Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung sowie um vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Die am 00.00.0000 geborene, ledige und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit dem 01.11.2006 als Verkäuferin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1 .803,00 Euro in einer der von der Beklagten betriebenen Drogerien in D. tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.
Seit dem 03.05.2019 ist die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beklagte lud die Klägerin jeweils erfolglos in den Jahren 2019 (Schreiben vom 03.07.2019; BI. 82 d.A.), 2020 und 2021 (Schreiben vom 05.07.2021, BI. 84 d.A.) zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement sowie mit weiteren Schreiben (u.a. vom 18.06.2019, 30.09.2021, 26.10.2021) zu Mitarbeiter-
bzw. Fürsorgegesprächen ein, die durch die Klägerin nicht wahrgenommen wurden
bzw. Corona-bedingt nicht stattfinden konnten. Die Einladungsschreiben zum betrieblichen Eingliederungsmanagement hatten folgenden Inhalt:
"Betriebliches Eingliederungsmanagement
Information zur Teilnahme
Sehr geehrte Frau ...,
wir möchten Ihnen anbieten, an unserem betrieblichen Eingliederungsmanagement teilzunehmen.
Aufgrund Ihrer Fehlzeiten in den letzten 12 Monaten werden Sie von unserem betrieblichen Eingliederungsmanagement erfasst. Über die gesetzlichen Regelungen möchten wir Sie gerne in unserem beiliegenden Informationsflyer zum Thema Betriebliches Eingliederungsmanagement informieren.
Durch ein frühzeitiges Zugehen auf erkrankte Mitarbeiter soll schnellstmöglich eventuellen gesundheitlichen Gefährdungen am Arbeitsplatz entgegengewirkt und eine erfolgreiche Eingliederung unterstützt werden. In einem Gespräch möchten wir gemeinsam mit Ihnen nach einer Möglichkeit suchen, wie Ihre Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann und welche geeigneten Maßnahmen vor oder bei der Wiederaufnahme Ihrer Arbeit vereinbart werden können, um einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen.
Die Teilnahme am Betrieblichen Eingliederungsmanagement ist freiwillig. Die Inhalte des betrieblichen Eingliederungsmanagement werden selbstverständlich vertraulich behandelt.
Bitte teilen Sie uns unter Verwendung des beigefügten Rückmeldebogens bis zum 20.07.2021 mit, ob Sie am betrieblichen Eingliederungsmanagement teilnehmen möchten oder ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht wünschen. Bei Zustimmung werden wir mit einem Terminvorschlag für ein erstes Gespräch auf Sie zukommen. Sollten wir keine Rückantwort von Ihnen erhalten, gehen wir davon aus, dass Sie nicht an unserem betrieblichen Eingliederungsmanagement teilnehmen möchten.
Wir stehen Ihnen gerne für Rückfragen und weitere Auskünfte zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
[...]"
Am 06.01.2020 suchte die Klägerin auf Einladung der Beklagten den Betriebsarzt auf. Aus dem Bericht des Betriebsarztes ging hervor, dass die Klägerin sich zum damaligen Zeitpunkt noch in ärztlicher Behandlung befand, jedoch in absehbarer Zeit mit einer Aufnahme ihrer Tätigkeit zu rechnen sei. Mit Schreiben vom 04.02.2022 forderte die Beklagte die Klägerin auf, selbstständig im Rahmen ihrer vertraglichen Mitwirkungspflicht nach §13 ihres Arbeitsvertrages einen Termin beim Betriebsarzt zu machen. In der Folge kam es zu einer Terminvereinbarung. Die Klägerin sagte diesen aus gesundheitlichen Gründen ab. Ein Nachholtermin wurde nicht vereinbart.
Mit Bescheid vom 25.04.2022 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund die Integrationsmaßnahme Teamwork als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, welche in der Zeit vom 01.07.2022 bis 30.06.2023 in der Einrichtung ,,..." in D. stattfindet.
