Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 04. Mai 2011 - 3 Ca 2315/10 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21.12.2010 erklärte außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Wagenpfleger an der Waschanlage zu beschäftigen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung und um die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Der Kläger, der am A geboren, geschieden und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist und der einen Grad der Behinderung von 50 aufweist, ist bei der beklagten Stadt seit dem 09. August 1993 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich gemäß § 3 des Arbeitsvertrags vom 10. August 1993 (Bl. 4 f d. A.) nach dem Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltung und Betriebe (BMT- G II) vom 31. Januar 1962, den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen, den für den Bereich des Arbeitgebers geltenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung sowie den zwischen dem Arbeitgeber und der Personalvertretung geschlossenen und noch abzuschließenden Dienstvereinbarungen. Der Kläger war im Entsorgungsbetrieb der Beklagten eingesetzt. Sein Entgelt betrug zuletzt
ca. 3.000,00
EUR brutto monatlich.
Der Kläger wies erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten auf. Diese betrugen seit 2001:
2001
246 Arbeitstage
2002
49 Arbeitstage
2003
50 Arbeitstage
2004
28 Arbeitstage
2005
23 Arbeitstage
2006
59 Arbeitstage
2007
198 Arbeitstage
2008
214 Arbeitstage
2009
194 Arbeitstage
2010
43 Arbeitstage (bis 16. Juli 2010)
Diese Arbeitsunfähigkeitszeiten beruhten auf unterschiedlichen Erkrankungen
bzw. Unfällen. Beschwerden im Knie, der Schulter und am Halswirbel führten zu dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen, sodass der Kläger zuletzt nur noch eingeschränkt eingesetzt werden konnte. Der Kläger war zunächst als Mülllader eingesetzt. Nachdem er bei einem Unfall im Jahr 2001 eine Verletzung am Knie und Fuß erlitten hatte, die in den Folgejahren zu weiteren Ausfallzeiten führte, ordnete der Betriebsarzt an, dass der Kläger keine Tätigkeiten ausschließlich im Gehen verrichten sollte. Der Kläger wurde sodann als Beifahrer auf dem Sperrmüllwagen eingesetzt. Bei einem Arbeitsunfall im Jahr 2006 erlitt der Kläger eine Rippenfraktur und eine Thoraxprellung. Im Jahre 2007 zog sich der Kläger eine Schulterverletzung zu. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden im Knie und der Schulter schloss der Betriebsarzt im Dezember 2007 eine Tätigkeit mit weiten Gehstrecken oder ausschließlich im Gehen und eine mit regelmäßigem schweren Heben und Tragen verbundene Tätigkeit aus. Am 13. Mai 2008 wurde der Kläger in der Tonnenwerkstatt eingesetzt. Nach einer langen Arbeitsunfähigkeitszeit, die u.a. auf Beschwerden und einer Operation an der Schulter, einer Rippenfraktur und einem Bandscheibenvorfall am Halswirbel beruhte, wurde der Einsatz in der Tonnenwerkstatt ab dem 01. August 2009 nach einer betriebsärztlichen Untersuchung fortgesetzt. Die Betriebsärztin war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einschränkungen (keine weiten Gehstrecken, kein Stehen und Gehen über mehrere Stunden am Stück, kein regelmäßiges schweres Heben und Tragen) diesem Einsatz nicht entgegen ständen. Wegen Einzelheiten der Krankheitsursachen wird auf die Aufstellung der B vom 11. Februar 2011 (Bl. 196 f. d.A.) und des behandelnden Arztes C vom 15. August 2011 (Bl. 299 d.A.) Bezug genommen; wegen der Einzelheiten zur Einsetzbarkeit des Klägers wird auf das Protokoll des Personalgesprächs vom 27. Oktober (Bl. 405
ff. d.A.) verwiesen. Nach weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten, u.a. wegen Rippenbruchs, Thoraxprellung und Meniskusschädigungen, teilte die Betriebsärztin mit, dass eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes dauerhaft nicht absehbar wäre. Daraufhin bot die Beklagte dem Kläger im Juli 2010 den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an; der Kläger lehnte das Angebot ab.
Am 05. Oktober 2010 hatte der Kläger die Aufgabe, zusammen mit zwei Kollegen gestapelte Mülltonnen von einem LKW-Anhänger abzuladen. Während der Kläger und ein Kollege, auf dem LKW-Anhänger stehend, die Tonnenstapel an die Anhängerkante schoben, hob der weitere Kollege die Tonnenstapel mit dem Gabelstapler vom LKW-Anhänger herunter. Ob er dabei, statt zurückzusetzen, den Tonnenstapel nach links schwenkte, sodass der Kläger zwischen der Seitenwand des LKW-Anhängers und dem Tonnenstapel eingequetscht wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Da der Kläger über Schmerzen klagte, schickten ihn seine Kollegen in das Werkstattbüro. Von dort wurde der Krankenwagen gerufen, der den Kläger ins Krankenhaus brachte. Laut Bericht des Durchgangsarztes D vom selben Tage, wegen dessen weiteren Inhalts auf Bl. 146 d. A. Bezug genommen wird, lauteten Befund und Erstdiagnose wie folgt:
"Befund
Schmerzen LWS ins linke Bein ziehend, Becken stabil, paresen des li. Beines, Kraftgrad 1-2, Sensibilität intakt, übrige Extremitäten frei beweglich, Abdomen weich.
Sono (Niere, Blase, Milz) ohne pathologischen Befund
Röntgenergebnis
Becken, Inlet, Outlet: Kein Hinweis für frische knöcherne Verletzung
CT LWS
Erstdiagnose
Prellung LWS
Prellung Becken
V. a. Contusio spinalis "
Der Kläger wurde stationär aufgenommen. Es wurde ihm Arbeitsunfähigkeit mit der Angabe attestiert, dass er voraussichtlich am 09. Oktober 2010 wieder arbeitsfähig sein werde. Am Abend des 06. Oktober 2010 wurde der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen.
