Urteil
Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten

Gericht:

VG Düsseldorf 13. Kammer


Aktenzeichen:

13 K 6422/11


Urteil vom:

04.05.2012


Leitsätze:

Stützt die Behörde ihre Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen nach §§ 85 ff. SGB IX - jedenfalls auch - auf die arbeitsrechtliche Zulässigkeit der beabsichtigten Kündigung, ist dies ermessensfehlerhaft, weil diese Frage für die ihr überantwortete Interessenabwägung keine maßgebliche Rolle spielen darf.

Wird die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, und sind deshalb besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber zu stellen, muss die Behörde bei prognostizierten krankheitsbedingten Fehlzeiten darlegen, in welchem Umfang sie diese erwartet und warum diese für den Arbeitgeber nicht mehr zumutbar sind. Der Verweis auch eine Entgeltfortzahlungspflicht von mehr als sechs Wochen genügt insoweit nicht.

Rechtsweg:

OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 07.08.2012 - 12 A 1462/12

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2011 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtsgebühren nicht erhoben werden, tragen der Beklagte zu drei Vierteln und die Beigeladene zu einem Viertel mit der Maßgabe, dass ein Kostenausgleich zwischen ihnen nicht stattfindet.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der jeweiligen Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Beklagten zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch die Beigeladene.

Die Klägerin ist im Jahr 1963 geboren und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70. Ausweislich des letzten Feststellungsbescheids der Stadt E vom 12. November 2010 liegen bei der Klägerin folgende Beeinträchtigungen vor:

"1. Belastungsminderung und Schwellungszustände der Beine nach Beckenbeinvenenthrombosen und wiederkehrenden Entzündungen, chronisch-venöse Insuffizienz, postthrombotisches Syndrom, Lipödem und Lymphödem der Beine, Lymphfistel, Fußfehlform

2. Hormonstörungen, depressive Verstimmungen bei Koagulpathie, Blutverdünnungstherapie

3. Asthma bronchiale mit Lungenfunktionsstörung

4. Verschleißleiden der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizungen

5. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus

6. Bluthochdruck

7. Lymphödem der Arme, Bewegungseinschränkungen der Schultergelenke

8. Neigung zu Magenreizerscheinungen".

Die Klägerin ist seit dem August 1994 als Verwaltungsangestellte bei der Beigeladenen tätig und war dort zuletzt im Archiv eingesetzt. Die Beigeladene beschäftigt knapp 4000 Mitarbeiter, von denen gut 400 schwerbehindert bzw. einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Für die Arbeitsverhältnisse der bei der Beigeladenen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt der Tarifvertrag für die Verbandsmitglieder der Tarifgemeinschaft der Deutschen Rentenversicherung (TV-TgDRV). Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-TgDRV können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, nach einer Beschäftigungszeit (Absatz 3 Satz 1 und 2) von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden.

Die Klägerin war im Jahr 2006 nach den Angaben der Beigeladenen insgesamt 93 Tage arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2007 war sie nach den Angaben der Beigeladenen insgesamt 105 Tage arbeitsunfähig krank. Im April 2008 beendete die Beigeladene ein erstes zu Gunsten der Klägerin durchgeführtes Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Zur Begründung verwies sie darauf, dass aus Sicht des Integrationsamts nach Ausgestaltung des Arbeitsplatzes der Klägerin und der für sie günstigen Parkmöglichkeit weitere Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zurzeit nicht sinnvoll seien. Im Jahr 2008 war die Klägerin nach den Angaben der Beigeladenen insgesamt 57 Tage arbeitsunfähig erkrankt.

Im März 2009 führte die Beigeladene mit der Klägerin ein Personalgespräch, in dem die Ausfallzeiten der Klägerin thematisiert wurden. In diesem Gespräch forderte die Beigeladene die Klägerin auf, engen Kontakt zu der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen bei der Beigeladenen zu halten und dort gegebenenfalls um Hilfe nachzusuchen. Im Juli 2009 wurde ein zweites Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements beendet, nachdem die Klägerin erklärt hatte, dass sie dieses Unterstützungsangebot nicht mehr benötige. Im Jahr 2009 war die Klägerin nach den Angaben der Beigeladenen insgesamt 38 Tage arbeitsunfähig erkrankt.