Mit Schreiben vom 05.05.2022 hörte die Beklagte den bei ihre gebildeten und für die Verkaufsstelle der Klägerin zuständigen Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin an. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage B1 zum Klageerwiderungsschriftsatz der Beklagten vom 27.07.2022 (BI. 78 bis 84 d.A.) Bezug genommen. Mit Schreiben von demselben Tag teilte der Betriebsrat mit, zur beabsichtigten Kündigung keine Stellungnahme abgeben zu wollen (Anlage B2 zum Klageerwiderungsschriftsatz vom 27.07.2022, BI. 97 d.A.). Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 13.05.2022, welches der Klägerin am 16.05.2022 zuging, das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2022.
Mit der am 02.06.2022 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen und der Beklagten am 09.06.2022 zugestellten Klage macht die Klägerin die Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung sowie ihre Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens geltend. Sie meint, die Kündigung sei unwirksam. Sie sei sozial nicht gerechtfertigt. Es lägen insbesondere keine krankheitsbedingten Gründe vor, die die Kündigung rechtfertigen könnten. Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten stünden im Zusammenhang mit der Herausforderung der vorübergehenden Ein-
bzw. Umgewöhnungen aufgrund der Geburt des letzten Kindes der Klägerin. Die Beschwerden seien nach Ansicht der die Klägerin behandelnden Ärzte jedoch soweit ausgeheilt, dass aus medizinischer Sicht weitere derartige krankheitsbedingte Ausfälle nach Abschluss der durch die Deutsche Rentenversicherung Bunde bewilligten Maßnahme nicht zu erwarten seien. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz werde durch die Kündigung nicht gewahrt. Die Klägerin sei in der Vergangenheit nicht ordnungsgemäß zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen worden. Die Einladungsschreiben genügten jeweils nicht den gesetzlichen Anforderungen bzgl. der Hinweispflicht auf die Verwendung und Verarbeitung der in diesem Zusammenhang erhobenen Daten der Arbeitnehmerin. Jedenfalls habe die Klägerin auch im Jahr 2022 vor Ausspruch der Kündigung nochmals zu einem bEM eingeladen werden müssen. Die Kündigung erweise sich auch als rechtsmissbräuchlich, da sie von der Beklagten ausgesprochen worden sei, nachdem die Klägerin sie über die bewilligte Rehabilitationsmaßnahme informiert habe. Die Beklagte habe zudem die sechsmonatige Kündigungsfrist nicht eingehalten. Eine Beendigung sei frühestens zum 30.11.2022 möglich.
Die Klägerin bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats mit Nichtwissen.
Nachdem die Beklagte im Kammertermin vom 27.09.2022 zu Protokoll erklärt hat, dass bis auf die streitgegenständliche Kündigung keine weiteren Beendigungstatbestände vorliegen, hat die Klägerin den allgemeinen Feststellungsantrag zurückgenommen und zuletzt beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 13.05.2022 nicht beendet wird.
