Die Berufung des Klägers gegen das am 2. August 2012 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist zulässig. Das Rechtsmittel ist als in einem Rechtsstreit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnis eingelegt ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64
Abs. 2, 8
Abs. 2
ArbGG). Der Kläger hat es auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520
ZPO, 66
Abs. 1
ArbGG).
In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23. Februar 2012 mit dem 30. September 2012 geendet. Die Kündigung ist nach
§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt, denn sie ist durch Gründe, die in der Person des Klägers liegen, bedingt. Das Berufungsgericht folgt den Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und nimmt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf sie gemäß § 69
Abs. 2
ArbGG Bezug. Im Hinblick auf die Ausführungen der Parteien im zweiten Rechtszug ist noch Folgendes auszuführen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann auch die Krankheit eines Arbeitnehmers an sich geeignet sein, die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses als personenbedingt zu rechtfertigen. Die Überprüfung der Wirksamkeit einer solchen Kündigung hat anhand eines dreistufigen Prüfungsaufbaus zu erfolgen. Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese können durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen werden. In der dritten Stufe - der Interessenabwägung - ist dann zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen eine billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers nach sich ziehen (
vgl. BAG vom 30. September 2010 -
2 AZR 88/09, dokumentiert in juris;
BAG vom 7. November 2002 -
2 AZR 599/01, AP
Nr. 40 zu § 1
KSchG 1969 Krankheit;
BAG vom 5. Juli 1990 -
2 AZR 154/90, AP
Nr. 26 zu § 1
KSchG 1969 Krankheit).
Für die Feststellung erheblicher Fehlzeiten in der Vergangenheit ist auf einen längeren Beurteilungszeitraum abzustellen (
vgl. BAG vom 19. August 1976, AP
Nr. 2 zu § 1
KSchG Krankheit). Nur so kann sichergestellt werden, dass das zufällige Zusammentreffen mehrerer Erkrankungen in einem kürzen Zeitraum zu keiner Verfälschung der Fehlzeitquote führt. Ihrem Umfang nach erhebliche Fehlzeiten liegen in der Regel vor, wenn ein Arbeitnehmer durchschnittlich im Beurteilungszeitraum nicht nur geringfügig über der in § 3
Abs. 1 EFZG vom Gesetzgeber festgelegten Zeitspanne gefehlt hat.
Maßgebender Zeitpunkt der rechtlichen Beurteilung ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dies ergibt sich aus der Rechtsnatur der Kündigung als einseitiger, empfangsbedürftiger Willenserklärung. Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kommt es darauf an, ob zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigen (
vgl. BAG 20. Oktober 1983 - 2 AZR 222/82, dokumentiert in juris). Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen (
vgl. BAG vom 8. November 2007 -
2 AZR 292/06, AP
Nr. 29 zu § 1
KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung;
BAG vom 7. November 2002 a.a.O.). Allerdings sind in die Prognosebewertung nur Fehlzeiten einzubeziehen, bei denen Wiederholungsgefahr besteht. Somit sind Arbeitsunfälle oder andere singuläre Ereignisse, bei denen es sich infolge unterschiedlicher Entstehungsgründe um einmalige Begebenheiten handelt, in der Regel nicht prognoserelevant (
vgl. BAG vom 7. Dezember 1989, 2 AZR 225/89, EzA § 1
KSchG Krankheit
Nr. 30; Hess.
LAG vom 20. Februar 1995 - 10 Sa 957/94 n.v.).
