1. Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
In Streit steht eine krankheitsbedingte Kündigung der - wie sich im Laufe des Berufungsverfahrens herausgestellt hat - schwerbehinderten Klägerin.
Die in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geborene ledige Klägerin, Mutter eines schulpflichtigen Kindes, war bei der Beklagten seit 2012 als Pflegeassistentin (Pflegehilfskraft) mit einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden teilzeitbeschäftigt. Monatlich hat die Klägerin im Schnitt und unter Einbeziehung unständiger Entgeltbestandteile aufgrund ihrer Teilnahme an der Schichtarbeit etwas über 1.700 Euro brutto verdient.
Die Beklagte ist Mitglied im Diakonischen Werk Mecklenburg-Vorpommern e. V. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bindungsklausel die Regelungen der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes in Mecklenburg-Vorpommern Anwendung (AVR DW M-V).
Die Beklagte betreibt in der Region zahlreiche ambulante, teil- und vollstationäre Einrichtungen der Wohlfahrtpflege und beschäftigt dabei regelmäßig weit über 10 Arbeitnehmer. Die Beklagte hat die Klägerin als Pflegeassistentin in einer stationären Seniorenpflegeeinrichtung mit mehreren Wohngruppen beschäftigt. Ein Teil der Bewohner hat neben allgemeinen gesundheitlichen Einschränkungen eine Demenzerkrankung.
In der Einrichtung wird an allen Tagen der Woche rund um die Uhr gearbeitet. Die Beschäftigten einschließlich der Klägerin werden deshalb im Rahmen eines Dienstplans in verschiedenen Schichten eingesetzt. Die Klägerin war auf ihren Wunsch hin von der Pflicht zur Teilnahme an der Nachtschicht wegen ihres schulpflichtigen Kindes befreit. Sie war im Regelfall im Dienstplan nur zum Früh- und zum Spätdienst eingeteilt. Beide Dienste umfassen jeweils 6,5 Arbeitsstunden. "In sehr seltenen Ausnahmefällen" (so die Beklagte ohne Widerspruch der Klägerin) war die Klägerin für einen längeren Frühdienst eingeteilt, der 7,75 Arbeitsstunden umfasst.
Die Klägerin leidet - was allerdings erst im Berufungsrechtszug in den Rechtsstreit eingeführt wurde - unter verschiedenen teils schweren Erkrankungen. Erstinstanzlich hatte die Klägerin lediglich vorgetragen, die Gründe für die Ausfallzeiten seien "vielschichtig und außerordentlich verschieden". Gemessen in Kalendertagen kam es 2014 zu 40 Ausfalltagen, 2015 zu 24 Ausfalltagen, 2016 zu 110 Ausfalltagen, 2017 zu 102 Ausfalltagen und 2018 bis 13. April 2018 (statistisch gewählter Stichtag im Vorlauf zur Kündigung) zu weiteren 67 Ausfalltagen. In Summe ergeben sich bezogen auf die Zeit ab Jahresbeginn 2014 damit 343 krankheitsbedingte Ausfalltage gemessen in Kalendertagen. Die Klägerin ist der Behauptung der Beklagten, sie habe für alle ausgefallenen Arbeitstage während der verschiedenen Ausfallzeiten durchgängig Entgeltfortzahlung geleistet, nicht entgegengetreten. Die Entgeltfortzahlungskosten gerechnet ab Jahresbeginn 2016 beziffert die Beklagte mit etwas unter 17.000
EUR.
Die bei der Beklagten nach dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetz gebildete Mitarbeitervertretung (MAV) hat sich mit der Beklagten im Oktober 2017 auf eine Dienstvereinbarung über die Ausgestaltung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) im Sinne von
§ 167 Absatz 2 SGB IX (früher
§ 84 Absatz 2 SGB IX) verständigt (in Kopie überreicht als Anlage 3 zur Klageerwiderung, hier Blatt 76 ff, es wird Bezug genommen). Die operative Durchführung des bEM obliegt danach einem bEM-Team, das sich aus der Vertrauensperson der Schwerbehinderten und je zwei Beauftragten der Beklagten und der Mitarbeitervertretung zusammensetzt. Unter anderem obliegt es diesem Team, den Beschäftigten, denen nach § 167 Absatz 2
SGB IX die Durchführung eines bEM angeboten werden muss, ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten und sie über den Rahmen, in dem das Angebot erfolgt und das weitere Verfahren durchgeführt werden könnte, zu unterrichten.
