87 a
Abs. 2 und 3
VwGO entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie mussten vom Gericht daher aufgehoben werden (§ 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO).
1. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch im Sinne des
§ 2 Abs. 2 SGB IX, weshalb die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch die Beigeladene der vorherigen Zustimmung des Beklagten als Integrationsamt bedurfte (
§ 85 SGB IX). Dieses hat über einen Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung nach pflichtgemäßem Ermessen, unter Beachtung etwaiger Einschränkungen nach
§ 89 SGB IX, zu entscheiden (
BVerwG, Urteil vom 02.07.1992 -
5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 28.04.1989 -
6 S 1297/88 -).
2. a) Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, so unterliegt die Verwaltungsentscheidung nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114
S. 1
VwGO. Danach prüft das Gericht nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114
VwGO). Dies beinhaltet die Prüfung, ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit zwischen den Beteiligten kennzeichnenden Gesichtspunkte eingestellt hat und ob sie dabei von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (VGH Baden-Württemberg. Urteil v. 09.05.1994 -
7 S 2294/92 -).
b) Die Ermessensentscheidung ist danach fehlerhaft, wenn die Behörde Umstände außer Betracht lässt, die zu berücksichtigen wären (
vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.1998 - 9 S 1637/97 -)‚ desgleichen, wenn sie Umstände in die Ermessensbetätigung einstellt, die nicht ausreichend ermittelt sind aber auch, wenn sie einzelne Gesichtspunkte zwar erkennt, diese aber unzutreffend gewichtet. Um im Verfahren nach § 85
SGB IX ihre Ermessensentscheidung sachgerecht treffen zu können, hat die Behörde, anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend von Amts wegen all das zu ermitteln und dann auch zu berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegeneinander abwägen zu können (
BVerwG, Urt. v. 02.07.1992 -
BVerwG 5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 unter weiterem Hinweis auf BVerwGE 48, 264 (266) und Beschl. v. 28.09.1983 -
BVerwG 5 B 6.83 -). Die dem Integrationsamt durch § 20
SGB X auferlegte Aufklärungspflicht gewinnt ihre Konturen und Reichweite aus dem materiellen Recht (
BVerwG. Urt. v. 02.07.1992, a.a.O.
S. 294). Soweit ein Umstand materiell-rechtlich für die gebotene Interessenabwägung Bedeutung hat, unterliegt er der Aufklärungspflicht. Welche Umstände im einzelnen und mit welchem Gewicht für die Interessenabwägung maßgeblich sind, lässt sich nicht allgemein bestimmen; entscheidend sind der Bezug zur Behinderung und die an der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes gemessene Bedeutung.
c) Nach der programmatischen Neuausrichtung des Schwerbehindertenrechts in
§ 1 SGB IX tritt an die Stelle der Fürsorge die Förderung der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben; deshalb hat das Integrationsamt zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren dem Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf eine seinen Fähigkeiten gerecht werdende Beschäftigung Rechnung trägt (
vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 19.07.2004 - 8 K 3370/03 - unter Bezugnahme auf Dau/DüweII/Haines (Hrsg.)‚ Lehr- und Praxiskommentar LPK -
SGB IX, 2002,
Anm. 7 und 9 zu § 89). Schon nach dem früheren
SchwbG war anerkannt, dass durch die Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (nur) die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeglichen werden sollen. Auch der Zweck des § 85
SGB IX geht deshalb dahin, die Schwerbehinderten vor den besonderen Gefahren, denen sie wegen ihrer Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, zu bewahren und sicherzustellen, dass sie gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen geraten. Das hat auch Leitlinie bei der Ermessensentscheidung zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zuzustimmen ist. Die zu treffende Ermessensentscheidung setzt somit eine Abwägung einerseits der Belange des schwerbehinderten Beschäftigten an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und andererseits der Interessen des Arbeitgebers, die vorhandenen Arbeitsplätze wirtschaftlich zu nutzen und den Betrieb nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, voraus (
vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.12.2006 -
5 B 171.06 und Urt. v. 28.02.1968, BVerwGE 29, 140). Damit werden die Grenzen dessen bestimmt, was zur Verwirklichung des dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Teilhabeanspruchs dem Arbeitgeber zugemutet werden darf (
BVerwG. Urteil vom 31.07.2007 -
5 B 81/06 -, (juris) und Urt. v. 02.07.1992 - 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287 (292 f. ) m. w. N. zum
SchwbG).
