Die Erwägungsgründe 16, 17, 20 und 21 der Richtlinie 2000/78 lauten:
„(16) Maßnahmen, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen, spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung.
(17) Mit dieser Richtlinie wird unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist.
…
(20) Es sollten geeignete Maßnahmen vorgesehen werden,
d. h. wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten,
z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen.
(21) Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sollten insbesondere der mit ihnen verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.“
Art. 3 („Geltungsbereich“)
Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Im Rahmen der auf die [Europäische Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf
a) die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;
b) den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung, einschließlich der praktischen Berufserfahrung;
c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;
…“
Art. 5 („Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“) der Richtlinie lautet:
„Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird.“
Belgisches Recht:
Die Loi du 10 mai 2007 tendant à lutter contre certaines formes de discriminations (Gesetz vom 10. Mai 2007 zur Bekämpfung bestimmter Formen von Diskriminierung), mit der die Richtlinie 2000/78 in belgisches Recht umgesetzt wurde, verbietet unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund der in ihrem
Art. 4
Nr. 4 genannten geschützten Merkmale. Zu diesen Merkmalen zählen insbesondere der aktuelle und künftige Gesundheitszustand sowie eine Behinderung.
Nach
Art. 9 dieses Gesetzes stellt eine mittelbare Unterscheidung aufgrund einer Behinderung eine mittelbare Diskriminierung dar, sofern nicht nachgewiesen wird, dass keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden können. Nach
Art. 14 dieses Gesetzes ist jegliche Form einer Diskriminierung untersagt, wobei insbesondere die unmittelbare Diskriminierung, die mittelbare Diskriminierung und die Weigerung, zugunsten eines Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen, als Diskriminierung gelten.
Art. 4
Nr. 12 dieses Gesetzes definiert den Begriff „angemessene Vorkehrungen“ als sämtliche „geeignete Maßnahmen, die entsprechend den Erfordernissen in einer konkreten Situation getroffen werden, um einer Person mit einer Behinderung den Zugang, die Teilhabe und den Aufstieg in den Bereichen zu ermöglichen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet, es sei denn, diese Maßnahmen stellen für die Person, die sie ergreifen muss, eine unverhältnismäßige Belastung dar. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Politik durch für Menschen mit Behinderung geltende Maßnahmen ausreichend ausgeglichen wird.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage:
Der Kläger des Ausgangsverfahrens wurde von
HR Rail, einzige Arbeitgeberin der Bediensteten der belgischen Eisenbahn, als Facharbeiter für die Wartung und Instandhaltung der Schienenwege eingestellt. Am 21. November 2016 begann er seine Probezeit bei Infrabel, einer juristischen Person, die als „Infrastrukturbetreiberin“ der belgischen Eisenbahn fungiert. Im Lauf des Monats Dezember 2017 wurde beim Kläger des Ausgangsverfahrens eine Herzerkrankung diagnostiziert, die das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforderlich machte. Dieses Gerät reagiert empfindlich auf elektromagnetische Felder, die
u. a. in Gleisanlagen verbreitet auftreten. Da dieses medizinische Gerät nicht wiederholt elektromagnetischen Feldern ausgesetzt werden darf, mit denen ein Wartungs- und Instandhaltungsfacharbeiter auf Schienenwegen konfrontiert ist, konnte der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht länger die Aufgaben wahrnehmen, für die er ursprünglich eingestellt worden war.
Am 12. Juni 2018 wurde eine Behinderung des Klägers vom belgischen Service public fédéral Sécurité sociale (Föderaler öffentlicher Dienst Soziale Sicherheit) anerkannt.
Mit Entscheidung vom 28. Juni 2018 erklärte das mit der Beurteilung der medizinischen Eignung von statutarischen Bediensteten der belgischen Eisenbahn betraute Centre régional de la médecine de l’administration (Regionales Zentrum für Verwaltungsmedizin, Belgien) den Kläger des Ausgangsverfahrens für ungeeignet, die Funktionen, für die er eingestellt worden war, zu erfüllen (im Folgenden: streitige Entscheidung). Das Regionale Zentrum für Verwaltungsmedizin führte jedoch auch aus, dass er einen Arbeitsplatz einnehmen könne, der folgende Anforderungen erfülle: „durchschnittliche Aktivität, keine Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern, keine Arbeit in Höhenlage oder bei Vibrationen“.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens wurde daraufhin innerhalb desselben Unternehmens als Lagerist eingesetzt.