Am 07. Oktober 2010 suchte der Kläger C auf. Dieser stellte dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 07. Oktober 2010 bis 01. November 2010 aus. Er verschrieb dem Kläger Medikamente, verordnete ihm Leistungen der Krankengymnastik und Massage, welche der Kläger ab dem 20. Oktober 2010 zweimal wöchentlich in Anspruch nahm. Ferner überwies er ihn wegen des Verdachts auf Verletzung des Rückenmarks zu einem Neurologen. In der Überweisung, wegen deren genauen Inhalts auf Bl. 231 d.A. Bezug genommen wird, sind als Diagnosen/Verdacht genannt Beckenprellung, LWS-Prellung sowie Verletzung des Rückenmarkes V.
Am frühen Morgen des 08. Oktober 2010 wurde der Kläger wegen eines alkoholbedingten Zusammenbruchs stationär behandelt und dann vom 08. - 12. Oktober 2010 in der Psychiatrie der Klinik Eichberg untergebracht. Am 20. Oktober 2010 besuchten die Personalleiterin der Beklagten und deren Stellvertreterin den Kläger, um ihm eine Einladung zum Personalgespräch am 27. Oktober 2010 zu übergeben. Auf Frage nach seinem Gesundheitszustand erklärte der Kläger, dass er Schmerzen im Hals- und Schulterbereich habe und Krankengymnastik verordnet bekommen habe. In dem Personalgespräch vom 27. Oktober 2010 gab der Kläger an, dass er für seine Halswirbel Krankengymnastik und Massage bekomme. Am Ende des Gespräches wurde festgelegt, dass der Kläger nach seiner Genesung an der Waschanlage mit Aufgaben wie
z. B. Einweisen der Fahrzeuge, Bedienen der Waschanlage, Überprüfen der Reinigungsmittel und Reinigung der Waschanlage beschäftigt werde.
Am 28. Oktober 2010 suchte der Kläger erneut C auf, der eine Folgebescheinigung für die Zeit vom 28. Oktober bis 01. Dezember 2010 ausstellte. Daraufhin beauftragte die Beklagte E, der im Gesundheitsamt der Beklagten tätig ist, mit der Erstellung eines amtärztlichen Gutachtens zur Frage, ob die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit für die anfallenden Arbeiten an der Waschanlage bis zum 01. Dezember 2010 berechtigt sei. Auf Grund der Untersuchung vom 10. November 2010 erstellte E ein Gutachten, wegen dessen Inhalt auf Bl. 62 f d. A. Bezug genommen wird. Am Folgetag untersuchte der Neurologe F den Kläger. Wegen des Ergebnisses der Untersuchung wird auf sein Schreiben vom 11. November 2010 (Bl. 236 f d. A.) Bezug genommen. Nachdem die Beklagte das Gutachten von E erhalten hatte, lud sie den Kläger mit Schreiben vom 24. November 2010 zum Personalgespräch am 26. November 2010 ein. Am 26. November 2010 teilte der Kläger telefonisch mit, das Personalgespräch krankheitsbedingt nicht wahrnehmen zu können. Auf den Hinweis, er müsse eine Wegeunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, sagte er zu, diese vorbeizubringen. Nachdem er darauf hingewiesen worden war, in diesem Fall nicht wegeunfähig zu sein, erklärte er, dass sein Schwager diese vorbeibringen würde. Am gleichen Tag bescheinigte C, bei dem der Kläger am 8., 15., 22., 25. und 26. November 2010 Behandlungstermine wahrgenommen hatte, dass der Kläger wegen der am 28. Oktober 2010 bis zum 01. Dezember 2010 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen oder längere Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Am 30. November 2010 erstellte C einen Zwischenbericht für die Unfallkasse. In diesem Bericht ist angegeben, dass der Kläger als Kraftfahrzeugfahrer beschäftigt sei. Als Diagnose ist "akute Belastungsreaktion" angegeben. Es wird weiter mitgeteilt, dass der Kläger am 03. November 2010 einen privaten PKW-Unfall erlitten habe und dass daher eine erhebliche Wirbelsäulenproblematik bestehe. Insgesamt vermischten sich die Symptomatiken. Der Kläger sei bis 01. Dezember berufsgenossenschaftlich und danach kassenärztlich arbeitsunfähig. Ab 01. Dezember solle eine Wiedereingliederung erfolgen. Wegen des weiteren Inhalts des Berichts wird auf Bl. 444 d.A. Bezug genommen. Am 01. Dezember 2010 legte der Kläger der Beklagten einen Wiedereingliederungsplan für die Zeit vom 01. Dezember bis 20. Dezember 2010 vor. Darin ist angegeben, dass der Kläger zuletzt als "Arbeiter" beschäftigt wurde. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine betriebsärztliche Untersuchung und fügte dem Untersuchungsauftrag an den betriebsärztlichen Dienst das Gutachten von E bei. Die Betriebsärztin teilte mit, nicht entscheiden zu können, ob der Kläger arbeitsfähig sei, dies könne allein C entscheiden. Als die Beklagte die Wiedereingliederungsmaßnahme ablehnte, berief sich der Kläger darauf, infolge des Autounfalls vom 03. November 2010, bei dem ihm ein anderes Auto in die Seite gefahren sei, noch Schmerzen zu haben. Mit Schreiben vom 01. Dezember 2010, wegen dessen Wortlaut auf Bl. 399 d.A. Bezug genommen wird, teilte die Unfallkasse mit, in der Unfallsache keine weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr zu akzeptieren, ab dem 06. Dezember 2010 sei der Kläger vollschichtig arbeitsfähig; einer Arbeits- und Belastungsprobe werde nicht zugestimmt. Am 02. Dezember 2010 bescheinigte C dem Kläger, die Wiedereingliederung auf eigenen Wunsch aus Angst um seinen Arbeitsplatz abgebrochen zu haben; der Kläger werde ab sofort wieder vollschichtig arbeiten. Mit Schreiben vom 09. Februar 2011 erkannte die Unfallkasse Hessen den Unfall vom 05. Oktober 2010 als Arbeitsunfall an.
Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 26. November 2010 (Bl. 65 - 67 d.A.) zum Verdacht des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit angehört und der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 03. Dezember 2010 Stellung genommen hatte, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 07. Dezember 2010 den Personalrat zu der beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen Tatkündigung, hilfsweise Verdachtskündigung an. Am gleichen Tag informierte die Beklagte den Vertreter der Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigte Kündigung. Ebenfalls mit Schreiben vom 07. Dezember 2010 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses. Nachdem die Beklagte am 21. Dezember 2010 den Zustimmungsbescheid vom 20. Dezember 2010 erhalten hatte, kündigte sie das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit Schreiben vom 21. Dezember 2010, das dem Kläger noch am 21. Dezember 2010 zuging. Mit der am 27. Dezember 2010 beim Arbeitsgericht Wiesbaden eingegangenen und der Beklagten am 29. Dezember 2010 zugestellten Klage richtet sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Der Kläger hat bestritten, den Arbeitsunfall und die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht zu haben. Unter Entbindung der behandelnden Ärzte, D und C, von der ärztlichen Schweigepflicht hat er hierzu vorgetragen, der Gabelstaplerfahrer habe den Tonnenstapel angehoben und den Gabelstapler auf der Stelle gedreht, sodass er zwischen dem Tonnenstapel und der LKW-Anhängerbordwand eingequetscht worden sei. Erst auf Grund seines Schreis habe der Gabelstaplerfahrer den Gabelstapler zurückgedreht. C habe am 07. Oktober 2010 eine Hämatomverfärbung an der linken Beckenschaufel und am Gesäß festgestellt, die sich bis auf den Oberschenkel erstreckt habe. Er habe zudem Bewegungseinschränkungen festgestellt und damit die Diagnose des Durchgangsarztes bestätigt. Da sich durch den Arbeitsunfall vom 05. Oktober 2010 die Schmerzen in der linken Schulter, die bis in den Bereich der Halswirbelsäule ausstrahlten, verstärkt hätten, habe C zusätzlich Krankengymnastik und Massage verordnet. Am 28. Oktober 2010 habe C auf Grund einer neuerlichen Untersuchung das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Das sei aus Sicht des Klägers berechtigt gewesen, weil er immer noch unter starken Schmerzen gelitten habe und nicht in der Lage gewesen sei, seine Arbeitstätigkeit auszuüben. Am 03. November 2010 habe er einen Verkehrsunfall erlitten, in dessen Folge sich die Schmerzen in der linken Schulter und der Wirbelsäule verstärkt hätten.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21. Dezember 2010 erklärte außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Wagenpfleger an der Waschanlage zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe den Arbeitsunfall und die Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 05. Oktober - 01. Dezember 2010 lediglich vorgetäuscht und sich auf diese Weise betrügerisch die Entgeltfortzahlung durch die Beklagte erschlichen. Die Arbeitskollegen hätten den vermeintlichen Arbeitsunfall nicht gesehen. Der Kläger sei zunächst gehumpelt, auf halber Strecke zum Werkstattbüro aber wieder normal gegangen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch das amtsärztliche Gutachten vom 15. November 2010 erschüttert
bzw. widerlegt sei. E habe eindeutig festgestellt, dass es keine diagnostizierbaren Verletzungen und keine Gründe für die attestierte Arbeitsunfähigkeitsdauer gebe. Der Kläger habe seinerseits das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit nicht substantiiert vorgetragen, sondern widersprüchliche Angaben zum Krankheitsverlauf gemacht. Es werde bestritten, dass der Kläger unter Beschwerden im Schulter- und Halsbereich gelitten habe; dies sei von C nicht diagnostiziert worden. Im Personalgespräch vom 27. Oktober 2010 sei von Schmerzen in der Schulter, im Rücken, im Becken oder am Oberschenkel keine Rede gewesen. Es werde bestritten, dass der Kläger am 03. November 2010 einen Autounfall erlitten habe und dass seine Beschwerden sich dadurch verschlimmert hätten. Dagegen spräche schon, dass der Kläger - unstreitig - am 03. November 2010 den Arzt nicht aufgesucht und den Unfall gegenüber E nicht erwähnt habe.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat die Klage durch Urteil vom 04. Mai 2011 - 3 Ca 2315/10 - abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 21. Dezember 2010 aufgelöst worden. Die Kündigung sei wegen des Verdachts des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei durch das amtsärztliche Gutachten vom 15. November 2010 erschüttert. Daher sei es Sache des Klägers gewesen vorzutragen, welche konkreten gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten und welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben habe. Dieser Darlegungslast sei der Kläger nicht gerecht geworden. Es sei nicht ersichtlich, warum der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht in der Lage gewesen sein soll, die körperlich wenig herausfordernde Tätigkeit an der Waschanlage auszuüben. Eine Abmahnung sei entbehrlich, weil der Kläger habe erkennen müssen, dass die Beklagte das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten ansehen werde.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist dem Kläger am 07. Juli 2011 zugestellt worden. Die Berufung ist am 20. Juli 2011 und die Berufungsbegründung am 05. September 2011 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen.