Haben die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führenden Gründe in der Behinderung selbst ihre Ursache, stellt der Schwerbehindertenschutz besonders hohe Anforderungen an die bei der Interessenabwägung immer zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze beim Arbeitgeber, um auch den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass das Interesse des Arbeitgebers an wirtschaftlichem Nutzen in zumutbarer Weise zurücktreten muss (
BVerwG, Urteil vom 27.10.1971 -
V C 78.70 -, BVerwGE 39, 36 (38)-, Beschluss vom 18.09.1989 -
5 B 100.89 Buchholz 436.61 § 15
SchwbG 1986
Nr. 2 und Beschluss vom 16.06.1990 -
5 B 127.89 -. Buchholz a.a.0.
Nr. 3 und Urt. v. 19.10.1995, BVerwGE 99, 336 = DVBI 1996.858).
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitgeber gehalten wäre, den Schwerbehinderten "durchzuschleppen" (
vgl. BVerwG, Urt. v. 28.02.1968, BVerwGE 29, 140), wenn also eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen würde (
vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.06.1990,aaO). Das Schwerbehindertenrecht soll nicht dazu führen, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer, deren Leistungen - sei es auch aufgrund ihrer Behinderung - unterhalb des betrieblich oder wirtschaftlich Vertretbaren liegen, weiterbeschäftigt werden müssen. In einer solchen Situation kann nicht mehr vom Fortbestehen eines synallagmatischen Austauschverhältnisses gesprochen werden, wie dies das Arbeitsverhältnis voraussetzt, vielmehr würde aus der Rechtsbeziehung dann nur noch eine Belastung des Arbeitgebers folgen. Deshalb kann unter solchen Bedingungen die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden. Von einem unzumutbaren "Durchschleppen" kann gesprochen werden, wenn die Minderleistungen das Übliche wesentlich überschreiten, wenn aus diesem Grunde beim Arbeitgeber erhebliche betriebliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten eintreten, wenn aufgrund einer Prognose davon auszugehen ist, dass sich diese Lage nicht ändern wird und wenn beim Arbeitgeber kein anderer Arbeitsplatz vorhanden ist, an dem der Schwerbehinderte ungeachtet seiner Behinderung beschäftigt werden kann; auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers kommt es hierbei nicht an (
vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.04.1989 -
6 S 1297/88 - Juris -).
d) Umstände, die den persönlichen Lebensbereich des Schwerbehinderten berühren, braucht das Integrationsamt bei seiner Ermessensentscheidung nicht eigens "ausermitteln", soweit diese sich ihm bei vernünftiger Überlegung nicht aufdrängen mussten oder aber durch die Beteiligten ein Hinweis erfolgt ist (
BVerwG, Beschluss vom 22.11.1994 -
5 B 16.94 -, Buchholz 436.61 § 85
SGB IX Nr. 8; Beschluss vom 23.09.1997 - 9 S 1635/96). Dagegen sind die vier tatsächlichen Kriterien, nach denen von einem Fall eines unzumutbaren "Durchschleppens" gesprochen werden kann (
vgl. oben), in ihrem Sachverhalt zu erforschen. Insoweit darf das Integrationsamt gegebenenfalls lediglich hilfsweise berücksichtigen, inwieweit die Darstellung eines Verfahrensbeteiligten überhaupt zweifelhaft oder von der jeweils anderen Seite substantiell bestritten ist. Äußert sich ein Verfahrensbeteiligter zu einzelnen diesbezüglichen Aussagen eines anderen Beteiligten nicht, so darf das Integrationsamt vom Vorliegen des entsprechenden Sachverhaltes ausgehen, wobei es entscheidend auf die Konkretheit des Vorbringens ankommt.
