Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2017 - 11 Ca 328/17 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17. März 2017 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten über eine ordentliche personenbedingte Kündigung.
Die Beklagte ist die A. Die am xx.xx 1958 geborene Klägerin ist seit 2. August 1999 als Hauswirtschafts- und Reinigungskraft bei der Beklagten nach Maßgabe des schriftlichen Dienstvertrags vom 10. August 1999 sowie diverser Nachträge (Bl. 56-63 der Akte) beschäftigt. Mit Bescheid vom 20. Juli 2018 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 mit Wirkung ab 26. April 2018 festgestellt.
Die Klägerin wies zuletzt folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten auf:
2013: 96 Tage
2014: 98 Tage
2015: 107 Tage
2016: 195 Tage
2017 bis 19. Mai: 139 Tage
Seit Anfang Mai 2018 arbeitet die Klägerin wieder vollschichtig.
Im Jahr 2014 leistete die Beklagte für sämtliche Krankheitstage Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 11.833,07
EUR brutto einschließlich Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Im Jahr 2015 leistete sie ebenfalls für sämtliche Krankheitstage Entgeltfortzahlung i.H.v. 11.734,85
EUR einschließlich Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Im Jahr 2016 leistete die Beklagte für 148 Tage Entgeltfortzahlung i.H.v. 17.811,49
EUR einschließlich Arbeitgeberanteile. Im Jahr 2017 leistete die Beklagte keine Entgeltfortzahlung. Insgesamt betrugen die Entgeltfortzahlungskosten im Zeitraum ab 2014 41.379,41
EUR brutto einschließlich Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 nebst beigefügtem Merkblatt (insoweit wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 13. August 2018 Bezug genommen) bot die Beklagte der Klägerin die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) an. Die Klägerin erklärte sich hiermit unter dem 28. Dezember 2015 einverstanden. In der Folgezeit fanden am 20. März 2016, 2. und 22. September 2016 sowie am 30. November 2016 unter Teilnahme der Mitarbeitervertretung Gespräche im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements statt.
Nach Anhörung der Mitarbeitervertretung kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 17. März 2017 das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2018; insoweit wird auf Bl. 6 der Akte verwiesen.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer am 21. März 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 90-92 der Akte) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die ordentliche Kündigung sei gemäß
§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt, da die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung vorlägen. Die Kündigung sei auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil es mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gegeben habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei das betriebliche Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt worden. Zwar sei hierfür die Darlegung des Arbeitgebers erforderlich, dass eine Einladung der Klägerin unter Angabe der die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie von Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten erfolgt ist. Hier sei zu beachten, dass der Arbeitgeber nach unbestrittenem Vortrag die Unterlagen des betrieblichen Eingliederungsmanagements in einen Umschlag verschlossen und eine Öffnung des Umschlags und weiteren Vortrag von einer entsprechenden Zustimmung der Klägerin abhängig gemacht hat. Diese Zustimmung wurde unstreitig nicht seitens der Klägerin erteilt. Daher könne sich die Beklagte darauf beschränken, pauschal die ordnungsgemäße Einleitung des Verfahrens zu behaupten. Die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung habe die Klägerin nachdem die Beklagte diese im Einzelnen darlegte, nicht im Einzelnen bestritten.