Der Kläger bestreitet, den Arbeitsunfall vorgetäuscht zu haben. Für einen solchen Vorwurf gebe es keinen Anhaltspunkt. Er bestreitet, die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht zu haben. Er meint, das Gutachten von E erschüttere den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht. Das gelte schon deshalb, weil die Untersuchung bei E erst am 10. November 2010 stattgefunden habe und zu berücksichtigen sei, dass Krankheitsverläufe von Mensch zu Mensch unterschiedlich seien. Zudem sei das Gutachten nicht von Objektivität getragen. Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an seine Darlegungslast überspannt. Er habe nach seinen Fähigkeiten die Verletzungen und Beschwerden dargelegt. Ergänzend behauptet er, dass ihm nach dem Arbeitsunfall die gesamte linke Seite einschließlich Knie, Schulter und Nacken wehgetan habe, dass am Becken ein Hämatom gewesen sei und dass er ein Taubheitsgefühl im linken Bein und Sensibilitätsstörungen im linken Arm gehabt habe. Am 28. Oktober 2010 habe er immer noch Schmerzen an der linken Seite, insbesondere im Schulter- und Nackenbereich, und Sensibilitätsstörungen in der linken Hand und im linken Arm gehabt, so dass er auf die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines Arztes vertraut habe. Infolge des Autounfalls vom 03. November 2010 seien die Beschwerden im Hals- und Schulterbereich verstärkt worden. Er habe den Arzt nicht unmittelbar nach dem Autounfall aufgesucht, weil er die Verschlimmerung der vorhandenen Beschwerden als nicht so gravierend empfunden habe und weil er bereits eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gehabt habe. Seit dem Unfall vom 03. November 2010 sei er nicht mehr selbst Auto gefahren, sondern habe sich von seiner geschiedenen Ehefrau fahren lassen. Seine Ansicht, auch aufgrund des psychischen Zustands nicht mehr fahrtüchtig zu sein, habe C geteilt. Von den Zweifeln der Beklagten an der Arbeitsunfähigkeit und dem Inhalt des Gutachtens von E habe er erstmals - was zwischen den Parteien unstreitig ist - mit der Anhörung zur Kündigung erfahren. Dass er seine Beschwerden einmal unrichtig der rechten Seite zugeordnet habe, beruhe auf einer Verwechslung von rechts und links. Die Fangomassagebehandlungen seien zusammen mit physiotherapeutischen Anwendungen durchgeführt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 04.05.2011 - 3 Ca 2315/10 - abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 21.12.2010 erklärte außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Wagenpfleger in der Waschanlage zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens. Sie behauptet, dass der Kläger den Arbeitsunfall oder zumindest die über den 07. Oktober 2010 hinausgehende Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Gegen die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von C spreche schon die Angabe des Durchgangsarztes, der Kläger sei voraussichtlich ab 09. Oktober 2010 wieder arbeitsfähig. Das Gutachten von E bestätige, dass der Kläger zumindest ab 10. November 2010 arbeitsfähig gewesen sei. Zudem habe der Kläger zum behaupteten Krankheitsverlauf widersprüchliche Angaben gemacht. So habe er einmal mitgeteilt, dass die rechte Schulter und das rechte Knie betroffen seien, während nach den Angaben von C das linke Knie und die linke Schulter behandelt worden seien. Während der Kläger einerseits vortrage, die Schmerzen in der linken Schulter hätten sich verschlimmert, behaupte er andererseits, dass C ein Hämatom an der linken Beckenschaufel und am Gesäß festgestellt habe. Während der Kläger am 20. Oktober 2010 über Schmerzen am Hals und Schulterbereich geklagt und mitgeteilt habe, Krankengymnastik verordnet bekommen zu haben, habe er am 27. Oktober 2010 mitgeteilt, er würde Krankengymnastik und Massagen für seinen Halswirbel bekommen. Dass und aus welchen Gründen am 28. Oktober 2010 eine die Arbeitsunfähigkeit begründende Erkrankung des Klägers vorgelegen habe, sei nicht dargelegt. Soweit der Kläger angegeben habe, Schmerzen gehabt zu haben, genüge dieser Vortrag nicht, weil nicht jeder Schmerz zur Arbeitsunfähigkeit führe. F sei am 11. November 2010 zu keinen behandlungsbedürftigen Befunden gekommen. Die Behauptungen des Klägers zur Wegeunfähigkeit seien nicht nachvollziehbar. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Kläger nicht dazu in der Lage gewesen sei, den Betriebshof der Beklagten auf dieselbe Art und Weise zu erreichen wie die genannten Ärzte oder die Physiotherapeuten. Da der Kläger nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie keine weitere psychische Behandlung benötigt habe, sei nicht nachvollziehbar, dass wegen seines psychischen Zustandes eine Wegeunfähigkeit bestanden haben soll. Zudem sei nicht erklärlich, dass der Kläger am 03. November 2010 selbst gefahren sei, wenn er sich nicht für fahrtüchtig gehalten habe.
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsrechtzug wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen vom 19. Juli 2011 (Bl. 168 ff d.A.) vom 31. August 2011 (Bl. 274-318 d.A.) vom 31.August 2011 (Bl. 319 d.A.) vom 10. Oktober 2011 (Bl. 323 f d.A.) vom 10.November 2011 (Bl. 369-411 d.A.) und vom 14. März 2012 (Bl. 429-441 d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 (Bl. 442 f d.A.) Bezug genommen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 4. Mai 2011 - 3 Ca 2315/10 - ist zulässig. Sie ist im Hinblick auf das Bestehen einer Bestandsstreitigkeit und nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß §§ 8
Abs. 2, 64
Abs. 2 b) und c)
ArbGG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66
Abs. 1
ArbGG, 519, 520
Abs. 1, 3 und 5
ZPO.
II. Die Berufung des Klägers ist begründet. Seine Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2010, welche der Kläger rechtzeitig angegriffen hat (
§§ 4 Satz 1,
7,
13 Abs. 1 Satz 2 KSchG), aufgelöst worden. Der Kläger hat einen Anspruch, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden.