Am 1. Juli 2018 legte er gegen die streitige Entscheidung bei der Commission d’appel de la médecine de l’administration (Medizinische Berufungskommission der Verwaltung, Belgien) Beschwerde ein.
Am 19. Juli 2018 teilte
HR Rail dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit, dass er „individuelle Unterstützung erhalten werde, um bei
HR Rail eine neue Stelle zu finden“, und dass er zu diesem Zweck in Kürze zu einem Gespräch eingeladen werde.
Am 3. September 2018 bestätigte die Medizinische Berufungskommission der Verwaltung die streitige Entscheidung.
Am 26. September 2018 informierte der Leitende Berater – und zuständige Dienstleiter – den Kläger über seine Entlassung zum 30. September 2018, und zwar mit einem für die Dauer von fünf Jahren geltenden Verbot einer Wiedereinstellung in der Besoldungsgruppe, in der er eingestellt worden war.
Am 26. Oktober 2018 teilte der Generaldirektor von
HR Rail dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit, dass seine Probezeit gemäß der Satzung und der für die Bediensteten der belgischen Eisenbahn geltenden Regelung beendet worden sei, da es ihm endgültig völlig unmöglich sei, die Aufgaben, für die er eingestellt worden sei, zu erfüllen. Anders als für endgültig ernannte Bedienstete sei für Bedienstete in der Probezeit, bei denen eine Behinderung anerkannt werde und die daher nicht mehr in der Lage seien, ihre Tätigkeit auszuüben, keine Verwendung an einem anderen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens vorgesehen. Der Generaldirektor führte außerdem aus, dass das Schreiben, das dem Kläger eine „individualisierte Unterstützung“ in Aussicht gestellt habe, als gegenstandslos zu betrachten sei.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens erhob beim Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 26. September 2018, mit der er über seine Entlassung zum 30. September 2018 informiert wurde.
Das vorlegende Gericht legt dar, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens aufgrund seines Gesundheitszustands im Sinne des Gesetzes, mit dem die Richtlinie 2000/78 in belgisches Recht umgesetzt wird, als „behindert“ einzustufen sei. Allerdings werde die Frage, ob unter „angemessene Vorkehrungen“ im Sinne von
Art. 5 dieser Richtlinie auch die Möglichkeit zu verstehen sei, eine Person, die aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr in der Lage sei, die gleiche Tätigkeit auszuüben wie vor dem Eintritt ihrer Behinderung, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, in der nationalen Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt.
Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber verpflichtet ist, einer Person, die aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr in der Lage ist, die wesentlichen Funktionen ihres bisherigen Arbeitsplatzes zu erfüllen, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, für den sie die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist, sofern eine solche Maßnahme keine übermäßige Belastung für den Arbeitgeber darstellt?
Zur Vorlagefrage:
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ im Sinne dieses Artikels impliziert, dass ein Arbeitnehmer – und zwar auch derjenige, der nach seiner Einstellung eine Probezeit absolviert –, der aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt wurde, die wesentlichen Funktionen seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen Stelle einzusetzen ist, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist.