Auf Basis dieser Dienstvereinbarung bEM ist der Klägerin durch Anschreiben des bEM-Teams vom 22. November 2017 die Durchführung eines bEM angeboten worden (Anlage 2 zur Klageerwiderung, hier Blatt 54 f, es wird Bezug genommen). Die Klägerin hat dieses Angebot mit Datum vom 27. November 2017 schriftlich abgelehnt und hat dazu in dem ihr übersandten Formular handschriftlich angemerkt: "eigenen Lösungsweg durch Ansprechpartner" (Anlage B 4 zur Klageerwiderung, hier Blatt 63, es wird Bezug genommen).
Die Beklagte hat der Klägerin - nach vorheriger Beteiligung der MAV und deren Zustimmung - unter dem 19. April 2018 mit Wirkung zum 30. September 2018 ordentlich aus personenbedingten Gründen die Kündigung erklärt. Diese Kündigung ist der Klägerin am 24. April 2018 zugegangen.
Hiergegen richtet sich die Kündigungsschutzklage, die am 14. Mai 2018 beim Arbeitsgericht eingegangen ist und am 16. Mai 2018 bei der Beklagten zugestellt wurde (hier Blatt 19 R). Erstinstanzlich hatte die Klägerin zusätzlich einen Feststellungsantrag zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gestellt und Weiterbeschäftigung verlangt. Das Arbeitsgericht Schwerin hat die Klage mit Urteil vom 25. Oktober 2018 als unbegründet abgewiesen (Aktenzeichen: 2 Ca 732/18). - Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass die streitgegenständliche Kündigung vom 19. April 2018 sozial gerechtfertigt sei im Sinne von
§ 1 KSchG und auch im Übrigen keinen Wirksamkeitsbedenken unterliege. Aufgrund der umfänglichen Ausfallzeiten der Klägerin und wegen der unzureichenden Einlassung der Klägerin zu den Perspektiven ihrer Genesung müsse das Gericht davon ausgehen, dass auch zukünftig Ausfallzeiten in ähnlichem Umfang anfallen könnten. Da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet sei, seien auch die weiteren Klageanträge nicht begründet.
Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Klägerin lediglich noch ihren Kündigungsschutzantrag (Klageantrag zu 1) weiter. Die weiteren Anträge werden nicht weiterverfolgt.
Die Klägerin hat erstmals im Rahmen der Berufungsbegründung vorgetragen, dass sie aufgrund des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGuS) vom 22. Oktober 2018 auf ihren Antrag vom 23. Januar 2018 hin mit Rückwirkung ab dem 23. Januar 2018 zum Kreis der schwerbehinderten Menschen gehört (Anlage K 5 zur Berufungsbegründung vom 15. Januar 2019, hier Blatt 163 ff). Dem war der Erstbescheid vom 3. Mai 2018 vorausgegangen, mit dem der Klägerin lediglich ein Grad der Behinderung von 20 bescheinigt wurde (Anlage K 6 zur Berufungsbegründung, hier Blatt 166 ff). Die Klägerin hat die Beklagte mit Mail vom 2. November 2018 (Anlage K 4 zur Berufungsbegründung, hier Blatt 162) erstmals auf die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hingewiesen.
Die Klägerin greift die Feststellung des Arbeitsgerichts zu der negativen Prognose der zukünftigen gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin an. Dazu hat sie erstmals im Berufungsrechtszug einzelne Hinweise auf die medizinischen Ursachen ihrer Ausfallzeiten gegeben. Insofern ist unstreitig, dass die Klägerin an einer schweren Hautkrankheit leidet, die in der Vergangenheit diverse operative Eingriffe erforderlich gemacht hat. Außerdem ist von einem Schlaganfall aus Oktober 2017 die Rede und von einem - streitig gebliebenen - Unfall.
Die Klägerin hält die betrieblichen Auswirkungen ihrer Ausfallzeiten für überschaubar. Insoweit trägt sie erstmals im Berufungsrechtszug vor, die OP-Termine wegen der Hauterkrankung seien der Pflegedienstleitung bekannt gewesen und man habe die Ausfalltage bereits bei der Dienstplanung berücksichtigt. Außerdem behauptet die Klägerin, sie hätte die OP-Termine und die damit zusammenhängenden Arzttermine versucht so zu legen, dass es nicht zu Konflikten mit dem Dienstplan gekommen sei. Teilweise hätte sie sogar Urlaub eingesetzt.
Die wirtschaftliche Belastung der Beklagten mit Entgeltfortzahlungskosten sei noch nicht unzumutbar hoch gewesen. Dabei müsse ebenfalls berücksichtigt werden, dass die langfristig bekannten Arzt- und OP-Termine in der Dienstplanung auch zur Verringerung der Entgeltfortzahlungskosten berücksichtigt worden seien.