Im Juni 2010 wurde ein drittes zu Gunsten der Klägerin durchgeführtes Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements beendet. Zur Begründung verwies die Beigeladene darauf, dass nach der weiteren leidensgerechten Ausstattung des Arbeitsplatzes der Klägerin und der Zuweisung eines Parkplatzes an ihrem Dienstgebäude in X keine weiteren Maßnahmen möglich seien. Im September 2010 fand, nachdem die Klägerin nach den Angaben der Beigeladenen bis dahin erneut 60 Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen war, ein weiteres Personalgespräch statt. In diesem wurde der Klägerin durch die Vertrauensperson der Schwerbehinderten bei der Beigeladenen eine Rehabilitationsmaßnahme vorgeschlagen, die die Klägerin sodann vom 30. September 2010 bis zum 4. November 2010 durchführte. Im Anschluss hieran war die Klägerin arbeitsunfähig krank. Nach dem Attest der sie behandelnden Ärztin L vom 24. November 2010 war nach der Rehabilitationsmaßnahme eine deutliche Verschlechterung der allgemeinen gesundheitlichen Situation der Klägerin eingetreten.

Am 25. November 2010 fand ein weiteres Personalgespräch statt, das wiederum die Ausfallzeiten der Klägerin zum Gegenstand hatte. In diesem Gespräch wurde der Klägerin ein Aufhebungsvertrag angeboten; außerdem wurde ihr angekündigt, dass die Beigeladene anderenfalls das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin kündigen wolle. Im Dezember 2010 stellte die Beigeladene bei dem Beklagten einen ersten Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin. Dieser wurde abgelehnt, da der Beklagte seinerzeit die erforderliche negative Gesundheitsprognose mangels entsprechender Unterlagen nicht festzustellen vermochte. Daraufhin holte die Beigeladene eine arbeitsmedizinische Stellungnahme ihres betriebsärztlichen Dienstes ein. In dieser unter dem 22. Dezember 2010 erstellten Stellungnahme führte der Betriebsarzt M aus, aufgrund der zahlreichen gravierenden Erkrankungen der Klägerin sei nicht mit einer positiven Zukunftsprognose zu rechnen. Auch gingen aus dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik keine neuen Erkrankungen hervor, die den Schluss zuließen, dass nach deren erfolgreicher Behandlung eine positive Prognose gestellt werden könne.

Unter dem 27. Januar 2011 beantragte die Beigeladene, nachdem die Klägerin weiterhin arbeitsunfähig krank war, bei dem Beklagten erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2011 wegen in der Person der Klägerin liegender, krankheitsbedingter Gründe. Zur Begründung verwies sie darauf, dass bei der Klägerin eine negative Gesundheitsprognose bestehe. Die Klägerin habe in den letzten fünf Jahren erhebliche, über dem Durchschnitt liegende Ausfallzeiten aufgewiesen, die die Beigeladene im Einzelnen bezifferte. Im Jahr 2010 sei sie insgesamt 146 Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen und im Jahr 2011 bislang 19 Tage. Die Ursachen, die zu den krankheitsbedingten Ausfällen der Klägerin führten, seien ihr, der Beigeladenen, nur bedingt bekannt. Seit dem letzten Personalgespräch habe die Klägerin keinen Kontakt mehr zu ihr aufgenommen. Aufgrund der Fehlzeiten in der Vergangenheit, der erfolglosen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation der Klägerin sowie der Erfolglosigkeit der stationären Rehabilitationsmaßnahme sei mit vergleichbaren Ausfällen auch in Zukunft zu rechnen. Hierdurch würden ihre wirtschaftlichen Interessen erheblich beeinträchtigt. Zum einen ergäben sich durch die häufigen Kurzerkrankungen erhebliche Belastungen durch Lohnfortzahlungskosten. Außerdem sei es für den Arbeitsbereich der Klägerin im Archiv wichtig, dass das zur Verfügung stehende Personal die Arbeiten kontinuierlich und gewissenhaft ausübe. Durch die häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin würden die Arbeitsabläufe dort nachhaltig gestört, da die laufenden Arbeiten kurzfristig auf andere Mitarbeiter umverteilt werden müssten. Die Klägerin werde aufgrund ihrer Erkrankungen bereits an einem so genannten "Schonarbeitsplatz" eingesetzt. Auch dies habe aber nicht zu einer Reduzierung der Ausfallzeiten geführt.

Die angestrebte Kündigung sei auch verhältnismäßig, da im Rahmen der Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht habe geklärt werden können, wie die Arbeitsfähigkeit der Klägerin wiederhergestellt und erneute Arbeitsunfähigkeitszeiten verhindert werden könnten. Es bestünden auch keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten. Schließlich stehe auch die gebotene Interessenabwägung der angestrebten Kündigung nicht entgegen. Die krankheitsbedingten Ausfälle der Klägerin seien nicht auf betriebliche Ursachen zurückzuführen. Dennoch habe sie, die Beigeladene, eine Vielzahl von Hilfsmaßnahmen durchgeführt und die Klägerin unterstützt. Ein dauerhafter Erfolg sei aber nicht zu verzeichnen. Die durch die Lohnfortzahlungskosten und die Vertretungsnotwendigkeit bewirkten Belastungen seien für sie, die Beigeladene, nicht mehr hinnehmbar, zumal bei dem verhältnismäßig niedrigen Lebensalter der Klägerin auf nicht absehbare Zeit mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei.

