Urteil
Zustimmung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung gemäß § 89 SGB IX

Gericht:

VG Düsseldorf 21. Kammer


Aktenzeichen:

21 K 4563/15


Urteil vom:

27.05.2016


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Zustimmung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung gemäß § 89 SGB IX.

Der am 00.00.1955 geborene Kläger war seit dem 26.06.2000 auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 26.06.2000 bei der Beigeladenen beschäftigt. Er ist seit dem 23.01.2013 schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 (Bescheid der Stadt N. vom 14.05.2013).

Die Beigeladene verkaufte mit dem Kauf- und Übertragungsvertrag vom 01.10.2014 sämtliche Auftragsverhältnisse zwischen ihr und ihren Vertragspartnern aus den letzten zehn Jahren (2005 bis 2014); die Auftragsverhältnisse der Beigeladenen gingen am 01.11.2014 auf den Käufer über.

Die Beigeladene kündigte dem Kläger mit am selben Tag zugegangen Schreiben vom 31.10.2014 zum 30.11.2014. Der Kläger berief sich mit Schreiben vom 05.11.2014 auf seine Schwerbehinderung. Mit Schreiben vom 17.11.2014 teilte die Beigeladene mit, dass wegen der Stilllegung des Geschäftsbetriebs der Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes im Hinblick auf die Kündigung nicht bedürfe. Gegen die Kündigung erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Krefeld - 3 Ca 2185/14 - Kündigungsschutzklage. Dabei unterbreitete die Beigeladene den Vorschlag, das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 31.10.2014 zum 01.05.2015 zu beenden. Ein Vergleich kam nicht zu Stande. Mit Schreiben vom 10.12.2014 nahm die Beigeladene die Kündigung zurück und teilte mit, dass zwischenzeitlich beim Integrationsamt die Zustimmung zu der "in Kürze neu auszusprechenden Kündigung" beantragt worden sei. Der Kläger nahm das Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an.

Zwischenzeitlich beantragte die Beigeladene unter dem 03.12.2014, beim Beklagten am 04.12.2014 eingegangen, die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des schwerbehinderten Klägers und legte den "Fragebogen für Arbeitgeber in Kündigungsfällen wegen Betriebsstilllegung, Insolvenz oder nicht nur vorübergehender, wesentlicher Betriebseinschränkung" vor, in dem unter dem 11.12.2014 unterschriftlich versichert wurde, dass die Arbeitgeberin in der Lage sei, nach Ausspruch der Kündigung noch drei Monate Lohn oder Gehalt zu zahlen.

Mit Schreiben vom 16.12.2014 teilte der Kläger dem Beklagten mit, die Beigeladene habe das Arbeitsverhältnis am 31.10.2014 gekündigt; ein Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht Krefeld sei anhängig. Die Arbeitgeberin habe bereits bei dieser Kündigung die Kündigungsfristen außer Acht gelassen und die Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamtes erklärt. Desweiteren seien die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 29.01.2015, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 02.02.2015, bestätigte der Beklagte den Eintritt der Fiktion der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 89 SGB IX. Nach dem ermittelten Sachverhalt werde der Betrieb der Arbeitgeberin auf Dauer eingestellt. Eine dreimonatige Gehalts- / Lohnfortzahlung ab dem Tag der Kündigung werde durch die Antragstellerin zugesichert. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Entscheidung nach § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX lägen somit vor. Der Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung sei am 04.12.2015 eingegangen. Da mit Ablauf der Monatsfrist nach § 88 Abs. 5 S. 1 SGB IX keine Entscheidung des Integrationsamtes ergangen sei, gelte die Zustimmung gemäß § 88 Abs. 5 S. 2 SGB IX als erteilt. Die streitige Frage des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB habe im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu erfolgen. Die Kündigung sei innerhalb eines Monats auszusprechen; eine nicht fristgerecht zugegangene Kündigung könne nicht auf die fingierte Entscheidung gestützt werden.

Mit am 31.01.2015 dem Kläger zugegangenen Schreiben vom 30.01.2015 erklärte die Beigeladene die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2015 und vorsorglich zum nächsten Termin.