1. Die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Sie ist nicht durch einen wichtigen Grund im Sinne von § 626
Abs. 1
BGB gerechtfertigt.
a) Gemäß § 626
Abs. 1
BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Prüfung erfolgt in zwei Stufen. Zunächst ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich",
d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Dann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (
BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 5341/09 - Rn. 16, EzA
BGB 2002 § 626
Nr. 232;
BAG 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21, AP
BGB § 626
Nr. 220).
b) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626
Abs. 1
BGB besteht nicht. Die Beklagte stützt die Kündigung in erster Linie auf den Vorwurf, der Kläger habe den Arbeitsunfall und die sich anschließende Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, jedenfalls habe er sie über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit getäuscht. In zweiter Linie stützt die Beklagte die Kündigung auf den Verdacht des Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit
bzw. deren Dauer. Die Kündigung ist weder als Tat- noch als Verdachtskündigung gerechtfertigt.
aa) Die Kündigung ist nicht als Tatkündigung gerechtfertigt. Nach dem Vorbringen der Parteien steht nicht fest, dass der Kläger den Arbeitsunfall als solchen und damit die Arbeitsunfähigkeit insgesamt vorgetäuscht hat oder dass er die Beklagte zumindest über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat.
(1) Das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit ist geeignet, eine außerordentliche Kündigung an sich zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer wird durch Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig einen Betrug zu Lasten des Arbeitgebers begehen, denn durch Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung veranlasst er den Arbeitgeber unter Vortäuschung falscher Tatsachen dazu, ihm unberechtigterweise Entgeltfortzahlung zu gewähren (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 a der Gründe).
Anders als in Entgeltfortzahlungsprozessen, bei welchen den Arbeitnehmer die Beweislast für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit trifft und bei welchem dementsprechend die "Erschütterung" des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeit dazu führt, dass nunmehr der Arbeitnehmer auf andere Weise die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung nachzuweisen hat, liegt im Kündigungsschutzprozess die Beweislast für die Richtigkeit des erhobenen Kündigungsvorwurfs beim Arbeitgeber. Im Kündigungsschutzprozess gelten die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 c aa der Gründe). Da der Arbeitgeber aus eigener Kenntnis nicht wissen kann, aus welchem Grund der Arbeitnehmer der Arbeit ferngeblieben ist, genügt er zunächst seiner Darlegungslast, indem er ein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers - ohne näheren Tatsachenvortrag - behauptet, worauf der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138
Abs. 2
ZPO substantiiert im einzelnen vorzutragen hat, warum sein Fehlen nicht als unentschuldigt anzusehen sei. Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, genügt er hiermit zunächst seiner Darlegungslast. Will der Arbeitgeber gleichwohl am Vorwurf eines unentschuldigten Fehlens festhalten und die Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit behaupten, so muss er diejenigen (Hilfs-)Tatsachen, welche gegen die Arbeitsunfähigkeit
bzw. für eine Simulation sprechen, näher darlegen und gegebenenfalls beweisen (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 c bb der Gründe). Gelingt ihm dies, so tritt hinsichtlich der Behauptungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage des Attestes bestand. Dann ist es Sache des Arbeitnehmers, angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensregeln der Arzt gegeben hat. Erst wenn der Arbeitnehmer seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 c cc der Gründe).
Der Arbeitgeber hat auch den Nachweis zu führen, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat (
LAG Hamm 18. Dezember 2003 - 8 Sa 1401/03 -, Rn. 16, zitiert nach Juris,
LAG Mecklenburg-Vorpommern 5. August 2004 - 1 Sa 19/04 - zitiert nach Juris). Es ist jedoch zu prüfen, ob die Umstände, die den Beweiswert des ärztlichen Attests erschüttern, als so gravierend anzusehen sind, dass sie ein starkes Indiz für die Behauptung des Arbeitgebers darstellen, die Krankheit sei nur vorgetäuscht gewesen. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer das Indiz zu entkräften (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 c cc der Gründe)
(2) Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund des Vortrags der Parteien nicht festgestellt werden, dass der Kläger den Arbeitsunfall und eine sich anschließende Arbeitsunfähigkeit als solche vorgetäuscht hat. Die Beklagte hat den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 05. Oktober 2010 nicht erschüttert.
(a) Der Kläger hat den Durchgangsarztbericht vom 05. Oktober 2010 vorgelegt. Darin hat der Durchgangsarzt dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 08. Oktober 2010 attestiert.
(b) Die Beklagte hat den Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert. Sie hat keine Umstände vorgetragen, welche für eine Simulation des Arbeitsunfalls und gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen.
Das gilt zunächst für ihre Behauptung, die Kollegen hätten den Arbeitsunfall nicht gesehen. Das schließt nicht aus, dass sich der Arbeitsunfall ereignet hat. Nach der Behauptung des Klägers, welcher die Beklagte nicht entgegen getreten ist, befand sich zwischen dem Kläger und dem Kollegen, der mit ihm auf der Ladefläche des LKW-Anhängers stand, der Tonnenstapel, so dass dieser Kollege den Kläger nicht sehen konnte. Dem Vortrag des Klägers, der Gabelstaplerfahrer habe den Kläger aus Unachtsamkeit übersehen, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten.