Dieses Urteil wurde dem Klägervertreter am 10. Oktober 2017 zugestellt. Er hat dagegen am 9. November 2017 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 2. Januar 2018 am 21. Dezember 2017 begründet.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum betrieblichen Eingliederungsmanagement überzeugten nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (20. November 2014-2 AZR 755/13) seien die örtlichen gemeinsamen Servicestellen zu dem BEM hinzuzuziehen. Dabei kämen insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Betracht. Die Klägerin habe von Anfang an bestritten, dass ein solches betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Ein verschlossener Brief oder ein Gespräch mit der Arbeitnehmerin stelle kein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement dar. Im Rahmen eines Gesprächs sei die Klägerin gefragt worden, ob der Vertrauensarzt hinzugezogen werden könnte. Hiergegen habe die Klägerin nichts gehabt, jedoch darauf hingewiesen dass der sie untersuchende Arzt ihr mitgeteilt habe, dass er am Tag der Untersuchung seinen letzten Arbeitstag hatte. Daraufhin habe die Beklagte erklärt einen anderen Arzt hinzuziehen zu wollen, was dann jedoch nicht erfolgt sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Standort der Spülmaschine inzwischen geändert wurde, wodurch ein wesentlicher Grund für die Erkrankungen der Klägerin beseitigt wurde. Wäre das BEM unter medizinischer Beteiligung durchgeführt worden, hätte dieser Aspekt Berücksichtigung gefunden. Nachdem die Klägerin 2017 länger als 6 Wochen arbeitsunfähig krank war, hätte erneut ein BEM durchgeführt werden müssen. Das Urteil des Arbeitsgerichts sei auch hinsichtlich der Prognose falsch, weil es ausschließlich auf die Anzahl der Fehltage, nicht aber darauf abstelle welche Krankheiten vorlagen. Es habe nicht berücksichtigt, dass unterschiedliche Krankheiten vorlagen und dass sich die Fehlzeiten deutlich verringert hätten.
Die Klägerin behauptet, sie habe im März/April 2018 an einer Reha-Maßnahme der Deutschen Rentenversicherung erfolgreich teilgenommen und bezieht sich insoweit auf einen als Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 13. August 2018 zu den Akten gereichten ärztlichen Entlassungsbericht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16. August 2017 - 11 Ca 328/17 - abzuändern und
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17. März 2017, zugegangen am 17. März 2017, nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Das betriebliche Eingliederungsmanagement sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Klägerin habe sich mit der Durchführung des BEM einverstanden erklärt. In der Folgezeit hätten insgesamt 4 Besprechungstermine stattgefunden. In der (letzten) Besprechung vom 30. November 2016 seien sich alle Beteiligten einschließlich der Klägerin einig gewesen, dass das BEM-Verfahren mit diesem letzten Gespräch beendet sei. Es hätten sich keinerlei Anhaltspunkte, Indizien oder sonstige Anlässe dafür ergeben, dass die Beklagte Maßnahmen bereitstellen
bzw. unterstützen könne, die die seinerzeit aktuelle Arbeitsunfähigkeit überwinden und/oder zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten verringern oder gar vermeiden könnte. Die seinerzeit in dem BEM-Verfahren wechselseitig überreichten Unterlagen seien in einen Umschlag verbracht und verschlossen worden; sie seien nicht Teil der "normalen" Personalakte. Die Berufung der Klägerin sei bereits unzulässig, da es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung fehle. Jedenfalls sei sie unbegründet. Die Beklagte habe der Klägerin mit Schreiben vom 16. Dezember 2015 ordnungsgemäß die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements angeboten. Die Durchführung eines BEM bedürfe keineswegs zwingend der Teilnahme eines Betriebsarztes. Nach wie vor sei die Klägerin nicht bereit, prozessual zu erklären dass die einzelnen Verfahrensabläufe und -inhalte sowie Erkenntnisse aus dem zwischen März und Ende November 2016 durchgeführten BEM-Verfahren durch Öffnen des geschlossenen Umschlags in das Verfahren eingeführt werden können. Daher könne sie sich nicht darauf berufen, das BEM sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Es werde bestritten, dass die Klägerin die Hinzuziehung von Ärzten
bzw. Betriebsärzten verlangt habe. Der Vortrag zu der Spülmaschine sei nicht einlassungsfähig, da offen bleibe, in welcher Kindertagesstätte diese wann ummontiert worden sein soll. Ebenso bleibe offen, wie die Position einer Spülmaschine zu der behaupteten Atemwegserkrankung führen soll. Soweit die Klägerin erneut rüge, das BEM sei erneut durchzuführen gewesen, verkenne sie, dass sich der Bemessungszeitraum des
§ 84 Abs. 2 SGB IX nicht auf Kalenderjahre, sondern auf einen Zeitraum von 12 Monaten beziehe. Darauf habe das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.
Wegen der weiteren Einzelhandels beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
I.
