Leitsatz:
1. Erfolgt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten aus einem Grunde, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, hat nach der Soll-Vorschrift des § 21 Abs. 4 SchwbG die Hauptfürsorgestelle im Regelfall die Zustimmung zu erteilen. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Hauptfürsorgestelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden.
2. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die außerordentliche Kündigung den Schwerbehinderten in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetzes berührenden Weise besonders hart trifft, ihm im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle außerordentlicher Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangt.
3. Die Hauptfürsorgestelle hat über das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu urteilen. Offen bleibt, ob etwas anderes dann gilt, wenn die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen.
Orientierungssatz:
1. (Zu LS 3) § 21 Abs. 4 SchwbG verlangt von der Hauptfürsorgestelle nicht die Prüfung, ob die Kündigung aus wichtigem Grund erfolgt, sondern ob der Grund, aus dem die Kündigung erfolgt, mit der Behinderung in Zusammenhang steht oder nicht. Der Grund, aus dem die Kündigung erfolgt, ist aber immer der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund, unabhängig davon, ob er die Kündigung arbeitsrechtlich rechtfertigt. Die Kündigung "erfolgt" aus dem Grund, den der Arbeitgeber zu ihrer Rechtfertigung angibt. § 21 Abs. 4 SchwbG verweist deshalb auf die Begründung der Kündigung, nicht aber auf ihre Begründetheit.
2. (Zu LS 3) Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist aber dann unzulässig, wenn die Ausübung des Kündigungsrechts der präventiven Kontrolle durch die Hauptfürsorgestelle unterliegt, weil die nachgeschobenen Gründe nicht Gegenstand des Zustimmungsverfahrens waren und die Hauptfürsorgestelle keine Gelegenheit hatte zu prüfen, ob sie die spezifischen Belange des Schwerbehinderten überwiegen und deshalb die Aufhebung der öffentlich-rechtlichen Kündigungsschranke rechtfertigen.
Fundstelle:
DVBl 1992, 1487-1490 (LT)
MDR 1992, 1156-1158 (ST)
Buchholz 436.61 § 21 SchwbG 1986 Nr 3 (L,ST)
br 1992, 165-168 u. 163 (ST1-3)
NDV 1993, 28-32 (LT)
DÖV 1993, 74-76 (LT)
Diese Entscheidung wird zitiert von:
BVerwG 1992-09-10 5 C 80/88 Vergleiche
BVerwG 1992-09-10 5 C 39/88 Vergleiche
Rechtszug:
vorgehend OVG Münster 1989-07-25 13 A 1789/88
vorgehend VG Düsseldorf 1988-05-17 17 K 471/88