Am 10. Februar 2011 führte der bei dem Beklagten zuständige Sachbearbeiter, Herr T, eine Kündigungsschutzverhandlung durch, bei der unter anderem der Betriebsarzt der Beigeladenen, Herr M, zu der gesundheitlichen Situation der Klägerin und der Zukunftsprognose befragt wurde. Im Rahmen dieser Verhandlung teilte die Klägerin unter anderem mit, dass sie beabsichtige, ab dem März 2011 eine Wiedereingliederungsmaßnahme durchzuführen. Ferner wurde im Rahmen der Verhandlungen die Möglichkeit einer gütlichen Einigung zwischen den Beteiligten durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erörtert. Unter dem 11. Februar 2011 legt die Klägerin ein Attest ihrer Hausärztin, Frau E1, vor, in dem diese sich für eine stufenweise Wiedereingliederung aussprach und hierfür eine positive Prognose stellte.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2011 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin mit sozialer Auslauffrist gemäß § 91 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (SGB IX). Unter dem 21. Februar 2011 kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2011. Am 23. Februar 2011 legte die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten Widerspruch ein. Gegen die Kündigung erhob die Klägerin Klage bei dem Arbeitsgericht E, die dort am 24. Februar 2011 einging und der Beigeladenen am 4. März 2011 zugestellt wurde.

Mit Schreiben vom 14. März 2011 begründete der Beklagte seine Zustimmungsentscheidung wie folgt: Da der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin stehe, sei sein Ermessen nicht nach § 91 Abs. 4 SGB IX eingeschränkt. Vielmehr stehe die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Insoweit sei das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem der Beigeladenen an dessen Beendigung abzuwägen. Hier stehe zu seiner Überzeugung fest, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung nicht mehr im geschuldeten Umfang erbringen könne. Damit verliere das Arbeitsverhältnis seinen Zweck als gegenseitiges Austauschverhältnis.

Bei der Kündigung aus personenbedingten Gründen sei zu berücksichtigen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund objektiver Tatsachen damit zu rechnen sei, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer in Zukunft wieder arbeitsunfähig sein werde, die Ausfallzeiten zu erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führten und ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber wegen seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer hingenommen werden müssten. Bei der Klägerin sei von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Dies ergebe sich insbesondere aus der betriebsärztlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2010. Weder der Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz, der zudem nicht zur Verfügung stehe, noch eine Umschulung und/oder Fortbildung würden zu einer Verringerung der Fehlzeiten führen.

Die Beigeladene sei auch in erheblichem Umfang in ihren betrieblichen Interessen beeinträchtigt. Dabei sei nicht allein auf eventuell vorliegende finanzielle Beeinträchtigungen abzustellen. Es genüge bereits, dass der Arbeitnehmer unter Umständen auf Dauer außer Stande sei, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen und er somit dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht entzogen sei.

Auch die besondere Fürsorgepflicht der Beigeladenen gegenüber der Klägerin führe nicht zu einer Weiterbeschäftigung. Die Beigeladene habe alles ihr Mögliche getan, um das Arbeitsverhältnis aufrechterhalten zu können. Sie habe drei Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements durchgeführt und daraus folgend den Arbeitsplatz der Klägerin mehrfach umgestaltet und behinderungsgerecht eingerichtet. Dem in der Kündigungsschutzverhandlung geäußerten Wunsch der Klägerin nach einer Wiedereingliederung habe die Beigeladene nicht nachkommen müssen, die die Klägerin die hierfür erforderlichen Informationen nicht mitgeteilt habe.

Auch nach der abschließenden Interessenabwägung ergebe sich das Ergebnis, dass trotz der Berücksichtigung der besonderen Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beigeladenen so erheblich sei, dass eine Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht mehr möglich sei. Zu deren Gunsten seien zwar ihr Alter, die Art und Schwere ihrer Behinderung sowie die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Es sei aber auch zu beachten, dass die Klägerin selbst wenig für die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes getan habe und insbesondere kein Kontakt zur Schwerbehindertenvertretung gehalten habe. Für die Beigeladene spreche zudem, dass sie auf 10,9 % der bei ihr vorhandenen Arbeitsplätze schwerbehinderte bzw. gleichgestellte behinderte Menschen beschäftige.