Die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei nur einen Teil des Wegs zum Werkstattbüro gehumpelt, schließt es nicht aus, dass der Kläger den Arbeitsunfall erlitten hat und anschließend arbeitsunfähig gewesen ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 05. Oktober 2010 nicht durch das amtsärztliche Gutachten von E vom 15. November 2010 berührt. E geht ausweislich seines Gutachtens davon aus, dass der Kläger am 05. Oktober 2010 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 05. Oktober 2010 wird nicht in Frage gestellt. Soweit E ausführt, der weiterbehandelnde Facharzt habe unter nachträglicher Attestierung von Verdachtsverletzungen, die stationär nicht diagnostiziert werden konnten, weiterhin Arbeitsunfähigkeit attestiert, stellt er nicht die Diagnosen, also insbesondere die Diagnosen "Prellung von LWS und Becken" in Frage; er nimmt vielmehr Bezug auf die Diagnose "Verdacht der Rückenmarksverletzung", und führt aus, dass sich diese stationär nicht bestätigt habe.
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2010 ist nicht dadurch erschüttert, dass der Kläger am 20. Oktober 2010 nur über Schmerzen im Hals- und Schulterbereich und am 27. Oktober 2010 über Beschwerden am Halswirbel geklagt hat, nicht aber über Beschwerden am Becken, im Bereich der Lendenwirbelsäule oder am Oberschenkel. Die Äußerungen schließen nicht aus, dass der Kläger am 5. Oktober 2010 den beschrieben Arbeitsunfall erlitten und sich dabei eine Prellung am Becken und der Lendenwirbelsäule zugezogen hat. Sie können damit erklärt werden, dass die Prellung des Beckens und der Lendenwirbelsäule Ende Oktober 2010 entweder abgeklungen war oder dass die angegebenen Beschwerden im Halswirbel- und Schulterbereich vorherrschten, so dass der Kläger etwaig fortbestehenden Beschwerden am Becken und der Lendenwirbelsäule nicht mehr erwährenswert fand.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger stationär aufgenommen worden ist und dass die Unfallkasse Hessen den Arbeitsunfall anerkannt hat.
(3) Nach den oben genannten Grundsätzen kann nach dem Vortrag der Parteien auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger die Beklagte über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat.
(a) Der Kläger hat für die Zeit vom 07. Oktober 2010 bis 01. Dezember 2010 zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von C vorgelegt, und zwar die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 07. Oktober 2010 für die Zeit vom 07. Oktober 2010 bis 01. November 2010 und die Folgebescheinigung für die Zeit bis 01. Dezember 2010.
(b) Die Beklagte hat den Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht erschüttert.
(aa) Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht deshalb erschüttert, weil C eine längere Arbeitsunfähigkeit attestiert hat als der Durchgangsarzt.
Der Durchgangsarztbericht gibt die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit an. Wie lange die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich andauern wird, kann bei Beginn der Erkrankung in der Regel nicht vorausgesagt werden. Besteht die Arbeitsunfähigkeit am Ende des Krankschreibungszeitraums fort, ist eine Folgebescheinigung auszustellen. Der Folgebescheinigung kommt der gleiche Beweiswert wie der Erstbescheinigung zu.
Etwas anderes gilt hier nicht wegen der erheblichen Differenz der attestierten Arbeitsunfähigkeitsdauer. Der Heilungsprozess ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es kann davon ausgegangen werden, dass C bei Attestierung der Arbeitsunfähigkeit die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers sowie den Heilungsverlauf berücksichtigt hat.
(bb) Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht durch das amtsärztliche Gutachten von E erschüttert. Das vorgelegte Schreiben von E wird den an ein Gutachten zu stellenden Anforderungen nicht gerecht und lässt die erforderliche Objektivität vermissen.
Das Gutachten lässt seine Grundlage nicht mit der erforderlichen Genauigkeit erkennen. Soweit angegeben ist, es stütze sich auf die eigene Untersuchung und Anamnese wird nicht mitgeteilt, welche Untersuchungen mit welchem Ergebnis durchgeführt worden sind. Mangels Angaben zum Gegenstand und Ergebnis der Untersuchung ist die zusammenfassende Beurteilung, es sei kein Befund objektivierbar, ohne Aussagewert. Das Ergebnis der Anamneseerhebung wird ebenso wenig mitgeteilt. Ferner fehlen Angaben dazu, welche Röntgenaufnahmen, ärztlichen Atteste, Befundberichte, Verordnungen und Daten des Versicherungsgebers vorgelegen haben. Es fehlt jede Auseinandersetzung mit den Röntgenergebnissen sowie mit den ärztlichen Attesten, Befundberichten und Verordnungen. Die festgestellte Aggravationstendenz rechtfertigt das Ergebnis allein nicht. Gleiches gilt für die Aussagen zur Dauer der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Vergangenheit. Es ist nicht ersichtlich, dass E über die zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und Kenntnisse über die konkreten Umstände der seinerzeitigen ärztlichen Feststellungen und des seinerzeitigen Gesundheitszustandes des Klägers verfügt hat.
Das Gutachten lässt überdies die erforderliche Objektivität vermissen. Das ergibt sich aus der Wortwahl, der Tendenz zur Generalisierung und den über die Fragestellung hinausgehenden Ausführungen. Das gilt insbesondere für die abschließende Einschätzung, der Kläger strebe im Hinblick auf die Anerkennung seiner Schwerbehinderung generell Atteste über lange Arbeitszeitunfähigkeitszeiten an.
(cc) Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht durch das Gutachten von F, der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie ist, erschüttert. F hat den Kläger aufgrund der Überweisung durch C auf den Verdacht der Rückenmarksverletzung hin untersucht.
Dieser Verdacht hat sich ausweislich des Schreibens von F vom 11. November 2010 nicht bestätigt. Darin heißt es, dass sich klinisch-neurologisch keine sensomotorischen Ausfälle, keine Paresen und keine Koordinationsstörungen außer feinmotorischen Störungen fänden; ferner fänden sich klinisch-neurologisch und elektrophysiologisch keine Hinweise auf eine Myelopathie oder Hinweise auf eine Läsion der langen Bahnen.