Auch die Interessenabwägung habe das Arbeitsgericht fehlerhaft vorgenommen. Zu Gunsten der Klägerin hätte berücksichtigt werden müssen, dass die gesundheitlichen Probleme auch durch die Beklagte mitverursacht worden seien. Insoweit behauptet die Klägerin, sie hätte immer wieder bis zu 6,5 Stunden in der Schicht arbeiten müssen, obwohl sie bei einem Teilzeitvertrag mit 25 Wochenstunden an sich nur 5 Stunden pro Arbeitstag hätte arbeiten müssen. Diese Mehrbelastung hätte zu einer Überanstrengung geführt.
Die Durchführung des angebotenen bEM hätte sie abgelehnt, weil sie zuvor bereits vergeblich bei der Pflegedienstleitung (PDL) angeregt hatte, sie zukünftig nicht mehr als Pflegeassistentin, sondern als zusätzliche Betreuungskraft einzusetzen.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe ihren kündigungsrechtlichen Schutz als schwerbehinderter Mensch aus
§ 168 ff SGB IX nicht dadurch verloren, dass sie die darauf bezogene Rüge erst im Berufungsrechtszug erhoben habe. Sie habe die Beklagte über ihren Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch aus Januar 2018 nicht in Kenntnis gesetzt, da sie befürchtet habe, dass man ihr keinen Grad der Behinderung von mindestens 50 zuerkennen werde. Daher habe sie die Beklagte auch nicht über den Erstbescheid aus Mai 2018, mit dem lediglich ein Grad der Behinderung von 20 anerkannt wurde, in Kenntnis gesetzt. Zwischen dem Widerspruchsbescheid aus Oktober 2018 und seiner abschießenden schriftlichen Fassung sei leider so viel Zeit vergangen, dass es ihr nicht mehr möglich gewesen sei, den Widerspruchsbescheid schon während des erstinstanzlichen Verfahrens in den Rechtsstreit einzuführen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 25. Oktober 2018, Az.: 2 Ca 732/18, abzuändern, und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 19.04.2018 zum 30.09.2818 beendet wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Parteivortrages. Auch der erweiterte Sachvortrag im Berufungsrechtszug rechtfertige eine Abänderung des Urteils nicht.
Die spärlichen Hinweise, die die Klägerin zu den medizinischen Ursachen ihrer Ausfallzeiten erstmals im Berufungsrechtszug gegeben habe, seien nicht geeignet, die vom Arbeitsgericht festgestellte negative Aussicht der zukünftigen gesundheitlichen Entwicklung der Klägerin in Frage zu stellen. Insoweit bestätigt die Beklagte zwar den neuen klägerischen Vortrag, dass die OP-Termine wegen der schweren Hautkrankheit zumindest dem Haus, in dem die Klägerin eingesetzt war, bekannt waren. Insoweit bestätigt die Beklagte auch die weitere Einlassung der Klägerin, dass die Schichtpläne für die Klägerin an die anstehenden OP-Termine angepasst wurden, um Ausfalltage mit Arbeitspflicht der Klägerin möglichst zu vermeiden. Dennoch sei die Feststellung des Arbeitsgerichts zu der negativen Gesundheitsprognose nicht erheblich angegriffen, da die Klägerin keine Hinweise gegeben habe, ob die schwere Hautkrankheit überwunden sei, oder ob mit weiteren Ausfallzeiten wegen dieses Leidens zu rechnen sei. Von einem Arbeitsunfall der Klägerin oder auch von einem Unfall während der Freizeit sei der Beklagten nichts bekannt. Der klägerische Schlaganfall sei zwar bekannt, es fehle aber an der Zuordnung von Ausfallzeiten zu diesem Leiden. Außerdem habe die Klägerin auch insoweit keine Hinweise darauf gegeben, ob dieses Leiden überwunden sei oder ob mit weiteren darauf beruhenden Ausfallzeiten zu rechnen sei. Im Übrigen wiederholt die Beklagte ihre erstinstanzliche Behauptung, die häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin würden auf eine Krankheitsanfälligkeit der Klägerin hindeuten, die auch zukünftig zu Ausfallzeiten in vergleichbarem Umfang führen werde.
Bezogen auf den erst im Berufungsrechtszug gegenüber dem Gericht bekannt gegebenen klägerischen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch vom 23. Januar 2018 und den diesem entsprechenden Widerspruchsbescheid des LAGuS vom 22. Oktober 2018 betont die Beklagte, dass ihr kein einziges Element dieses Vorgangs zum Zeitpunkt der Vorbereitung und des Ausspruchs der Kündigung bekannt gewesen sei. Außerdem betont sie, dass die Klägerin auch in ihrer Kündigungsschutzklage wie auch im gesamten Verlauf des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens nicht auf diesen Umstand hingewiesen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die klägerische Berufung ist nicht begründet.