2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Kündigung sei als krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Aufgrund der seit dem 03.05.2019 andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und der fehlenden Mitwirkung müsse die Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerin auch in Zukunft nicht in der Lage sein werde, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen und an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Es bestehe eine negative Zukunftsprognose. Auch nach Abwägung aller Gesichtspunkte, wie der langjährigen Betriebszugehörigkeit der Klägerin, habe sich die Beklagte dazu entschieden, dass bestehende Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß und fristgerecht unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Monatsende aus krankheitsbedingten Gründen zu beenden. Die Kündigung sei auch verhältnismäßig. Die Beklagte behauptet hierzu, sie habe erst durch den klägerischen Schriftsatz vom 29.08.2022 von der Reha-Maßnahme der Klägerin Kenntnis erlangt. Aus dieser ergebe sich zudem, dass sie bis Ende Juni 2023 arbeitsunfähig krank bleibe. Selbst bei Kenntnis von der Reha-Maßnahme wäre die Kündigung erklärt worden. Die bewilligte Maßnahme sei kein Grund, von der Kündigung Abstand zu nehmen, weil sowohl ihr Verlauf als auch ihr Ausgang ungewiss sei. Eine etwaige Fehlerhaftigkeit des Einladungsschreibens zum bEM sei unerheblich. Die Klägerin sei neben den Einladungen zu bEM-Gesprächen durch die Einladungsschreiben zu den Mitarbeiter- und Fürsorgegesprächen zur Kontaktaufnahme mit der Beklagten aufgefordert worden. Diese Angebote habe die Klägerin nicht angenommen und habe auch sonst keinen Kontakt mit der Beklagten aufgenommen. Die Klägerin habe ausreichende Möglichkeiten gehabt, ihre gesundheitlichen Einwände vor Ausspruch der Kündigung der Beklagten mitzuteilen. Diese habe sie nicht genutzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
I. Der Kündigungsschutzantrag ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 13.05.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Die Kündigung ist gemäß
§ 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie nicht gemäß § 1
Abs. 2
KSchG durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt ist.
1. Die Kündigung ist am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu prüfen, da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1
Abs. 1
KSchG) und die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (
§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG).
Die Kündigung gilt nicht gemäß
§§ 7,
4 S. 1 KSchG als wirksam. Die Klägerin hat ihre Kündigungsschutzklage am 02.06.2022 durch Zustellung an die Beklagte am 09.06.2022 gemäß § 46
Abs. 2 Satz 1
ArbGG, 167
ZPO rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 16.05.2022 erhoben.
2. Die Kündigung ist nicht aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, denn sie ist zum maßgeblichen Zeitpunkt ihres Zugangs jedenfalls unverhältnismäßig.
a. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung, die auf eine lang anhaltende Erkrankung gestützt wird, ist in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst - erste Stufe - ist eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Bezogen auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen ferner - zweite Stufe - zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Schließlich muss - dritte Stufe - eine vorzunehmende Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Betastung des Arbeitgebers führen (st. Rspr,
vgl. (
BAG, Urteil vom 25.04.2018 -
2 AZR 6/18 - Rn. 19;
BAG, Urteil vom 20.11.2014 -
2 AZR 664/13 - Rn. 13, juris).
b. Vorliegend kann dahinstehen, ob eine negative Gesundheitsprognose auf der ersten Stufe besteht, die auf der zweiten Stufe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Belange der Beklagten führt. Denn jedenfalls die auf der dritten Stufe vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Klägerin aus. Im Zeitpunkt des Zugangs der hier streitgegenständlichen Kündigung am 16.05.2022 war es der Beklagten nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortzusetzen.
aa. Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist nicht durch Krankheit oder andere Gründe in der Person "bedingt", wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - und
ggf. "frei zu machenden" Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten,
ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (
BAG, Urteil vom 21.11.2018 -
7 AZR 394/17 - Rn. 36, juris).
bb. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spielt die Durchführung des bEM-Verfahrens eine besondere Rolle. Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Das bEM ist auch nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung.
§ 167 Abs. 2 SGB IX ist aber kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden (
BAG, Urteil vom 13.05.2015 -
2 AZR 565/14 - Rn. 28, juris). Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 167
Abs. 2
SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter Verlaufs- und ergebnisoffener "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Steilen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen. Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen. Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 167
Abs. 2 Satz 3
SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167
Abs. 2 Satz 1
SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten
i.S.v.
Art. 9
Abs. 1, 4
Nr. 15
DSGVO - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (
vgl. BAG, Urteil vom 20. November 2014 -
2 AZR 755/13 -; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 4 Sa 70/20 -, Rn. 54, juris).
Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783
S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig,
ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung insbesondere gesetzliche Hilfen und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
i.S.v.
§§ 42,
49 SGB IX in Betracht (
vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 48, juris).
Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1
Abs. 2
S. 4
KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere - seinem Gesundheitszustand entsprechende - Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gemäß § 167
Abs. 2
S. 1
SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines bEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung. § 167
Abs. 2
SGB IX konkretisiert aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe eines bEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden (
BAG, Urteil vom 18.11.2021 -
2 AZR 138/21 - Rn. 12 f., juris).
cc. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kündigung aus Sicht der erkennenden Kammer im Zeitpunkt ihres Zugangs am 16.05.2022 als maßgeblichem Beurteilungszeitpunkt unverhältnismäßig. Die Beklagte hat nämlich trotz Notwendigkeit der Durchführung eines bEM ein solches vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß
bzw. jedenfalls nicht erneut eingeleitet und den Ausgang der der Klägerin bewilligten Maßnahme nach § 49
SGB IX nicht abgewartet.
Der Klägerin ist durch Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 25.04.2022 als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Integrationsmaßnahme nach § 49
SGB IX zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und dem Erhalt ihres Arbeitsplatzes bei der Beklagten bewilligt worden. Es hätte der Beklagten oblegen, zunächst abzuwarten, ob diese für die Zeit ab dem 01.07.2022 bewilligte Maßnahme zur Reintegration und Überwindung der Arbeitsunfähigkeit erfolgreich endet oder nicht. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Integrationsmaßnahme wäre die aktuelle Vertragsstörung durch die langandauernde Arbeitsunfähigkeit auch ohne den Ausspruch der Kündigung überwunden gewesen. Der Ausspruch der Kündigung vor Durchführung und Abschluss der Maßnahme war hierfür nicht erforderlich und unverhältnismäßig. Die Dauer der Integrationsmaßnahme von einem Jahr vermag daran entgegen der Ansicht der Beklagten nichts zu ändern. Bei krankheitsbedingten Kündigungen kann bei der Prüfung ihrer sozialen Rechtfertigung auf der ersten Stufe eine negative Prognose erst dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer die (vertraglich) geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann - was vorliegend unstreitig nicht der Fall ist - oder die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft völlig ungewiss ist, wobei letzterer Fall einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit ann gleichsteht, wenn in den nächsten 24 Monate n mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (
BAG 30. September 2009 -
2 AZR 88/09 - Rn. 23, zitiert nach juris). Nach dieser Rechtsprechung sind vom Arbeitgeber Ausfallzeiten von 24 Monaten beginnend ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung hinzunehmen. Hinzu kommt, dass Maßnahmen nach § 49
SGB IX nur dann bewilligt werden Aufgrund der der Klägerin bewilligten Integrationsmaßnahme nach § 49
SGB IX wenn im Zeitpunkt ihrer Bewilligung davon auszugehen ist, dass nach ihrem Abschluss eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eingetreten und eine Teilhabe am Arbeitsleben möglich ist,
vgl. § 10
SGB IV. Dass der Verlauf und der Erfolg einer solchen Maßnahme vor ihrem Beginn nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, liegt in der Natur der Sache. Anders, als die Beklagte meint, reicht dies jedoch nicht aus, um eine Verhältnismäßigkeit der Kündigung anzunehmen. Vielmehr hätte die insoweit vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastete n Beklagte Tatsachen für die Nutz-
bzw. Aussichtslosigkeit der Maßnahme vortragen müssen. Vorliegend sind nicht einmal Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich ergeben würde, aus welchem Grund vorliegend nicht mit einem erfolgreichen Abschluss der Maßnahme und einer Überwindung der Arbeitsunfähigkeit auf Seiten der Klägerin gerechnet werden können soll.