Diese Beurteilung lässt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht den Schluss zu, der Kläger sei am 11. November 2010 arbeitsfähig gewesen. F hat die Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht beurteilt. Er hat allerdings eine Schonhaltung sowie einen stark erhöhten Muskeltonus der Nacken- und Schultermuskulatur und paravertebral festgestellt. Die vom Kläger angegebene Schmerzsymptomatik hat er einem myofaszialen Schmerzsyndrom und die unspezifischen Symptome einer akuten Belastungsreaktion zugeordnet.
(dd) Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 07. und vom 28. Oktober 2010 ist nicht durch die Angaben des Klägers zur Art seiner Beschwerden erschüttert.
Das gilt zunächst für die Angaben zu der verletzten Körperseite. Der Widerspruch lässt sich durch eine Verwechslung von rechts und links erklären.
Der Beweiswert ist nicht deshalb erschüttert, weil der Kläger am 20. Oktober 2010 nur über Schmerzen im Hals- und Schulterbereich und am 27. Oktober 2010 über Beschwerden am Halswirbel, nicht aber über Beschwerden am Becken, im Bereich der Lendenwirbelsäule oder am Oberschenkel geklagt hat. Die Äußerungen können damit erklärt werden, dass die Prellung des Beckens und der Lendenwirbelsäule Ende Oktober 2010 entweder abgeklungen war oder dass die angegebenen Beschwerden im Halswirbel- und Schulterbereich überwogen, so dass der Kläger etwaig fortbestehenden Beschwerden am Becken und der Lendenwirbelsäule nicht mehr erwährenswert fand. Diese Angaben widersprechen nicht einer Diagnose von C. Auf welche Diagnose C die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 07. und 28. Oktober 2010 gestützt hat, lässt sich aus den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht entnehmen. Die Überweisung an F gibt als Diagnosen Prellung von Becken und Lendenwirbelsäule sowie Verdacht auf Verletzung des Rückenmarks wieder. Damit wiederholt C in der Überweisung die vom Durchgangsarzt gestellten Diagnosen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werde, dass das Attest über die Arbeitsunfähigkeit allein auf diese Erkrankungen und nicht auch auf Beschwerden im Hals- und Schulterbereich gestützt wurde. Vielmehr spricht die Verschreibung von Leistungen der Krankengymnastik und Massage am 07. Oktober 2010 dafür, dass die vom Kläger genannten Beschwerden tatsächlich bestanden. Das Auftreten solcher Beschwerden als Folgebeschwerden von Unfällen und ihr Hervortreten bei Abklingen der primären Beschwerden ist nicht atypisch, sondern unter Berücksichtigung der Vorerkrankungen des Klägers im Bereich der Schulter und der Halswirbelsäule nachvollziehbar.
(ee) Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 07. und vom 28. Oktober 2010 ist nicht durch die Angaben des Klägers zu seinem Autounfall und zur Wegeunfähigkeit erschüttert.
C hat mit Schreiben vom 26. November 2010 attestiert, dass der Kläger wegen der am 28. Oktober 2010 bis zum 01. Dezember 2010 attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen oder längere Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen.
Soweit die Beklagte geltend macht, es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Kläger nicht dazu in der Lage gewesen sei, den Betriebshof der Beklagten auf dieselbe Art und Weise zu erreichen wie die genannten Ärzte oder die Physiotherapeuten, hat der Kläger bestritten, nach dem Unfall vom 03. November 2010 selbst gefahren zu sein. Er hat vorgetragen, er habe sich nach seinem Unfall von seiner geschiedenen Ehefrau fahren lassen. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Nichts anderes ergibt sich aus der Äußerung des Klägers im Telefonat vom 26. November 2010. Aus der Angabe, er bringe die Wegeunfähigkeitsbescheinigung vorbei, lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger selbst mit dem PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Beklagten fahren wollte.
Der Autounfall vom 03. November 2010 steht der Annahme der Wegeunfähigkeit nicht entgegen, sondern spricht eher dafür. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger bis zu seinem Unfall am 03. November 2010 bewusst war, nicht fahrtüchtig zu sein. Das Attest von C stammte erst vom 26. November 2010.
Das Bestreiten des Autounfalls durch die Beklagte ist unerheblich. Im Übrigen ist nachvollziehbar, dass der Kläger sich nicht unmittelbar nach dem Unfall zum Arzt begeben hat, wenn er die Unfallfolgen als nicht gravierend eingeschätzt hat.
(ff) Schließlich wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch die Angabe von C erschüttert, der Kläger werde als Kraftfahrzeugführer beschäftigt. Wie es zu dieser Angabe gekommen ist, ist unklar. Im Wiedereingliederungsplan vom 1. Dezember 2010 ist davon abweichend angegeben, dass der Kläger als Arbeiter beschäftigt wird. Von welcher Tätigkeit des Klägers C bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit am 7. Oktober 2010 und am 28. Oktober 2010 tatsächlich ausgegangen ist, ist daraus nicht zu entnehmen.
(c) Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert sei und dass der Kläger nicht substantiiert vorgetragen hätte, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensregeln der Arzt gegeben hat, so fehlte es jedenfalls an einem Anhaltspunkt für einen Vorsatz des Klägers, die Beklagte über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu täuschen. Das setzte voraus, dass der Kläger von der Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausging.