Diesen Ausführungen trat die Klägerin zur Begründung ihres Widerspruchs mit folgenden Erwägungen entgegen: Es sei zu befürchten, dass der verantwortliche Sachbearbeiter, Herr T, zu Gunsten der Beigeladenen voreingenommen sei. Dies folge aus dessen vertrautem Umgang mit der Personalsachbearbeiterin der Beigeladenen anlässlich der Kündigungsschutzverhandlung vom 10. Februar 2011. Weiter verwies die Klägerin darauf, dass die negative Gesundheitsprognose nicht nachvollziehbar sei. Die angeblichen zahlreichen gravierenden Erkrankungen seien nicht konkret dargestellt worden. Die betriebsärztliche Stellungnahme vom 20. Dezember 2010 werde durch das Attest ihrer Hausärztin vom 11. Februar 2011 entkräftet. Überdies sei unklar, worauf die Feststellung des Beklagten beruhe, dass eine andere Einsatzmöglichkeit für sie, die Klägerin, bei der Beigeladenen nicht bestehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung in seinem freien, pflichtgemäßen Ermessen stehe. Er habe die Interessen der Klägerin und der Beigeladenen gegeneinander abzuwägen. Einerseits sei die gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem schwerbehinderten Menschen in Betracht zu ziehen. Andererseits müsse das Integrationsamt bei seiner Entscheidung bestrebt sein, möglichst viel von der Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers in Bezug auf seine im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis bestehenden berechtigten Interessen zu erhalten. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung zu prüfen, sei dagegen nicht Aufgabe des Integrationsamts.

Zu Gunsten der Klägerin seien ihr Alter und ihre Beschäftigungsdauer berücksichtigt worden. Zudem seien ihre schlechte Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, die Bedenken des Personalrats bei der Beigeladenen und die günstige Prognoseaussage der Hausärztin E1 berücksichtigt worden.

Das Kündigungsbegehren sei auf krankheitsbedingte Gründe gestützt worden. Die Prüfung der negativen Gesundheitsprognose gehöre zu seinen - des Beklagten - Aufgaben. Dies geschehe in entsprechender Anwendung der bei den Arbeitsgerichten üblicherweise angewendeten dreistufigen Prüfung, wonach die krankheitsbedingten Ausfälle in erheblichem Umfang auftreten müssten, diese Ausfälle Störungen im Betriebsablauf und/oder hohe Lohnfortzahlungskosten verursachen müssten und die Prognose bezüglich zukünftig wahrscheinlich weiterhin auftretender Fehlzeiten negativ sein müsse. Diese Voraussetzungen seien hier sämtlich erfüllt. Aufgrund der erheblichen Fehlzeiten der Klägerin seit 2006 und der betriebsärztlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2010 liege eine negative Gesundheitsprognose vor. Hierdurch würden eine erhebliche Störung des Betriebsablaufs sowie eine wirtschaftliche Belastung der Beigeladenen begründet. Diese ergäben sich dadurch, dass durch den krankheitsbedingten Ausfall der Klägerin andere Mitarbeiter mit Mehrarbeit belastet würden, die laufenden Arbeiten kurzfristig auf andere Mitarbeiter umverteilt werden müssten und zudem die Beigeladene Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich aufzuwenden gehabt habe. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz sei ebenfalls nicht gegeben. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei behindertengerecht umgestaltet worden. Zudem würden sich die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin, bedingt durch ihre chronischen Erkrankungen, nicht verringern. Auch die Klägerin habe keinen anderen geeigneten, leidensgerechten Arbeitsplatz benennen können.

In einem derartigen Fall, in dem der Arbeitnehmer auf Dauer nicht in der Lage sei, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehe, sei im Regelfall eine Kündigung auch unter Berücksichtigung schwerbehindertenrechtlicher Gesichtspunkte gerechtfertigt. Bei der Beigeladenen sei nicht mehr von zumutbaren Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen auszugehen. Im Fall der krankheitsbedingten Leistungsunfähigkeit bestehe die Belastung des Arbeitgebers gerade darin, dass dieser den Arbeitnehmer nicht mehr entsprechend einsetzen könne und der Zahlung des vollen Lohns keine nach betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung gegenüberstehe. Letztlich werte er zu Gunsten der Beigeladenen, dass diese mit der Klägerin im Laufe der Jahre drei Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements durchgeführt habe und die gesetzliche Quote zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen bei weitem erfülle.

Die Klägerin hat am 26. Oktober 2011 die vorliegende Klage erhoben.