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich sowohl aus dem Titel und den Erwägungsgründen als auch aus dem Inhalt und der Zielsetzung der Richtlinie 2000/78 ergibt, dass diese einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder „in Beschäftigung und Beruf“ gleichbehandelt wird, indem sie dem Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem
Art. 1 genannten Gründe bietet, zu denen die Behinderung zählt (Urteil vom 15. Juli 2021, Tartu Vangla,
C-795/19,
EU:C:2021:606, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Diese Richtlinie konkretisiert in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in
Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot. Zudem sieht
Art. 26 der Charta vor, dass die Union den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung sowie ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkennt und achtet (Urteil vom 21. Oktober 2021, Komisia za zashtita ot diskriminatsia, C‑824/19,
EU:C:2021:862, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Zunächst ist zu prüfen, ob sich eine Person, der wie dem Kläger des Ausgangsverfahrens ein Herzschrittmacher eingesetzt werden musste, während sie eine auf die Einstellung durch ihren Arbeitgeber folgende Probezeit absolvierte, auf diese Richtlinie berufen kann, wenn es ihr aufgrund der Einsetzung des Herzschrittmachers unmöglich wurde, die Aufgaben, für die sie ursprünglich eingestellt worden war, weiterhin zu erfüllen, da das Gerät empfindlich auf elektromagnetische Felder reagiert, die in Gleisanlagen auftreten, was in weiterer Folge zu ihrer Entlassung führte.
Insoweit ergibt sich erstens aus
Art. 3
Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, dass diese für öffentliche und private Bereiche, einschließlich öffentliche Stellen gilt. Dass
HR Rail eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft ist, hindert den Kläger des Ausgangsverfahrens also nicht daran, sich ihr gegenüber auf diese Richtlinie zu berufen.
Zweitens gilt die Richtlinie gemäß ihrem
Art. 3
Abs. 1 Buchst. a und b in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit und den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass sie weit genug gefasst ist, um auf den Fall eines Arbeitnehmers anwendbar zu sein, der nach der Einstellung durch seinen Arbeitgeber zu Ausbildungszwecken eine Probezeit absolviert.
Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne von
Art. 45 AEUV, der dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2000/78 entspricht (
vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2017, Abercrombie & Fitch Italia, C‑143/16,
EU:C:2017:566, Rn. 19), auch Personen erfasst, die einen Vorbereitungsdienst ableisten oder in einem Beruf Ausbildungszeiten absolvieren, die als eine mit der eigentlichen Ausübung des betreffenden Berufs verbundene praktische Vorbereitung betrachtet werden können, wenn diese Zeiten unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis für einen Arbeitgeber nach dessen Weisung absolviert werden (Urteil vom 9. Juli 2015, Balkaya, C‑229/14,
EU:C:2015:455, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt, dass der Umstand, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens zum Zeitpunkt seiner Entlassung kein endgültig eingestellter Bediensteter war, nicht dazu führt, dass seine berufliche Situation vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ausgenommen ist.
Drittens ist unstreitig, dass beim Kläger des Ausgangsverfahrens eine „Behinderung“ im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78 vorliegt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff „Behinderung“ im Sinne dieser Richtlinie so zu verstehen, dass er eine Einschränkung von Fähigkeiten erfasst, die
u. a. auf langfristige physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die den Betreffenden in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben unter Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern hindern können (
vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, HK Danmark,
C-335/11 und
C-337/11,
EU:C:2013:222, Rn. 38, sowie vom 11. September 2019, Nobel Plastiques Ibérica,
C-397/18,
EU:C:2019:703, Rn. 41).
Im vorliegenden Fall leidet der Kläger des Ausgangsverfahrens an einem gesundheitlichen Problem, das das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforderlich machte. Ein Herzschrittmacher ist ein Gerät, das empfindlich auf elektromagnetische Felder reagiert, die
u. a. in Gleisanlagen auftreten, so dass der Kläger die wesentlichen Funktionen seines bisherigen Arbeitsplatzes nicht mehr erfüllen kann.
Folglich wird eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 erfasst.
Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Wortlaut von
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 im Licht ihrer Erwägungsgründe 20 und 21 ergibt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, geeignete Maßnahmen, also wirksame und praktikable Maßnahmen, zu ergreifen. Dabei ist jeweils die individuelle Situation zu berücksichtigen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, ohne den Arbeitgeber unverhältnismäßig zu belasten.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78 nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit dem VN-Übereinkommen auszulegen ist (Urteil vom 21. Oktober 2021, Komisia za zashtita ot diskriminatsia, C‑824/19,
EU:C:2021:862, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Gemäß
Art. 2
Abs. 3 dieses VN‑Übereinkommens umfasst die Diskriminierung aufgrund von Behinderung alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen.