Das Arbeitsverhältnis ist durch die streitgegenständliche Kündigung vom 19 April 2018 mit Ablauf der Kündigungsfrist Ende September 2018 beendet worden. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt im Sinne von
§ 1 KSchG (nachfolgend unter I). Der Umstand, dass die Klägerin inzwischen rückwirkend auf einen Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung zum Kreis der schwerbehinderten Menschen zählt, steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen (nachfolgend unter II).
I.
Die Kündigung der Beklagten ist im Sinne von § 1 Absatz 2
KSchG sozial gerechtfertigt, denn die Beklagte kann sich auf krankheitsbedingte Gründe als Unterfall der Gründe in der Person des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Absatz 2
KSchG berufen.
Die streitgegenständliche Kündigung bedarf nach der Dauer der Zusammenarbeit und der Anzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer (§§ 1,
23 KSchG) einer sozialen Rechtfertigung. Die Klägerin hat auch rechtzeitig innerhalb der nach
§ 4 KSchG vorgeschriebenen Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben, so dass die Kündigung nicht schon nach
§ 7 KSchG ohne gerichtliche Prüfung als wirksam gilt.
1.
Die Kündigung ist im Sinne des § 1 Absatz 2
KSchG als krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt.
Die Voraussetzungen für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung unterscheiden sich je nachdem, ob ein Fall einer oder jedenfalls nur weniger Langzeiterkrankungen vorliegt oder ein Fall häufiger Kurzerkrankungen. Beruhen die Ausfallzeiten - wie vorliegend - sowohl auf Kurzerkrankungen als auch teilweise auf Langzeiterkrankungen, sind die Regeln für die krankheitsbedingte Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen anzuwenden (
BAG 20. November 2014 -
2 AZR 755/13 - AP
Nr. 52 zu § 1
KSchG 1969 Krankheit = DB 2015, 1290 = NZA 2015, 612;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 7. März 2017 -
2 Sa 158/16 - NZA-RR 2017, 347).
Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen vollzieht sich in mehreren gedanklichen Schritten. Zunächst müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang zu begründen geeignet sind (erste Stufe der Prüfung). Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (zweite Stufe der Prüfung). Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen. Die wirtschaftlichen Folgekosten der Ausfallzeiten sind bereits dann unzumutbar hoch, wenn damit zu rechnen ist, dass die Entgeltfortzahlungsräume in Summe weiterhin jährlich mehr als sechs Wochen (42 Kalendertage) umfassen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung (dritte Stufe der Prüfung) ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (
BAG 16. Juli 2015 -
2 AZR 15/15 - NJW 2016, 588;
BAG 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - NJW 2015, 1979;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 28. November 2017 -
5 Sa 54/17 - PflR 2018, 310;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 7. März 2017 aaO).
Gemessen an diesem Maßstab liegen hier die Voraussetzungen für eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung vor.
a)
Auch unter Berücksichtigung des erweiterten klägerischen Vortrags in der Berufungsinstanz muss das Gericht davon ausgehen, dass zukünftig mit weiteren Ausfallzeiten der Klägerin in dem Umfang zu rechnen ist, wie sie in der jüngeren Vergangenheit vor Ausspruch der Kündigung aufgetreten sind.
aa)
Da der Arbeitgeber - wie hier die Beklagte - im Regelfall keine Kenntnis von den medizinischen Ursachen der krankheitsbedingten Ausfallzeiten hat, ist es ihm erlaubt, seine Prognose der zukünftigen Ausfallzeiten zunächst allein anhand der Statistik der bisherigen Ausfallzeiten vorzunehmen. Summieren sich im Referenzzeitraum vor Ausspruch der Kündigung die Ausfallzeiten in allen Jahren des Referenzzeitraums jeweils auf über 42 Kalendertage, darf der Arbeitgeber - und das Gericht - zunächst davon ausgehen, dass auch zukünftig mit weiteren Ausfallzeiten in vergleichbarem Umfang gerechnet werden muss.