Zu deren Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Insbesondere macht sie geltend, dass der Beklagte seine Ermessensentscheidung auf eine nur unzureichend ermittelte Tatsachengrundlage gestützt habe. Er hätte die Sachverhaltsdarstellung der Beigeladenen nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Ferner habe der Beklagte den wesentlichen Grundsatz des SGB IX vernachlässigt. Hierbei handele es sich um ein Fürsorgegesetz, das schwerbehinderten Menschen den Arbeitsplatz erhalten und sie vor Kündigung schützen solle. Zudem sei die Ermessensentscheidung fehlerhaft, weil der Beklagte nicht überprüft habe, ob ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe. Weiter sei der zuständige Sachbearbeiter bei dem Beklagten ihr gegenüber voreingenommen und befangen gewesen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sie nach Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit Ende März 2011 ohne Fehlzeiten bis zum Ablauf des 30. September 2011 bei der Beigeladenen gearbeitet habe.


Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2011 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die angefochtenen Bescheide.


Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Insbesondere verweist sie darauf, dass sie sich in den vergangenen Jahren sehr um die Aufrechterhaltung des bestehenden Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin bemüht habe. Es seien drei Verfahren der betrieblichen Eingliederung abgeschlossen worden. Der Arbeitsplatz der Klägerin sei zwischen 2005 und 2010 leidensgerecht ausgestattet worden. Bei der Tätigkeit der Klägerin im Bereich der Digitalisierung/Konfektionierung im Zentralarchiv, die sie nach ihrer Rückkehr aus ihrer Krankheit Ende März 2011 ausgeübt habe, habe es sich um einen zusätzlichen, außerhalb des Stellenplans geführten Arbeitsplatz gehandelt. Dieser sei der Klägerin lediglich zur einvernehmlichen Beilegung eines arbeitsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens zugewiesen worden.

Die Klage der Klägerin auf Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beigeladenen zum 30. September 2011 beendet worden sei, hat das Arbeitsgericht E mit Urteil vom 5. Oktober 2011, Az. 8 Ca 1161/11, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die den Beteiligten bekannte Entscheidung verwiesen. Mit Urteil vom 5. März 2012, Az.: 14 Sa 1377/11, hat das Landesarbeitsgericht E das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Klägerin hin abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die außerordentliche Kündigung vom 20. Februar 2011 nicht beendet worden ist. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird ebenfalls auf die den Beteiligten bekannte Entscheidung verwiesen. Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hat die Beigeladene Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf die genannten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 15. Februar 2011 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

Rechtsgrundlage für die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin sind die §§ 85 ff. SGB IX. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt gemäß § 91 Abs. 1 SGB IX auch im Fall der außerordentlichen Kündigung und damit im Fall der Klägerin. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin kann nämlich gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TV-TgDRV nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Die Klägerin unterfällt dieser Norm, weil sie das 40. Lebensjahr vollendet hat, für sie die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden und sie seit 1994 und damit mehr als 15 Jahre bei der Beigeladenen beschäftigt ist.

Die Entscheidung des Beklagten ist materiell rechtswidrig.

Bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes trifft das Integrationsamt, soweit wie hier - nicht die besonderen Voraussetzungen des § 89 SGB IX vorliegen, seine Entscheidung nach freiem Ermessen. Dies gilt auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung, es sei denn, die Voraussetzungen des § 91 Abs. 4 SGB IX lägen vor. Nach dieser Vorschrift "soll" das Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilen, wenn die Kündigung aus Gründen erfolgt, die nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehen. Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine solche Ermessensbindung hier nicht eingetreten ist, weil die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin steht. Die Beigeladene hat ihre Absicht, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zu kündigen, auf deren zu erwartende krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützt und die entsprechende Prognose aus den krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin in der Vergangenheit abgeleitet. Angesichts der Vielzahl der Erkrankungen, die dem letzten Bescheid zur Feststellung des Grades der Behinderung der Klägerin zu Grunde lagen, stehen die in Rede stehenden Erkrankungen offenkundig im Zusammenhang mit der Behinderung der Klägerin. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. Auf die Frage, welche Ursachen die bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten im Einzelnen hatten, kommt es deshalb hier nicht an.

Die dem Integrationsamt in diesen Fällen überantwortete Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen überprüft das Gericht gemäß § 114 VwGO allein daraufhin, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Insbesondere hat die Behörde alle den Streitfall kennzeichnenden widerstreitenden Interessen einzustellen, die Gesichtspunkte angemessen zu gewichten und gegeneinander abzuwägen und sich dabei ausschließlich an sachlichen Erwägungen zu orientieren.

Vgl. zu diesem Maßstab etwa Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. September 2011 - 19 K 2234/11 -, n.v.

Bei der Entscheidung nach § 85 SGB IX ist das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen. Entscheidend für die Berücksichtigung abwägungserheblicher Umstände sind ihr Bezug zur Behinderung und ihre an der Zweckrichtung des behindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes gemessene Bedeutung.

Sinn und Zweck der Schwerbehindertenschutzvorschriften als Fürsorgevorschriften bestehen vor allem darin, Nachteile eines schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen. Die Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz sollen den schwerbehinderten Menschen vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, bewahren und sicherstellen, dass er gegenüber nicht schwerbehinderten Menschen nicht ins Hintertreffen gerät.