Aus
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 ergibt sich, dass angemessene Vorkehrungen zu treffen sind, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten. Der Arbeitgeber hat also die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden ihn unverhältnismäßig belasten.
Was speziell den 20. Erwägungsgrund der Richtlinie betrifft, der auf geeignete Maßnahmen Bezug nimmt, darunter „wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten,
z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen“, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieser Erwägungsgrund eine nicht abschließende Aufzählung geeigneter Maßnahmen enthält, die die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation und/oder die Aus- und Fortbildung betreffen können, während die Definition des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ nach
Art. 5 der Richtlinie im Licht von
Art. 2
Abs. 4 des VN-Übereinkommens eine weite ist (
vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark, C‑335/11 und C‑337/11,
EU:C:2013:222, Rn. 49 und 53).
Wie der Generalanwalt in
Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nämlich die Bezugnahme im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 auf die Ausgestaltung des „Arbeitsplatzes“ dahin zu verstehen, dass der Vorrang dieser Ausgestaltung gegenüber anderen Maßnahmen zur Anpassung des Arbeitsumfelds der Person mit Behinderung hervorgehoben wird, mit denen ihr eine volle und wirksame Teilhabe am Berufsleben auf der Grundlage des Grundsatzes der Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern ermöglicht werden soll. Diese Maßnahmen können somit die Ergreifung von Maßnahmen durch den Arbeitgeber umfassen, die es dieser Person ermöglichen, ihre Beschäftigung zu behalten –
z. B. die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz.
Ferner konkretisiert – wie der Gerichtshof bereits entschieden hat – die Richtlinie 2000/78 in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in
Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot. Zudem sieht
Art. 26 der Charta vor, dass die Union den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung sowie ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkennt und achtet (
vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16,
EU:C:2018:257, Rn. 47, und vom 21. Oktober 2021, Komisia za zashtita ot diskriminatsia, C‑824/19,
EU:C:2021:862, Rn. 32 und 33).
Daher ist dem Generalanwalt in
Nr. 69 seiner Schlussanträge beizupflichten, dass es im Rahmen „angemessener Vorkehrungen“ im Sinne von
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 eine geeignete Maßnahme darstellen kann, einen Arbeitnehmer, der wegen des Entstehens einer Behinderung für seinen Arbeitsplatz endgültig ungeeignet geworden ist, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden.
Eine solche Auslegung ist mit diesem Begriff vereinbar, der dahin zu verstehen ist, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern (
vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark, C‑335/11 und C‑337/11,
EU:C:2013:222, Rn. 54).
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 den Arbeitgeber nicht dazu verpflichten kann, Maßnahmen zu ergreifen, die ihn „unverhältnismäßig belasten“. Aus dem 21. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt sich, dass bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, insbesondere der mit ihnen verbundene finanzielle Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden sollten.
Insoweit ist zu beachten, dass in einem Verfahren nach
Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Um diesem eine sachdienliche Antwort zu geben, kann ihm der Gerichtshof jedoch im Geist der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten alle Hinweise geben, die er für erforderlich hält (Urteil vom 11. April 2013, HK Danmark, C‑335/11 und C‑337/11,
EU:C:2013:222, Rn. 61 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Für diese Beurteilung kann der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand maßgeblich sein, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens, nachdem er für ungeeignet erklärt worden war, die Funktionen zu erfüllen, für die er eingestellt worden war, innerhalb desselben Unternehmens als Lagerist eingesetzt wurde.
Wie der Generalanwalt in
Nr. 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, setzt die Möglichkeit, eine Person mit Behinderung an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden, jedenfalls voraus, dass es zumindest eine freie Stelle gibt, die der betreffende Arbeitnehmer einnehmen kann.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass
Art. 5 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ im Sinne dieses Artikels impliziert, dass ein Arbeitnehmer – und zwar auch derjenige, der nach seiner Einstellung eine Probezeit absolviert –, der aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt wurde, die wesentlichen Funktionen seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen Stelle einzusetzen ist, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist, sofern der Arbeitgeber durch diese Maßnahme nicht unverhältnismäßig belastet wird.