I.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
1. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.10.2019 wird das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit Wirkung zum 30.04.2020 auflösen. Die Kündigung ist bereits nach
§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam. Zudem ist die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt im Sinne von
§ 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 KSchG und auch daher unwirksam.
a) Die Kündigung ist bereits nach § 102
Abs. 1 Satz 2
BetrVG unwirksam, weil die Beklagte in der Betriebsratsanhörung eine objektiv unrichtige Anzahl an Unterhaltspflichten angegeben hat, obwohl ihr die korrekten Daten bekannt waren.
aa) Nach § 102
Abs. 1 Satz 2
BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat grundsätzlich diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (subjektive Determinierung). Diesen Kündigungssachverhalt muss er in der Regel unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (
BAG 17.01.2008 - 2 AZR 405/06 - Rn. 25).
Bei einer krankheitsbedingten Kündigung sind im Rahmen der Interessenabwägung die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers von den Gerichten (und damit auch vom Arbeitgeber) stets zu berücksichtigen. Ist die danach eigentlich erforderliche Mitteilung der Unterhaltsverpflichtungen unterblieben oder unrichtig erfolgt, kann sich der Betriebsrat von dem Kündigungsgrund nicht das erforderliche "Bild" machen, die Kündigung ist nach § 102
Abs. 1 Satz 2
BetrVG unwirksam (
LAG Berlin-Brandenburg 09.12.2009 -
15 Sa 1769/09 - Rn. 23). Der Grundsatz der subjektiven Determinierung ist insoweit eingeschränkt. Allerdings ist der Arbeitgeber nur zur Angabe der ihm bekannten Daten verpflichtet, eine weitergehende Nachforschungspflicht hat er nicht. Die Anhörung ist daher nicht unwirksam, wenn der Arbeitgeber seine Kündigungsabsicht für den Betriebsrat erkennbar auf die (objektiv unrichtigen) Angaben etwa in der Lohnsteuerkarte stützt und er diesem die dort enthaltenen Angaben mitteilt (zum Ganzen APS/Koch, 5. Aufl. 2017,
BetrVG § 102 Rn. 94 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird die Unterrichtung des Betriebsrats im vorliegenden Fall nicht gerecht. Die Beklagte hat die Unterhaltspflichten der Klägerin falsch angegeben, obwohl ihr die richtige Kinderzahl bekannt war.
Unstreitig hat die Klägerin zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Nachdem die Beklagte im Schriftsatz vom 23.12.2019 noch behauptet hatte, nach ihren Informationen habe die Klägerin ein Kind, hat sie bereits im Schriftsatz vom 07.02.2020 ausgeführt, die Klägerin sei alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. In der Kammerverhandlung am 12.02.2020 hat die Beklagtenvertreterin ebenfalls eingeräumt, sie gehe von zwei unterhaltsberechtigten Kindern aus, die Angabe in der Betriebsratsanhörung sei ein Versehen.
Es ist zudem von der Beklagten nicht vorgetragen - und aus den Akten auch ansonsten nicht ersichtlich -, dass die Beklagte sich auf unrichtige Angaben etwa in der Lohnsteuerkarte oder gar auf falsche Angaben der Klägerin selbst gestützt hätte. Im Gegenteil zeigt die Angabe in den Lohnabrechnungen "Sozialzuschlag für 2 Kinder", dass der Beklagten die tatsächliche Kinderzahl der Klägerin bekannt war.
Unter diesen Umständen bewirkt die unrichtige Angabe der Anzahl der Unterhaltspflichten die Fehlerhaftigkeit der Betriebsratsanhörung und damit die Unwirksamkeit der Kündigung.
Die Kündigung ist zudem nicht sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1
Abs. 1
i.V.m. Abs. 2
KSchG.
aa) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Klägerin ist länger als sechs Monate bei der Beklagten tätig (§ 1
Abs. 1
KSchG), bei der Beklagten sind in der Regel mehr als zehn vollzeittätige Arbeitnehmer iSd.
§ 23 Abs. 1 Satz 3 iVm. Satz 4 KSchG beschäftigt.
bb) Die Kündigung ist nicht aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
Eine mit häufigen (Kurz-)Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen - erheblichen - Umfang kommen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen - zweite Stufe. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in Entgeltfortzahlungskosten liegen, wenn diese für einen Zeitraum von mehrmals sechs Wochenjährlich zu erwarten sind. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müssen (
BAG 16.07.2015 -
2 AZR 15/15 -, BAGE 152, 118 ff, Rn. 29). Auf der dritten Stufe ist dabei auch zu prüfen, ob im Kündigungszeitpunkt ein milderes Mittel als die Kündigung existierte, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht "bedingt", wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (
BAG 19.04.2007 -
2 AZR 239/06 - Rn 24). Neben der Umgestaltung des Arbeitsplatzes kommt die Weiterbeschäftigung auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz als milderes Mittel in Betracht, um so Fehlzeiten zu reduzieren (
BAG 20.11.2014 -
2 AZR 755/13 -).
Es kann in Anwendung dieser Grundsätze dahinstehen, ob die ersten beiden Stufen erfüllt sind. Jedenfalls ist eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes dergestalt möglich, dass die Klägerin in einen E-Trike-Zustellbezirk versetzt werden könnte.