Dementsprechend darf der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken, die Indizwirkung entfaltenden Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen. Daraufhin muss der Arbeitnehmer gemäß § 138
Abs. 2
ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist. An diese prozessuale Mitwirkungspflicht dürfen aber ebenso wie an die des Arbeitgebers keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, denn auch dem Arbeitnehmer ist oft nicht bekannt, an welcher Krankheit er leidet und wann mit der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit aufgrund der vom Arzt angewandten Therapie zu rechnen ist. Zwar darf der Arbeitnehmer sich nicht damit begnügen, ohne konkrete Tatsachenangaben die negative Prognose in Frage zu stellen und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Für ein ausreichendes Bestreiten der negativen Gesundheitsentwicklung im Sinne des § 138
ZPO ist vielmehr erforderlich, dass er - wenn er selbst keine nähren Tatsachen mitteilen kann - zum Ausdruck bringt, die von der Schweigepflicht entbundenen Ärzte hätten ihm gegenüber den künftige gesundheitlichen Verlauf bereits tatsächlich positiv beurteilt (
vgl. BAG vom 17. Juni 1999 - 2 AZR 574/98, juris;
BAG vom 6. September 1989 -
2 AZR 19/89, AP
Nr. 21 zu § 1
KSchG 1969 Krankheit). Sind dem Arbeitnehmer jedoch die Diagnosen bekannt, hat er sie im Prozess konkret vorzutragen, soweit ihm das als Laien zuzumuten ist (
vgl. KR-Griebeling, 10. Aufl., § 1
KSchG Rn 334).
Die nach dieser Prüfung prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrundes. Neben wesentlichen Betriebsablaufstörungen (
vgl. BAG vom 16. Februar 1989 - 2 AZR 299/88, EzA § 1
KSchG Krankheit
Nr. 25) können in diesem Zusammenhang auch erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers Bedeutung erlangen.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze sind für den Kläger krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Zukunft zu erwarten, die zu erheblichen Beeinträchtigungen der Beklagten infolge Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten führen. Dies schließt die Kammer aus den Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit.
Der Kläger hat in den letzten drei Jahren vor Ausspruch der Kündigung vom 23. Februar 2012 an 242 von möglichen 675 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Damit lag seine Fehlzeitquote in diesem Gesamtzeitraum bei 36%, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass sie im Verlauf der Jahre 2009 bis 2011 deutlich im Durchschnitt eines Jahres von
ca. 20% auf
ca. 48% angestiegen und auch bis zur Kündigung Ende Februar im Jahr 2012 keine Verbesserung eingetreten ist.
Für den Kläger ist auch bezogen auf den maßgeblichen Bewertungszeitpunkt von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Seinem eigenen Vorbringen und den von ihm selbst vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ist zu entnehmen, dass er aufgrund seiner Erkrankungen, die sich in unterschiedlichen Krankheitsbildern zeigen, immer wieder arbeitsunfähig erkrankt sein wird. Dem Kläger sind - wie sein Vortrag zeigt - die Krankheitsdiagnosen bekannt. Er hat ausgeführt, an verschiedenen Krankheiten zu leiden, wie etwa Gelenk- und Muskelbeschwerden, Beschwerden im Bereich HWS und BWS und Bronchialerkrankungen. Es sind mangels zeitlicher Zuordnung keine Fehlzeiten in der Vergangenheit in Abzug zu bringen, die auf sogenannten singulären, sich nicht wiederholenden Ursachen beruhen, so dass auch die Behandlung mit der Diagnose Krebsverdacht nicht herausgerechnet werden kann. Damit steht fest, dass aus der Sicht von Ende Februar 2012 (Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung) eine Genesung auf unabsehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Soweit der Kläger seinen Hausarzt benannt und von der Schweigepflicht entbunden hat, genügt dies nicht zu Widerlegung der Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten, da er nicht vorgetragen hat, dass der Arzt seine gesundheitliche Entwicklung zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs positiv beurteilt hätte. Dies folgt insbesondere nicht aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen, denen vielmehr zu entnehmen ist, dass der Kläger in den dort aufgeführten Zeiträumen an mit verschiedenen Diagnosen erkrankt war.
Die Unwirksamkeit der Kündigung scheitert entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht auch nicht an einem unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß
§ 84 Abs. 2 SGB IX.
Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber bei einem Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, mit der zuständigen Interessenvertretung und mit Zustimmung der betroffenen Person die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers erhalten werden kann. Das Erfordernis eines solchen betrieblichen Eingliederungsmanagements besteht für alle Arbeitnehmer und nicht nur für behinderte Menschen. Allerdings ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung, so dass das unterbliebene betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84
Abs. 2
SGB IX nicht per se zur Unwirksamkeit einer solchen Kündigung führt (
vgl. BAG Urteil vom 12. Juli 2007 -
2 AZR 716/06, AP
Nr. 28 zu § 1
KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung;
LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 13. November 2012 -
5 Sa 19/12, dokumentiert in juris). Hinzukommen muss, dass überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-) Beschäftigung bestanden haben, durch die eine Kündigung hätte vermieden werden können (
vgl. BAG vom 10. Dezember 2009 -
2 AZR 400/08, AP
Nr. 48 zu § 1
KSchG 1969 Krankheit;
BAG vom 12. Juli 2007 a.a.O.).