Gegenüber der Agentur für Arbeit erklärte die Beigeladene, dass die Kündigungsfrist des Klägers vier Wochen zum Monatsende betragen.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 29.01.2015 erhob der Kläger unter dem 03.02.2015 Widerspruch. Er berief sich darauf, dass die Voraussetzungen des § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht gegeben seien. Es sei auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Eintritt der Fiktion gemäß § 89 SGB IX abzustellen. In diesem Zeitpunkt müssten die Voraussetzungen des § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX vorgelegen haben. Zur weiteren Begründung gab er im Wesentlichen an, eine dreimonatige Gehalts- / Lohnfortzahlung ab dem Tag der Kündigung sei durch die Arbeitgeberinnen gerade nicht zugesichert. Die Arbeitgeberin wolle sich der Verpflichtung zur Weiterzahlung der Vergütung entziehen, da sie mit Schreiben vom 30.01.2015 das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2015 gekündigt habe. Im Übrigen sei der Betrieb der Arbeitgeberin gerade nicht eingestellt worden, was sich schon aus den laufenden Abrechnungen des Klägers ergebe. Unabhängig davon sei nicht annähernd sichergestellt, dass die Vergütung gemäß § 89 SGB IX für mindestens drei Monate nach der Kündigung weitergezahlt werde. Die Arbeitgeberin habe gegenüber der Bundesagentur für Arbeit noch am 02.03.2015 behauptet, dass die Kündigungsfrist des Klägers vier Wochen zum Monatsende betragen. Dementsprechend seien auch keine Zahlung vorgenommen worden. Die Arbeitgeberin halte an der Auffassung fest, dass sie nur verpflichtet sei, bis zum 28.02.2015 die Vergütung zu zahlen.

Im (damals) anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren 3 Ca 2158/14 vor dem Arbeitsgericht Krefeld machte der Kläger die Unwirksamkeit der weiteren Kündigung zum 28.02.2015 geltend.

Zwischenzeitlich stellte die Beigeladene den Kläger ab einem Zeitpunkt vor dem 20.04.2015 bis zum 20.06.2015 von der Pflicht zur Arbeitsleistung unwiderruflich frei unter Fortzahlung der vertraglichen Vergütung (Schreiben vom 20.04.2015).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2015 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Im Tenor der Entscheidung wurde formuliert: "Der Widerspruch wird als unzulässig zurückgewiesen." In den Gründen wird ausgeführt: "Der Widerspruch ist form- und fristgerecht erhoben worden und auch sonst zulässig, in der Sache jedoch unbegründet." Zur Begründung stellt der Widerspruchsbescheid im Wesentlichen darauf ab, dass die Arbeitgeberin nachgewiesen habe, dass die Betriebstätigkeit aufgrund der Veräußerung des Kundenstamms zum 01.11.2014 eingestellt worden sei. Die Lohnfortzahlung für den in § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX genannten Zeitraum sei gesichert. Dies ergebe sich aus der Zusage der Beteiligten, für drei Monate Lohn nach Ausspruch der Kündigung zu zahlen. Aus dem Vorbringen des Klägers, die Arbeitgeberin entziehe sich ihrer Weiterzahlungsverpflichtung durch Ausspruch unzutreffender Kündigungsfristen, lasse sich nicht ableiten, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der dreimonatigen Lohnfortzahlung des § 89 Abs. 1 SGB IX zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht erfüllt gewesen sei. Im Arbeitgeberfragebogen habe die Beteiligte eine entsprechende Erklärung abgegeben, dass sie nach Ausspruch der Kündigung drei Monate Lohn / Gehalt zahle. An diese Erklärung sei der Widerspruchsgegner gebunden, sofern nicht Tatsachen vorlägen, die den Wahrheitsgehalt dieser Erklärung in Zweifel ziehen könnten. Hierzu gebe es keine Veranlassung. Die Beteiligte habe zwar die Kündigung mit einer einmonatigen Kündigungsfrist ausgesprochen, hierzu jedoch im Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass es sich um einen Irrtum gehandelt habe, der auch vor dem Arbeitsgericht korrigiert worden sei. Tatsächlich sei eine Kündigungsfrist von fünf Monaten gegeben, also bis zum 30.06.2015, und der Widerspruchsführer aber auch die entsprechenden Lohnzahlungen für die vergangenen drei Monate bereits erhalten. Im Übrigen bestehe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Widerspruchsführers auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers. Darüber hinaus erfolge die verbindliche Feststellung, ob ein Betrieb stillgelegt worden ist oder auf einen anderen Inhaber gemäß § 613a BGB übergegangen sei, allein der Arbeitsgerichtsbarkeit. Die Durchführung einer Sozialauswahl sei entbehrlich gewesen, da sämtliche Arbeitsplätze wegen der Stilllegung entfallen seien.

