Urteil
Durchführungspflicht eines BEM vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung

Gericht:

KGH.EKD


Aktenzeichen:

KGH.EKD II-0124/52-2017 | II-0124/52-2017


Urteil vom:

09.04.2018


Grundlage:

Leitsätze:

1. Das Kündigungsschutzgesetz ist eine Rechtsvorschrift i.S. von § 41 Abs. 2 MVG.EKD, auf dessen Verletzung eine Mitarbeitervertretung die Zustimmungsverweigerung stützen kann (vgl. KGH.EKD vom 31. August 2015 -II-0124/6-2015).

2. Unterlässt der Dienstgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB 9 (seit 1.1.2018 § 167 Abs. 2 SGB 9), obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, so ist die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt, es sei denn, der Dienstgeber legt dar, dass die Durchführung eines BEM objektiv nutzlos gewesen und zu keiner Veränderung der Krankheitszeiten geführt hätte (vgl. BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14-).

Rechtsweg:

KG für MAV-Streitigkeiten der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beschluss vom 17.11.2017 - 2017-2 D

Quelle:

Fachinformationssystem Kirchenrecht

Tenor:

Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 17. November 2017 - Az. 2017 - 2 D abgeändert:

Der Antrag wird zurückgewiesen.


Gründe:

I. Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz noch über die Zustimmung zu einer personenbedingten Kündigung einer Raumpflegerin.

Die Antragstellerin möchte das Arbeitsverhältnis mit einer seit dem 15. September 2012 im evangelischen Kindergarten beschäftigten Raumpflegerin beenden. Die Mitarbeiterin ist 41 Jahre, ihre Arbeitszeit beträgt 30 Stunden wöchentlich. Die Mitarbeiterin hat 2013 insgesamt an 82 Kalendertagen, 2014 an 248 Kalendertagen, 2015 an 38 Kalendertagen, 2016 an 179 Kalendertagen und 2017 bis zum 16. Juni an 133 Kalendertagen arbeitsunfähig gefehlt. In der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 21. September 2014 und vom 3. Mai 2017 bis zum 12. Mai 2017 wurde sie jeweils wiedereingegliedert. Die Antragstellerin deckte die Ausfallzeiten durch Einsatz einer Zeitarbeitsfirma, mit angeordneter Mehrarbeit sowie mit Hilfe einer kurzfristigen Aushilfe ab. In den Jahren 2012 bis 2017 fielen 28.168,02 Euro Personalkosten für die Aushilfstätigkeit an, die Zeitarbeitsfirma hat 2017 2.069,73 Euro in Rechnung gestellt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiterin findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Mit Schreiben vom 12. Juli 2017 hat die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, der beim Evangelischen Kirchenkreis Hanau gebildeten Mitarbeitervertretung, die Zustimmung zur ordentlichen personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 2017 sowie zeitgleich die Zustimmung zu einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung beantragt.

Das Kirchengericht hat festgestellt, dass kein Grund für die Verweigerung der Zustimmung zu der personenbedingten Kündigung bestanden hat. In den Gründen hat das Kirchengericht den weiteren Antrag zurückgewiesen.

Mit der Beschwerde macht die Mitarbeitervertretung geltend, die beabsichtigte Kündigung verstoße gegen §1 Kündigungsschutzgesetz, weil im konkreten Fall kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt worden sei und auch im Übrigen die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung nicht vorlägen.


Die Mitarbeitervertretung beantragt,

den Beschluss des Kirchengerichtes für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 17. November 2017- Az. 2017 - 2 D - abzuändern und den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.


Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen,

und vertritt die Auffassung, das Kündigungsschutzgesetz sei nicht Rechtsvorschrift im Sinne von § 41 Abs. 2 MVG-EKD.

Dass kein BEM durchgeführt worden sei, liege daran, dass die Mitarbeitervertretung das Zustandekommen einer Dienstvereinbarung nicht förderlich unterstützt habe. Die Durchführung eines BEMs sei auch kein notwendiges Tatbestandsmerkmal für eine personenbedingte Kündigung.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die wechselseitigen zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen Anhörung.


II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde der Mitarbeitervertretung ist zulässig und begründet, weil die beabsichtigte Kündigung gegen § 1 Kündigungsschutzgesetz verstößt.

1. Das Kündigungsschutzgesetz ist nach ständiger Rechtsprechung des KGH.EKD Rechtsvorschrift i.S. von § 41 Abs. 2 MVG.EKD (vgl. KGH - II-0124/6-2015 vom 31. August 2015; Fey/Rehren § 41 MVG.EKD, Rn. 6). Die Mitarbeitervertretung kann die Verweigerung der Zustimmung darauf stützen, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt ist.

2. Die beabsichtigte Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt nach § 1 KSchG; nach dem zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt liegen die Voraussetzungen für eine personenbedingte Kündigung nach § 1 Kündigungsschutzgesetz nicht vor.

a) Es liegt zwar nahe, dass die in der Vergangenheit aufgetretenen Fehlzeiten der Arbeitnehmerin die für eine personenbedingte Kündigung erforderliche negative Prognose belegen. Auch die negativen betrieblichen Auswirkungen liegen vor, da in einer kleinen Dienststelle mit weniger als 20 Mitarbeiter/innen die Organisation der Vertretung einer ständig arbeitsunfähigen Arbeitnehmerin erheblichen Aufwand nach sich zieht. Auch die aufgetretenen Entgeltfortzahlungskosten muss die Antragstellerin nicht auf Dauer hinnehmen.

b) Dessen ungeachtet ist die beabsichtigte personenbedingte Kündigung sozial nicht gerechtfertigt nach § 1 Kündigungsschutzgesetz, da die Antragstellerin ihrer Pflicht zur Durchführung eines BEM nicht nachgekommen ist. Hierzu ist sie vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet; die Durchführung des BEM soll einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen gerade begegnen. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines BEM lagen im Fall der Arbeitnehmerin vor, da eine mehr als sechswöchige Arbeitsunfähigkeit bestanden hat.

c) Fehlt es an der Durchführung eines BEM, so muss der Dienstgeber, um darzulegen, dass die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt und ihm keine milderen Mittel zur Überwindung der krankheitsbedingten Störung des Arbeitsverhältnisses als die Beendigungskündigung offenstand, die objektive Nutzlosigkeit des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 SGB IX darlegen. Hierzu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können, warum also ein BEM in keinem Falle dazu beigetragen hätte können, neuerlichen Krankheitszeiten bzw. der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14, insbesondere Rn 28).

d) Diesbezüglicher Vortrag fehlt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es unerheblich, dass "bislang die gleiche Mitarbeitervertretung das Zustandekommen einer Dienstvereinbarung nicht unbedingt förderlich unterstützt hat". Die Durchführung eines BEM ist eine gesetzliche Verpflichtung. Sie ist nicht abhängig vom Abschluss eine Dienstvereinbarung.


III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).

Referenznummer:

R/R8607


Informationsstand: 15.03.2021