Der von der Klägerin bestrittene Einwand der Beklagten, die Bewilligung der Maßnahme sei unerheblich, da sie hier von keine Kenntnis gehabt habe, verfängt ebenfalls nicht. Der Arbeitgeber hat vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung gesetzlich vorgesehene Hilfen und Leistungen zur Rehabilitation und Reintegration schon von sich aus in Erwägung zu ziehen und ihre Durchführung in die Wege zu leiten. Bedarf es dazu der Einwilligung oder der Initiative des Arbeitnehmers, muss der Arbeitgeber um diese nachsuchen oder den Arbeitnehmer hierzu auffordern. Dazu kann er dem Arbeitnehmer eine Frist setzen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer dabei deutlich darauf hinweisen, dass er im Weigerungsfall mit einer Kündigung rechnen müsse. Lehnt der Arbeitnehmer die Maßnahme dennoch ab oder bleibt er trotz Aufforderung untätig, braucht der Arbeitgeber die Maßnahme vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr als milderes Mittel berücksichtigen (
BAG, Urteil vom 10.12.2009 -
2 AZR 400/08 - Rn, 29, juris). ^
Vorliegend hatte die Klägerin selbst bereits die Initiative ergriffen, eine solche Maßnahme in die Wege zu leiten. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung (erneut) ein bEM anzubieten. In diesem hätten u.a. mögliche und/oder bereits bewilligte Maßnahmen der Deutschen Rentenversicherung Bund zur Rehabilitation und Reintegration der Klägerin besprochen werden können. Ihrer in Bezug auf die hier streitgegenständliche Kündigung gesteigerten Darlegungs- und Beweislast dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten, ist die Beklagte nicht nachgekommen.
(1) Die Beklagte hat während der gesamten Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin kein ordnungsgemäßes bEM-Verfahren durchgeführt (dazu sogleich unter (a). Selbst wenn die Einladungsschreiben ordnungsgemäß gewesen wären, hätte die Beklagte vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung jedenfalls ein neuerliches bEM-Verfahren einleiten müssen (dazu sogleich unter (b).
(a) Die Beklagte hat kein ordnungsgemäßes bEM-Verfahren eingeleitet. Die Einladungsschreiben enthalten keinen Hinweis zur Datenerhebung und -Verwendung.
(aa) Die Klärung von Möglichkeiten zur Beendigung gegenwärtiger und Vermeidung neuer Arbeitsunfähigkeiten sowie zum Erhalt des Arbeitsplatzes ist nur möglich, wenn die beteiligten Akteure im möglichen Umfang Informationen über die Ausgangssituation haben. Daher ist das Erfassen dieser Ausgangssituation denknotwendig Bestandteil eines bEM. Zu beachten ist dabei aber, dass berechtigte Interessen des Beschäftigten gegen eine umfassende Informationssammlung sprechen können. Nicht zuletzt, weil es in der Regel um besonderer Kategorien personenbezogener Daten
i.S.d. Art. 9
EU-
DSGVO, insbesondere Gesundheitsdaten nach
Art. 4
Nr. 15
EU-
DSGVO geht, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers auch die Beachtung des Datenschutzes. Die Beachtung des Datenschutzes ist in § 167
Abs. 2
SGB IX zwar verklausuliert, aber dennoch ausdrücklich vorgeschrieben. Ihre Notwendigkeit ergibt sich zudem aus dem besonderen Spannungsfeld der in wesentlichen Teilen auch schon rechtlich geregelten Interessen, in dem das bEM notwendig angesiedelt ist. Dies sind insbesondere das Erkenntnisinteresse des Arbeitgebers an allen für die Leistungsfähigkeit des Beschäftigten relevanten Informationen und das Interesse des Beschäftigten am Erhalt seines Arbeitsplatzes auch bei gesundheitlicher Einschränkung. Bei der Organisation des Datenschutzes sind folgende Leitlinien einzuhalten: Der Arbeitgeber - und in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 35
Abs. 1 Satz 3 SGB l jede andere Person, die Personalentscheidungen treffen kann - darf ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen Zugang nur zu solchen Daten haben, die für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum bEM erforderlich sind oder ohne die er seine Zustimmung zu geplanten Maßnahmen etc nicht erteilen kann. Diagnosen und ähnlich sensible Daten dürfen dem Arbeitgeber ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Betroffenen nicht zugänglich sein. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (
vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 4 Sa 70/20 -, Rn. 55 - 57, juris).