Mit Schreiben vom 01.07.2015 übersandte der Beklagte den Kläger einen Widerspruchsbescheid, datiert auf den 10.06.2015, mit dem Tenor "Der Widerspruch wird zurückgewiesen." und der weiteren Angabe in den Gründen "Der Widerspruch ist form- und fristgerecht erhoben worden und auch sonst zulässig, in der Sache jedoch unbegründet."

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 29.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2015 hat der Kläger am 26.06.2015 Klage erhoben. Der ursprüngliche Widerspruchsbescheid vom 10.06.2015 sei bereits deshalb unwirksam, weil er den Widerspruch als unzulässig bezeichne. Auch der mit Schreiben 01.07.2015 übersandt Widerspruchsbescheid, der auf den 10.06.2015 zurückdatiert worden sei, sei unwirksam und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zur weiteren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Beklagte habe den Eintritt der Fiktion nach § 89 Abs. 1 SGB IX nicht bestätigen können. Die Gehaltszahlung durch die Arbeitgeberin sei vom Tage der Kündigung an für die Dauer von drei Monaten nicht gesichert gewesen. Da die Vorschrift des § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX auf den Zeitraum zwischen Kündigung und Ende der Lohnzahlung abstelle, sei von wesentlicher Bedeutung, welche Angaben im Kündigungsschreiben und auch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit gemacht worden seien. Hätte sich der Kläger nicht vor dem Arbeitsgericht Krefeld auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufen, wäre die Beendigung zum 28.02.2015 erfolgt. Ebenso hätte die Arbeitgeberin ohne das Verfahren vor dem Integrationsamt keine Korrektur gegenüber der Bundesagentur für Arbeit vorgenommen. Es könne nicht von Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers abhängen, ob tatsächlich die Voraussetzungen des § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX eingehalten würden. Die Angaben im Arbeitgeberfragebogen seien dann nicht relevant, wenn sich aus dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers andere Rückschlüsse ergäben. Die Beigeladene sei bereits im Rahmen der ersten Kündigung ausdrücklich vom Kläger darauf hingewiesen worden, dass die Kündigungsfrist falsch berechnet und dass auch die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich gewesen sei. Erst im Rahmen der Kündigungsschutzklage hätten sie eingeräumt, dass die erste Kündigung bereits an der Zustimmung des Integrationsamtes scheitere. Gleichwohl habe die Arbeitgeberin mit einer Frist von vier Wochen gekündigt und gegenüber der Bundesagentur für Arbeit angegeben, dass die Kündigungsfrist vier Wochen betrage. Wie sich aus den Gesamtumständen und dem gesamten Verfahrensablauf ergebe, habe es sich nicht um ein "Versehen" gehandelt. Die Beigeladene habe Kenntnis von der tatsächlichen Kündigungsfrist gehabt; sie habe auch Kenntnis darüber gehabt, dass sie vor dem Integrationsamt eine Lohnfortzahlung von mindestens drei Monaten versichert habe. Gleichwohl habe sie gegenüber dem Kläger mit der Kündigung erklärt, dass nach vier Wochen kein Gehalt mehr gezahlt werde. Auch gegenüber der Bundesagentur für Arbeit habe sie bestätigt, dass der Kläger zum 28.02.2015 aus dem Unternehmen ausgeschieden sei. Erstmals mit Schreiben vom 20.04.2015 habe die Beigeladene gegenüber dem Arbeitsgericht Krefeld erklärt, dass für den Kläger eine fünfmonatige Kündigungsfrist gelte, bzw. gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erklärt, dass eine Korrektur vorgenommen worden sei.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 11.03.2016 trägt er vor, im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides sei eine Unzuverlässigkeit der Arbeitgeberin gegeben und dies sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. Bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 10.06.2013 habe die Beigeladene aufgefordert werden müssen, dem Kläger den diesem aufgrund der Schwerbehinderung zustehenden Zusatzurlaub zu gewähren. Im Dezember 2015 habe der Kläger für zwei Arbeitstage keine Vergütung erhalten. Mit Schreiben vom 31.10.2014 habe die Beigeladene das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit einer viel zu kurzen Kündigungsfrist ohne Beteiligung des Integrationsamtes gekündigt. Erst im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens habe die Beigeladene diese Kündigung zurückgenommen und erneut eine Kündigung mit einer viel zu kurzen Frist erklärt. Gegenüber der Bundesagentur für Arbeit habe die Beigeladene erklärt, dass die Kündigungsfrist des Klägers vier Wochen zum Monatsende betrage. Die Beigeladene habe auf verschiedene Art und Weise versucht, den bereits 59 Jahre alten Kläger mit einer Frist von vier Wochen aus dem lange andauernden Arbeitsverhältnis zu drängen. Die Unzuverlässigkeit der Beigeladenen sei dem Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides über den Eintritt der Fiktion bekannt gewesen. Der Kläger habe den Beklagten mit Stellungnahme vom 16.12.2014 auf das Verhalten der Beigeladenen aufmerksam gemacht. Tatsächlich sei das Arbeitsentgelt auch zunächst nicht durch die Beigeladene weitergezahlt worden. Er habe zunächst ab dem 01.03.2015 Arbeitslosengeld erhalten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 29.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2015 sowie in der Gestalt des weiteren Widerspruchsbescheides, der mit Schreiben vom 01.07.2015 übersandt und auf den 10.06.2015 datiert wurde, aufzuheben.

