Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage, gerichtet gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.09.2009, stattgegeben. Denn die streitbefangene Kündigung ist gemäß
§ 1 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit nach § 1
Abs. 1
KSchG rechtsunwirksam. Gründe in der Person des Klägers aus Anlass von in der Vergangenheit wiederholt aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten liegen nämlich nicht vor.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt
z.B. 10.12.2009 -
2 AZR 400/08 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 48) ist in Fällen einer krankheitsbedingten Kündigung immer eine dreistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst bedarf es einer negativen Gesundheitsprognose (erste Stufe). Aufgrund dessen muss es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen kommen (2. Stufe). Schließlich ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die festgestellten Beeinträchtigungen arbeitgeberseits billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (3. Stufe).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die streitbefangene Kündigung rechtsunwirksam.
1. Es ist schon äußerst zweifelhaft, inwieweit den von der
AOK Westfalen-Lippe in der behördlichen Bescheinigung vom 04.02.2010 dokumentierten Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im Zeitraum ab 12.06.2006 überhaupt Krankheiten zugrunde lagen, bei denen im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 25.09.2009 eine prognoserelevante Wiederholungsgefahr bestand (
vgl. BAG, 07.11.2002 -
2 AZR 599/01 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 40).
Nimmt man
z.B. den Kreuzschmerz (12. bis 17.06.2006), die Struma (16.11. bis 21.12.2007), die Tonsilitis und die Infektion der unteren Atemwege (18. bis 25.04.2008) sowie die Knieprellung (25. bis 30.11.2008) und die Katzenbissverletzung (ab 17.08.2009), lagen im Kündigungszeitpunkt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass bei diesen Krankheitsbildern in der Person des Klägers eine Wiederholungsgefahr bestand.
2. In jedem Fall scheitert die Kündigung aber daran, dass beklagtenseits nicht ausreichend genug dargelegt worden ist, wodurch es zu welchen erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen in Gestalt von Betriebsablaufstörungen und/oder wirtschaftlicher Belastungen durch Entgeltfortzahlungskosten gekommen ist und warum deshalb die gebotene Interessenabwägung zu Lasten des Klägers ausfallen muss.
a) Soweit die Beklagte auf eingetretene schwerwiegende Störungen im Betriebsablauf abgestellt hat, führt sie nicht aus, wann welche Arbeitskollegen des Klägers anlässlich eines Krankheitsausfalls welche Aufgaben zu übernehmen hatten und welche Belastungen damit für diese verbunden waren. Es fehlen auch Darlegungen dazu, wann es zum Stillstand von Maschinen und dadurch bedingten Lieferverzögerungen gekommen sein soll.
b) Was den Eintritt wirtschaftlicher Belastungen durch Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 6 Wochen pro Jahr angeht, ist zu beachten, dass im Rahmen der vorzunehmenden Wertung nur solche Kosten berücksichtigt werden können, die auf die auch in Zukunft zu erwartenden, im Rahmen der negativen Gesundheitsprognose ermittelten Ausfallzeiten entfallen (
BAG, 06.09.1989 -
2 AZR 19/89 - AP
KSchG 1969 § 1
Nr. 21). Kosten für ausgeheilte Erkrankungen müssen also außer Betracht bleiben.
Insoweit ergeben sich im Falle des Klägers, bei dem die Entgeltfortzahlung für sechs Wochen bei aufgerundet 3.168,-- Euro liegt (2.286,-- Euro pro Monat: 4,33 Wochen x 6 Wochen) für den Zeitraum ab 01.01.2006 folgende Feststellungen:
Jahr 2006 = 3.755,82 Euro;
nur nach Abzug des Aufwands für den Kreuzschmerz in Höhe von 362,44
EUR verbleiben 3.393,58
EUR.
Jahr 2007 = 2.827,44 Euro;
nach Abzug des Aufwands für die Struma verbleiben wahrscheinlich gar keine Kosten.
Jahr 2008 = 3.193,38 Euro;
nur bei Abzug des Aufwands für die Prellung des Knies in Höhe von 386,46
EUR verbleiben 2.827,44
EUR.
Jahr 2009 = 5.756,22 Euro (bis Ende August 2009);
nur nach Abzug des Aufwands für die Katzenbissverletzung in Höhe von 1.078,02
EUR verbleiben 4.678,20
EUR.
Aus alledem wird deutlich, dass die Beklagte, ausschließlich ausgehend von ihrem eigenen Vortrag, in den vergangenen Jahren von der Höhe her kündigungsrelevante Entgeltfortzahlungskosten allenfalls in den Jahren 2006 und 2009 erbracht hat. In jedem Fall reicht das im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung nicht aus, um die Beendigung eines im Kündigungszeitpunkt über 21 Jahre bestandenen Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Denn wie das Bundesarbeitsgericht
(z. B. 29.07.1993 -
2 AZR 155/93 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 27; 05.07.1990 -
2 AZR 154/90 - AP
KSchG 1969 § 1 Krankheit
Nr. 26) zu Recht betont hat, müssen Entgeltfortzahlungskosten "außergewöhnlich"
bzw. "extrem" hoch sein, um allein die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers unzumutbar zu machen.
Hier lag der Kläger im Jahre 2006 bereinigt gerade einmal bei 7 % über dem Betrag für eine sechswöchige Entgeltfortzahlung, während in den folgenden beiden Jahren der Kostenrahmen von sechs Wochen nicht einmal überschritten wurde, bevor dann allerdings im Jahre 2009 für die Beklagte eine deutlich überhöhte Überlastung anfiel. Dies rechtfertigt aber nicht die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit durch Krankheitszeiten ganz erheblich beeinträchtigt werden wird, zumal mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass es in den mehr als 17 Jahren vor dem Jahr 2006 offensichtlich ungestört verlaufen ist.
Nach alledem war es bei der gebotenen Abwägung der wechselseitigen Interessen nicht gerechtfertigt, dem am 04.12.1970 geborenen Kläger das im September 2009 über 21 Jahre bestandene Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt zu kündigen.
II. Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Fortbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen ergibt sich aus den §§ 611, 613, 242
BGB i.V.m. Artikel 1, 2
Abs. 1
GG.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Großen Senats des
BAG (AP
BGB § 611 Beschäftigungspflicht
Nr. 14) kann der gekündigte Arbeitnehmer die arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung über den Zeitpunkt des Zugangs der streitbefangenen Kündigung hinaus verlangen, wenn diese unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen.
In Fällen wie hier, wo die Kündigungen, wie unter I. der Gründe festgestellt, rechtsunwirksam sind, überwiegt in aller Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. In einer solchen Situation ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, zusätzliche Umstände darzulegen, aus denen sich im Einzelfall ein fortdauerndes vorrangiges Interesse ergibt, den Arbeitnehmer trotzdem nicht zu beschäftigen (
BAG, a.a.O.).
Solche besonderen Umstände sind vorliegend von der Beklagten nicht dargelegt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1
ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.