(bb) In Anwendung dieser Grundsätze kann nicht von einer ordnungsgemäßen Einleitung des bEM-Verfahrens ausgegangen werden.
(i) Die Einleitung eines bEM war gemäß § 167
Abs. 2 Satz 1
SGB IX geboten. Die Klägerin war innerhalb des Jahres vor Ausspruch der Kündigung an allen Arbeitstagen und somit länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank.
(ii) Die Einladungsschreiben der Beklagten genügen nicht den gesetzlichen Vorgaben. Die Anforderung an eine ordnungsgemäße Unterrichtung über die Datenerhebung und -verwendung wurden nicht erfüllt.
Die Einladungsschreiben enthalten keinen Hinweis auf die Art und Umfang der im Zuge des bEM-Verfahrens erhobenen Daten und deren Verwendung. Es wird lediglich mitgeteilt, dass die Inhalte des bEM "selbstverständlich vertraulich behandelt" werden.
Hingegen wird nicht klargestellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Der Klägerin als Adressatin der Einladungsschreiben wurde nicht mitgeteilt, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten
i.S.v.
Art. 9
Abs. 1, 4
Nr. 15
DSGVO - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden sollen. Der bloße Hinweis auf die Vertraulichkeit der Inhalte des bEM-Gesprächs ist ungenügend.
(iii) Danach liegt eine unzureichende Einleitung des bEM vor. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über das bEM an einem solchen teilgenommen hätte und - eingedenk der der Klägerin bewilligten Maßnahme nach § 49
SGB IX - im Rahmen des Verfahrens Möglichkeiten gefunden worden wären, die Fehlzeiten des Klägerin zu reduzieren.
(b) Selbst wenn von einer ordnungsgemäßen Einleitung des bEM-Verfahrens zugunsten der Beklagten ausgegangen würde, hätte sie vor Ausspruch der Kündigung gemäß § 167
Abs. 2
S. 1
SGB IX grundsätzlich ein neuerliches bEM durchführen müssen.
(i) Nach § 167
Abs. 2
S. 1
SGB IX ist ein bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten oder angebotenen bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist. Dies ergeben neben dem Wortlaut jedenfalls Sinn und Zweck des bEM. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern. Der Handlungsbedarf für eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses entsteht bereits mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen, die sich auf nicht mehr als ein Jahr verteilen. Das ist die kritische Schwelle, die unter weiteren Voraussetzungen zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung führen kann. Um eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses durch eine verstärkte Gesundheitsprävention zu erreichen, mit der weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten nach Möglichkeit vorgebeugt werden kann, ist es geboten, dass der Arbeitgeber unverzüglich tätig wird, sobald diese Schwelle überschritten ist. Die Präventionswirkung lässt sich nicht in gleichem Maße erreichen, wenn trotz bereits eingetretener Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen zunächst ein Mindestbetrachtungszeitraum von einem Jahr abgewartet werden könnte. Ein weiteres Zuwarten änderte nichts an der Bestandsgefährdung durch die im Jahreszeitraum erneut aufgetretenen Fehlzeiten, es drohten vielmehr lediglich neue Zeiten von Arbeitsunfähigkeit hinzuzukommen.