Der Beklagte beantragt unter Verweis auf seine Ausführungen im Verwaltungs- und Vorverfahren,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen trägt er vor, die Korrektur des Widerspruchsbescheids, die mit Schreiben vom 01.07.2015 vorgenommen worden sei, sei ein klassischer Fall des § 38 SGB X. Ganz offensichtlich ergebe sich aus den Entscheidungsgründen, dass der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen worden sei und die Verwendung des Wortes "zulässig" im Tenor ein Versehen gewesen sei.

Die Beigeladene trägt unter Verweis auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren - ohne einen Antrag zu stellen - vor, der Widerspruchsbescheid vom 10.06.2015 sei wirksam und ohne Rechtsfehler ergangen.

Die Kündigungsschutzklage des Klägers hat das Arbeitsgericht Krefeld mit Urteil vom 16.09.2015 - 3 Ca 2185/14 - (zwischenzeitlich rechtskräftig) abgewiesen.

Die Beteiligten haben jeweils Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des einvernehmlich erklärten Einverständnisses der Beteiligten konnte der Vorsitzende (§ 87a Abs. 2 VwGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 29.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2015 in der Fassung des mit Schreiben vom 01.07.2015 übersandten korrigierten Widerspruchsbescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat den Eintritt der Fiktion der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 89 SGB IX hinzunehmen.

1. Rechtsgrundlage für die Zustimmung zur Kündigung sind die §§ 85 ff. SGB IX. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies ist hier zu beachten, weil beim Kläger mit Bescheid der Stadt N. vom 14.05.2013 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt wurde (§ 2 Abs. 2 SGB IX).

Nach § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX erteilt das Integrationsamt die Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen, die nicht nur vorübergehend eingeschränkt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tage der Kündigung und dem Tage, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Dies gilt nicht, wenn eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebes oder derselben Dienststelle oder auf einem freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers mit Einverständnis des Schwerbehinderten Menschen möglich und für den Arbeitgeber zumutbar ist (§ 89 Abs. 1 S. 3 SGB IX). Dies gilt mit der Maßgabe, dass die Entscheidung innerhalb eines Monats vom Tage des Eingangs des Antrags an zu treffen ist. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 88 Absatz S. 1 und 2 SGB IX). In diesem Falle kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären (§ 88 Abs. 5 S. 3 i. V. m. Abs. 3 SGB IX).