3. in Fällen, in denen die Zustimmung für die beabsichtigte Kündigung erteilt wird, kommt es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Grundsatz maßgeblich auf den Zeitpunkt des Bescheides an, der die Grundlage für die dann erklärte Kündigung war mit der Folge, dass erst nach Ausspruch der Kündigung eingetretene oder vom Schwerbehinderten danach mitgeteilte oder sonst wie bekannt gewordene Umstände die Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung des Beklagten und damit der erteilten Zustimmung im Grundsatz nicht mehr berühren (
vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2008, -
5 B 79.08 -‚ (Juris); s. auch Verwaltungsgericht München, Urteil vom 18.11.2010, -
M 15 K 09.5850 -, (Juris) mit weiteren Nachweisen). Von diesem Grundsatz gilt allerdings dann eine Abweichung, wenn die Zustimmungsentscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, dieser Mangel im Widerspruchsverfahren dann aber geheilt wurde. Soweit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde, kann ein solcher Verfahrensmangel auch im Rahmen des schwerbehindertenrechtlichen Kündigungsschutzverfahrens grundsätzlich geheilt werden (
vgl. dazu § 41
Abs. 1
Nr. 3 und
Abs. 2
SGB X). Dabei genügt es, wenn der Betroffene durch den Erhalt des Verwaltungsaktes von den entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis und die Gelegenheit erhält, sich hierzu zu äußern (
vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.02.1997, -
5 B 108/96 - zur unterlassenen Anhörung des Betriebsrates;
vgl. auch Schroeder-Printzen u.a.‚
SGB X, 3. A.‚
Anm. 7 zu § 41
SGB X mit weiteren Nachweisen). Im Rahmen des
SGB IX wird zudem die Möglichkeit der Heilung im Rahmen der Pflicht zur Anhörung des Betroffenen im Widerspruchsverfahren besonders hervorgehoben (§ 121
Abs. 2;
vgl. dazu Düwell in Dau/Düwell/Haines (Hrsg.), Lehr- und Praxiskommentar - LPK -
SGB IX -, 2. A.,
Anm. 29 zu § 87). Insbesondere wenn - wie vorliegend -, über den Widerspruch dieselbe Behörde entscheidet, die auch schon den Ausgangsbescheid erlassen hat, ist eine solche Heilung auch bei Ermessensentscheidungen zulässig (BayVGH, Urteil vom 20.03.2003, - 12 B 99.1880 -, (juris)). Eine solche Heilung hat dann aber - notwendigerweise - zur Folge, dass der Schwerbehinderte mit seinem Vortrag nicht mit Hinweis darauf ausgeschlossen sein kann, dass es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ausschließlich auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des (verfahrensfehlerhaft ergangenen) Zustimmungsbescheides ankommen kann, der schwerbehinderte Mensch mit späterem Vorbringen mithin präkludiert sei (
vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 20.09.2010 -
11 K 1733/10 -, (juris)). Maßgeblicher Zeitpunkt in einem solchen Fall ist daher derjenige des Erlasses des Widerspruchsbescheides.
4. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich zunächst, dass maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage hier der 20. März 2012 ist, als der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Zustimmungsbescheid vom 11.10.2011 zurückgewiesen hat.
Denn dieser ursprüngliche Zustimmungsbescheid war verfahrensfehlerhaft. Der Beklagte hat seinen Ausgangsbescheid ganz wesentlich darauf gestützt, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren seine Zustimmung versagt habe, dass das Integrationsamt das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung hinsichtlich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der Zukunftsprognose den am Verfahren Beteiligten bekannt gebe. Daher hätten entsprechende Ermittlungen auch gar nicht angestellt werden können und dieses Aufklärungsdefizit gehe zu Lasten des Klägers.