Dem Sinn und Zweck von § 167
Abs. 2
SGB IX widerspräche es demgemäß ebenso, in das Gesetz ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" von einem Jahr eines bereits durchgeführten bEM hineinzulesen. Erkrankt der Arbeitnehmer nach Abschluss eines bEM erneut innerhalb eines Jahres für mehr als sechs Wochen, ist vielmehr grundsätzlich erneut ein Bedürfnis für die Durchführung eines bEM gegeben. Im vorhergegangenen bEM können nur Erkrankungen berücksichtigt worden sein, die für die bis zu seinem Abschluss aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten ursächlich waren, ebenso wie nur die bis dahin maßgeblichen betrieblichen Abläufe und Verhältnisse. Sowohl die Krankheitsursachen als auch die betrieblichen Umstände können sich danach geändert haben. Dies gilt gleichermaßen für etwaige einschlägige Heilverfahren. Ob das der Fall ist und ob sich daraus ein neuer Ansatz für Maßnahmen zur Vorbeugung vor weiteren Zeiten von Arbeitsunfähigkeit ergibt, kann grundsätzlich nur in einem neuerlichen bEM geklärt werden. In diesem wäre zunächst festzustellen, ob maßgebliche Änderungen in den Krankheitsursachen, den möglichen Heilverfahren oder in den betrieblichen Umständen gegenüber dem zuvor durchgeführten bEM eingetreten sind, die einen neuen Präventionsansatz möglich erscheinen lassen.
Ein weiteres bEM kann nur dann erforderlich werden, wenn ein vorheriges bereits abgeschlossen war. Ein bEM ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn allein der Arbeitnehmer seine Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteilt. Deren Vorliegen ist nach § 167
Abs. 2
S. 1
SGB IX Voraussetzung für den Klärungsprozess (
vgl. BAG, Urteil vom 18.11.2021 - 2 AZR 138/21 - Rn. 18
ff., juris).
(ii) Das letzte Einladungsschreiben zu einem bEM vor Ausspruch der Kündigung stammt vom 05.07.2021. Die Klägerin hat diesem nicht innerhalb der im Einladungsschreiben gesetzten Frist bis zum 20.07.2021 zugestimmt. Daher wäre das möglicherweise vorhergegangene bEM mit Ablauf des 20.07.2021 abgeschlossen gewesen. Seitdem war die Klägerin bis zum Zugang der Kündigung am 16.05.2022 durchgehend und damit länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank.
(iii) Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass - bezogen auf den Prognosezeitpunkt des Zugangs der Kündigung - mit Hilfeeines (weiteren) bEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Durchführung eines (erneuten) bEM-Verfahrens ergibt sich - anders als die Beklagte meint - auch nicht daraus, dass die Klägerin auf die bisherigen Einladungen sowie auch auf ihre Einladungen zu Mitarbeiter- und Fürsorgegesprächen nicht reagiert haben soll.
(a) Mitarbeiter- und Fürsorgegespräche sind bereits an sich nicht geeignet, ein bEM-Verfahren zu ersetzen, wenn sie - wie vorliegend - nicht die Anforderungen des § 167
SGB IX erfüllen. Ansonsten könnte § 167
SGB IX und der mit der Norm verfolgte Schutzzweck durch den Arbeitgeber umgangen werden.
(b) Selbst wenn der Arbeitgeber - anders als vorliegend - seiner Initiativlast zur Durchführung eines bEM genügt, der Arbeitnehmer einem solchen jedoch zunächst seine Zustimmung nicht erteilt hat, ist der Arbeitgeber dennoch grundsätzlich gehalten den weiteren Versuch eines bEM zu unternehmen, wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend - innerhalb eines Jahres, nachdem er die Durchführung eines bEM abgelehnt hat, erneut mehr als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, selbst wenn seit der nicht erteilten Zustimmung nicht bereits wieder ein Jahr vergangen ist. Die in der Vergangenheit ablehnende Haltung des Arbeitnehmers kann sich allein durch die zusätzlich aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten geändert haben. Eine Nachfrage des Arbeitgebers, ob sich etwas an der Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Durchführung eines bEM geändert hat, stellt auch weder einen unzumutbaren bürokratischen Aufwand dar noch droht dadurch eine kontraproduktive Verunsicherung des Arbeitnehmers. Im Gegenteil wird diesem durch das erneute Nachfragen vor Augen geführt, dass das Ziel einer Überwindung seiner Arbeitsunfähigkeit noch nicht erreicht ist (
BAG, Urteil vom 18. November 2021 - 2 AZR 138/21 -, Rn. 32, juris).