Im Rahmen der von dem Arbeitnehmer erhobenen Anfechtungsklage ist im Falle des Eintritts der Fiktion der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der zu diesem Zeitpunkt zugrundeliegende historische Sachverhalt maßgeblich - nicht die Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides (erst recht nicht die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts) -, um der eintretenden Privatrechtsgestaltung durch die Fixierung der maßgeblichen Sachlage auf den der noch zu erklärenden Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt Rechnung zu tragen. Wäre bei einer Neubescheidung auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids oder der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bzw. bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen, würde der Beigeladenen eine Rechtsposition genommen, auf die sie sich bei der Kündigung mit Schreiben vom 30.01.2015 hat berufen können, nämlich auf den Eintritt der Fiktion der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 89 SGB IX.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.01.1993 - 5 B 80/92 -, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 22.06.1994 - 4 L 4474/93 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2002 - 17 K 6243/02 -, juris.

Diese Rechtsposition darf ihr nicht genommen werden. Abzustellen ist somit auf denjenigen Sachverhalt, der dem Integrationsamt im Zeitpunkt des Eintritts der Fiktion der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bekannt war bzw. bekannt sein musste. Das bedeutet, dass alle Umstände, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten bzw. dem Integrationsamt für eine Entscheidungsfindung weder bekannt waren noch bekannt sein mussten, nicht zu berücksichtigen sind.

Die Tatbestandsvoraussetzungen "nicht nur vorübergehende Einstellung des Betriebes" und "Weiterbeschäftigung an anderer Stelle nicht zumutbar" liegen nach den überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Krefeld,

Urteil vom 16.09.2015 - 3 Ca 2185/14 -,

der sich das erkennende Gericht anschließt, vor. Die Auffassung des Klägers, die ebenfalls notwendige Sicherstellung der "Fortzahlung des Lohnes bzw. Gehalts für mindestens drei Monate" sei weder zum Zeitpunkt des Antrags auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung mit Schreiben der Beigeladenen an den Beklagten unter dem 03.12.2014 noch zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Fiktion der Zustimmung sichergestellt gewesen, teilt sich das erkennende Gericht nicht.

Ohne ausdrückliche Regelung im Gesetz geblieben ist die Frage, wie sich die zusätzlich in § 89 Abs. 1 S. 1 SGB IX enthaltene Bedingung "Gehalt oder Lohn (für drei Monate) gezahlt wird" bei einer Zustimmungsfiktion auswirkt. Grundsätzlich gilt nach § 88 Abs. 5 S. 2 SGB IX, was auch dann gelten würde, wenn das Integrationsamt eine entsprechende Zustimmung ausdrücklich erteilt hätte. Das bedeutet, mit Zustimmungsfiktion ist auch die aufschiebende Bedingung verbunden, dass bis zu drei Monaten nach Zugang der Kündigung das Entgelt weitergezahlt wird.

Düwell, BB 2004, S. 2811, 2814; Düwell, in: LPK-SGB IX, 4. Aufl. 2014, § 89 Rdnr. 53, 58.

Tatbestandsvoraussetzungen für die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung, mithin Tatbestandsvoraussetzungen für die Fiktion,

Knittel, SGB IX, Loseblatt (Stand: Mai 2015), § 88 Rdnr. 63,

ist die Fortzahlung des Lohnes bzw. Gehaltes für mindestens drei Monate. Dies liegt etwa dann vor, wenn die dreimonatige Lohnfortzahlung zwischen dem Arbeitgeber und dem zu kündigenden schwerbehinderten Arbeitnehmer vertraglich vereinbart wird oder vom Arbeitgeber mit der Antragstellung beim Integrationsamt verbindlich zugesagt wird; erforderlich ist die Fähigkeit und die Bereitschaft des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung für drei Monate nach der Kündigung.

VG Dresden, Urteil vom 01.04.2009 - 1 K 449/08 -, juris.

Die Dreimonatsklausel soll gewährleisten, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer noch für mindestens drei Monate Geld erhält. Erforderlich ist die tatsächliche Zahlung des Lohns / Gehalts durch den Arbeitgeber. Durch die dreimonatige Lohnzahlung wird die Kündigungsfrist nicht verlängert. Ebenso wenig ist der schwerbehinderte Mensch trotz Lohnzahlung verpflichtet, über das Ende der Kündigungsfrist hinaus zu arbeiten.