Für den Kläger stellt sich eine solche Entscheidung als unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Ausweislich der Verwaltungsakten wurde der Kläger
bzw. sein Verfahrensbevollmächtigter zuvor nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Beklagte aus der insoweit nicht erteilten Zustimmung einen solchen Schluss ziehen werde. Dementsprechend hätte der Kläger zwingend auf diesen Gesichtspunkt aufmerksam gemacht werden müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, entweder die bisher nicht erteilte Zustimmung noch zu erteilen oder aber zu seiner Weigerungshaltung rechtliche Ausführungen zu machen. Wie § 67 b
Abs. 2 Satz 1
SGB X zeigt, besteht grundsätzlich eine Hinweispflicht bezüglich der Folgen der Venrweigerung der Einwilligung hinsichtlich der Verarbeitung
bzw. Nutzung von Sozialdaten. Ein solcher Hinweis ist hier aber ausweislich der Verwaltungsakten des Beklagten unterblieben. Daraus folgt, bis zu einem solchen Rechtsfolgenhinweis dürfen für den Betroffenen aus einer solchen Einwilligungsverweigerung auch keine negativen Schlüsse gezogen werden. Der gleichwohl ergangene Zustimmungsbescheid vom 11.10.2011 leidet daher an einem Verfahrensmangel.
Allerdings war dieser Bescheid zumindest geeignet, die entsprechende Hinweispflicht auszulösen. Der Kläger war nunmehr im Widerspruchsverfahren in die Lage versetzt, wie im gerichtlichen Verfahren später auch geschehen, von seiner bisherigen Weigerungshaltung entweder Abstand zu nehmen oder aber sie rechtlich zu untermauern. Der ursprünglich gegebene Verfahrensmangel wurde dadurch geheilt mit der Folge, dass es nunmehr maßgeblich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hier ankommt (
vgl. oben).
5. Die formellen Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung lagen allerdings ansonsten vor. Mit Ausnahme des ursprünglichen Anhörungsfehlers ist die nach § 85
SGB IX vorzunehmende Entscheidung des Beklagten entsprechend den Verfahrens- und Formvorschriften des
SGB IX zustande gekommen.
Die angefochtene Ermessensentscheidung ist nach den oben angeführten Grundsätzen aber auch im Übrigen noch zu beanstanden. Zunächst zutreffend hat der Beklagte erkannt, dass von einem Zusammenhang zwischen Behinderung und krankheitsbedingter Kündigung auszugehen war und welche Kriterien seiner Entscheidung insoweit maßgeblich zugrunde zu legen waren, insoweit wird auf den angegriffenen Bescheid verwiesen.
Angesichts der erheblichen Fehlzeiten des Klägers auf Grund von Arbeitsunfähigkeit in den der Kündigung vorausgegangenen drei Jahren, liegt eine krankheitsbedingte Minderleistung vor, die das Übliche ganz erheblich und wesentlich überschreitet.
Dies bedarf keiner weiteren Vertiefung.
Die sich aus diesen Fehlzeiten ergebenden (gesetzlichen) Lohnfortzahlungsansprüche stellten eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die Beigeladene dar, insbesondere auch, da beim Kläger wiederholt andersartige Krankheitssymptome auftraten und ein Anspruch auf Krankengeld durch die Krankenkasse so kraft Gesetzes nicht zum Entstehen kommen konnte. Zusätzlich liegen auf Grund der Besonderheiten der arbeitsvertraglichen Beziehungen - der Kläger wird von der Beigeladenen an Fremdfirmen als Zeit-Arbeitnehmer vermittelt -, durch die Vielzahl von Erkrankungen des Klägers auch erhebliche betriebliche Belastungen vor. Der Beklagte durfte im Rahmen seiner Ermessensbetätigung daher von wirtschaftlichen und betrieblichen Schwierigkeiten in erheblichem Umfang ausgehen. Auch insoweit wird auf die angegriffenen Bescheide verwiesen.