Die Berufung ist statthaft, § 8
Abs. 2, § 511
Abs. 1
ZPO, § 64
Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66
Abs. 1
ArbGG, § 519, § 520
ZPO und damit insgesamt zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten setzt sich die Berufungsbegründung auch hinreichend mit der Begründung der angegriffenen Entscheidung auseinander. Dies ergibt sich daraus, dass unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November 2014 -
2 AZR 755/13 - im Einzelnen ausgeführt wird, dass die Rehabilitationsträger im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements hätten hinzugezogen werden müssen und deshalb ein (§ 84
Abs. 2
SGB IX entsprechendes) betriebliches Eingliederungsmanagement nicht stattgefunden habe.
II.
Die Berufung ist begründet.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Unrecht abgewiesen. Es hat zwar zunächst richtig erkannt, dass gemäß § 84
Abs. 2
SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt werden musste. Es ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass dies (ordnungsgemäß) erfolgt ist. Zwar hat es zunächst richtig erkannt, dass dem Arbeitgeber die Initiativlast für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements obliegt, wofür im Regelfall auch die Darlegung des Arbeitgebers erforderlich ist, dass eine Einladung der Klägerin unter Angabe der Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie von Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten erfolgte. Hier sei jedoch zu beachten, dass der Arbeitgeber nach unbestrittenem Vortrag die Unterlagen des betrieblichen Eingliederungsmanagements in einem Umschlag verschlossen und dessen Öffnung und weiteren Vortrag von einer entsprechenden Zustimmung der Klägerin abhängig gemacht hat. Diese Zustimmung habe die Klägerin nicht erteilt. Daher könne die Beklagte sich darauf beschränken, pauschal die ordnungsgemäße Einleitung des Verfahrens am 16. Dezember 2015 zu behaupten. Die ordnungsgemäße Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements sei auch nicht bestritten worden.
Dieser Auffassung folgt die Berufungskammer nicht. Die rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts, die ordnungsgemäße Einleitung des betrieblichen Eingliederungsmanagements sei nicht bestritten worden (Seite 9 Mitte des Urteils, Bl. 97 der Akte), wird von den tatsächlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht getragen. Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, wo im streitigen Klägervortrag auf Seite 3 unten (Bl. 91 der Akte) ausgeführt wird, die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements sei nicht hinreichend dargelegt. Der Klägervertreter hat in seinem Schriftsatz vom 23. Juli 2017 auf Seite 2 (Bl. 65 Mitte der Akte) gerügt, dass die Beklagte das gesetzlich vorgesehene Verfahren (des betrieblichen Eingliederungsmanagements) nicht eingehalten hat. Auf derselben Seite im letzten Absatz beruft sich der Klägervortrag darauf, das gleiche gelte wenn der Arbeitgeber den gesetzlichen Hinweispflichten in Bezug auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten (§ 84
Abs. 2
S. 3
SGB IX) nicht nachgekommen ist. Damit war von Beklagtenseite - unabhängig von der Problematik des "verschlossenen Umschlags" und der sich hieraus ergebenden rechtlichen Folgen - darzulegen, dass sie das betriebliche Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß eingeleitet hat. Hierzu gehört zunächst ein Hinweis auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten, § 84
Abs. 2
S. 3
SGB IX alte Fassung (jetzt:
§ 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Zu den sich aus dem Gesetz abzuleitenden Mindeststandards gehört weiter, dass die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen beteiligt werden (Bundesarbeitsgericht 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30). Diese Fragen sind auch dann zu prüfen, wenn der nähere Inhalt der im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements und der dort geführten Gespräche sowie der erhobenen Daten aufgrund der von der Klägerin verweigerten Zustimmung zur Einführung dieser Daten in das gerichtliche Verfahren nicht festgestellt werden kann.
Die Kündigung ist nach
§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch Gründe, die in der Person der Klägerin liegen, gerechtfertigt ist. Auszugehen ist von den Grundsätzen zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen (
vgl. hierzu: Bundesarbeitsgericht 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - NZA 2015, 612, 613, Rn. 16). Ob die insoweit erforderliche negative Gesundheitsprognose sowie erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen hier vorliegen, kann dahinstehen.
Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte das in § 84
Abs. 2
SGB IX alte Fassung (bis 31.12.2017; jetzt: § 167 Absatz 2
SGB IX) vorgesehene betriebliche Eingliederungsmanagement unterlassen
bzw. nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.
Die Beklagte war gemäß § 84
Abs. 2
S. 1
SGB IX a.F. verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorzunehmen, denn die Klägerin war in jedem der letzten 3 Jahre vor Zugang der Kündigung länger als 6 Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig.
Zwar ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements auf verschiedene Weise möglich. Mindeststandard ist es jedoch, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements orientierte Klärung ernstlich zu versuchen. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu ergreifen. Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84
Abs. 2
S. 3
SGB IX auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hat. Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84
Abs. 2
S. 1
SGB IX hinausgeht. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten im Sinne von § 3
Abs. 9
BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Rede sein (Bundesarbeitsgericht 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30-32; 13. Mai 2015 -
2 AZR 565/14 - Rn. 26).
Diesen Anforderungen genügt das von der Beklagten im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer überreichte Schreiben vom 16. Dezember 2015 nebst beigefügtem Informationsblatt nicht.
Es enthält keinen Hinweis darauf, dass gemäß § 84
Abs. 2
S. 4
SGB IX vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen (ab 1.1.2018: Rehabilitationsträger) hinzugezogen werden, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen. Die Beklagte weist lediglich darauf hin (Informationsblatt Seite 1 unter der Überschrift "An dem BEM-Verfahren nehmen gegebenenfalls folgende Personen teil:"), dass weitere Personen, wie
z.B. Betriebsarzt oder Betriebsärztin, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Vertreter des Integrationsamtes (soweit die Hinzuziehung von den Beteiligten im ersten Kontaktgespräch als sinnvoll erachtet wird) an dem betrieblichen Eingliederungsmanagement beteiligt werden. Ein Hinweis auf die Hinzuziehung der örtlichen gemeinsamen Servicestellen (jetzt: Rehabilitationsträger) erfolgt nicht.
Unabhängig von der nicht ordnungsgemäßen Information über das durchzuführende betriebliche Eingliederungsmanagement hat die Beklagte entgegen § 84
Abs. 2
S. 4
SGB IX alte Fassung die örtlichen gemeinsamen Servicestellen (jetzt: Rehabilitationsträger) auch nicht im Rahmen des durchgeführten BEM hinzugezogen. Die Beteiligung der gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen ist jedoch Mindeststandard (Bundesarbeitsgericht 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30). Diese bringen sich aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit ein (
vgl. dazu: Bundesarbeitsgericht 20. November 2014, a.a.O., Rn. 45). Es ist nicht auszuschließen, dass hierdurch Rehabilitationsbedarf in Person der Klägerin erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die bei der Klägerin wiederholt diagnostizierte depressive Episode. Wie der von der Klägerin in der Berufungsverhandlung vorgelegte Entlassungsbericht aus der Rehabilitationsklinik zeigt, ließ sich durch eine derartige Reha-Maßnahme eine Verbesserung des Gesundheitszustands erreichen. Das Bestreiten der Teilnahme der Klägerin an der Reha-Maßnahme seitens der Beklagten ist im Hinblick auf den von ihr vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht ohne Substanz. Für eine Verbesserung ihres Gesundheitszustands durch eine gesetzlich vorgesehene Leistung der örtlichen gemeinsamen Servicestellen
bzw. eines Rehabilitationsträgers spricht, dass sie nach der Maßnahme (unstreitig) seit Anfang Mai 2018 wieder vollschichtig arbeitet. Insbesondere vor diesem Hintergrund hat die Beklagte nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines BEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für die Klägerin hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die örtlichen gemeinsamen Servicestellen
bzw. Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären (
vgl. Bundesarbeitsgericht 20. November 2014, a.a.O., Rn. 51).
Hat somit kein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement stattgefunden, musste die Beklagte von sich aus die objektive Nutzlosigkeit gesetzlich vorgesehener Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, aufzeigen und gegebenenfalls beweisen (Bundesarbeitsgericht 20. November 2014, a.a.O., Rn. 50). Daran fehlt es.
III.
Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91
Abs. 1
ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72
Abs. 2
Nr. 1
ArbGG.