(3) Die Beklagte wäre nach dem Vorstehenden verpflichtet gewesen, der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung erneut ein bEM anzubieten. Dass das hiernach erforderliche bEM erfolglos geblieben wäre, mithin keine Möglichkeit bestand, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen wie etwa die Durchführung einer gesetzlichen Hilfe oder Leistung seitens eines Rehabilitationsträgers oder auch die leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes zu vermeiden, hat die Beklagte nicht dargelegt. Allein die aus Sicht der Beklagten bestehende Ungewissheit des Erfolgs der der Klägerin bewilligten gesetzlich vorgesehenen Hilfe in Form einer Integrationsmaßnahme nach § 49
SGB IX der Deutschen Rentenversicherung Bund als Träger von Rehabilitationsmaßnahmen reicht hierzu nicht aus. Vielmehr hätte die Beklagte die objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und
ggf. beweisen müssen (
vgl. BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13, Rn. 50),Sie hätte im Einzelnen umfassend und konkret zu einem nicht mehr möglichen Einsatz der Klägerin auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und den Gründen, warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes der Klägerin ausgeschlossen ist und warum durch gesetzlich vorgesehene Hilfen und Leistungen der Rehabilitationsträger eine Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht hätte erreicht werden können. Diesen Anforderungen wird ihr Vertrag nicht gerecht. Aus welchen Gründen der Beklagten das Abwarten der der Klägerin bewilligten Maßnahme unzumutbar sein sollte, lässt sich ihrem Vortrag ebenfalls nicht entnehmen.
Nach alledem erweist sich die streitbefangene Kündigung wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit als sozial nicht gerechtfertigt.
II. Der Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin ist derzeit unbegründet.
1. Der Antrag ist zur Entscheidung angefallen. Die innerprozessuale Bedingung, die Begründetheit des mit dem Klageantrag zu 1) verfolgten Kündigungsschutzbegehrens, ist gemäß der obigen Ausführungen unter Ziffer l. der Entscheidungsgründe eingetreten.
2. Im Zeitpunkt der Entscheidung kann die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung nicht verlangen. Der Beklagten ist die geltend gemachte Beschäftigung der Klägerin aufgrund der derzeit bestehenden Arbeitsunfähigkeit unmöglich. Bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung besteht kein Beschäftigungsanspruch, vielmehr ist der Anspruch auf die Arbeitsleistung ausgeschlossen, § 275
Abs. 1
BGB. Insbesondere entfällt die Leistungspflicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig ist (
BAG, Urteil vom 09.04.2014 - 10 AZR 637/13 - Rn. 15, juris). Da die Klägerin selbst nicht leistungsfähig ist, kann er auch nicht von der Beklagten verlangen, ihn vorläufig weiterzubeschäftigen (
LAG Köln, Urteil vom 22.11 .2012 -6 Sa 760/12- Rn. 23, juris).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46
Abs. 2
S. 1
ArbGG, §§ 495, 92
Abs. 1
S. 1 Var. 2
ZPO. Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits entsprechend dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu tragen. Der zurückgenommene allgemeine Feststellungsantrag war mangels eigenem Wert hierbei nicht zu berücksichtigen.
IV. Der im Urteil gemäß § 61
Abs. 1
ArbGG auszuweisenden Streitwert wurde auf insgesamt 7.212,00 Euro festgesetzt. Grundlage sind § 46
Abs. 2
S. 1
ArbGG, §§ 495, 3
ZPO. Berücksichtigt wurden für den Kündigungsschutzantrag drei Bruttomonatsgehalter entsprechend § 42
Abs. 2
S. 1 GKG sowie ein Bruttomonatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag.
V. Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung im Sinne des § 64
Abs. 3
ArbGG liegen nicht vor.