(a) Im vorliegenden Fall hat ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit einem positiven Ergebnis stattgefunden. Laut Protokoll vom 01.04.2019 (Bl. 29 der Akte) sollte die Klägerin, wenn sich ihr Gesundheitszustand trotz neuem Arbeitszeitmodell nicht ändert, in einen Briefzustellbezirk mit E-Bike oder E-Trike umgesetzt werden. Bereits im BEM-Gespräch am 22.04.2016 war diese Möglichkeit aufgezeigt worden. Auch die postbetriebsärztlichen Untersuchungen vom 01.06.2016 und 08.05.2018 empfahlen dies bereits. Damit bestand sowohl aus ärztlicher Sicht als auch aus Sicht der Beklagten bei Umgestaltung des Arbeitsplatzes
bzw. Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz die Aussicht, dass sich die Fehlzeiten der Klägerin künftig reduzieren.
(b) Hat ein betriebliches Eingliederungsmanagement mit positivem Ergebnis stattgefunden, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die betreffende Empfehlung umzusetzen. Kündigt er, ohne das versucht zu haben, muss er darlegen, warum die Maßnahme entweder undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung nicht zu einer Reduzierung der Ausfallzeiten geführt hätte (
LAG Schleswig-Holstein 11.04.2018 -
6 Sa 361/17 - Rn. 54 ff; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch/Linck 8 131 Rn 9).
(c) Beides ist vorliegend nicht erkennbar. Die Beklagte hat lediglich ausgeführt, der Klägerin hätte kein E-Trike im Jahr 2016 zur Verfügung gestellt werden können (warum nicht?). Zudem habe die Klägerin in dem Verbundzustellbezirk ihrer Wohnung beschäftigt werden wollen.
Beides entbindet die Beklagte nicht davon, vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nach über 20 Jahren Betriebszugehörigkeit die Umgestaltung des Arbeitsplatzes
bzw. die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz anzustreben und durchzusetzen. Eine Undurchführbarkeit der im BEM-Gespräch avisierten Maßnahme liegt nicht vor.
Zudem ist von der Beklagten nicht vorgetragen - und auch sonst nicht erkennbar -, dass es selbst bei einer Umsetzung zu keiner Reduzierung der Ausfallzeiten gekommen wäre. Im Gegenteil spricht der Umstand, dass die Klägerin zuletzt primär Probleme mit den Füßen, Knöcheln sowie Knien hatte dafür, dass durch die geringere oder jedenfalls andersartige Beanspruchung dieser Körperbereiche bei der E-Trike-Zustellung im Vergleich zur Verbundzustellung eine Besserung des Gesundheitszustands erwartet werden konnte.
(3) Damit kann schließlich dahinstehen, wie es sich auswirkt, dass die Beklagte trotz des Umstands, dass die Klägerin nach dem BEM-Gespräch am 01.04.2019 bis zum Kündigungszeitpunkt wiederum mehr als sechs Wochenarbeitsunfähig erkrankt war, kein erneutes BEM-Verfahren einleitete (für die Erforderlichkeit eines neuen Verfahrens in diesem Fall, siehe
LAG Schleswig-Holstein 03.06.2015 -
6 Sa 396/14, Rn. 112 f,
vgl. auch Sasse ArbRB 2017, 173).
2. Der zulässige Weiterbeschäftigungsantrag ist ebenfalls begründet.
Ein Weiterbeschäftigungsanspruch besteht, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiter zu beschäftigen (
LAG Baden-Württemberg 20.12.2018 - 17 Sa 11/13).
Derartige Umstände sind nicht vorgetragen und auch ansonsten nicht ersichtlich. Die Klägerin kann wegen der Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung daher verlangen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Zustellerin weiterbeschäftigt zu werden.
II.
Die Kosten des Verfahrens waren der Beklagten als unterliegende Partei gemäß §§ 46
Abs. 2
ArbGG, 91
Abs. 1
ZPO aufzuerlegen.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ergibt sich aus §§ 61
Abs. 1
ArbGG, 3
ff. ZPO.
Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 64
Abs. 3a Satz 1
ArbGG. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes zulässig ist, war keine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß §§ 64
Abs. 2 a),
Abs. 3
ArbGG veranlasst.