Die notwendige Dauer des Referenzzeitraums wird vom Bundesarbeitsgericht nicht starr vorgeschrieben. Viele Jahre lang galt die Faustregel, dass Ausfallzeiten von mehr als 42 Kalendertagen in zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren als Grundlage für eine negative Grob-Prognose anhand der zurückliegenden Ausfallzeiten ausreichen. Jüngst hat das Bundesarbeitsgericht zwar angenommen, man müsse auf einen dreijährigen Referenzzeitraum abstellen (
BAG 25. April 2018 -
2 AZR 6/18 - AP
Nr. 18 zu § 626
BGB Krankheit = NZA 2018, 1056). Dabei hatte es sich allerdings um eine außerordentliche Kündigung eines ordentlich nicht mehr kündbaren langjährigen Beschäftigten gehandelt. Das Bundesarbeitsgericht betont in dieser Entscheidung, dass in einem solchen Fall ein deutlich strengerer Maßstab anzulegen sei als bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung. Das Berufungsgericht geht daher davon aus, dass im vorliegenden Fall einer ordentlichen Kündigung einer Arbeitnehmerin, die rund sechs Jahre bei ihrem Arbeitgeber tätig war, nach wie vor ein Referenzzeitraum von zwei Kalenderjahren ausreichend ist.
Daran gemessen durfte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung im Rahmen der Grob-Prognose anhand der zurückliegenden Ausfallzeiten davon ausgehen, dass im Arbeitsverhältnis der Parteien auch zukünftig mit Ausfallzeiten jenseits der 42 Kalendertage Ausfallzeit pro Jahr zu rechnen sei, denn die Klägerin hatte sowohl 2016 und 2017 als auch im angefangenen Jahr 2018 jeweils deutlich mehr als 42 Kalendertage Ausfallzeit aufzuweisen.
bb)
Sofern der Arbeitnehmer - hier die Klägerin - bei einer solchen Ausgangslage nicht bereit ist, die medizinischen Ursachen ihrer Ausfallzeiten zu offenbaren, kann und braucht das Gericht den Sachverhalt nicht weiter aufzuklären. Es kann und muss dann davon ausgegangen werden, dass es auch in Zukunft zu vergleichbaren Ausfallzeiten kommen wird. Daher hat das Arbeitsgericht aufgrund des seinerzeitigen Kenntnisstandes zutreffend entschieden.
Der Arbeitgeber ist nur dann zu einer medizinisch im Einzelnen begründeten Prognose zukünftiger Ausfallzeiten verpflichtet, wenn der gekündigte Arbeitnehmer die über die Ausfallzeiten als Indiz begründete Grob-Prognose mit geeigneten Argumenten substantiiert bestreitet. Das ist vorliegend nicht der Fall. Gefordert wird insoweit ein wenigstens laienhafter Vortrag des Arbeitnehmers zu den medizinischen Ursachen der Ausfallzeiten und zu den positiven Perspektiven für die zukünftige Entwicklung seines Gesundheitszustands. Außerdem muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber durch die Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht ermöglichen, nunmehr eine medizinisch fundierte Prognose der zukünftigen gesundheitlichen Entwicklung des Arbeitnehmers vornehmen zu können (allgemeine Auffassung,
vgl. etwa
LAG Mecklenburg-Vorpommern 14. Juli 2009 -
5 Sa 66/08).
Diesen Anforderungen genügen selbst die erweiterten Einlassungen der Klägerin im Berufungsrechtszug nicht. Sie selbst hat nicht einmal aus ihrer laienhaften Sicht behauptet, dass sich ihre gesundheitliche Situation in absehbarer Zukunft verbessern wird. Zudem hat sie die sie behandelnden Ärzte auch nicht von der Schweigepflicht entbunden, so dass es bis zum Ende des Rechtsstreits der Beklagten gar nicht möglich war, eine medizinisch fundierte Prognose der zukünftigen Ausfallzeiten im Rechtsstreit vorzutragen.
Die im Wesentlichen unstreitigen im Berufungsrechtszug neu eingeführten Umstände allein lassen eine andere Bewertung nicht zu.
Zu der schweren karzinogenen Hauterkrankung fehlt es an Hinweisen, dass diese inzwischen soweit ausgeheilt ist, dass aus diesem Grunde in absehbarer Zeit keine weiteren Ausfallzeiten anfallen werden. Aufgrund der Einlassung der Beklagten aus der Berufungserwiderung steht insoweit nur fest, dass die Klägerin wegen der angekündigten Operationen beginnend im September 2017 bis in den April 2018 insgesamt vier Ausfallzeiten im Umfang von jeweils einer Woche oder ein paar Tagen mehr hatte, für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von Hautärzten ausgestellt sind. Das reicht nicht aus, denn es ist bezogen auf diese Krankheit kein aktueller medizinischer Status bekannt, den man als Grundlage für eine für die Klägerin positiven Prognose heranziehen könnte. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der letzten hautärztlichen AU-Bescheinigung (29. März bis 9. April 2018) und dem Ausspruch der Kündigung rund 10 Tage später, gibt es nicht einmal einen ausreichend langen Zeitraum, von dem aus man möglicherweise indiziell auf eine Ausheilung oder jedenfalls auf einen erfolgreichen Abschluss der Behandlung hätte schließen können.
