Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sowie über Entgeltfortzahlung für Juni 2020.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten, der eine ... betreibt, geringfügig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde ab dem 01.04.2001 zunächst über den Namen ihrer Tochter abgewickelt, seit dem 01.06.2010 dann über ihren eigenen.
Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, da es sich um einen Kleinbetrieb handelt. Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70.
Mit Schreiben vom 29.04.2020 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich zum 31.07.2020. Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie (Bl. 5 GA) verwiesen. Zuvor hatte das Inklusionsamt mit Entscheidung vom 27.04.2020 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung erteilt. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin unter dem 19.05.2020 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde.
Die Klägerin war vom 17.04.2020 bis zum 28.05.2020 sowie vom 02.06.2020 bis zum 10.07.2020 arbeitsunfähig. Wegen der Einzelheiten der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Kopien (Bl. 27 und 28 GA) verwiesen. Im Monat Juni überwies der Beklagte als Vergütung lediglich 15
EUR statt 450
EUR.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Kündigung treuwidrig sei. Für die Berechnung der Kündigungsfrist sei die Beschäftigung seit dem 01.04.2001 maßgeblich. Sie bestreitet, dass sich die Agentur des Beklagten in einer ernsten wirtschaftlichen Situation befindet und aufgrund der Covid-19-Krise die Zahl der Aufträge zurückgehe.
Sie ist der Ansicht, dass sie Entgeltfortzahlung für den Juni 2020 zustehe, da es sich bei den 2 Arbeitsunfähigkeitszeiträumen nicht um eine Fortsetzungserkrankung gehandelt habe.
Die Klägerin,
1. festzustellen, dass es Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 29.04.2020 nicht beendet worden ist.
2. Festzustellen, dass das Arbeitsfeld der Parteien auch nicht aus anderen Gründen sein Ende gefunden hat, sondern über den 31.07.2020 hinaus ungekündigt fortbesteht.
3. Den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 435
EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten Basiszinssatz seit dem ersten zahlen.
Der Beklagte beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass die Beschäftigung erst ab dem 01.06.2010 für die Berechnung der Kündigungsfrist der Klägerin gelte. Er habe damals die Tochter der Klägerin auf deren Bitte hin angestellt, da die Klägerin selbst aufgrund einer Erwerbsunfähigkeitsrente keinen zusätzlichen Verdienst erzielen durfte. Die Klägerin hat jedoch unstreitig die Arbeitsleistung erbracht.
Der Beklagte bestreitet, dass es sich bei den Krankschreibungen April und Juni um unterschiedlichen Krankheiten im Sinne des Gesetzes gehandelt habe. Die Erkrankungen sein nur durch Urlaub unterbrochen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen worden sind, Bezug genommen.
Die Klage ist überwiegend zulässig und teilweise begründet.
I. Der Klageantrag zu 2) ist unzulässig.
Für diesen sogenannten "allgemeinen Fortbestandsantrag" oder "Schleppnetzantrag" fehlt nämlich gemäß § 46
Abs. 2
ArbGG i.V.m. § 256
Abs. 1
ZPO zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung das erforderliche Feststellungsinteresse.
Das Feststellungsinteresse besteht nicht schon deshalb, weil eine bestimmt bezeichnete Kündigung ausgesprochen wurde und wegen dieser ein Kündigungsrechtsstreit anhängig ist. Es ist vielmehr erforderlich, dass der klagende Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag angeblich weitere Kündigungen oder Beendigungsgründe in den Prozess einführt oder wenigstens deren Möglichkeit glaubhaft macht und damit belegt, warum dieser, die Klage nach
§ 4 KSchG erweiternde Antrag - noch dazu alsbald - gerechtfertigt sein soll (
vgl. BAG v. 27.01.1994 -2 AZR 484/93-;
LAG Hamm v. 19.09.2009 -19 Sa 555/09-; ErfK/Kiel, § 4
KSchG Rn. 37). Vorliegend hat keine Partei Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf weitere Beendigungstatbestände zulassen.
II. Die Klage ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis konnte wirksam erst zum 31.10.2019 gekündigt werden.
a. Die nach
§ 168 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes liegt vor.
b. Die Kündigung verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242
BGB). Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz unstreitig keine Anwendung, da der Beklagte nicht die nach
§ 23 KSchG erforderlich Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt.
Die Klägerin hat die Treuwidrigkeit der Kündigung nicht unter Beweis gestellt.
Der in § 242
BGB niedergelegte Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung unzulässig (
BAG 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - Rn. 15, zitiert nach juris).
a.) Die Vorschrift des § 242
BGB ist auf Kündigungen neben
§ 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb in der Regel nur dann gegen § 242
BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1
KSchG nicht erfasst sind (
BAG 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - Rn. 16, aaO). Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zB vor Diskriminierungen iSv.