Dabei gewinnt der Schwerbehindertenschutz an Gewicht, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. In diesem Fall sind an die im Rahmen der interessenabwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen, um auch den im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24/93 -, BVerwGE 99, 336 (339) m.w.N.; dem folgend etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. April 2009 - 12 A 2431/08 -, juris, Rdn. 21.

So kann der Arbeitgeber in Ausnahmefällen sogar verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer "durchzuschleppen", während andererseits die im Interesse der Schwerbehindertenfürsorge gebotene Sicherung des Arbeitsplatzes auf jeden Fall dort ihre Grenze findet, wo eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widersprechen, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt würde

Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.

In einem Fall, in dem - wie hier - die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, reicht daher nicht jeder als Kündigungsgrund geltend gemachte Umstand aus, um die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber, an die in einem derartigen Fall besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, zu überschreiten. Vielmehr bedingen die auf der einen Seite zu Lasten des Arbeitgebers bestehenden besonders hohen Anforderungen an dessen Zumutbarkeitsgrenze, dass auf der anderen Seite der Kündigungsgrund nach Art und Umfang besonderes Gewicht haben muss, um im Rahmen der Ermessensabwägung die besonders hohen Anforderungen an die für den Arbeitgeber geltende besonders hohe Zumutbarkeitsgrenze signifikant überschreiten zu können.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 25. Mai 2009 - 12 A 2431/08 -, juris, Rdn. 19, vom 20. April 2009 - 12 A 2431/08 -, juris, Rdn. 25, und vom 25. Februar 2009 - 12 A 96.09 -, juris, Rdn. 16.

Die danach an die Schwere des Kündigungsgrundes zu stellenden besonders hohen Anforderungen sind umso mehr von zentraler Bedeutung, wenn sie nicht nur als Grund für eine ordentliche Kündigung, sondern zum Anlass für eine - hier allein in Betracht kommende - außerordentliche Kündigung genommen werden und zugunsten des Schwerbehinderten weitere abwägungsrelevante Umstände streiten.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 -, juris, Rdn. 21, und vom 20. April 2009 - 12 A 2431/08 -, juris, Rdn. 27.

Grundsätzlich nicht zu prüfen hat das Integrationsamt in diesem Zusammenhang die arbeitsrechtliche bzw. kündigungsschutzrechtliche Wirksamkeit der Kündigung.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, a.a.O., S. 340; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. April 2009 - 12 A 2431/08 -, juris, Rdn. 30.

Nur wenn die beabsichtigte Kündigung arbeitsrechtlich evident unzulässig ist, darf das Integrationsamt dies bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen, da es an einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung zum Nachteil des Schwerbehinderten nicht mitwirken soll.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. Juni 2011 - 3 L 246/09 -, juris, Rdn. 32; Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 6. Oktober 2011 - AN 14 K 11.01275 -, juris, Rdn. 33.

Nach diesen Maßstäben erweist sich die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung als rechtsfehlerhaft.

Ein Ermessensfehler des Beklagten liegt zunächst darin, dass er sowohl in dem Bescheid vom 15. Februar 2011 als auch in dem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 maßgeblich auf die arbeitsrechtliche Zulässigkeit der beabsichtigten Kündigung abgestellt hat, obwohl diese Frage für die ihm überantwortete Interessenabwägung keine maßgebliche Rolle spielen darf. Damit hat der Beklagte seine Entscheidung insoweit auf ein sachwidriges, weil nicht seinem Prüfungsauftrag entsprechendes Kriterium gestützt.

In seinem Bescheid vom 15. Februar 2011 hat der Beklagte die Zustimmungsentscheidung darauf gestützt, dass im Falle der Klägerin eine negative Prognose bestehe, die wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen erheblich beeinträchtigt seien, die Kündigung verhältnismäßig sei und auch eine Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Klägerin ausgehe. Mit diesen Erwägungen hat der Beklagte aber ausschließlich solche Kriterien seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, die für die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen maßgeblich sind.

Vgl. hierzu Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 -, juris, Rdn. 20, und vom 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 -, juris, Rdn. 27.

Entsprechende Erwägungen finden sich in dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. September 2011 (dort Seite 9 bis 10), die gleichfalls den o.g. arbeitsrechtlichen Kriterien folgen. Zudem hat der Beklagte an dieser Stelle ausdrücklich auf die entsprechende Anwendung der von den Arbeitsgerichten üblicherweise angewandten dreistufigen Prüfung verwiesen (vergleiche Seite 8 und Seite 9 oben des Widerspruchsbescheids). Unmittelbar anschließend heißt es sogar wörtlich: "Nur wenn alle Punkte zutreffen, ist die Zustimmung zu einer krankheitsbedingten Kündigung gerechtfertigt."