Zu ihrem Unfall hat die Klägerin keinerlei Einzelheiten vorgetragen. Es ist nicht vorgetragen, welche Verletzungsfolgen der Unfall hatte. Ebenso wenig ist der Zeitpunkt des Unfalls mitgeteilt. Schließlich fehlt es an einem medizinisch begründeten aktuellen Status zu den Unfallfolgen und dem Stand ihrer Ausheilung.
Vergleichbar oberflächlich sind die Einlassungen der Klägerin zu ihrem Schlaganfall geblieben. Insoweit ist nur bekannt, dass er sich Ende Oktober 2017 ereignet hatte. Es fehlt vollständig an einer Zuordnung von dazugehörenden Ausfallzeiten. Ebenso fehlt es an einer Darstellung, inwieweit der Schlaganfall ausgeheilt ist
bzw. inwieweit die Behandlung so angeschlagen hat, dass auf absehbare Zeit nicht mehr mit weiteren relevanten Ausfallzeiten zu rechnen ist.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Feststellung des Arbeitsgerichts, auch in Zukunft sei im Arbeitsverhältnis der Parteien mit erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen gewesen, den Angriffen der Berufung standhält. Das Berufungsgericht sieht sich nicht in der Lage, eine andere Feststellung zu treffen.
b)
Da nach Lage der Dinge auch in Zukunft im Arbeitsverhältnis der Parteien mit vergleichbar hohen Ausfallzeiten wie in der Vergangenheit zu rechnen gewesen wäre, ist es der Beklagten auch wirtschaftlich unzumutbar gewesen, weiter am Arbeitsverhältnis festzuhalten.
Die sogenannte wirtschaftliche Unzumutbarkeit ist gegeben, wenn die Entgeltfortzahlungskosten in der Prognose jährlich Zeiten von 42 Kalendertagen und mehr umfassen werden. Da die Klägerin keine ausreichenden Hinweise auf einen Rückgang ihrer Ausfallzeiten in der Zukunft gegeben hat (dazu oben unter a), ist mit zukünftigen Entgeltfortzahlungszeiten deutlich über 42 Kalendertagen pro Jahr zu rechnen. Wenn man die vergangenen Entgeltfortzahlungszeiten spiegelbildlich auf die Zukunft anwendet, ist sogar von Entgeltfortzahlungszeiten im Umfang von mehr als 100 Kalendertagen im Jahr auszugehen. Die Klägerin ist jedenfalls der Behauptung der Beklagten, dass sämtliche Ausfallzeiten seit 2016 mit der Pflicht der Beklagten zur Entgeltfortzahlung belegt waren, nicht entgegengetreten. Diese Behauptung gilt daher als prozessual unstreitig.
c)
Soweit aufgrund des spärlichen Parteivortrags das Gericht überhaupt in die Lage ist, eine Interessenabwägung vorzunehmen, fällt diese nicht zu Gunsten der Klägerin aus.
aa)
Es kann nicht festgestellt werden, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, durch eine Versetzung der Klägerin auf einen anderen Arbeitsplatz dazu beizutragen, dass die Anzahl der Ausfalltage zukünftig geringer ausfallen wird.
Eine dementsprechende Rüge hat die Klägerin nicht einmal vorgebracht. Allein der Umstand, dass die Klägerin lange vor Ausspruch der Kündigung bei der Pflegedienstleitung einmal den Wunsch angemeldet hatte, zukünftig als zusätzliche Betreuungskraft eingesetzt zu werden, veranlasst das Gericht, diesen Gesichtspunkt einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Insoweit fehlt es aber schon an Parteivortrag dazu, ob die Klägerin auch noch im April 2018 bei Ausspruch der Kündigung dies als einen für sie besser passenden Arbeitsplatz angesehen hatte und sie sich auch zu diesem Zeitpunkt noch zugetraut hatte, einen solchen Arbeitsplatz zu übernehmen.
Das Gericht kann nicht erkennen, aufgrund welcher Indizien man davon ausgehen könnte, dass nach einer solchen Versetzung die Anzahl der Ausfalltage geringer werden könnte. Allenfalls kann sich das Gericht vorstellen, dass Personalausfälle im Bereich der zusätzlichen Betreuungskräfte für die Beklagte einfacher zu verkraften sind als im Bereich des Pflegedienstes. Das würde aber nichts an dem Problem des unzumutbar hohen Umfangs der Ausfallzeiten ändern.
Die Einlassungen der Klägerin zu der behaupteten Unzumutbarkeit der Arbeitsbedingungen im Pflegedienst hält das Gericht ebenfalls nicht für ausreichend für die Annahme, dass die Ausfallzeiten im Bereich der zusätzlichen Betreuungskräfte geringer ausfallen würden.