An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat mit dem Kläger im Jahr 2011 zwei sogenannte Eingliederungsgespräche geführt, an denen auch jeweils ein Mitglied des Betriebsrats teilgenommen hat. In diesen Gesprächen sind die Möglichkeiten eruiert worden, welche Umstände zu der Erkrankung des Klägers geführt haben und was aus betrieblicher Sicht unternommen werden kann, dem entgegenzuwirken. Tatsächlich wurde der Kläger auch aus der Nachtschicht herausgenommen und über einen mehrmonatigen Zeitraum an einer anderen, kleineren Maschine eingesetzt. Ein anderer Arbeitsplatz, auf dem er hätte eingesetzt werden können, der ihn gesundheitlich weniger belastet, ist nicht zu erkennen. Im Übrigen hat auch die Beschäftigung an den kleineren Maschinen, die nach dem Gespräch vom 12. Oktober 2011 für
ca. 3 Monate erfolgt ist, keine Besserung seines Gesundheitsverlaufs nach sich gezogen. Nach dieser Umsetzung war er an 42 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, so dass seine Fehlzeitquote sogar über 60% angestiegen ist. Hinzu kommt, dass der Kläger offensichtlich selbst keine Verbesserung von dem Einsatz an diesen kleineren Maschinen erwartet hat, wie seine Einlassungen in dem Gespräch am 12. Oktober 2011 zeigen. Im Übrigen hat er keinen konkreten Arbeitsplatz benannt, auf dem aus seiner Sicht eine leidensgerechte Beschäftigung möglich gewesen wären, nach dem nach Auffassung der Beklagten ein solcher Arbeitsplatz nicht vorhanden ist.
Aufgrund der vorliegenden und künftig zu befürchtenden Fehlzeiten des Klägers liegen auch unzumutbare wirtschaftliche Belastungen der Beklagten vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellen schon allein die im Tatbestand dargestellten und damit auch zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von weit über 6 Wochen jährlich aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (
BAG vom 7. November 2002 a.a.O.). Das Verhältnis der Kosten für vom Kläger erbrachte Arbeitsleistungen zu den Entgeltfortzahlungskosten entspricht im Wesentlichen der Höhe der Fehlzeitquoten, da bis auf 5 Krankheitstage immer Entgeltfortzahlungspflicht bestanden hat. Diese Kosten haben einen Umfang angenommen, der eine erhebliche Störung des Austauschverhältnisses darstellt, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob bei der Beklagten zusätzliche Belastungen durch die Kosten für Leiharbeitnehmer, die ausschließlich als Ersatz für das Fehlen des Klägers beschäftigt wurden, angefallen sind.
Letztlich führt auch die anzustellende Interessenabwägung nicht dazu, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist. Zwar ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit
ca. 25 Jahren bei der Beklagten beschäftigt ist, sich sein Krankheitsbild im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses offensichtlich verschlechtert hat, er im Rahmen der familiären Verbundenheit sowohl für seine Ehefrau als auch seine Kinder Unterstützung zu leisten hat und möglicher Weise aufgrund seines Gesundheitszustandes, seines Alters und seiner Qualifikation Schwierigkeiten haben wird, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Allerdings hat die Beklagte die Kündigung nicht übereilt ausgesprochen, sondern über einen längeren Zeitraum zugewartet, obwohl bei dem Kläger zumindest auch schon in dem Jahr 2008 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten vorlagen. Unter Berücksichtigung alle dieser Umstände überwiegen aber im Hinblick auf die Höhe der Belastungen durch die Krankheitszeiten gleichwohl die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Klägers an seiner Fortsetzung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1
ZPO. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen, weil sein Rechtsmittel keinen Erfolg gehabt hat.
Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72
Abs. 2
ArbGG).