Kossens, in: ders. / von der Heide / Maaß, SGB IX, 4. Aufl. 2015, § 89 Rdnr. 24, 26; s. auch Knittel, SGB IX, Loseblatt (Stand: Mai 2015), § 89 Rdnr. 18, 20.

Der Rechtsgrund der Entgeltzahlung ist unerheblich. Er kann sich aus einer einzelvertraglichen Zusage oder aus einer tariflichen oder betrieblichen Vereinbarung ergeben. Die Verpflichtung kann auch auf einer verlängerten Kündigungsfrist beruhen. Entscheidend ist, dass die Vergütung für drei Monate nach Zugang der Kündigung gesichert ist und die Zahlung auch tatsächlich erfolgt. Der Sinn der Vorschrift, dem Schwerbehinderten noch für drei Monate die Zahlung von Arbeitsentgelt zu sichern, ginge sonst vielfach ins Leere, wenn zur Zusicherung auch nicht erfüllte oder unerfüllbare Ansprüchen genügen würden, oder der Arbeitnehmer erst im Klageverfahren durchsetzen müsste.

Müller-Wenner, in: ders. /Winkler, SGB IX, Teil 2, 2. Auf. 2011, § 89 Rdnr. 44, 48,

Dem Wortlaut der Vorschrift nach ist diese Voraussetzung als Prognose formuliert,

Düwell, in: Dan / ders. / Joussen (Hrsg.), SGB IX, 4. Aufl. 2014, § 89 Rdnr. 53,

und zu orientieren an einer erkennbaren Willensrichtung des Arbeitgebers,

vgl. VG Dresden, Urteil vom 01.04.2009 - 1 K 449/08 -, juris;Hohmann, in: Wiegand, SGB IX (Stand: Sept. 2015), SGB IX § 89 Rdnr.20,

die Ausdruck in einer Erklärung gegenüber dem Integrationsamt finden kann,

Knittel, SGB IX, Loseblatt (Stand: Mai 2015), § 89 Rdnr. 20; ders. SGB IX, 6. Aufl. 2012, § 89 Rdnr. 20.

und sich nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten richtet.

Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die Tatbestandsvoraussetzung einer erkennbaren Willensrichtung der Beigeladenen, den Lohn für drei Monate nach der Kündigung des Klägers fortzuzahlen, zum Zeitpunkt des Eintritts der Fiktion am 04.01.2015 (= 1 Monat nach dem Eingang des Antrags der Beigeladene beim Integrationsamt am 04.12.2014) nicht vorlag. Insbesondere bestand zu keinem Zeitpunkt nach Stellung des Antrags unter dem 03.12.2014 die Gefahr, dass die Beigeladene der Lohnfortzahlung nicht nachkommen würde und der Kläger der Gefahr ausgesetzt gewesen wäre, die Lohnfortzahlung klageweise geltend zu machen. Der Hinweis des Klägers auf sein arbeitsgerichtliches Verfahren 3 Ca 2185/14 vor dem Arbeitsgericht Krefeld verfängt insoweit nicht. Dabei handelte es sich nicht um ein Verfahren auf Lohnfortzahlung; vielmehr sollte insoweit geklärt werden, ob die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung des Klägers im Übrigen (also außerhalb der Frage des besonderen Schwerbehindertenschutzes) bestanden. Das arbeitsgerichtliche Urteil vom 16.09.2015 verhält sich insoweit auch lediglich zu den allgemeinen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz, vor allem der Frage der Kündigung, des dringenden betrieblichen Erfordernisses einer Kündigung aufgrund Stilllegung des gesamten Betriebes sowie der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers, die rechtskräftig entschieden wurden. Fragen der Lohnfortzahlung waren insoweit eben gerade nicht streitig. Ähnlich verhält es sich mit dem Hinweis des Klägers, tatsächlich sei das Arbeitsentgelt auch zunächst nicht durch die Beigeladene weitergezahlt worden und er habe zunächst ab dem 01.03.2015 Arbeitslosengeld erhalten. Dies betrifft einen Sachverhalt, der nach dem Eintritt der Fiktion eingetreten ist.

2. Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens: §§ 154 Abs. 1 und 3, 188 S. 2 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da sie keinen Antrag gestellt hat und sich damit keinem eigenen Prozessrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R8096


Informationsstand: 03.05.2019