Zunächst ist festzustellen, dass die Behauptung der Klägerin, sie werde über das vertraglich vereinbarte Maß der Teilzeitarbeit (25 Stunden in der Woche) zur Arbeit herangezogen, für das Gericht nicht nachvollziehbar ist. Da in dem Haus, in dem die Klägerin eingesetzt war, rund um die Uhr im Schichtdienst gearbeitet wird, konnte und durfte sie nicht davon ausgehen, dass sie an fünf Tagen in der Woche je fünf Stunden zur Arbeit herangezogen wird. Da die Schichten aufeinander abgestimmt sein müssen, konnte und durfte sie auch nicht davon ausgehen, dass sie an ihren Einsatztagen nur jeweils 5 Stunden zu arbeiten hat. Vielmehr hat die Beklagte mit Recht darauf bestanden, dass auch die Klägerin ganze Schichten versieht, was sich dann durch Freizeitgewährung zu anderen Zeiten ausgeglichen hat. Es ist auch nicht erkennbar geworden, dass die Klägerin über ihre Einteilung im Dienstplan hinaus unverhältnismäßig intensiv zur Arbeit herangezogen wurde. Nach von der Klägerin unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beklagten hat sich zwar das Stundenkonto der Klägerin quasi dauerhaft im Plus befunden. Die geringe Schwankungsbreite der Monatsabschlusssalden des Stundenkontos (maximal 10 Stunden) deuten aber darauf hin, dass die Klägerin sich zunächst einmal ein Plus an Stunden erarbeitet hatte und dann monatlich allenfalls noch wenige Stunden außerhalb des Dienstplans abzuleisten waren. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass dieses unauffällige Ausmaß an Überstunden im Bereich der zusätzlichen Betreuungskräfte mit Sicherheit nicht anfallen würde.
bb)
Das Gericht kann und möchte nicht ausschließen, dass man für die gesundheitlichen Probleme der Klägerin und vielleicht auch für die von ihr empfundene Überforderung am Arbeitsplatz im Pflegedienst bei einer intensiven Beschäftigung mit der Klägerin und ihrem Arbeitsumfeld eine Lösung hätte finden können, die die Aufkündigung der Zusammenarbeit seitens der Beklagten überflüssig gemacht hätte. Der Platz für eine solche eingehende Betrachtung aller Sorgen der Klägerin wäre das betriebliche Eingliederungsmanagement gewesen. Die Beklagte hat ihr dafür ein ordentliches Angebot gemacht, das die Klägerin allerdings abgelehnt hatte.
Bei dieser Sachlage ist die bloße Behauptung der Beklagten, man hätte die Klägerin nicht anders einsetzen können, zulässig. Sie ist von der Klägerin auch nicht durch geeigneten Parteivortrag zu ihren zukünftigen Einsatzmöglichkeiten in Frage gestellt worden.
cc)
Selbst wenn man die vertragsferneren Gesichtspunkte in die Interessenabwägung mit einbezieht, ergeben sich keine Gesichtspunkte, mit denen man ein Überwiegen der Interessen der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses begründen könnte.
Zum einen wirkt sich der nicht ausreichend konkrete klägerische Vortrag zu ihrem aktuellen Status bezüglich ihrer benannten Krankheiten (schwere Hauterkrankung, Schlaganfall, Unfallfolgen) auch hier zu ihren Lasten aus. Es ist nicht erkennbar geworden, dass sich die krankheitsbedingten Ausfallzeiten, wenn die Beklagte nur etwas mehr Geduld aufgebracht hätte, alsbald verbessert hätten.
Auch die Belastung der Klägerin durch den Unterhalt und die Erziehung ihres Kindes vermögen ein anderes Ergebnis im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu begründen. Geht man von der Papierform aus, ist die Klägerin zwar alleinerziehend, was in der Interessenabwägung zu ihren Gunsten Berücksichtigung finden könnte. Da das Alter des Kindes hier nicht bekannt ist, ist das Gericht allerdings nicht in der Lage, belastbare Feststellungen zu dem Ausmaß der klägerischen Belastungen aus diesem Bereich zu treffen. Erst recht ist es aus diesem Grunde nicht möglich, dieses Interesse mit dem Beklagteninteresse an einer Mitarbeiterin mit weniger Ausfallzeiten abzuwägen.