Art. 3
Abs. 3
GG. Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (
BAG 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - Rn. 17, aaO).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Mai 2019 - 6 Sa 21/19 -, Rn. 37 - 39, juris). Allerdings ist der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht zu gewährleisten. Deshalb gelten insoweit die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, der die Gründe, die zu seiner Kündigung geführt haben, oft nicht kennt, nur einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242
BGB indiziert. (
BAG 28. März 2003 - 2 AZR 333/02 - Rn. 21, aaO;
BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 15/00 - Rn. 35, zitiert nach juris; Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Mai 2019 - 6 Sa 21/19 -, Rn. 40, juris).
Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag zur Treuwidrigkeit der Kündigung. Die Klägerin behauptet lediglich, dass die wirtschaftlichen Gründe für die Kündigung nur vorgeschoben seien. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass sich die Agentur in einer wirtschaftlichen ernsten Situation befindet und dass die Auftragslage eingebrochen ist
bzw. ein Einbruch zu befürchten sei. Bei all diesen Einwänden handelt es sich um solche, die einen irgendwie einleuchtenden Grund für eine Kündigung darstellen können. Bei dieser Begründung handelt sich es sich zudem um betriebsbedingte Gründe, die ein Kündigungsgrund nach § 1 keine Schutzgesetz darstellen könnten. Es wäre insoweit Sache der Klägerin gewesen, konkret darzulegen und zu beweisen, dass diese wirtschaftlichen Hintergründe nicht zur Kündigung geführt haben und welche anderen Kündigungsgründe den Ausschlag für die Kündigung gegeben haben, welche nicht von § 1
KSchG erfasst werden. Das bloße Bestreiten der wirtschaftliche Ursachen für eine Kündigung genügt diesen Anforderungen nicht. Dies würde zu einer Darlegungs- und Beweislast des Beklagten für, die außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes gerade nicht gegeben ist.
c. Das Arbeitsverhältnis konnte jedoch erst zum 31.10.2020 gemäß § 622
Abs. 2
Nr. 6
BGB beendet werden. Die Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 01.04.2001 beschäftigt und damit mehr als 15 Jahre, so dass die Kündigungsfrist sechs Monate beträgt. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch § 622
Abs. 1
S. 1
BGB knüpft an die Beschäftigungsdauer und damit die Betriebszugehörigkeit an (
BAG NZA 2014, 1400 Rn. 10, beck-online). Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Arbeitsvertrag ursprünglich mit der Tochter der Klägerin abgeschlossen wurde, da unstreitig allein die Klägerin die Arbeitsleistung erbracht hat und damit seit 2001 betriebszugehörig ist.
III. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den 02.- 30. Juni 2020 in Höhe von 435,00
EUR aus § 3
Abs. 1 EFZG.
Erkrankt der Arbeitnehmer nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erneut, kommt es für das Entstehen eines weiteren Anspruchs und dessen Berechnung darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht oder ob dieselbe Krankheit Auslöser für die Arbeitsverhinderung ist. Im ersten Fall greift keine gesetzliche Anspruchsbegrenzung ein. Wechseln die Krankheiten, entsteht grundsätzlich für jede Arbeitsunfähigkeitsperiode ein voller Entgeltfortzahlungsanspruch neu. Die gesetzliche Regelung des § 3
Abs. 1
S. 2 EFZG betrifft allein den zweiten Fall (MüKoBGB/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, EFZG § 3 Rn. 60).
Für das Vorliegen einer den Anspruch ausschließenden Fortsetzungserkrankung ist der Arbeitgeber darlegungspflichtig (MüKoBGB/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, EFZG § 3 Rn. 87). Hierzu ist er zwar kaum in der Lage, weil er über die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht unterrichtet wird. Dieser Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen wird von der Rechtsprechung bei der Verteilung der Darlegungslast zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung Rechnung getragen. Danach muss der Arbeitnehmer darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen (zweiten) Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen (MüKoBGB/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, EFZG § 3 Rn. 87,
BAG Urteil vom 13.07.2005 - 5 AZR 389/04).
Die Klägerin hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum 17.04.2020 bis 28.05.2020 und 02.06.2020 bis 10.07.2020 vorgelegt. Die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weist den
ICD 10 Code F 48.0 G aus, welcher als Neurasthenie definiert ist, die unter Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen fällt. Die weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verweist dagegen auf Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems (M54.12 : Rückenschmerzen; M 17.9 Kniegelenksathrose, Schulter-Arm-Syndrom rechts). Dass hierdurch eine Fortsetzungserkrankung vorliegt, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Die erste Diagnose bezieht sich auf den neurologischen Bereich, während die zweite Diagnose sich auf den Bewegungsapparat bezieht. Die Klägerin hat damit ihre Darlegungsanforderungen genügt. Vor diesem Hintergrund hätte nunmehr der Arbeitgeber darlegen müssen, weshalb er von einer Fortsetzungserkrankung ausgeht
bzw. die neue Erkrankung bestreiten müssen. Beides tut er nicht, so dass er seiner Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288, 247
BGB.
IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 46
Abs. 2
ArbGG i.V.m. § 92
Abs. 1
ZPO. Der Streitwert war gemäß § 61
ArbGG im Urteil festzusetzen und entspricht drei Bruttomonatsgehältern für den Feststellungsantrag gemäß § 42
Abs. 2 GKG und dem bezifferten Zahlungsantrag.