Letztlich durfte der Beklagte auch davon ausgehen, dass beim Arbeitgeber ein anderer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, an dem der Schwerbehinderte ungeachtet seiner Beeinträchtigungen beschäftigt werden kann. Die Beigeladene hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass sie als Unternehmen der Zeitarbeits-Branche den Kläger nicht selbst im eigenen Betrieb beschäftigen kann, sie ihn vielmehr - entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelung - zum Zweck der Entsendung an auftraggebende Fremdfirmen beschäftigt. Im Zeitpunkt seiner (Widerspruchs-) Entscheidung konnte der Beklagte daher zutreffend davon ausgehen, ein anderer leidensgerechter Arbeitsplatz sei für den Kläger nicht vorhanden.
Entscheidend im Rahmen der Ermessensbetätigung des Beklagten war daher im Sinne der oben dargestellten Grundsätze die Frage. ob für den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt in Bezug auf seine gesundheitliche Lage eine negative Prognose zu stellen war, wonach mit einer Besserung nicht zu rechnen war. Die zu Grunde gelegten langen krankheitsbedingten Fehlzeiten wurden von Klägerseite nicht bestritten. Diese indizieren zwar für sich genommen eine solche negative Prognose. Sie bieten allerdings allein noch keine Gewähr dafür, dass erhebliche Fehlzeiten auch künftig auftreten werden und der Kläger seine Arbeitskraft der Beigeladenen nicht kontinuierlich und hinreichend verlässlich zur Verfügung zu stellen in der Lage sein werde. Wie grundsätzlich vom Beklagten auch erkannt, war für eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung im oben dargestellten Sinne insoweit daher eine weitere Sachaufklärung erforderlich.
Diese war weder deshalb entbehrlich, weil der Kläger zwischenzeitlich von dem insoweit zuständigen italienischen Sozialleistungsträger als erwerbsunfähig eingestuft wird und eine - kleine - Rente erhält. Das italienische Sozialsystem weist verschiedentlich "Besonderheiten" auf, denen für den vorliegenden Zusammenhang aber keine Bindungswirkung zukommt.
Eine weitere Sachaufklärung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger selbst hier im Inland mit seinem beharrlich betriebenen Rentenantragsverfahren nach außen die Auffassung vertritt, er werde nie mehr erwerbstätig sein können, es liege mithin die "negativste" aller Prognosen vor. Der Rechtsgrundsatz des "venire contra factum proprium" ist auf diese Konstellation nicht anwendbar. Ein schwerbehinderter Mensch in der Lage des Klägers darf sich vielmehr insoweit "in die Hände" der medizinischen Sachverständigen begeben und parallel sich letztlich widersprechende Verwaltungs-
bzw. Gerichtsverfahren betreiben mit dem Ziel, entweder bei festgestellter Erwerbsunfähigkeit eine Rente zu erhalten oder aber, bei festgestellter positiver Gesundheitsprognose, seinen Arbeitsplatz zu bewahren.
Entgegen der Ansicht des Beklagten durfte er sich der somit notwendigen weiteren Sachaufklärung durch ärztliche Begutachtung der Gesundheitsprognose des Klägers nicht unter Hinweis auf dessen fehlende Einwilligung zur verfahrensmäßigen Verwertung entsprechender Erkenntnisse verschließen. Die Regelung in § 35
SGB I und §§ 67 ff
SGB X, die den Regelungen zur Ermittlung des Sachverhaltes in §§ 20
ff. 868 X nach dem eindeutigen Wortlaut des § 37 Satz 3
SGB I vorgehen (
vgl. BSG vom 15.2.2005 - B 2 U 3/04 R - BSGE 94. 149; vgl zur Literatur nur Bieresborn in von Wulffen,