Dazu fehlt jeder Vortrag der Beklagten. Es liegen im Streitfall keine gravierenden Umstände vor, die einen entsprechenden Vorsatz indizieren. Ein solches Indiz kann anzunehmen sein, wenn der Arbeitnehmer während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit einer vergleichbaren Tätigkeit nachgeht. Dann kann angenommen werden, der Arbeitnehmer habe von der Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewusst. Ein solches starkes Indiz fehlt hier jedoch. Der Kläger hat vielmehr vorgetragen, auf die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von C vertraut zu haben. Dieser Vortrag ist plausibel im Hinblick auf den Vortrag des Klägers zu seinen Beschwerden am 07. und 28. Oktober 2010, der Behandlungsbedürftigkeit seines Hals- und Schulterbereichs und der Notwendigkeit, eine Rückenmarksverletzung auszuschließen. Das Vertrauen des Klägers in die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht durch die ärztlichen Untersuchungen vom 10. und 11. November 2010 erschüttert worden. Das Ergebnis der Untersuchung vom 10. November 2010 hat der Kläger unstreitig erst mit der Anhörung zur Verdachtskündigung erfahren, das Schreiben vom F verhält sich zur Frage der Arbeitsfähigkeit nicht. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsärztin sogar noch am 01. Dezember 2010 erklärt hat, nicht entscheiden zu können, ob der Kläger arbeitsfähig sei; das könne nur C entscheiden.
Damit ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger die Dauer der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgetäuscht hat.
bb) Die Kündigung ist nicht als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Es besteht nicht der auf objektive Tatsachen gestützte dringende Verdacht, dass der Kläger den Arbeitsunfalls und die sich anschließende Arbeitsunfähigkeit insgesamt vorgetäuscht hat oder dass er die Beklagte über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat.
(1) Auch der dringende Verdacht, der Arbeitnehmer habe sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen (
BAG 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127 = AP
BGB § 626
Nr. 112 = EzA
BGB § 626
nF Nr. 148, zu B I 1 a der Gründe).
Eine Verdachtskündigung kommt jedoch nur in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte dringende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Ein dringender Verdacht liegt nur vor, wenn bei kritischer Prüfung eine auf Beweistatsachen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung des Arbeitnehmers besteht. Der entsprechende Verdacht muss es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, mit dem Arbeitnehmer weiter zusammenzuarbeiten (
BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, EzA
BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung
Nr. 9;
BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 -, Rn. 27, ArbR 2010, 628;
BAG 13. März 2008 -
2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP
BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung
Nr. 43 = EzA
BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung
Nr. 6).
(2) Nach diesen Grundsätzen besteht aufgrund des Vortrags der Parteien gegen den Kläger nicht der dringende Verdacht, er habe den Arbeitsunfall und eine sich anschließende Arbeitsunfähigkeit insgesamt vorgetäuscht. Für einen solchen Verdacht bestehen keine gewichtigen, auf objektive Tatsachen gestützten dringenden Verdachtsmomente.
Das gilt zunächst für ihre Behauptung, die Kollegen hätten den Arbeitsunfall nicht gesehen. Das schließt - wie oben dargelegt - nicht aus, dass sich der Arbeitsunfall ereignet hat. Dieser Umstand begründet auch keinen dringenden Verdacht, der Unfall sei nur vorgetäuscht. Gleiches gilt für die Behauptung, der Kläger sei nur einen Teil des Wegs zum Werkstattbüro gehumpelt und danach normal gegangen. Die Richtigkeit dieser Behauptungen der Beklagten als richtig unterstellt, begründen diese Umstände auch zusammen genommen unter Berücksichtigung des Berichts des Durchgangsarztes, der stationären Aufnahme und der Anerkennung des Unfalls durch die Unfallkasse Hessen kein dringenden Verdacht gegen den Kläger, er habe den Arbeitsunfall und die Arbeitsunfähigkeit insgesamt vorgetäuscht.
(3) Nach diesen Grundsätzen besteht aufgrund des Vortrags der Parteien gegen den Kläger auch nicht der dringende Verdacht, er habe die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht. Für einen solchen Verdacht bestehen keine gewichtigen, auf objektive Tatsachen gestützten dringenden Verdachtsmomente.
(a) Ein Verdacht besteht nicht deshalb, weil C eine längere Arbeitsunfähigkeit attestiert hat als der Durchgangsarzt. Ein Verdacht wird auch nicht durch das Gutachten von E oder das Schreiben von F begründet. Auf die oben gemachten Ausführungen wird verwiesen. Die plausiblen Angaben des Klägers zu seinen Beschwerden am Hals und an der Schulter am 20. und 27. Oktober 2010 vermögen ebenfalls nicht den dringenden Verdacht eines Vortäuschens der Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Gleiches gilt für seine Angaben zum Arbeitsunfall und der Wegeunfähigkeit. Auch insoweit wird auf die bisherigen Ausführungen verwiesen.
(b) Insbesondere gibt es keine Verdachtsmomente, die auf den Täuschungswillen des Klägers schließen lassen.
2. Die Beklagte ist aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits vertragsgemäß als Wagenpfleger an der Waschanlage weiter zu beschäftigen.
a) Zu den Rechten aus dem Arbeitsverhältnis gehört auch ein klagbarer Anspruch auf Weiterbeschäftigung, den der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts aus § 611
i.V.m. § 242
BGB,
Art. 1 u. 2
GG abgeleitet hat (
BAG GS EzA zu § 611
BGB Beschäftigungspflicht
Nr. 9). Der Anspruch besteht während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses und ist zu bejahen, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen. Das Interesse des Arbeitnehmers überwiegt in der Regel ab dem Zeitpunkt, zu dem im Kündigungsschutzprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht.
b) Die Voraussetzungen für den Weiterbeschäftigungsanspruch sind hier erfüllt. Die Unwirksamkeit der Kündigung ist festgestellt worden. Überwiegende, gegen die Weiterbeschäftigung des Klägers sprechende Umstände sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist nach seinem Arbeitsvertrag als Arbeiter beschäftigt. Zuletzt hatte die Beklagte ihm die Tätigkeit als Wagenpfleger an der Waschanlage als vertragsgerechte Aufgabe zugewiesen.
III. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91
Abs. 1
ZPO). Die Zulassung der Revision war gesetzlich nicht veranlasst (§ 72
Abs. 2
ArbGG).