Damit aber hat der Beklagte nicht nur seine Entscheidung vom 15. Februar 2011 sondern ebenso seinen Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 maßgeblich darauf gestützt, dass die Beigeladene arbeitsrechtlich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin berechtigt sei. Diese Frage unterliegt jedoch nach den oben genannten Grundsätzen nicht seiner Entscheidungskompetenz und ist damit - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der Frage nach der offensichtlichen Unzulässigkeit der beabsichtigten Kündigung - für die Frage der dem Beklagten überantworteten Ermessensentscheidung ohne Belang. Insbesondere stellt die arbeitsrechtliche Zulässigkeit der beabsichtigten Kündigung keine Rechtfertigung für die in Rede stehende Zustimmung dar, sondern wird die Kündigung erst durch die Zustimmung ermöglicht. Ob sie nach den insoweit maßgeblichen Kriterien zulässig ist, obliegt dann den insoweit zur Entscheidung berufenen Arbeitsgerichten.

Dieser Ermessensfehler ist für die streitgegenständliche Entscheidung auch kausal. In seinem Bescheid vom 15. Februar 2011 hat der Beklagte seine Entscheidung auf solche Erwägungen gestützt, die die arbeitsrechtliche Zulässigkeit der Kündigung betreffen. Hiervon ist er auch in seinem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 nicht abgerückt. Soweit er dort neben den umfangreichen Ausführungen dazu, dass die Beigeladene arbeitsrechtlich zur Kündigung berechtigt sei, weitere Erwägungen zur Zumutbarkeit des Festhaltens an dem Arbeitsverhältnis für die Beigeladene angestellt hat, ist dem nicht zu entnehmen, dass er die Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit nunmehr als in vollem Umfang irrelevant für die zu treffende Entscheidung angesehen hätte. Auch im gerichtlichen Verfahren hat der Beklagte sich nicht so geäußert. Damit waren seine diesbezüglichen, im Rahmen der §§ 85 ff. SGB IX unerheblichen Erwägungen für seine Ermessensentscheidung zumindest mitursächlich.

Unabhängig hiervon erweist sich die von dem Beklagten getroffene Entscheidung aber auch deshalb als ermessensfehlerhaft, weil er die oben genannten Anforderungen an die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber nicht hinreichend berücksichtigt hat.

In dem Bescheid vom 15. Februar 2011 finden sich, wie oben bereits erwähnt, keine über die Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit hinausgehenden Erwägungen. Die von dem Beklagten in seinem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 neben den umfangreichen Ausführungen dazu, dass die Beigeladene arbeitsrechtlich zur Kündigung berechtigt sei, angeführten Erwägungen lassen nicht hinreichend erkennen, dass der Beklagte die beschriebenen hohen Anforderungen an die Zumutbarkeitsgrenze ausreichend berücksichtigt hat.

In seinem Widerspruchsbescheid hat der Beklagte im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit zum einen darauf abgestellt, dass in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer auf Dauer nicht in der Lage sei, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehe, im Regelfall eine Kündigung auch unter Berücksichtigung schwerbehindertenrechtlicher Gesichtspunkte gerechtfertigt sei (Widerspruchsbescheid Seite 11 oben). Diese Überlegung lässt jedoch nicht erkennen, welche konkreten Einschränkungen der Beklagte für den Arbeitgeber, hier für die Beigeladene, als (noch) zumutbar angesehen hat. Quantitative Erwägungen zur Einschränkung der von der Klägerin vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fehlen an dieser Stelle vollständig.

Auch die weiteren Ausführungen des Beklagten in diesem Zusammenhang füllen diese Lücke nicht. In seinem Widerspruchsbescheid (Seite 11) hat der Beklagte insoweit darauf abgestellt, dass bei der Klägerin nicht mehr von zumutbaren Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen auszugehen sei, ohne sich näher mit dem Umfang der zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten zu befassen. Vielmehr hat der Beklagte lediglich pauschal ausgeführt, dass im Fall der krankheitsbedingten Leistungsunfähigkeit eines Arbeitnehmers die Belastung des Arbeitgebers darin bestehe, dass dieser den Arbeitnehmer nicht mehr entsprechend einsetzen könne und der Zahlung des vollen Lohns keine nach betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung gegenüberstehe. Diese Erwägung gilt aber für jedes Zurückbleiben der tatsächlichen Arbeitsleistung gegenüber der vertraglich geschuldeten; für die Frage der erhöhten Zumutbarkeitsgrenze des Arbeitgebers ergibt sich hieraus nichts von Substanz.

Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ergänzend darauf verwiesen hat, dass er üblicherweise eine Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber annehme, wenn Ausfallzeiten von mehr als sechs Wochen zu verzeichnen seien, trägt auch dieser Ansatz den besonderen Anforderungen an die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber nicht hinreichend Rechnung. Die besondere Zumutbarkeitsschwelle für den Fall einer Kündigung aus Gründen, die mit der Schwerbehinderung des betroffenen Arbeitnehmers in Zusammenhang stehen, wird bei einer Belastung mit Lohnfortzahlungsansprüchen für sechs Wochen regelmäßig noch nicht erreicht sein. Das hat das Landesarbeitsgericht in seiner erwähnten, den Beteiligten bekannten Entscheidung vom 5. März 2012 in einem anderen, jedoch in gewisser Weise vergleichbaren rechtlichen Zusammenhang ähnlich gesehen. Denn es hat ausgeführt, dass die Belastungen durch Lohnfortzahlung im Umfang von mehr als 30 Arbeitstagen pro Jahr zwar bei ordentlich kündbaren Arbeitnehmern die arbeitsrechtliche Zulässigkeit einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen begründen könnten, diese Grenze jedoch nicht ohne weiteres auch für Arbeitnehmer gelte, die - wie die Klägerin - nicht mehr ordentlich kündbar seien. Angesichts der besonderen Schutzwürdigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können für die Frage der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber im Rahmen der §§ 85 ff. SGB IX keine geringeren Maßstäbe gelten. Mangels weitergehender Erwägungen des Beklagten zu diesem Aspekt bedarf diese Grenze hier keiner abschließenden Bestimmung. Allerdings spricht manches dafür, dass bei der Betrachtung der zumutbaren Belastung des Arbeitgebers auch die Größe seines Betriebes in den Blick zu nehmen ist, die genannte Zumutbarkeitsgrenze also nicht einheitlich für alle Arbeitgeber festgelegt werden kann.

Eine solche differenzierte Betrachtung der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber ist umso mehr zu beachten, als nach der oben genannten Rechtsprechung der Arbeitgeber in Ausnahmefällen sogar verpflichtet sein kann, den schwerbehinderten Arbeitnehmer "durchzuschleppen". Hieraus wird deutlich, dass die Grenze der Zumutbarkeit der Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers für den Arbeitgeber deutlich oberhalb der Grenze der Zumutbarkeit im Falle eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers liegen muss. Damit liegt sie aber im Hinblick auf die Frage der Lohnfortzahlung deutlich oberhalb der Belastung durch eine sechswöchige Lohnfortzahlung und wird deshalb der allein hierauf abstellende Ansatz des Beklagten, wie er in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht worden ist, diesen Anforderungen nicht gerecht.

Schließlich sind die genannten Ermessensfehler auch nicht deshalb unbeachtlich, weil die Weiterbeschäftigung der Klägerin allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widerspräche und deshalb die Zustimmung zu ihrer Kündigung erteilt werden müsste. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beigeladenen einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt würde und daher die Interessenabwägung zwingend zu ihren Gunsten ausgehen müsste. Auf der Grundlage der Angaben der Beigeladenen zu den krankheitsbedingten Ausfällen der Klägerin im Jahr 2008 (57 Tage) und im Jahr 2009 (38 Tage) kann von einer derartigen einseitigen Belastung des Arbeitgebers in diesen Jahren nicht die Rede sein, weil die Klägerin die von ihr vertraglich geschuldete Arbeitsleistung insoweit überwiegend erbracht hat und die Entwicklung ihrer Fehlzeiten zudem eher rückläufig war. Soweit die Klägerin im Jahr 2010 und zu Beginn des Jahres 2011 deutlich länger erkrankt war, können die diesbezüglichen Ausfallzeiten nicht ohne weiteres für die gebotene Zukunftsprognose herangezogen werden, da die damalige Erkrankung der Klägerin sich als Folge der von ihr auf Anraten der Beigeladenen durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme darstellt und damit jedenfalls dem äußeren Anschein nach eine Ursache hatte, deren Wiederholung nicht ohne Weiteres zu erwarten ist. Auch insoweit kann deshalb nicht festgestellt werden, dass eine Weiterbeschäftigung der Klägerin allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widerspräche. Diese Bewertung stimmt im übrigen - ohne dass es darauf ankäme - mit der Bewertung des Landesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 5. März 2012 überein, wonach angesichts der Fehlzeiten der Klägerin von einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis oder einem vollkommen gestörten Austauschverhältnis nicht gesprochen werden könne.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat und das Gericht auch nicht von einer obergerichtlichen Entscheidung abweicht (§§ 124a, 124 Abs. 2 VwGO).

Referenznummer:

R/R5272


Informationsstand: 27.11.2012