SGB X, § 67a RdNr 6; Didong in Juris Praxiskommentar, SGB l, 2005, § 37 RdNr 14), unterscheidet grundsätzlich zwischen der Erhebung und der Verarbeitung/Nutzung von Sozialdaten. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass der Kläger nicht etwa seine behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden hat. Diese Erklärung hat er im Verwaltungsverfahren vielmehr von Anfang an abgegeben. Er hat lediglich hinsichtlich der verfahrensmäßigen Behandlung solcher notwendigerweise einzuholender ärztlichen Erkenntnisse Beschränkungen formuliert. Wie mit diesen umzugehen war, durfte der Beklagte erst in einem zweiten Schritt prüfen. § 20
Abs. 1 Satz 1
SGB X erlaubt es der Behörde nicht, bereits auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung die Prüfung vorzunehmen, was das verfahrensmäßige Ergebnis einer medizinischen Begutachtung des Schwerbehinderten mutmaßlich sein werde. Insoweit ähnelt die Konstellation einer - ebenfalls unzulässigen - vorweggenommenen Beweiswürdigung. Ebenso wenig, wie die Behörde auf eine Sachverhaltsermittlung verzichten darf unter Hinweis darauf, sie ahne schon, was die Begutachtung erbringen werde, darf sie zu diesem Zeitpunkt auf eine Sachverhaltsermittlung allein unter Hinweis darauf verzichten, diese könne später ja ohnehin nicht verwendet werden. Denn solches steht keineswegs abschließend fest. Hätte die medizinisch gebotene Begutachtung des Klägers mit Blick auf die vorzunehmende Gesundheitsprognose ergeben, dass eine positive Gesundheitsprognose vorliegend völlig ausgeschlossen ist, dann hätte der Beklagte - und das hätte auch dem Interesse der den Zustimmungsantrag stellenden Beigeladenen gedient - die entsprechende Zustimmung erteilen können ohne im Einzelnen dem dann verfahrensmäßig obsiegenden Arbeitgeber die für diesen nicht mehr relevanten Gesundheitsdaten des Klägers zu offenbaren. Umgekehrt, hätte eine ärztliche Begutachtung des Klägers ergeben, dass eine positive Prognose feststellbar ist (etwa weil die seiner Vielzahl von Krankheitssymptomen zugrundeliegende psychische Grunderkrankung vom Kläger nunmehr therapeutisch bearbeitet würde), so hätte der Beklagte dem Kläger die "Chance" einräumen können und müssen, angesichts einer dann absehbar für ihn günstigen Entscheidung, nämlich der Ablehnung des Zustimmungsantrages der Arbeitgeberin, der Offenbarung eines solchen ärztlichen Gutachtens im Verwaltungsverfahren ausdrücklich zuzustimmen. Wie gerade der Fortgang des Verfahrens zeigt - der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren nunmehr alle Einwilligungen erteilt -‚ spricht viel dafür, dass ein schwerbehinderter Mensch in der Lage des Klägers, wenn entsprechende ärztliche Aussagen zur Gesundheitsprognose vorliegen, dann adäquat reagieren wird. Der Verzicht auf Einholung weiterer ärztlicher Auskünfte, und ebenso der Verzicht der Berücksichtigung der wenigen ärztlichen Stellungnahmen, die in den Verwaltungsakten des Beklagten vorhanden waren und denen durchaus die Tendenz einer positiven Gesundheitsprognose innewohnt, stellt sich demgegenüber als unzulässige Selbstbeschränkung der Aufklärungspflicht des Beklagten dar. Aus dieser erwuchs notwendigerweise eine ermessensfehlerhafte Entscheidung.
Die Frage, ob ein schwerbehinderter Mensch in der gegebenen Konstellation ganz grundsätzlich berechtigt ist, die Verwertung entsprechender Gesundheitsdaten im Verwaltungsverfahren nach dem
SGB IX zu hindern und damit einen am Verwaltungsverfahren notwendigerweise beteiligten Dritten, seinen Arbeitgeber in eine tendenziell ungünstigere Position zu bringen, musste vorliegend daher nicht entschieden werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154
Abs. 1 und § 162
Abs. 2 Satz 2 und
Abs. 3
VwGO, § 188
S. 2
VwGO.
Die Zulassung der Berufung ergibt sich aus § 124 a
Abs. 1
i.V.m. § 124
Abs. 2
Nr. 3
VwGO. Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht des Integrationsamtes bietet sich hier Gelegenheit zu obergerichtlicher Klärung.