Auch aus der Dauer der Zusammenarbeit der Parteien ergibt sich kein Anlass, von der Beklagten eine besondere Rücksichtnahme auf die klägerischen Interessen am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu fordern. Erst dann, wenn die Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien in guten wie in schlechten Zeiten ausgesprochen lang angedauert hat, kann man als Gericht vom Arbeitgeber verlangen, dass er in einer Krisensituation seiner Arbeitnehmerin in besonderem Maße Rücksicht nimmt und eine an sich mögliche Kündigung in Hinblick auf die langen Jahre der Zusammenarbeit dauerhaft oder jedenfalls für einen begrenzten Zeitraum zurückstellt. Eine solche Situation ist bei einer rund sechsjährigen Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nicht gegeben.
II.
Die Kündigung ist auch nicht aus sonstigen Gründen unwirksam. Die Kündigung ist insbesondere nicht aufgrund der seit dem 22. Oktober 2018 mit Rückwirkung ab dem 23. Januar 2018 anerkannten Schwerbehinderung der Klägerin unwirksam.
Es steht außer Frage, dass die streitgegenständliche Kündigung aus April 2018 aufgrund des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2018 zu ihrer Wirksamkeit an sich der vorausgehenden Zustimmung des Integrationsamtes bedurft hätte (
§ 168 SGB IX). Der Klägerin ist es allerdings nach Treu und Glauben (§ 242
BGB) verwehrt, sich auf diesen Unwirksamkeitsgesichtspunkt zu berufen. Sie hat dieses Recht dadurch verwirkt, dass sie die Beklagte nicht rechtzeitig vorgerichtlich oder jedenfalls mit Erhebung der Kündigungsschutzklage auf das laufende Antragsverfahren hingewiesen hat.
Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens - wie hier - rechtzeitig einen entsprechenden Antrag gestellt, steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach §§ 168 ff
SGB IX auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung keine Kenntnis hatte (
BAG 22. September 2016 -
2 AZR 700/15 - AP
Nr. 14 zu § 85
SGB IX = NJW 2017, 684 mit Nachweisen zur älteren Rechtsprechung). Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung oder eine rechtzeitige Antragstellung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung (§ 242
BGB). Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird verhindert, formal bestehende Rechte illoyal verspätet geltend machen zu können. Dies ist mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz eines Arbeitnehmers nach §§ 168 ff
SGB IX der Fall, wenn der Arbeitgeber von der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch keine Kenntnis hatte und der Arbeitnehmer sich erst nach Ablauf einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft beruft (
BAG 22. September 2016 aaO).
Als Maßstab für die Rechtzeitigkeit der Geltendmachung der Rüge der Schwerbehinderung ist von der Drei-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage aus
§ 4 Satz 1 KSchG auszugehen (
BAG 22. September 2016 aaO;
BAG 24. September 2015 -
2 AZR 347/14 - AP
Nr. 83 zu § 4
KSchG 1969 = NJW 2016, 1195). Binnen dieser Frist muss der Arbeitnehmer entscheiden, ob er gegen die Kündigung vorgehen will. Dieser Zeitraum steht ihm deshalb grundsätzlich auch für die Entscheidung zur Verfügung, ob er sich auf eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwerbehinderteneigenschaft oder ein diesbezügliches Antragsverfahren berufen möchte. Diese Drei-Wochen-Frist ist nach der zitierten Rechtsprechung allerdings keine starre Höchstfrist. Vielmehr ist diese Frist, um die Anzahl der Tage zu erhöhen, die man üblicherweise zur Übermittlung dieser Information an den Arbeitgeber veranschlagen muss. Welchen Umfang dieser Aufschlag auf die Regelfrist allgemein oder im konkreten Einzelfall hier hat, kann dahinstehen. Es kann großzügig zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass diese Zusatz-Frist nochmals zwei Wochen umfasst.
Angesichts der am 24. April 2018 zugegangenen Kündigung war die angemessene Frist, innerhalb derer die Klägerin der Beklagten Mitteilung über das laufende Antragsverfahren hätte geben müssen, allerspätestens Ende Mai 2018 abgelaufen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte bis zu diesem großzügig gewählten Zeitpunkt Kenntnis von dem Antrag der Klägerin auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch erlangt hat. Die Beklagte hat mitgeteilt, sie hätte diese Kenntnis erst mit der klägerischen Mail vom 2. November 2018 erhalten. Der Klägerin ist es nicht gelungen, einen früheren Zeitpunkt für die Kenntnis der Beklagten, der noch innerhalb der angemessenen Frist nach Ausspruch der Kündigung liegt, vorzutragen. Die Behauptung der Beklagten gilt daher prozessual als zugestanden.
Die Klägerin hat daher ihr Recht, sich auf ihre zum Zeitpunkt der Kündigung kraft der Rückwirkung des Widerspruchsbescheides anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen, verwirkt.
III.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist § 97
ZPO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72
ArbGG sind nicht erfüllt.